Der Gang vor die Hunde

Auch heute noch als Zeitbild der 30er Jahre lesenswert:

Falladas Krisenroman "Kleiner Mann - was nun?"

WaSa  -     Der Schriftsteller Hans Fallada wurde am 21. Juli 1893 in Greifswald geboren; er starb am 5. Februar 1947 in (Ost-)Berlin. Der Sohn aus gutbürgerlichem Hause hieß eigentlich Rudolf Wilhelm Friedrich Ditzen; seinen Künstlernamen entnahm er den Grimmschen Märchen; seine Namenspatrone sind der fröhliche Pechvogel „Hans im Glück“ und das sprechende, wenn auch ermordete Pferd Falada in der „Gänsemagd“.

 

Sein Vater, ein Richter, hatte eine gradlinige Juristenlaufbahn für ihn vorgesehen; doch schon früh geriet er auf eher krumme Wege: schon als Jugendlicher wurde er in eine Anstalt gesteckt, die seine Eltern Sanatorium nannten, er selbst dagegen Satanorium. Bei einem – eigentlich als Doppel-Selbstmord geplanten – Pistolen-Duell starb sein Jugendfreund.

 

Verschiedenste berufliche Versuche brachten wenig Erfolg – bis er schließlich als Schriftsteller reussierte. Die drastische Realistik seiner Romane hat durchaus autobiographische Wurzeln: der Gefängnisroman „Wer einmal aus dem Blechnapf frisst“ ebenso wie der „der Trinker“ oder sein „Bericht über das Glück, ein Morphinist zu sein“. Heute kennt man ihn vor allem als den Autor von Romanen, deren Verfilmungen im Kino und im Fernsehen erfolgreich waren: „Ein Mann will nach oben“, „Der eiserne Gustav“, vor allem. Am beeindruckendsten in dieser Reihe: „Jeder stirbt für sich allein“: die (wahre) Geschichte von einem älteren Berliner Ehepaar und seinem engagierten aber naiven Widerstand gegen Hitler und seinen Krieg – mehrfach verfilmt, besonders eindrucksvoll 1975 mit Hildegard Knef.

Der kleine Mann in der großen Krise

Sein anrührendster Roman ist aber „Kleiner Mann – was nun?“, mit dem er 1932 den Durchbruch erzielte, und der bis heute wohl sein meistverkauftes Buch ist.

 

Fallada erzählt darin vom wirtschaftlichen Niedergang gegen Ende der Weimarer Republik, der zunehmenden Arbeitshetze, der sich ausbreitenden Arbeitslosigkeit und der noch schneller wachsenden Angst davor.

 

Erzählt wird aus der Perspektive eines einfachen Angestellten, des kleinen Konfektions-Verkäufers Johannes Pinneberg, der sich auch mal als Buchhalter einer Futter- und Düngelmittelhandlung im provinziell-vorpommerschen Ducherow durchschlagen muss, bevor er sich in der Metropole Berlin im mondänen Kaufhaus Mandel ausbeuten lassen darf. Verheiratet ist er mit Emma, geb. Mörschel, genannt „Lämmchen“, die allerdings kein Lämmchen ist, sondern eine tatkräftige junge Frau mit einem erstaunlichen geistigen Horizont – angesichts ihrer nicht gerade von Frauenemanzimpation geprägten proletarischen Herkunft. Mehr schlecht als recht schlagen sich die beiden mit ihrem kleinen Kind, dem „Murkel“ durch, immer bemüht, mit dem schmalen Gehalt zurecht zu kommen, immer in der Angst: „Nur nicht arbeitslos werden!“

 

Aber wir sind mitten in der „Weltwirtschaftskrise“ der späten 20er Jahre. Alle Mühen und Anstrengungen im täglichen Hamsterrad der Firma sind letztlich vergeblich: Schließlich verliert auch Pinneberg seine Stelle und bleibt ohne Aussicht auf eine neue. Von da an gehts rasch bergab. Waren sie vorher nicht auf Rosen gebettet, so herrscht jetzt blanke Armut. Doch nicht der Mangel an Geld ist das Schlimmste. Denn „durch kommen wir schon“, meint das tüchtige „Lämmchen“, das jetzt durch Näharbeiten so viel dazu verdient, dass die kümmerlich Stütze für das Allernotwendigste mehr schlecht als recht reicht. Was fehlt ist die Perspektive: „ein bisschen Hoffnung würde helfen“. Doch alles, was der kleinen Familie bleibt, ist der gegenseitige Halt. Besser gesagt: der Halt, den Lämmchen ihrem Mann gibt, die Haltung, die sie ihm zu bewahren hilft.

 

Zugegeben: Es ist schon ein grandioser Kitsch, dieses liebenswerte Stückchen Familienglück im kleinen, abgelegenen Winkel der großen brutalen Welt.

 

Und doch lohnt es sich, diesen Zeitroman von 1932, dieses liebevoll gezeichnete Panorama der späten Weimarer Republik heute noch einmal zu lesen!

 

Wirtschaft und Krise - damals (und heute?)

Ähnlich wie in Erich Kästners großem Krisen-Roman „Der Gang vor die Hunde“ (1931; bis vor kurzem in etwas verstümmelter Form unter dem Titel „Fabian. Die Geschichte eines Moralisten“ bekannt), wird hier die Atmosphäre des Deutschlands der damaligen Weltwirtschaftskrise zum Leben erweckt. Manche Parallelen zur heutigen Zeit der Weltfinanzkrise sind schon frappant. Natürlich – die soziale Absicherung ist heute um Welten besser als damals. Und der Raubtierkapitalismus ist etwas gezähmt – auch wenn er durch die neoliberale Wende wieder an Boden gewonnen hat. Aber auch heute noch gilt, dass sich minderwertig fühlt, wer seine Arbeit verloren hat. Bis heute ist die Angst vor Arbeitslosigkeit die Urangst der abhängig Beschäftigten. Nach wie vor gibt es die Diskrepanz zwischen hemmungslos genossenem absurdem Reichtum und bitterer Not – die Schere öffnet sich weiter denn je. Die Rationalisierung im Kaufhaus Mandel setzt sich heute im immer weiter verschärften Leistungsdruck fort. Wie viele Manager werden heute mit Millionenabfindungen verabschiedet, nachdem sie ihren Konzern zugrunde gerichtet haben? - Was ist das für eine Welt, fragte sich damals Lämmchen: „mit sanierten Wirtschaftsführern, die tausend Fehler gemacht haben, und kleinen, zertretenen Leuten, die stets ihr Bestes taten?“

 

Mehr noch als bei Kästner beeindruckt bei Fallada besonders das breite Gesellschaftsbild von Figuren, vonTypen, die die unterschiedlichsten Schichten repräsentieren. Kästner zeichnet das Panoptikum einer Künstler- und Literaten-Subkultur, die sich zwischen Tanzsaal, Dating-Club und Bordell bewegt.

 

Auch in Falladas Roman gibts diese Scene – in Form der „Gesellschaften“, bei denen die Berliner Halbwelt-Dame Mia Pinneberg, frivole Mutter des Romanhelden, liebesbedürftige Herren in einen „reizenden, vorurteilslosen Kreis entzückender Damen“ einführt. Ihr Pendant ist der Berliner Schieber und Ganove Jachmann, der beste Beziehungen und auch in der Krise Geld hat („Zu den paar Menschen, die Sie mögen, sind Sie nett, und zu allen anderen sind Sie wahrscheinlich gar nicht nett“).

Im Vergleich zu Kästners Künstler-Ateliers geht’s in Falladas FKK-Verein wohl hochmoralisch zu, auf dessen „Kulturabenden“ einfach nur geschwommen und wo „natürliche Naktheit ohne Scham“ und ohne Erregung propagiert wird ... wo aber dann doch die nackte Vereinskameradin dem nackten Kameraden mal „ordentlich einheizt“.

Ein kleiner Mann - wie du und ich

Doch bei Fallada bleiben das Außenseiter. Das Bild wird beherrscht von Menschen wie du und ich – dem kleinen Mann eben und seinen Angehörigen.

 

Da ist die Absteigerin, die Witwe Scharrenhöfer: mit großbürgerlicher Vergangenheit, die jetzt aber untervermieten muss, weil sie in der Inflation ihr Vermögen verloren hat und in ihrer Altersverwirrung nicht versteht, wo das Geld geblieben ist. Und der bedrohte Mittelständler Emil Kleinholz, dessen „reelles, anständiges“ Getreidegeschäft sich ordentlich entwickelt hat aber trotzdem eine unsichere Zukunft hat – sei es wegen der allgemeinen Krise, sei es wegen Emils Alkoholproblem (der Getreidehandel ist nun mal „ein feuchtes Geschäft. Ein Saufgeschäft“). Da sind die Buchhalter Schulz und Lauterbach – Kleinstadtcasanova der eine, Naziprolet der andere. Da ist die erfolglose Unterwäschevertreterin Nothnagel, der man „nicht sehr anmerkt, dass sie jüdisch ist“ und die dennoch als „olle Judensau“ beschimpft wird.

 

Und dann – wieder ein ganz anderes Milieu: die Proletarier, die Arbeiterklasse, verkörpert durch Lämmchens Familie oder den alten Speicherarbeiter Schulz in Kleinholzens Getreidehandel: stolz klassenbewusst (immer), solidarisch (manchmal), durch eine starke Gewerkschaft vor der gröbsten Arbeitgeber-Willkür geschützt. Deshalb wäre dem alten Mörschel ein Arbeiter als Schwiegersohn lieber, und er hat nur Hohn und Spott übrig für den „Dackel“, das Mitglied der zahnlosen, arbeitgeberhörigen DAG (Deutschen Angestellten-Gewerkschaft – der Rowohlt-Verlag weist extra darauf hin, dass dieser „gelbe Verband“ von Fallada 1932 frei erfunden wurde und nichts mit der erst 1945 gegründeten DAG zu tun habe).

Und Politik?

Nicht nur der Arbeiter verachtet die Angestellten, sondern auch der Tischler Puttbreese, der höhnisch auf Pinneberg herabsieht, erst recht, als dieser nach einem Jahr Arbeitslosigkeit immer noch mit Kragen rumläuft, und der sich wundert, dass der Arbeits- und Chancenlose nicht Kommunist wird („Wenn ich Sie wäre, ich wäre Kommunist.“ - „Sind Sie Kommunist, Meister?“ – „Ich? Ich bin doch Handwerker, wie kann ich da Kommunist sein?“).

 

Auch Lämmchen, die realistisch-radikal denkenden Arbeitertochter, will die Kommunisten wählen, doch ihr Mann ist noch nicht so weit: „Vorläufig haben wir ja noch eine Stellung, da ist es noch nicht nötig“, belehrte er sie einst. Und als dann die Stellung weg ist, ist es zu spät.

Abbildung: Rowohlt-Verlag

Hans Fallada:


Kleiner Mann – was nun?

 

Taschenbuch: 432 Seiten - 9,99 EUR

Rowohlt (Mai 1950)

ISBN-10: 3499100010

ISBN-13: 978-3499100017