Mit Punsch und Rattengift
Grabbe-Gesellschaft feiert 220. Geburtstag des „betrunkenen Shakespeare“
Das Genie und der Teufel
Ich saß an meinem Tisch und kaute Federn,
So wie der Löwe, eh der Morgen grauet,
Am Pferde, seiner schnellen Feder, kauet –
Dies sind die ersten drei Zeilen eines Sonetts über die Unfähigkeit des Dichters zu dichten. – Die Idee dazu ist wahrhaft genial, die Ausführung echt homerisch, geradezu calderonisch – findet zumindest der Verfasser, ein versoffener Dorf-Dichter mit dem hübschen Namen Rattengift. Leider kommt er nicht dazu, die zum kompletten Sonett noch fehlenden 11 Zeilen zu dichten, da kein Geringerer als der Teufel auftritt und ihn in eine literarische Fachsimpelei verwickelt …
Wir befinden uns mitten in Christian Dietrich Grabbes „Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung“, diesem „Lustspiel“, in welchem manche einen Vorläufer des absurden Theaters sehen, andere die witzigste Komödie der deutschen Literaturgeschichte (wobei sich diese beiden Urteile eher gegenseitig stützen als ausschließen).
So mancher Teilnehmer am diesjährigen Grabbe-Punsch mag sich dieses köstliche Stück Literatur zum Wieder-Lesen aus dem Regal geholt haben*), nachdem ihm die Rattengift-Szene als Appetit-Happen und gleichzeitig als ein Höhepunkt der Grabbe-Geburtstagsfeier präsentiert worden war, und zwar vom Präsidenten der Grabbe-Gesellschaft selbst, dem als Rezitator bekannten und gefragten Dr. Peter Schütze.
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*) Sollten auch Sie das Stück mal wieder lesen wollen – nehmen Sie dazu nicht das Reclam-Heft, denn zumindest in meiner alten Ausgabe (von 1965) finden sich noch Reste der Zensur. Eine Alternative: die online-Version im Projekt Gutenberg:
https://www.projekt-gutenberg.org/grabbe/ironie
Grabbe-Punsch: eine würdige Geburtstagsfeier
Mitten im Advent ist Christian Dietrich Grabbes Geburtstag – für Detmold Grund genug, ihm verstärkt Aufmerksamkeit zu schenken. Zu seinen Lebzeiten war das Verhältnis des ungebärdigen Dichters (11.12.1801 – 12.09.1836) zu seiner braven Heimatstadt ja fast schon sprichwörtlich schlecht. Heute dagegen ist man in der „Kulturstadt am Teutoburger Wald“ stolz auf den „betrunkenen Shakespeare“ (wie Heinrich Heine den weinliebenden Grabbe genannt und dies durchaus als Lob gemeint hat). Man pflegt die Erinnerung mit Grabbe-Straße, -Café, -Gymnasium, -Geburtshaus, mit dem wohlgepflegten Grabbe-Archiv in der Lippischen Landesbibliothek und nicht zuletzt mit dem Grabbe-Punsch, zu dem die (natürlich hier ansässige) Grabbe-Gesellschaft alle Jahre wieder einlädt. ( https://grabbe.de/ )
Jetzt war es wieder so weit: am Samstag, pünktlich zum 220. Geburtstag, traf sich die nach ihm benannte Gesellschaft in Grabbes Geburtshaus zum Punsch, höchstpersönlich gebraut vom Präsidenten Peter Schütze.
Zwar war die Besucherzahl coronabedingt deutlich reduziert (dafür mit einigen online zugeschalteten Teilnehmern), aber auch dieses Jahr haben es Hans Hermann Jansen, unermüdlicher Geschäftsführer und guter Geist des Vereins, und Carmen Jansen, womöglich noch unermüdlichere gute Seele der Gesellschaft, wieder geschafft, eine – ganz im Sinne des Jubilars: würdige - Geburtstagsfeier auszurichten.
Der Grabbe-Punsch: kulturselige Séance in memoriam Grabbe
Grabbe-Punsch – das ist nicht nur gehaltvolles Getränk, begleitet von adventlichen Leckereien, das ist auch Kulinarik für die Kulturseele. - Auch dieses Jahr gabs – neben der „Rattengift“-Rezitation - ein ansprechendes Begleitprogramm:
- Das Grabbe-Jahrbuch 2021 wurde vom Herausgeber Prof. Dr. Lothar Ehrlich vorgestellt und den anwesenden Mitgliedern überreicht. Auch diese Ausgabe bietet wieder eine Fülle von Informationen rund um Grabbe und seine Zeit, zur Grabbe-Forschung und -Rezeption und über die Aufführung von Grabbe-Stücken (z. B.: Sattler: „Don Juan und Faust“. Konzept und Inszenierung Frankfurt a. M. 2019“). (demnächst mehr dazu)
- Der Jahresrückblick des Präsidenten kann im Jahrbuch nachgelesen werden.
- (Der in der Kulturszene allgemein und besonders in der Musikszene umfassend vernetzte) Hans-Hermann Jansen hat wieder zwei Adeptinnen - Kara Pohlmann und Maria Techmanski vom Projekt Ferientheater – aufgeboten, die zur musikalischen Umrahmung beitrugen.
- Ein weiterer Höhepunkt ist dem Detmolder Künstler Rainer Nummer zu verdanken, welcher der Grabbe-Gesellschaft seit langem freundschaftlich verbunden ist: Als „Schnellzeichner“ verblüffte er das Publikum mit einer Porträt-Skizze von Georg Weerth – ein Ausblick aufs kommende Jahr.
Ausblick 2022: Weerth-Jubiläumsjahr
Die Grabbe-Gesellschaft „kümmert sich“ nicht nur um Grabbe, sondern auch um die anderen Detmolder Dichter, besonders aus der Zeit des Vormärz, und kann mit einem gewissen Stolz auf Detmold blicken „als einer Geburtsstadt der ersten deutschen Demokraten“, zu denen zählten „Dichterpersönlichkeiten“ mit „freiheitlichen Vorstellungen“:
„In einer Zeit, die noch nicht reif für eine demokratische politische
Grundordnung war, fanden die Dichter in der Literatur ein Ausdrucksmittel ihrer Ideale“
( https://grabbe.de/zeitgenossische-dichter/ ).
Neben Ferdinand Freiligrath (1810 – 1876) ist hier vor allem Georg Weerth (1822 – 1856) zu nennen, dessen 200. Geburtstag am 17. Februar 2022 gefeiert wird. – Rechtzeitig vor seinem Jubiläum werden Sie hier mehr zu Georg Weerth und seinem Werk lesen. – Ein Vorgeschmack gefällig? Stöbern Sie doch mal auf der wirklich vielseitigen (!) Webseite https://weerth200.de/ , die Weerth-Fans im Hinblick auf das Jubiläum angelegt haben und immer noch ausweiten.
Oder lesen Sie schon mal seinen Bericht über „die armen Leute in der Senne“ – ein Glanzstück frühen sozial-engagierten Journalismus.
https://de.wikisource.org/wiki/Die_Armen_in_der_Senne
Am 11. Oktober 2022 steht dann noch der 200. Geburtstag von Theodor Althaus an. Auch dazu mehr zu gegebener Zeit.
(g.wasa - Detmold)
Grabbe-Jahrbuch 2021
40. Jahrgang
Herausgegeben von Lothar Ehrlich und Detlev Kopp
AISTHESIS VERLAG. Bielefeld
ISBN 978-3-8498-1788-6
230 Seiten, gebunden, 29,80 Euro
Auch als E-Book erhältlich: ISBN 978-3-8498-1789-3