Buchkritik:

Kein Latte macchiato in Schwalenberg!

Ralph Bollmanns "Walküre in Detmold" -

ein Buch über die Oper in Deutschland ..... oder über Wirtshäuser?

 

 

WaSa. Detmold.  -  Um es gleich zu sagen: Wer etwas über die Detmolder Walküre-Inszenierung oder das Landestheater erfahren will, der sollte sich die 19,95 Euro für das Buch sparen und sie lieber in eine Karte für einen Opernabend investieren. Denn die „Walküre in Detmold“ dient vor allem dazu, den Buchtitel aufzupeppen.

 

Um es in Zahlen auszudrücken: Von 269 Textseiten handeln 5 von Detmold. Und eine, genauer gesagt: weniger als eine Seite handelt vom Landestheater und dem „Ring“. Auf 6 Zeilen lässt uns der Autor wissen, dass er die Fremdenloge gebucht hat. Dann 9 Zeilen: dass in Detmold der Ring gespielt wird („15 Stunden Musik, vier  Abende“). Auf 7 Zeilen kommt noch der Intendant zu Wort, der sein Theater und damit sich selbst für das Wagner-Wagnis lobt (zurecht, keine Frage). Dann, endlich, kommt’s,  in den verbleibenden 6 Buchzeilen:


„... die Walküre als Kammerspiel gewinnt ihren eigenen Reiz und wird von der Regie  gestützt. Wie Siegmund hereinstürzt in die bürgerliche Behaglichkeit von Hundings Hütte, ein Biedermeier-Milieu aus der Entstehungszeit des Stücks, mit Wedgewood- Porzellan in feierlichen Vitrinen – das erinnert fast schon an den gefeierten Stuttgarter Ring wenige Jahre zuvor. Und das hier, in Detmold!“ 



Ja, das war’s dann. Allerdings (in der Kürze liegt die Würze!): Welch ein Kompliment! Da dürfen sich Metzger, Wächter & Co. noch lange freuen!

Der Autor aber ist - zwei Zeilen weiter – bereits abgereist; er ist in Richtung Kassel unterwegs und beklagt sich bitter, dass er in der Provinz zum Filterkaffee nur dickflüssige Kondensmilch bekommt. Der bessere Titel für das Buch wäre zweifellos gewesen: „Kein Latte Macchiato in Schwalenberg“. Denn auch wenn’s Bollmann eher mit Wagner hat (22 von 85 Opernbesuchen) als mit Weill (0), so zeigt er doch eine Affinität zu Brecht: Erst kommt das Fressen, dann erst kommt die Kunst. Zum Beispiel in München, wo er schwärmt: „So schön kann Bayern sein“, während er  „unter einer herrlichen Stuckdecke“ sitzt – nein, nicht in der Bayerischen Staatsoper (die „hatte ich fast vergessen“), sondern beim sauren Lüngerl im Wirtshaus. Solches  Lob ist selten; auf lukullischem Felde dominiert die Kritik, so in der Rhein-Main-Region, wo der „leider fertige Saumagen“ nicht mit dem selbst zubereiteten mithalten kann (sein Saumagen-Rezept bekommt 50 Prozent mehr Platz als die Detmolder Walküre). Und erst in Eisenach: der dort gespielte Tannhäuser wird in üblicher Knappheit abgehakt, bevor Bollmann ein existenzielles Problem angeht: „Was  denken sich Intendanten, wenn sie eine Vorstellung von 18 bis 22 Uhr ansetzen?“ Wann soll man dann essen – dieser Frage ist die folgende Seite gewidmet.

Auch in Kasselfindet (er) schlichtweg kein akzeptables Wirtshaus“. Und das scheint Bollmanns Hauptproblem zu sein: dieser Mangel an akzeptablen Wirtshäusern. So auch in Detmold, wo er seinen Frust über den langweiligen „Speisekeller im  Rosental“ (der nicht namentlich genannt, aber eindeutig erkennbar ist) auf anderthalb Seiten ausbreitet (man erinnert sich: für‘s Theater hat weniger als eine Seite gereicht). Natürlich wird jeder Detmolder, der damals nach der Vorstellung noch schräg gegenüber vom Theater gepflegt einkehren wollte, Bollmanns Enttäuschung verstehen. Aber es gab nun wirklich Alternativen, und wer bewusst eine Rundreise durch die Provinz unternimmt, sollte sich nicht nur im Michelin kundig machen. Offenbar hatte Bollmann den ganzen Karsamstag Zeit, sich umzusehen. Oder er hätte während der ausgiebigen Walküre-Pausen mal einen Detmolder um Rat fragen können. Damit dem Genießer während eines eventuellen Folgebesuchs ähnliche kulinarische Unbill erspart bleibe, sei ihm ungefragt geraten: Probieren Sie mal das Bistro im Detmolder Hof. Oder, wenn Sie lippisches Flair wollen: Strates Brauhaus. Oder gleich den Lippischen Hof. Oder: Trotz allem nochmal den Speisekeller, der inzwischen allerdings Bodega heißt, und wo Sie heutzutage für die Zeit nach dem Theater oder der Lesung vorsichtshalber einen Tisch reservieren sollten.

Selbst als Detmold-Fan muss man zugeben: den einen oder anderen Grund für Bollmanns Schilderung einer Atmosphäre des allgemeinen Niedergangs gab es durchaus: das vor der Schließung stehende Hotel (das ich allerdings – trotz recht konkreter Hinweise – nicht identifizieren konnte), der bereits geschlossene Hertie, die Zeitung ohne eigenständige überregionale Redaktion; dass der NRW-Tag 2009 in Hamm und nicht hier, in der Varus-Jubiläumsstadt, stattfand, dass Ministerpräsident Rüttgers nicht zur Drake-Gedenkfeier kam und vor allem der Schlamassel um das Drachenmuseum (allein dafür gibt’s mehr Zeilen  als für’s Theater). 

Aber da hat Bollmann gar zu eifrig an einer Momentaufnahme gemalt, die aus heutiger Sicht arg düster geraten ist.  Um ihn auf den Stand zu bringen: Das Drachenmseum ist ziemlich in Vergessenheit geraten; am ehemaligen Hertie-Gebäude haben die Umbauarbeiten begonnen. Und wie gesagt: von einem geschlossenen Hotel ist hier nichts bekannt; im Gegenteil: es wird ein neues geplant. Zur Mythosausstellung war die Bundeskanzlerin, zu den Theatertagen sogar der Bundespräsident in Detmold. Da kann der sparsame Lipper einen Herrn Rüttgers (der ja angeblich Termine gegen Spendengeld verkauft haben soll) leicht verschmerzen. Außerdem ist der eh in der Versenkung verschwunden. Und zu Pfingsten 2012 hat Detmold nicht nur den NRW-Tag, sondern auch noch ein internationales Straßentheaterfestival von Rang gefeiert. Und natürlich war da die neue Ministerpräsidentin, Hannelore Kraft, hier! Herr Bollmann hat dazu wohl nicht anreisen wollen. Schade, eigentlich.

 

 

Aber was bekommt der Leser denn nun für seine 19,95 Euro, wenn’s nicht die  Walküre ist? Einiges an Restaurant- und Essgewohnheiten-Kritik, ja.

Vor allem aber bekommt er das, was der Untertitel verspricht (zu dessen Gunsten man vielleicht auf die „Walküre“ hätte verzichten sollen): „Eine Entdeckungsreise durch die deutsche Provinz“. Bollmann kann nicht verhehlen, dass er von Haus aus nicht Theaterkritiker oder Musikwissenschaftler ist. Sondern Historiker. Man meint sein Herzblut zu spüren, wenn er seine historischen Anekdoten ausbreitet. Nicht so sehr im Falle Detmolds: da beschreibt er vor allem Drakes Punktation. Dabei hätte doch Fürst Leopold II. und seine Hoftheater-Gründung so schönen Stoff geboten. Stoff, den Bollmann in anderen historischen Residenzen dankbar aufgreift. In Niedersachsen widmet er sich der historisch gewachsenen regionalen Parteienstruktur, in Heidelberg dem Pfälzischen Erbfolgekrieg, in Thüringen der deutschen Kleinstaaterei.

Und nicht nur in Thüringen. Immer wieder bekennt er sich zu seinem Interesse, seinem Faible für Föderalismus und Kleinstaaterei. Und von diesem Faible aus lassen sich die großen Linien ziehen, die dieses Buch ausmachen: Im Lauf der Lektüre entsteht ein Mosaik, ergibt sich ein Bild: das Bild einer vielfältigen deutschen Kulturlandschaft. Und die ist nicht zuletzt entstanden durch eben diese vielbeklagte und vielverspottete Kleinstaaterei (ein Anfangskapitel heißt gleich „Im Königreich Popo“, nach Büchners Duodez-Lustspiel „Leonce und Lena“): jeder unbedeutendste  Regent wollte seine noch so kleine Residenz mit allen Insignien eines absolutistischen Gotteskönigstums ausstatten. Und dazu gehörte nun mal das Hoftheater! So kommt Bollmann auf 84 (öffentliche) Opernhäuser in 81 deutschen Städten (Berlin hat drei, München zwei) – nach Angaben des Autors sind das „ungefähr so viele wie im gesamten Rest der Welt“. Und nicht nur das. Neben den Theatern stehen Museen an architektonisch durchgestylten Marktplätzen mit historischen Rathäusern, Kirchen, Residenzen und und und ...      und eben auch mit Gasthäusern, in denen im günstigen Fall noch eine (regionale) Esskultur gepflegt wird.

Die Vielfalt der Provinz, der kulturelle Reichtum, der dieser Vielfalt entspringt – das vermag dieses Buch zu vermitteln. Da ist Bollmanns zorniger Vorwurf durchaus bedenkenswert: „Die Bundesrepublik ist reich, aber unfähig, sich dieses Reichtums zu erfreuen. ... Was aus der weltweit reichsten Opernlandschaft am lautesten nach außen dringt, sind Klagerufe.“

Den Klagen setzt Bollmann Erfolge entgegen. Erfolge, die auf den unterschiedlichsten, eben: vielfältigen Rezepten beruhen. Zum Beispiel Frankfurt: „Zu  den Dingen, die in Frankfurt funktionieren, zählt auch die Oper“. Das Erfolgsrezept dafür sollte man unbedingt nachlesen (Seite 65 – 66). Dafür lohnen sich dann auch die 19,95 Euro.

 



 

Ralph Bollmann:

Walküre in Detmold. Eine Reise durch die deutsche Provinz

 

Gebundene Ausgabe: 284 Seiten

19,95 EUR

3. Aufl. (März 2012)
Klett-Cotta 
ISBN-10: 3608946217
ISBN-13: 978-3608946215