Shakespeare - ein deutscher Klassiker

Shakespeare-Übersetzungen von Wieland bis Frank Günther

Shakespeare-Übersetzungen von Günther, Fried, Brasch

WaSa.     -     Was hat das deutsche Theater dem englischen voraus? - Shakespeare. – Wie? Shakespeare? – Ja, Shakespeare! Die „deutsche Shakespeare-Gesellschaft“ zitiert ein „Bonmot, das die Deutschen gegenüber den Engländern als glückliche Nation preist, da sie sich jedes Jahr einen neuen Shakespeare schreiben können“ (1). Tatsächlich: In Deutschland können wir Shakespeare in heutigem Deutsch lesen, ihn für Zeitgenossen in ihrer Sprache inszenieren – und welcher Autor hätte mehr als dieser englische Vollbluttheatermensch für die Zeitgenossen geschrieben, für die Menschen wie er und ich, und weniger für auf einen zeitlosen Literaturkanon?

 

Schiller – Grimmelshausen – Shakespeare: was verstehen wir heute noch?

In England grenzt es an ein Sakrileg, allzu sehr in die Sprache des Meisters einzugreifen – und deshalb müssen sich dort die Theater mit den Texten aus der Zeit um 1600 herumplagen, die heute oft nicht mehr recht verständlich sind, auf jeden Fall reichlich altertümlich klingen. So ähnlich, wie auch in Deutschland viele Klassikertexte antiquiert anmuten und manchmal der Erläuterung bedürfen – was durchaus gelungene Überraschungen zur Folge haben kann. So wurde vor Jahren in einer Detmolder Inszenierung von „Kabale und Liebe“ (1784) der Schillersche Satz „Ein herrliches Impromptu des menschlichen Witzes“ kongenial-schnoddrig in heutiges Umgangsdeutsch übersetzt: „Was’n Ding!“ – Apropos: wer wüsste heute noch, was „Kabale“ ist, gehörte Schillers Frühwerk nicht zum Bildungskanon?!

 

Dabei ist unser zeitlicher Abstand zu Schiller (1759 – 1805) nur etwa halb so groß wie der zu Shakespeare (1564 – 1616). Nehmen wir Grimmelshausen, der sechs Jahre nach Shakespeares Tod geboren wurde: Wie schwer wir Heutigen uns mit seiner Sprache tun, zeigte sich spätestens dann, als vor ein paar Jahren Reinhard Kaisers hochgelobte Übersetzung des „Simplicissimus“ (1668) vom Barockdeutschen ins Neuhochdeutsche erschien.

Shakespeare auf Neu-Englisch

So ähnlich gibt es natürlich auch in England Shakespeare-Übersetzungen ins moderne Englisch, beispielsweise eine ganze Serie „zweisprachiger“ Ausgaben unter dem – vielsagenden! – Reihentitel „No fear Shakespeare“.

 

Bloß – selbst jemand, der nicht unbedingt perfekt Englisch (geschweige denn Shakespeare-Englisch) versteht, erkennt gerade beim Paralleldruck schnell, was für ein schwacher Abklatsch vom Original die erneuerten Texte doch sind! Vergleichen Sie mal die ersten sechs Verse aus dem Sommernachtstraum (1596):

 

Zumindest dieses Beispiel zeigt: man tut sich innerhalb des Englischen schwer, die alten Texte in eine Shakespeare-gerechte Alltagssprache zu übertragen. Und somit bleiben neuenglische Fassungen ein Hilfsmittel, ein Notbehelf, eine Krücke.

 

Shakespeare auf Deutsch

Wer dagegen in Deutschland Shakespeare erleben wollte, konnte dies nur mittels einer Übersetzung. Für deutsche Leser und (was noch wichtiger ist:) für das deutsche Theater waren Shakespeare-Übersetzungen eine Grundvoraussetzung, eine Selbstverständlichkeit (und das gilt auch heute noch – trotz inzwischen weit verbreiteter Englischkenntnisse). Diese Notwendigkeit tat der Popularität des Engländers auf dem Kontinent keinen Abbruch. Frühe Übersetzungen sorgten dafür, „daß Shakespeare in Deutschland fest eingebürgert war und neben Goethe und Schiller als ‚dritter deutscher Klassiker‘ betrachtet wurde“ (3).

 

Die anhaltende Popularität führte wiederum dazu, dass sich neue Epochen immer wieder ihre eigenen Shakespeare-Übersetzungen geleistet haben – wobei es oft genug selber namhafte Dichter waren, die den großen englischen Kollegen ins Deutsche übertrugen.

 


Wielands Übersetzung des "Sommernachtstraum"

Das fing an mit Christoph Martin Wieland (1733 – 1813), der sich bemüht hat, Shakespeares „entfesselte und unerhörte Sprache“ (4) in der Übersetzung möglichst genau wiederzugeben – wofür er sich beim Leser ausdrücklich entschuldigt, womit er aber womöglich auch den deutschen „Sturm und Drang“ vorbereitet hat. Auch Schiller hat sich an Shakespeare versucht und den „Macbeth“ übersetzt.

 

 

 

Der Klassiker: Schlegel-Tieck

Zur „klassischen“ deutschen Shakespeare-Übertragung wurde dann aber die sog. Schlegelsche oder Schlegel-Tiecksche: Zunächst (ca. 1797 – 1810) übersetzte August Wilhelm von Schlegel etwa die Hälfte von Shakespeares Stücken; die übrigen erschienen um 1830, übersetzt von Ludwig Tieck, dessen Tochter Dorothea Tieck und Wolf Graf Baudissin. Diese Übersetzung bestimmt bis in unsere Zeit herein die deutsche Sicht auf Shakespeares Werk – womöglich eine gar zu klassisch-romantische Sicht auf das ungebärdige Renaissance-Genie (ja, ja, ich weiß – ein Shakespeare lässt sich nicht in eine Epoche einsortieren).

 

Übersetzungen im 20. Jahrhundert:

So haben gerade Theater für ihre Inszenierungen immer wieder eigene Bühnenfassungen hergestellt, die teilweise beträchtlich von „Schlegel/Tieck“ abwichen. Beispielsweise hat Elisabeth Plessen – Lebenspartnerin von Peter Zadek – mit ihren Shakespeare-Übersetzungen die Grundlagen für eine Reihe von Zadeks Inszenierungen geliefert, so etwa für den legendären „Hamlet“ der Wiener Festwochen 1999.

 

Überhaupt verfügen wir aus dem 20. Jahrhundert über eine ganze Reihe famoser moderner Shakespeare-Übersetzungen. Das beginnt 1909 mit Stefan Georges Übertragung („Umdichtung“) von Shakespeares Sonnetten – begeistert gepriesen und in den Boden verdammt, z. B. von Karl Kraus (5).

 

Von den Übersetzern der Theaterstücke sind vor allem Erich Fried (1921-1988; Shakespeare-Gesamtausgabe bei Wagenbach, 1989) und Thomas Brasch (1945-2001; Übersetzungen im Insel-Verlag, 2002) zu nennen.

 

Mein Favorit: Frank Günther

Mein Lieblings-Shakespeare-Übersetzer ist allerdings Fank Günther: geboren 1947; Studium der Anglistik, Germanistik und Theatergeschichte; praktische Theatererfahrung als Regieassistent und Regisseur, u. a. in Basel, Bielefeld und Bochum (6).

 

In den 1970er Jahren hat Günther begonnen, Shakespeare zu übersetzen; 2015 soll – in dann 39 Bänden - das komplette Werk in modernem Deutsch vorliegen, in einer edlen gebunden Ausgabe bei ars vivendi, als Taschenbücher bei dtv.

 

Basis jeder Ausgabe ist der englisch-deutsche Paralleldruck des Stückes, der es dem einigermaßen Sprachkundigen ermöglicht, Günthers Übersetzung sofort am Original zu überprüfen. Allerdings wäre ein penibler Vergleich nach „Richtigkeit“ verlorene Liebesmüh. In seinen Übertragungen geht es Günther weniger um philologische, wörtliche Genauigkeit, als darum, den Charakter der Shakespearschen Sprache, die besondere Atmosphäre der jeweiligen Szene möglichst angemessen ins heutige Deutsche herüber zu transponieren. Oft hat man dabei den Eindruck, dass er eine besondere Leidenschaft für die berühmten Shakespeareschen Wortspiele hat – und den Ehrgeiz, für die üblicherweise als „unübersetzbar“ etikettierten Geniestreiche eine treffende Entsprechung im Deutschen zu finden, auch wenn er sich dazu vom Originaltext entfernen muss.

 

Die philologische Genauigkeit findet sich dann in den ausführlichen „Anmerkungen zum Text“, in denen nicht nur dem Durchschnittsgebildeten unverständliche Ausdrücke erklärt werden; hier weist Günther auch auf Varianten in der Textüberlieferung hin; er stellt historische und literaturgeschichtliche Bezüge her; erläutert Stilebenen; und vor allem begründet er seine konkreten Übersetzungs-entscheidungen.

 

Und damit nicht genug: In einem Bericht „aus der Übersetzerwerkstatt“ gibt Günther in jedem Band eine fundierte Einführung in jeweils ein spezielles Problem des Übersetzens von Shakespeare im allgemeinen und des jeweiligen Stücks im besonderen.

 

Beim „Sommernachtstraum“, beispielsweise, geht es unter dem Titel „Gereimtes und Ungereimtes“ vor allem um „die Vielzahl von Sprachformen und Sprachstilen“, wie sie vom hohen und vom niederen Adel, von einfachen Handwerkern und von Angehörigen der Feenwelt, wie sie im Palast und im Wald, beim Regieren und in der Liebe gesprochen werden – es geht also um sprachliche Unterscheidungen, die in der Schlegelübersetzung unter „einem einheitlichen lyrischen Sprachteppich ... zugedeckt“ worden sind (7).

 

In anderen Bänden geht Günther weit über das rein Sprachliche hinaus. Bei „Othello“ erörtert er, wie „politisch korrekt“ ein Übersetzer heute sein kann und sein muss, wenn er ein Stück mit dem Untertitel „The Moor of Venice“ ins Deutsche überträgt.

 

Das Verständnis von Texten aus dem frühen 17. Jahrhundert wird nicht nur durch die seitherige Entwicklung der Sprache erschwert, sondern – natürlich! – vor allem durch den enormen kulturellen und gesellschaftlichen Wandel. Wir mögen zwar wissen, dass zu Shakespeares Zeiten sämtliche Frauenrollen von Männern gespielt wurden, und dass das damalige Publikum eine ganz andere Bereitschaft mit ins Theater brachte, sich auf die „Illusion“ einzulassen, als heute.

 

Aber: Welch ein komplexes Gefüge – unzureichend charakterisiert durch Stichworte wie „Hosenrolle / Geschlechts-Identität / Täuschung / Bi-Erotik“ – der damalige Zuschauer vor diesem Hintergrund zu verstehen hatte und in der Regel auch verstand, das kann heutzutage nur noch nachvollziehen, wer sich gründlich mit der Zeit Shakespeares auseinandergesetzt hat. – Oder wer Günthers „Fantasia capricciosa für Röcke, Hosen und Hosenröcke“ gelesen hat. Darin macht er am Beispiel von „Wie es euch gefällt“ geradezu musterbeispielhaft deutlich, wie viel komplizierter es doch ist, eine Komödie von 1599 ins Heute zu übertragen, als einfach nur Shakespeares Text zu übersetzen (8).

 

Last but not least: Jeder Band wird durch den Essay eines namhaften Experten (oder – da wir’s grade von den Geschlechterrollen hatten – natürlich auch einer namhaften Expertin!) bereichert, der eine lesenswerte Interpretation des Stückes liefert. Im „Sommernachtstraum“-Band macht sich die Marburger Anglistik-Professorin Sonja Fielitz Gedanken über die „Vielschichtigkeit des Dramas“ zwischen heiterer Komik und abgründiger Erotik, zwischen „verzauberndem Märchenspiel mit viel Musik“ und dem „Ausgeliefertsein des Menschen an seine Sexualität“ (9).

 

Natürlich gibts zum Abschluss dann noch Literaturhinweise. Und einen knappen Überblick über spätere Bearbeitungen des Stoffs in der Musik und im Film.

 


Fazit:

Wenn Sie sich einen Shakespeare anschaffen (oder neben Ihre Schlegel-Ausgabe eine „moderne“ stellen) wollen, dann ist die Frank-Günther-Ausgabe sicherlich eine gute Wahl. Und wenn Sie sich vor allem für einzelne Stücke interessieren oder erst mal nur reinschnuppern wollen: die Bände gibt’s auch einzeln zu kaufen.

 

Anmerkungen / Quellen:

(1)  http://shakespeare-gesellschaft.de/?id=408

(2)  http://nfs.sparknotes.com/msnd/page_2.html )

(3)  SUERBAUM, Ulrich: Shakespeares Dramen (UTB 1907). – Tübingen 1996. - S. 284.

(4)  SUERBAUM, S. 289

(5)  http://de.wikipedia.org/wiki/Shakespeares_Sonette#.C3.9Cbersetzungen_ins_Deutsche_und_mediales_Fortwirken

(6)  http://de.wikipedia.org/wiki/Frank_G%C3%BCnther

(7)  SHAKESPEARE, William: Ein Sommernachtstraum. – Zweisprachige Ausgabe neu übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Frank Günther ... (dtv 12480). – München 6. Aufl. 2002. – S. 169.

(8)  SHAKESPEARE, William: Wie es euch gefällt. – Zweisprachige Ausgabe. Neu übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Frank Günther ... (Band 12 der ars vivendi-Gesamtausgabe). – Cadolzburg 2002. – S. 205 ff.

(9)  SHAKESPEARE/GÜNTHER: Ein Sommernachtstraum. (s. Anm. 7). - S. 184 f.