Systemtheorie und Satire, Banales und Boxtraining -

zwischem frechem Etikettenschwindel und subtiler Erpressung

Berliner Autor Matthias Eckoldt liest im Grabbehaus aus seinem Werk

Matthias Eckoldt (rechts) mit dem Detmolder Schauspieler Christoph Gummert (links) - Fotos: WaSa

Wasa  -  Detmold.   Im Auftrag des Landestheaters Detmold hat der Berliner Autor Matthias Eckoldt ein Stück geschrieben: „Wie ihr wollt! Ein Lustspiel zur Freiheit“ (ausführliche Besprechung auf unserer Theaterseite). Da er zur Uraufführung schon in Detmold war, bot sich an, ihn im Rahmen einer Lesung auch sein übriges Werk vorstellen zu lassen. 

Wikipedia-vorbereitet, wie ich war, habe ich schon vor der Lesung zwei seiner Werke erworben, aus denen er dann auch einige Abschnitte vorgetragen hat. Ganz amüsant fand ich die Geschichte aus „Topidioten“, um das schon mal vorwegzunehmen.



Und das andere? Es spricht für Eckoldt, dass er den Vortrag daraus mit einer gehörigen Portion Selbstironie gewürzt hat.

Ich weiß ja nicht, was Sie von einem Buch erwarten, das den Titel „Medien der Macht – Macht der Medien“ trägt. Ich habe mir auf ungefähr folgende Fragen Antworten erhofft: Wie beeinflussen die Familien Springer oder Burda die Stimmung und damit die Politik im Land? Was sind die wahren Interessen des Medienkraken Bertelsmann und wie setzt er sie durch? Wer ist eigentlich schuld daran, dass nicht nur ARD und ZDF immer boulevardesk-seichter werden, sondern auch die Lippische Landeszeitung und der SPIEGEL    ?

Nachdem ich etwa ein halbes Dutzend mal an verschiedenen Stellen zu lesen begonnen und immer schnell wieder aufgegeben hatte, habe ich endlich einen Blick ins Kleingedruckte geworfen und festgestellt, dass die griffige Formulierung, unter der das Buch verkauft wird, reinster Etikettenschwindel ist. Geschrieben wurde es nämlich als Dissertation unter dem Titel „Das Dispositiv der Massenmedien“ und hat – wenn ich das richtig verstanden habe – eine „systemtheoretische und konstruktivistische Erschließung der Themenfelder Journalismus und Massenmedien“ zum Ziel. 

 


Ich hatte in der Schule selten Probleme, in Mathe eine „Eins“ zu holen; und mein Statistik- und Volkswirtschaftsstudium habe ich mit „sehr gut“ abgeschlossen. Ja – mir ist dieses Eigenlob auch peinlich, aber irgendwie muss ich ja klar machen, dass ich zum Denken in formalen Systemen und zur Erfassung komplexer Sachverhalte durchaus fähig bin. Dann kann ich nämlich leichter zugeben, dass ich mit diesem ganzen systemtheoretischen Wortgeklingel nichts, aber auch gar nichts anfangen kann! 

Mein Fazit also:
Man erfährt nichts, das aber seitenlang. Entkleidet von Inhalten zeigt das Buch sein strukturelles Gesicht: Das Entscheidende ist nicht, was geschrieben wird, sondern dass geschreiben wird. Wichtigstes Prinzip ist die Selbsterhaltung als Selbsterzeugung. Wirklichkeit ist dafür nicht wichtig! – Nein, natürlich ist das nicht mein Fazit, sondern ein – nicht ganz den Ansprüchen an Dissertationen genügendes – Zitat aus dem ersten Abschnitt der Einleitung. - Dem Theaterliebhaber und Faust-Fan fällt eher ein anderes Zitat ein:


Faust: Mich dünkt, der Junge schreibt im Fieber.
Mephisto: Das ist noch lange nicht vorüber,
ich kenn es wohl, so klingt das ganze Buch,
bleibt gleich geheimnisvoll für Kluge und für Toren.
So schwätzt und lehrt man ungestört.
Gewöhnlich glaubt der Mensch, wenn er nur Worte hört,
es müsse sich dabei doch auch was denken lassen.


Aber womöglich ist dieser Glaube ein Irrglaube? Womöglich lässt sich bei all diesen hochtrabenden Worten gar nichts denken? Womöglich stecken hinter dem ganzen systemtheoretischen Wortgeklingel nur Banalitäten? Ein Beispiel aus der Lesung:

Auf seine Freiheit als Schriftsteller angesprochen (zur Erinnerung: irgendwie gings ja um Freiheit), formuliert Eckoldt gleich ein Theorem: „Schon mit dem ersten Satz, den ich schreibe, fessle ich mich selbst. Bot mir das unbeschriebene Blatt noch unendlichen Spielraum, so beschränkt das bereits Niedergeschriebene meine Möglichkeiten auf einen Bruchteil.“ Man weiß nicht, soll man in Ehrfurcht erstarren vor der philosophischen und erkenntnistheoretischen Wucht, die einem hier entgegenschlägt, oder aber in Mitleid zerfließen mit dem armen, derart von Begrenzungen gequälten Autor. Bis einer die naiv anmutende Frage stellt: Aber ist das nicht immer so? Ob beim Schach- oder beim Legospiel? Wenn mein vierjähriger Enkel seine Holzeisenbahn aufbaut, so beschränkt das erste Zusammenstecken von zwei Schienen seine künftigen Möglichkeiten ... Das ist also nichts Besonderes, vielmehr alltäglich, gewöhnlich. Der Duden nennt das: banal.

Es scheint eine Spezialität Eckoldts (oder der Systemtheoretiker überhaupt?) zu sein, Informationseinheiten mit unspezifischer semantischer Aufladung mittels Anwendung einer elaborierten Vokabular-Entität zu kommunizieren ... Puh, wenn ich noch etwas übe, lerne ich’s vielleicht auch noch. Was ich eigentlich sagen wollte: Eckoldt beschreibt Banalitäten mit hochtrabenden Formulierungen.

 

Dabei kann er doch genau das so wunderschön satirisch auf die Schippe nehmen! Wie er gleich zu Beginn seiner Lesung bewiesen hat! Da erzählt er von zwei Bekannten auf dem Weg zur Bank, die sich flüssig austauschen über Portfolioverteilung, Advance-Decline-Linie, Pennystocks, Kostolany, Daytrading, Stoppkurs ... als ob sie geborene Hegdefonds-Analysten wären. Die Pointe ist dann, dass sie am Schalter um einen höheren Kreditrahmen betteln müssen, weil sie sonst die Miete nicht bezahlen können ...

Für derartige Spezialisten hat Eckoldt sogar einen eigenen – wirklich gelungenen! – Begriff geschaffen: Top-Idioten. Und hat unter diesem Titel gleich ein ganzes Buch mit ähnlichen Beispielen gefüllt. Schade ist nur: bereits nach der zweiten Geschichte hat man das Prinzip begriffen und weiß, dass all diese theoretischen Spezialisten zwar das Vokabular aus dem Eff-eff beherrschen, praktisch aber nix gebacken kriegen. Da mag es dann schnell passieren, dass man als unbedarfter Leser das gehäufte Fachchinesisch (im Funsport-Kapitel etwa: Offroadboarding, Eh-Ti-Bi, Full-Race-Buggy, Skua-Segel ...) ermüdend findet und gleich zur Auflösung vorblättert (das Kreuzband ist nicht etwa beim Bungee-Jumping oder beim Zorbing gerissen, sondern beim Ausrutschen auf einem Hundehaufen ...). 

Allerdings geht man mit solchem Vorblättern das Risiko ein, doch den einen oder anderen Gag zu verpassen. So im Handy-Kapitel. Da stößt man mitten im Technikkauderwelsch (P 1009, UMTS, GPRS, X3 710 ...) plötzlich auf die Bitte: „Lass mich mal! – Tom! Ich will auch mal. Bitte!“ – Mag ja sein, dass Eckoldt diese Sätze einfach so eingefallen sind. Aber so belesen, wie er sich im Gespräch erwiesen hat, glaubt man nicht wirklich, dass er die bekannteste Szene aus Mark Twains bekanntestem Buch nicht kennen sollte!  - Leider habe ich derartige Perlen dann doch zu selten gefunden, um ernsthaft empfehlen zu können, alle 12 doch sehr gleichförmigen Geschichten zu lesen. Aber zwei, drei machen Spaß ... und dann kann man das Buch ja eine Weile liegen lassen ...


Noch ein drittes Buch stellte Eckoldt während der Lesung vor: den Boxerroman „Letzte Tage“ aus dem Jahr 2010. Laut Wikipedia  hat Eckoldt damit seine „postmoderne Phase“ überwunden, nimmt „von allen Parodien und Brechungen Abstand“ und erzählt „feinsinnig die sehr menschliche Geschichte eines Boxtrainers“. Tatsächlich – das Kapitel, das er uns vorliest, klingt vielversprechend: eine realistische Beschreibung zwischenmenschlicher Beziehungen, die spannende Analyse eines Abhängigkeitsverhältnisses, die Geschichte einer fortgesetzten, mehr oder weniger subtilen Erpressung, nicht ohne Humor ...

Sollte ich mit dem Talent des Pechvogels also die beiden falschen Bücher mitgenommen und ausgerechnet das beste übersehen haben? Mal sehen, wenn all die ungelesenen Stapel abgearbeitet sind, vielleicht schaffe ich mir dann auch noch „Letzte Tage“ an. Wie ich dann das ganze Buch finde, werde ich Ihnen nicht vorenthalten.


Bücher von Matthias Eckoldt

                                                                                                                      .  

 

  
Medien der Macht - Macht der Medien

 

ISBN-10:3-86599-031-2

EAN:9783865990310

Kulturverlag Kadmod - September 2007

Taschenbuch - 214 S. – 19,90 EUR

 

 

TopIdioten. Erzählungen aus dem Reich der Verführung

 

ISBN-10:3-86599-075-4

EAN:9783865990754

Erscheinungstermin:

Kulturverlag Kadmos - Dezember 2008

Gebunden - 135 S. – 12,80 EUR

 

 

Letzte Tage: Boxerroman

 

ISBN-10: 3937717439

ISBN-13: 978-3937717432

Dittrich Verlag Berlin - März 2010

Gebunden - 248 S. - 19,80 EUR