Wegbereiterin des Atom-Ausstiegs / Warnerin vor Atomkrieg und Faschismus

Immer noch lesenswert: Bestseller-Autorin Gudrun Pausewang

Wasa  -  Detmld.     Eine Pausewang-Lesung in der Detmolder Buchhandlung  „Kafka & Co. (2013) war Anlass, zwei Pausewang-Bücher noch einmal  zulesen, die ich vor bald 20 Jahren für meine Kinder gekauft (und schon damals auch selbst verschlungen) hatte. 


Gudrun Pausewang und der Atomausstieg

„Das ist also die kleine Frau, den den großen Krieg ausglöst hat“ – das soll angeblich Präsident Abraham Lincoln gesagt haben, als er Harriet Beecher-Stowe traf, die Verfasserin von „Onkel Toms Hütte“, die durch ihre herzbewegende Schilderung grausamer Sklavenschicksale in den jungen USA eine Stimmung gegen das Sklavenunwesen maßgeblich miterzeugt hatte. Wenn ich jetzt, da Gudrun Pausewang nach Detmold kommt, behaupte: „Das ist die Frau, die den Atomausstieg verursacht hat“, dann ist dieser Vergleich gewiss recht hoch gegriffen – schließlich bin ich nicht Abraham Lincoln.

Sicher ist aber, dass Pausewangs Bestseller „Die Wolke“ zahlreiche Jahrgänge von Jugendlichen (und Erwachsenen!) mit den Auswirkungen eines Super-Gaus drastisch-realistisch konfrontiert und dadurch zweifellos weite Bevölkerungskreise mit einer Anti-Atom-Stimmung infiziert hat, die letztlich die Politik zum ungeliebten Ausstieg gezwungen hat. Das Buch erhielt unter anderem den deutschen Jugendliteraturpreis (gegen den erbitterten Protest der CDU), wurde bis 2010 1,5 Millionen mal verkauft – und erzielte nach Fukushima (März 2011) erneute Verkaufsrekorde.

Das 1987 erstmals erschienene Buch nimmt einen Super-Gau im Kernkraftwerk Grafenrheinfeld zum Ausgangspunkt und beschreibt am Beispiel einer Familie aus dem 100 km entfernten Schlitz (dem Wohnort der Autorin) die Auswirkungen. Genauer gesagt: am Beispiel der Schülerin Jana-Berta, die als einzige aus der engeren Familie übrigbleibt, denn ihre Eltern, ein Kleinkind und eine Großmutter sterben an den Folgen des Reaktor-Unfalls, und der jüngere Bruder wird von einem Auto überfahren, dessen Fahrer in wilder Panik vor der Strahlenwolke wegzufahren versucht.

Auf den Unfall selbst geht Pausewang nicht weiter ein. Als das Buch entstand, war die Erinnerung an den GAU von Tschernobyl (1986) noch frisch genug, so dass sich da jeder eine Vorstellung machen konnte. Um so eindringlicher schildert die Autorin die Auswirkungen eines Atomunfalls im reichen und dichtbesiedelten Deutschland – die gesundheitlichen Folgen für Jana-Berta und die anderen Strahlenopfer: zunächst die akute Strahlenkrankheit, dann der Haarausfall, schließlich die Angst vor bleibenden langfristigen Schäden. Fast noch bedrückender sind die gesellschaftlichen Folgen: der Rückschlag für die Wirtschaft, die Preisexplosion für unbelastete Lebensmittel, die neu entstehende Grenze zwischen Arm und Reich (wer kann sich Importprodukte leisten und wer muss Verstrahltes essen?) und vor allem: die schnelle Erosion zivilisatorischer Errungenschaften, die schon wenige Stunden nach dem Unfall, beim egoistischen panischen „Rette-sich-wer-kann“ einen ersten Höhepunkt erreicht. Schnell entwickelt sich in den unverstrahlten Regionen Deutschlands eine Aversion gegen die Strahlenflüchtlinge – nicht nur wegen der Zwangseinquartierungen und der Angst, von den Verstrahlten könne eine Gefahr ausgehen; den Davongekommenen ist es einfach unangenehm, dauernd die glatzköpfigen Hibakusha (wie die sich selbst in Anlehnung an die Hiroshima-Überlebenden nennen) und damit die Probleme vor Augen zu haben. Denn auch das beschreibt Pausewang sehr eindringlich – und wie wir jetzt nach Fukushima sehen: durchaus realistisch - : die Verharmlosungsmaschinerie mag zwar kurzfristig ins Stottern kommen, so läuft aber weiter, und schon bald gibt es wieder Propagandisten, die genau belegen können, dass doch alles gar nicht so schlimm sei ....

 

 

(mehr biografische Details: Wikipedia)

Die Autorin Gudrun Pausewang

„Die Wolke“ war das erfolgreichste Buch Gudrun Pausewangs, doch konnte sie 1987 bereits auf eine lange Reihe durchaus erfolgreicher Veröffentlichungen zurückblicken. Sie hatte lange als Lehrerin in Südamerika gearbeitet und ihre ersten Bücher beschäftigten sich unter anderem mit Problemen der Dritten Welt. Später beschäftigte sie sich vor allem mit Friedens- und Ökologiethemen; hier erzielte sie auch ihre größten Erfolge als Autorin. Meine drei Lieblingsbücher aus ihren wohl bald 100 Veröffentlichungen sind - neben der „Wolke“ – „Die letzten Kinder von Schewenborn“ (1983), die Beschreibung Deutschlands nach einem Atomkrieg, und „Der Schlund. 



Gudrun Pausewang und der Faschismus

„Der Schlund“ wurde 1993 veröffentlicht, nachdem in einer Zeit wirtschaftlicher Probleme plötzlich rechtsradikale Parteien in zahlreiche Kommunalparlamente und auch in den einen oder anderen Landtag einzogen. Pausewang hat die Entwicklung pessimistisch weitergedacht und ein warnendes Buch geschrieben: im ersten Teil zeigt sie, wie anfällig Menschen für autoritäres Gedankengut sein können, auf wie leisen Sohlen der militante Faschismus einzumarschieren vermag. Und im zweiten Teil zeigt sie die Folgen:  die stetig zunehmende Unterdrückung der Andersdenkenden, die irgendwann fortschreitet zur Ausmerzung alles Anderen.

Ähnlich wie in der Wolke stellt Pausewang eine Familie in den Mittelpunkt, ähnlich wie in der Wolke ist es letztlich ein junges Mädchen, das als Protagonistin übrigbleibt: der Vater muss ins Exil, die Mutter stirbt bei einem Unfall, ein Bruder lässt sich von den Rattenfängern des Diktators vereinnahmen, eine aids-infizierte Tante kommt ins Lager, ebenso der schwule Mieter, der adoptierte dunkelhäutige Bruder muss untertauchen und die kleine behinderte Schwester kann nur mit Mühe vor der Vernichtung lebensunwerten Lebens gerettet werden. Zugegeben: ein bisschen viel, was da in einer Familie zusammengerührt wird. Und dazu kommt dann auch noch die andere Seite. Denn – wiederum wie in der Wolke – verwendet Pausewang den Kunstgriff, die Antagonismen auf die zwei Großelternfamilien zu verteilen: hier der linksliberale Opa, der das System ablehnt, dort der rechtskonservative Industriellen-Großvater, der glücklich ist, dass in Deutschland endlich mal (wieder!) aufgeräumt wird. Für die jugendlichen Adressaten des Buches mag diese Reduzierung komplexer nationaler politischer Entwicklungen auf die vertraute, übersichtliche familiäre Ebene durchaus zu einem besseren Verständnis komplizierter Zusammenhänge beitragen. Als vorbeugende Medizin gegen Fremdenfeindlichkeit und Hass auf „das Andere“ ist „der Schlund“ deshalb nach wie vor zu empfehlen.

 

Bücher von Gudrun Pausewang:

Die Wolke
mit Illustrationen von Jens Schmidt

•  Taschenbuch: 224 Seiten  - 6,95 EUR
•  Verlag: Ravensburger Buchverlag; Auflage: 15 (1. Februar 1997)
•  ISBN-10: 3473580147
•  ISBN-13: 978-3473580149
•  Vom Hersteller empfohlenes Alter: 13 - 16 Jahre



Die letzten Kinder von Schewenborn: oder ... sieht so unsere Zukunft aus?
 
•  Taschenbuch: 189 Seiten, 6,95 EUR
•  Verlag: Ravensburger Buchverlag (1. Februar 1997)
•  Vom Hersteller empfohlenes Alter: 12 - 15 Jahre


Der Schlund

•  Taschenbuch: 237 Seiten
•  Verlag: Ravensburger Buchverlag; Auflage: 10 (1. Februar 1997)
•  ISBN-10: 3473580198
•  ISBN-13: 978-3473580194
•  Vom Hersteller empfohlenes Alter: 14 - 17 Jahre

 

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