Moral und Politik im Theater

Flüchtlinge und „Kein schöner Land“ beim NRW-Theatertreffen

(alle Fotos: Theater Krefeld Mönchengladbach)

 

g.wasa     -     Detmold.     -     „Es fehlt eine dramatische Entwicklung“, klagt ein Zuschauer im anschließenden Publikumsgespräch. Dabei hätte schon vorher klar sein können, dass es sich hier um ein eher „postdramatisches“ Stück handelt, eine Ansammlung von Aussagen, von „Satzfetzen“.  Regisseur Matthias Gehrt erklärt noch einmal die Entstehungsgeschichte von „Kein schöner Land“: 

 

Anfang 2015, das Mittelmeer war zur Todesfalle für Hunderte Migranten geworden, beschloss das Theater Krefeld und Mönchengladbach, sich des Flüchtlingsthemas anzunehmen. Im Auftrag des Theaters haben die Autoren dann den Text eher montiert als verfasst. Hauptquellen der Montage waren einmal Interviews mit Flüchtlingen, also deren Erfahrungsberichte, zum anderen eine Sammlung von „deutschen“ Äußerungen zur Flüchtlingsthematik aus den sozialen Medien. Ein Pressebericht über einen Afrikaner, der plötzlich bei einem deutschen Chor auftaucht und mitsingen will, liefert dann so etwas wie einen Plot, indem er die nationale  Herausforderung auf eine Anekdote aus dem deutschen Vereinsleben verdichtet: „Der Chor in dieser absurden Schrecksekunde, als der Fremde auftaucht, das ist für uns Deutschland, dessen kollektive Schrecksekunde immer noch dauert“, heißt es im Programmheft. Die Endfassung entstand dann als work-in-progress während der Proben und begleitender Gesprächsrunden.

 

 

Die Bühne wird also zum Chor-Übungssaal – im heimischen Theater quasi-realistisch; für das Gastspiel in Detmold lediglich stilisiert: eine Blackbox mit einigen Notenpulten und einem Klavier, aber das genügt völlig.

 

Diese Bühne bleibt menschenleer, bis auf einen unermüdlich kehrenden Hausmeister (Sauberkeit & Ordnung!) und einen Schwarzen, der auf dem Klavier liegt. (Auf dem Klavier liegt? Also „Chaos“ ausdrückt?). Es handelt sich um Jubril Sulaimon, einen aus Nigeria stammenden Schauspieler, der hier aber für Flüchtlinge aus aller Welt steht.  

 

Der Chor sitzt mitten im Publikum und beginnt mit „Muss i denn zum Städele hinaus …“ – nicht ganz unpassend, wo es um Migration geht. Dann beginnt der Dialog zwischen Chor und Flüchtling, zunächst in gekünstelten, prononciert deklamierten Sprachkurs-Übungssätzen.

Als der Flüchtling versucht, von seiner Heimat, von seiner Flucht zu erzählen, gar in der Aufregung in seine Muttersprache wechselt, wird er vom Chor rigoros abgewürgt:  „Die – Land-schaft – hier – ist – schön!“ – „Ich – lie-be – Ord-nung!

 

Die biederen Chorsänger interessieren sich nicht für die Probleme des Flüchtlings, sondern dafür, was Muttern einst Gutes gekocht hat, für ihre Gewichts- und sexuellen Probleme. Sie sind allenfalls insofern bereit, auf das einzugehen, was der Flüchtling sagt, indem sie seine Sprachfehler korrigieren („unsere schöne Sprache!“, „mit so vielen schönen Wörtern: Kaltmamsell … Anstandswauwau …“). Bald gehen sie dazu über, den Fremden mit deutschen Verhaltensregeln zu traktieren, etwa nach dem Motto:

 

Flüchtling: „In Syrien werden Krankenhäuser bombardiert.“

Chor: „In Deutschland hält man ab 22 Uhr Nachtruhe

Flüchtling: „Ich bin ein Mensch

Chormitglied: „Das neue I-Phone – das ist IT ganz nahe am Menschen

 

Und damit wird dann ein Großteil des Abends gefüllt: mit mehr oder weniger aussagekräftigen, gerne auch immer wieder wiederholten Einzelsätzen. Mal werden dem Flüchtling Nazisprüche in den Mund gelegt, mal werden zu Gemeinplätzen verkommene Weisheiten verkündet („Es ist nicht das Wetter – es sind die Leute“), mal wohlfeile Ratschläge erteilt („Ihr müsst für euch, für eure Kultur kämpfen. – Das Volk dürfte sich nicht gegeneinander aufhetzen lassen.“), mal absurd anmutende Warnungen ausgesprochen („Der Feind steht in Berlin“  - mehrfach wiederholt).

 

Auf’s irgendwie passende Stichwort bringt der Chor sein Liedgut zu Gehör (der Flüchtling berichtet von Schleusern und ihren Booten“ -- > „Jetzt fahr’n wir über’n See …“. – „Menschen wandern ins Gefängnis“ -- > „Das Wandern ist des Müllers Lust …“).

 

Man schreckt noch nicht einmal vor abgegriffenen Kalauern zurück („Wir sind das Volk“ – „Ich bin Volker“) oder vor unbeholfenen Poesiealbum-Versen zum Valentinstag.

 

Ich weiß ja – das alles sind Zitate aus der Realität, aber so kreuz und quer durcheinandergefügt, wirken sie beliebig und damit banal. Wenn schon keine dramatische Entwicklung – aber um einen roten Faden hätte man sich schon etwas intensiver bemühen dürfen. Fast hat man sein Urteil schon fertig: Gut gemeint (was ja nun wirklich lobenswert ist, aber eben doch auch den Beigeschmack des „schlecht gemacht“ hat) – da kriegt der Abend, in den letzten paar Minuten, doch noch die Kurve!

 

Alle Deutschen stehen im ¾-Dunkel in einer Reihe an der Rampe, zitieren Berichte von Flüchtlingen, aus dem Gefängnis, das bei allen Scheußlichkeiten, die dort passieren, doch immer noch „eine Gnade“ sein kann, gegenüber dem, was einem draußen zustößt …

 

Am Schluss verschwindet eine nach dem anderen, bis endlich – wie zu Beginn – nur noch der kehrende Hausmeister (Ordnung!) auf der Bühne steht. Der Flüchtling hat sich längst ins Publikum zurückgezogen und singt von dort aus:

 

„Kein schöner Land in dieser Zeit,
als hier das unsre weit und breit,
wo wir uns finden wohl unter Linden
zur Abendzeit. ...

Nun, Brüder, eine gute Nacht,
der Herr im hohen Himmel wacht!
In seiner Güten uns zu behüten
ist er bedacht.“

 

Hier sieht Dramaturg Martin Vöhringer eben doch eine gewisse dramatische Entwicklung: Anfangs hat keinen interessiert, was der Flüchtling zu berichten hatte, jetzt sitzt der im Publikum und hört sich an, was die Deutschen von seinen Geschichten aufgenommen haben: Da ist eben doch etwas hängen geblieben!  

 

Tatsächlich – so „undramatisch“ diese letzte, statuarische Szene auch sein mag: man ist gepackt von diesen prosaisch vorgetragenen Schicksalen, diesen zitierten Schreckensszenen, diesem von kultivierten Stimmen vorgetragenen menschlichen Elend. Da erhält plötzlich das uralte Theaterprinzip Gültigkeit: Tua res agitur. Das ist deine Angelegenheit, die da verhandelt wird. Das geht dich an.

 

 

Da ist es nur folgerichtig, wenn im abschließenden Gespräch die Frage kommt: „Was kann ich tun?“ – „Das haben wir uns auch gefragt“, gestehen die Theatermacher, und „Das müssen Sie selbst wissen!“ – nicht unbedingt eine hilfreiche Antwort. Aber vielleicht findet man die beim alten Moralisten Kästner:

 

Es gibt nichts Gutes –

außer: man tut es!

 

 

 

NRW-Theatertreffen 2017 in Detmold:

Theater Krefeld Mönchengladbach:

Kein schöner Land (UA)

von Lothar Kittstein und Hüseyin Michael Cirpici
 

Inszenierung:                        Matthias Gehrt

Bühne:                                   Gabriele Trinczek

Kostüme:                               Petra Wilke

Choreinstudierung:              Maria Benyumova

Dramaturgie:                         Martin Vöhringer                  

 

Ein Flüchtling:                   Jubril Sulaimon

Ein Hausmeister:               Michael Grosse

Ein Chor:                          Esther Keil

                                         Helen Wendt

                                              Joachim Henschke

                                         Jonathan Hutter

                                         Michael Ophelders

                                         Ronny Tomiska

                                               Christopher Wintgens