… und treiben mit Entsetzen Scherz!

Richard III. im Schlosstheater Moers

g.wasa     -     Detmold.     -     Das Schlosstheater Moers ist das kleinste Stadttheater Nordrhein-Westfalens, womöglich sogar Deutschlands. Und da sind die auch noch stolz drauf. Und gehen her und spielen einfach große Stücke, mit ihren vier Darstellern und der einen Darstellerin! Shakespeares “Richard III“, zum Beispiel. In meiner Textfassung steht ein Verzeichnis von rund 60 beteiligten Personen. Und die Moerser haben das auf 17 Rollen zusammengestrichen! Wobei die eine Frau im Ensemble den Richard spielt (und ganz am Schluss noch dessen Nachfolger, Richmond). Und die vier männlichen Schauspieler spielen den Rest, egal ob Männer- oder Frauenrolle. Nun gut – zumindest das hat man in Shakespeares Truppe auch so gemacht.

 

Und dieser Schrumpf-Richard soll zu den besten Inszenierungen gehören, die im letzten Jahr in Nordrhein-Westfalen zu sehen waren? Und wurde deshalb zu den NRW-Theatertagen nach Detmold eingeladen. Na ja – wahrscheinlich als Zeichen des Respekts für den Mut dieser kleinen Truppe („Respekt“ klingt einfach besser als „Mitleid mit den Kleinen“).

 

Pustekuchen – von wegen Mitleid! Selbst innerhalb der in Detmold gezeigten Bestenauslese ist dieser Moerser Richard absolut preiswürdig! Vom Bühnenbild bis zum technischen Mitarbeiter.

 

 

Die Bühne: Am Anfang war die Waschmaschine

 

Wer den Zuschauerraum betritt, hört das rhythmische Jaulen einer großen Industrie-Waschmaschine, die – fast wie ein Altar – am höchsten Punkt der Bühne steht. Detmolder Theater-Habitués kennen diese Bühne bereits: Die Bühnenbildnerin, Birgit Angele, hat vor einiger Zeit hier „Kleiner Mann – was nun“ ausgestattet, und um den unsicheren Grund jener Gesellschaft zu verdeutlichen, hat sie die auf eine abschüssige runde Platte gestellt. Diese kann sie jetzt für die unsichere Zeit am Ende der Rosenkriege gut gebrauchen! Allerdings bedarf es hier zusätzlich noch einer Fontäne in der Mitte, aus der immer wieder munter Blut sprudelt (auf den Sitzen der ersten Reihe lag jeweils eine Plastikfolie bereit – meine Sitznachbarin hat das gleich richtig interpretiert: „Komm“, sagte sie zu ihrem Mann, „lass uns einen Platz weiter hinten suchen“).

 

Rund um diese Rutschbahn (die durch das reichlich fließende Blut auch nicht gerade trittsicherer wird) sind ca. 20 Spinde aufgestellt, wie im Umkleideraum einer Fabrik oder einer Turnhalle, durch Namensschilder den Beteiligten zugewiesen. Immer wenn einer von denen dahinscheidet (was gar nicht so selten vorkommt), beginnt auf dem jeweiligen Spind ein trübes Grablicht zu flackern. So behält der Zuschauer wenigstens insofern den Überblick, als er weiß, wen er vergessen kann (Irrtum: am Schluss tauchen zumindest die Geister wieder auf).

 

 

Richard III. – ein komplexes Stück

 

Und mit dem Überblick ist es so eine Sache in diesem Stück! Die Dramaturgin hat vorab freundlicherweise ein großes Blatt verteilt, auf welchem die Beziehungen zwischen den vielfältig verschwisterten und verschwägerten, nichtsdestotrotz untereinander verfeindeten Sippschaften der Lancaster, der York und der Tudor graphisch und in unterschiedlichen Farben dargestellt sind. Ob’s geholfen hat?

 

Geholfen hat sicher, dass der „Richard“ in Moers deutlich gekürzt wurde. Nein – das hat natürlich nichts mit der Größe der Bühne zu tun. Das müsste jede Bühne (eine ungekürzte Inszenierung soll mal fünf Stunden gedauert haben; das Schlosstheater bringt’s auf knapp drei). Und gekürzt wurde so geschickt, dass der Zuschauer eine ziemlich  nachvollziehbare Handlung verfolgen kann. Zumindest bis zur Krönung Richards. Danach eilt die Regie in immer größeren Schritten durch das Stück. Und die Handlung verwirrt sich so ein bisschen. Was aber auch mit dem nun allmählich fortschreitenden Irrsinn der Hauptperson zu tun haben mag. – Apropos: die Hauptperson:

 

 

Marissa Möller ist Richard

 

Sie erinnern sich: von Anfang an wurde hier schmutzige Wäsche gewaschen. Bis Richard aus der Waschmaschine gekrochen kommt und das Stück seinen Lauf nimmt. Wer Shakespeare kennt, hat jetzt vielleicht eine bucklige, hinkende Missgeburt erwartet. Doch statt des hässlichen Krüppelmonsters erscheint eine nicht nur schöne sondern auch sehr gelenkige junge Frau. Und die beginnt– nachdem sie außer der Reihe ein paarmal „Richmond!“ deklamiert hat – mit Richards berühmten Eingangsmonolog: „Der Krieg ist aus!“ – Das „Ich geb‘ den Bösewicht!“ klingt dann weniger zynisch als nachdenklich, fast erstaunt, so als könnte er (sie?) es selbst nicht so recht glauben. „Ich bin böse“, muss sie dann mehrfach wiederholen (auch später wieder), wie um sich selbst davon zu überzeugen. Weil sie eine Frau ist? Und immer alles besser, gründlicher machen muss als ein Mann?  

 

Aber dann zeigt diese schöne Frau so gekonnt so viel innere Hässlichkeit, dass im anschließenden Publikumsgespräch eine Zuschauerin fragt, ob die Schauspielerin dafür nicht von Natur aus ein bisschen böse sein müsse, ob da nicht zumindest was hängen bleibe … (Antwort: „Ach – ich trinke nach der Vorstellung meinen Rotwein, und dann komme ich davon ganz schnell wieder runter“).

 

Auch ihre vier Kollegen begeistern: Patrick Dollas als aasiger Buckingham ebenso wie als clownesker Mörder; Matthias Heße überzeugt mal als! Königin Elisabeth, mal als beflissener Bürgermeister von London; Holger Stolz zeigt eine furiose Herzogin von York und nebenbei noch deren Enkel Edward; und Frank Wickermann spielt den verzogenen, frühpubertären Lausebengel Prinz Richard mit ebenso viel Vehemenz wie den elendiglich krepierenden König Edward …. um nur einige der Rollen zu erwähnen.

 

 

Die Inszenierung: grotesk!

 

In diesem kleinen Theater inszeniert der Intendant Ulrich Greb höchstselbst dieses anspruchsvolle Stück. Und zwar ohne jeden Respekt vor dem Klassiker! Gut – wenn die Moerser nun mal dem Prinzip huldigen, jeder müsse alles machen, dann muss der Zuschauer halt akzeptieren, dass die Technik nicht nur (blut-pumpenderweise) unter der Bühne mitwirkt, sondern auch auf der Bühne einspringen muss: wenn eine der vielen Leichen einfach zu schwer ist, um von einem Schauspieler in der Waschmaschine entsorgt zu werden, dann ruft der halt die Technik zu Hilfe: „Klaus, kommst du mal?!“

 

Mal lässt die Regie den kleinen Prinzen Richard eine „geile Gaby“ anrufen, mal lässt sie  Clarence barmen „Meine Ruh ist hin, mein Herz ist schwer“: aber bevor dieser Richard gar zu faustisch wird, rettet sie sich in autogenes Training: „Mein Kopf wird schweeer …. Gaaanz schweer“. – Und sollte da womöglich ein leibhaftiger heutiger Staatsmann veräppelt werden, wenn King Richard stolz verkündet: „You can grabb them by the pussy“?

 

Und schließlich … die ganzen Toten …!!! Zugegeben:  Der Großmeister Shakespeare ist auch darin ein Meister, seinen Komödien tragische Züge zu geben. Und seine Tragödien mit Komik vollzustopfen. Aber was sich Greb da leistet …!!! Die elend lange Szene, in der zwei Clowns Richards Bruder abschlachten – O.K., das mag ja noch Shakespeare pur sein Vielleicht auch noch, wenn Richard die Herzen seiner Neffen in der Geschenkpackung kriegt …! Oder wenn Hastings mit einer Flex geköpft wird und sein Kopf anschließend munter über die Bühne kollert … Aber dass Buckingham am Schluss in Seifenlauge ersäuft wir … das geht nun wirklich zu weit. Ganz zu schweigen von König Edwards von prasselnden Flatulenzen begleitetem Dahinscheiden unter Hinterlassung eines – Entschuldigung! – Haufens Scheiße …

 

Nein! Diese Inszenierung ist geschmacklos. Unmöglich! Verrückt!! Grotesk!!!

 

Kurz: außerordentlich vergnüglich. - Halt ein echter Shakespeare.

 

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