"Wie ihr wollt! Ein Lustspiel zur Freiheit"

Banal. Banal ! Banal !!

Auftragswerk über Freiheit entpuppt sich als alberner TV-Show-Verschnitt

(Fotos: Landestheater Detmold)

WaSa - Detmold.   Vorweg ein Geständnis: ich hab‘ noch nie „Deutschland sucht den Suppenstar“ gesehen; noch nie eine „Topmodel“-Sendung; noch nie „Bachelor sucht Bäuerin“. Als das zum Medienhype hochgestylte allerletzte „Wetten dass“ mit Thomas Gottschalk gesendet wurde, glaubte ich, mir das wenigstens einmal ansehen zu müssen. Nach einer halben Stunde habe ich abgeschaltet ...

Jetzt bekam ich meine Strafe: In Tatjana Reses Inszenierung von Matthias Eckoldts „Wie ihr wollt!“ wurde ich mit der Essenz aus all diesen Sendungen  traktiert (so kam’s mir jedenfalls vor).

Dabei hatte es doch so hoffnungsfroh begonnen. Ein erster flüchtiger Blick auf die Vorankündigung weckte in mir die freudige Erwartung: Ah – wieder mal eine von Shakespeares köstlichen Komödien!  Illyrien! Wenn Musik der Liebe Nahrung ist ...  Oder ...? Rosalinde? Ardenner Wald?

Der genauere Blick traf dann auf folgenden Text:


„Was macht uns wollen?  ...  niemand schafft es, sich selbst davon zu überzeugen, etwas zu wollen, was er nicht wirklich will ...  egal, wie viel Energie er in die Kalibrierung seiner Willensströme stecken mag. Irgendwo muss jenes gewisse Etwas sein, das für unser Tun und Lassen die erste Initiative und die letzte Befehlsgewalt hat, das uns antreibt und das nicht wir sind ...“


Was, bitte!, ist „Kalibrierung der Willensströme“? - Ist dieser Text die Ankündigung für ein Hauptseminar in Psychologischer Soziologie? Nein, der soll tatsächlich Lust auf einen Theaterabend machen: auf ein Auftragswerk, bestellt vom Landestheater Detmold, mit dem erklärten Ziel einer Suche „jenseits aller politischen Korrektheit nach diesem freiwillig unfreiwilligen Antrieb und so nach uns selbst als Antwort auf eine Frage, die wir nicht gestellt haben“ – Boah äh!

Dann schmückt sich das Landestheater noch mit Namen wie Schopenhauer,  Heidegger, Arnold Gehlen, Rousseau, Wolf Singer und – natürlich, der darf nun wirklich nicht fehlen! – Sloterdijk. Kein Wunder, dass schließlich selbst Dramaturg Dr. Katzschmann zweifelt: „Ist das Stück nun ein unterhaltsames ‚Lustspiel zur Freiheit‘ oder ein philosophisches Lehrstück über die menschliche Begrenztheit?“

Meine (!) Antwort zusammengefasst und vorweggenommen: Keins von beiden. Mir war’s eine Zumutung!


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Das Bühnenbild hielt ich erst für die gelungene Nachempfindung des schick designten Messestandes einer Personalberatungsfirma ... Entschuldigung, ich meine natürlich einer „Human Ressources Management & Development Consult Inc“.  Doch schnell stellt sich heraus: wir befinden uns in der Kulisse einer Fernsehshow.

Auf tritt ein überspannter Moderator (Christoph Gummert, der aber wohl nichts dafür kann), der erst mal gefühlte acht Minuten lang sinn- und zwecklos auf der Bühne rumkaspert, bevor er auf seinen ersten Studiogast trifft: eine - Oh Gott! - „Denkerin“ (Ewa Rataj, die als Engelchen auf Rollschuhen immerhin allerliebst anzusehen ist); und diese darf dann die Entwicklung der Welt von der Amöbe bis zum Flachbildschirm gnadenlos banalisieren.

Irgendwann beginnt dann das Speed-Dating, das im Zentrum dieses Show-Abends steht: In mehreren Runden treffen jeweils zwei Singles aufeinander;  diese versuchen, das Gegenüber zu einem weiteren Date zu kriegen, und nebenbei offenbaren sie dem Theaterpublikum ihre wahre Denke. Bravo! Da sind Eckoldt / Rese wirklich einige Kabinettstückchen gelungen über den Drang des Menschen, den andern – und vielleicht vor allem: sich selbst – etwas über sich vorzuspiegeln! Und über die Missverständnisse, die dabei wohl unvermeidlich sind. Ein Bravo auch den vier Darstellern, die diese „Suchenden“ spielen und jeweils mehrere – herrlich unterschiedliche! – Typen verkörpern (Jenny-Ellen Riemann, Marie Suttner, Robert Augustin, Martin Krah). Am Schluss ziehen sich die vier sogar als zwei Paare diskret hinter die Bühne zurück – was will man mehr, von einem „Lustspiel“?! (Allerdings hätte man das auch einfacher haben können.)



Und mit „Freiheit“ hat das auch allenfalls am Rande zu tun. Deshalb darf sich die Show – leider - nicht auf diesen hübsch gemachten Jahrmarkt der Eitelkeiten beschränken. Neben der Single-Hölle gibts auch eine Arbeitswelt-Hölle. Mit den „Suchenden“ kontrastieren die „Gedemütigten“: Stephan Clemens und Joachim Ruczynski (letzterer hat hier wohl DIE Traumrolle seiner Schauspielerkarriere: als eine in die Jahre gekommene Ehefrau, die in weinerlichem Ton und mit feministischem Vokabular beklagt, dass ihr Mann sie nicht mehr leckt!). Die beiden sitzen wie Rentner auf einer Parkbank, jammern aber über die Zwänge der Arbeitswelt: „Wenn Sie das nicht aushalten, müssen Sie halt gehen!“ - Ja!! (Oder nein – damit ist ja gar nicht der Theaterbesucher gemeint).

Dann spinnen sie endlose Urlaubsträume (Daressalam – Calcutta – Sacramento ...), deren Verwirklichung aber vom Alltag verhindert wird. Ganz klar: eine Einschränkung der Freiheit (oder doch nur eine Banalität?). Ganz witzig ist immerhin die Spekulation über die amtliche Berechnung und Bekanntgabe eines genauen Sterbedatums für jeden ... doch leider wird auch das allzu breit ausgewalzt. So wie vieles, in diesem geschwätzigen Stück. Zum Beispiel die Thematisierung der „4. Wand des Theaters“: wenn man zu diesem Zweck dreimal gegen eine imaginäre Mauer anrennt, dann mag das lustig sein, bei fünf- oder sechsmal wird’s aber langweilig und albern.


Und das gilt für weite Passagen des hochtrabenden Geschwätzes, das vor allem der sogenannten Denkerin in den Mund gelegt wird – eine kleine Kostprobe:

„Was hat uns zum Menschen gemacht?“ – „Das ist eine gute Frage!“ – Die Liste der Antworten, die dann aufgezählt werden, ist zwar lang und eindrucksvoll: von der „Fähigkeit, Müll für 30.000 Jahre zu produzieren“ über die „Geduld, vor dem Fernseher zu sitzen“ bis zum „Genie, die Mona Lisa zu malen“; und jedes dieser Themen wäre sicherlich wert, zum Inhalt eines spannenden Diskussions- oder sogar eines anregenden Theaterabends zu werden. Als wohlfeile Aufzählung bleibt’s allerdings beliebig und banal, oder, wie der Autor selbst das Fazit zieht: „Wir machen erstaunlich wenig aus unseren Möglichkeiten“.

Da wird also nicht etwa das Hohe Lied der Freiheit gesungen. Man ist noch nicht einmal angekommen bei der „Freiheit als Einsicht in die Notwendigkeit“, wie sie von Hegel postuliert und von Schiller dramatisch illustriert wurde. Stattdessen: Gejammer über die Begrenztheit der Freiheit.

Wenn da die Sprache als menschliche Errungenschaft bejubelt und im gleichen Atemzug beklagt wird, im Gebrauch der Sprache sei man auch durch deren Grenzen beschränkt, dann klingt das zunächst hoch-philosophisch! Nur, verehrter Herr Eckoldt  – das ist doch immer so! Wie wunderbar, dass wir Augen haben – aber unsere Sicht ist durch den Horizont begrenzt (Hebbel hat das drastischer formuliert: „Wünsche dir nicht zu scharf die Augen – wenn du die Toten in der Erde siehst, siehst du die Blumen nicht mehr“). Toll, dass du eine Fremdsprache lernst, aber natürlich bist du durch den unvollständigen Wortschatz begrenzt! Das ist doch banal! (Ähnliche Banalitäten in hochtrabenden Worten gab’s bei Eckoldts Lesung, zwei Tage nach der Premiere).

Und so geht’s weiter: von der sehr wohl bedenkenswerten Zivilisations-/Technik-/Konsumkritik, die aber immer an der Oberfläche bleibt, über Gemeinplätze („Gemeinsam sind wir stark“) bis hin zu einer Lieschen-Müller-Ökonomie und zu ausgemachtem Blödsinn („Immer wenn wir etwas Neues lernen arbeiten wir“) und schlicht  falschen Fakten.


So stürmt also die Philosophie über die Bühne wie eine geflügelte Rollschuhläuferin und bleibt doch lahm wie die Schildkröte in einer alten griechischen Geschichte. Vermutlich, um von all dem Unsinn und den unsäglichen Banalitäten abzulenken, hechelt der Moderator hinterher, wie einst der schnelle Achill hinter der langsamen Schildkröte – ohne sie je zu erreichen (für Mathematiker: der gemeinsame Grenzwert der beiden unendlichen Reihen liegt bei 2,5 Stunden – dann macht der fallende Vorhang dem Elend ein Ende). Um das hochtrabende scheinkluge Geschwätz zu konterkarieren, muss der arme Moderator immer alberner herumhampeln, wobei man – nach dem rosa Kaninchenkostüm – noch nicht einmal vor dem dümmlichen und abgegriffenen Witz mit dem Auftritt in der Unterhose zurückschreckt ...

Aber was hat der Autor selbst seinen Figuren in den Mund gelegt: „Das ist eine lustige Veranstaltung hier“ – „Ich find’s eher albern hier“ – „Das liegt ja eng beeinander“.


Und wenn selbst der Moderator nicht mehr kann, dann gibt’s ja noch die Studio-Band (die Musikgruppe SELBSTLAUT!, die eigentlich eine ausführlichere lobende Erwähnung verdient hätte):

Nachdem mal wieder ein pseudophilosophisches Manifest zur Freiheit verkündet wurde, fällt sie passend ein: „Schalala ...“

Aber um ehrlich zu sein: Das Premierenpublikum hat lebhaft-begeisterten Schluss-Applaus gespendet, wobei ich in meiner Sitz-Umgebung beobachten konnte, dass mit steigendem Lebensalter der Beifall schwächer und das Kopfschütteln heftiger wurde. Vielleicht muss man einfach nur ein paar hundert Wetten-dass- und schlimmere ... äh ... ähnliche Sendungen lang trainiert haben, um so was goutieren zu können.


PS:

Der Rotwein in der Pause hat auch scheußlich geschmeckt. Dabei gibt’s inzwischen doch ganz trinkbare Dornfelder.

PPS: 

Bei aller Kritik am Ergebnis – Hochachtung für die Absicht! Dass das Landestheater Detmold einem jungen Autor den Auftrag für ein aktuelles Stück erteilt, verdient  jeden Respekt!

Dass bei solchen Experimenten nicht immer ein neuer Lessing oder Büchner herauskommt, ist klar. Ein früherer Detmolder Intendant hat einmal gesagt: „Ein schlecht inszenierter Klassiker  ist in der Regel immer noch besser als ein gut gemachtes schlechtes Gegenwartsstück.“  –  Da mochte er sogar Recht haben.  ABER: Der Klassiker ist nun mal aus einer jahrhundertelangen Auslese hervorgegangen. Hätten Theaterintendanten um 1800 nicht 100 Gegenwartsautoren eine Chance gegeben, so wäre neben den 99 schlechten auch der eine Schiller unbekannt geblieben.

 

Und deshalb, liebes Landestheater: Weiter so!


Landestheater Detmold:

Wie ihr wollt! Ein Lustspiel zu Freiheit

 
Auftragswerk von Matthias Eckoldt  (Uraufführung)

Regie:   Tatjana Rese
Ausstattung:   Petra Mollérus
Dramaturgie:   Christian Katzschmann
 A-cappella-Quintett Selbstlaut!:
Julian Buhe / Benjamin Falk / Tobias Richter / Jakob Warlich / Michael Ziethen