Demnächst im Landestheater:

Die wilde Nacht   oder   Was Ihr wollt

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Am Freitag, dem 29.09.2023, 19:30 Uhr, hat im Landestheater "Was Ihr wollt" Premiere - eine der besten Shakespeare-Komöden! Und das Regieteam hatte offenbar einige mutige Ideen.

 

Man darf gespannt sein!

Foto: Landestheater Detmold, Bettina Stöß: Stella Hanheide (Viola), Ewa Noack (Olivia)

Das gute alte Dreiecks-Verhältnis

Dreiecks-Verhältnisse gibt’s in der Literatur viele (im wahren Leben wohl auch) – ob in der Bibel*) oder bei den alten Griechen*), bei unseren Klassikern*)  und in den großen Romanen*), in der „Dreigroschenoper“ *)  oder der „Blechtrommel“ *).

 

Eines der raffiniertesten literarischen Dreiecks-Verhältnisse hat – klar, wer sonst? –Shakespeare geschaffen: In seiner (wie viele meinen: besten) Komödie „Was ihr wollt“ (Originaltitel: „Twelth Night or What You will“ – aber dazu kommen wir noch).

 

Die Story in Kürze:

Die Zwillinge Viola und Sebastian erleiden vor der Küste Illyriens Schiffbruch. Beide werden unabhängig voneinander gerettet, glauben den anderen ertrunken. Da die Zeiten besonders für Frauen unsicher sind, verkleidet sich Viola als Mann, nennt sich Cesario und tritt in die Dienste des Herzogs Orsino. Der ist unsterblich (na ja, zumindest momentan) verliebt in die schöne Gräfin Olivia. Doch die hat kürzlich ihren Bruder verloren und beschlossen, sieben Jahre um ihn zu trauern – inklusive amouröser Enthaltsamkeit. Schlechte Karten also für Orsino. In seiner Not schickt dieser seinen neuen Angestellten Cesario als Liebesboten zu Olivia, ohne Angst, der Werber könnte zum Nebenbuhler werden. Doch genau das geschieht: Die bis eben so kühle Olivia verliebt sich Hals über Kopf in den hübschen jungen (vermeintlichen) Burschen und lässt den das auch ganz ungeniert wissen. Aber Cesario ist ja in Wirklichkeit Viola, und die hat nun mal (entgegen der LGBTQ*-Grundierung des Stücks) so gar keine lesbische Ader. Und vor allem hat sie sich unverzüglich in ihren neuen Chef verliebt, ebenso unsterblich wie dieser in Olivia (aber dauerhafter).

 

Da haben wir’s also, das Dreieck:

Tragischer Ausgang vorbestimmt?

Es ist leider so: (literarische) Dreiecksverhältnisse enden meist unglücklich. Mal schickt König David seinen Nebenbuhler auf ein Himmelfahrtskommando, mal werden die Eheprobleme Agamemnons zum Auslöser einer fast unendlichen Tragödien-Serie. Wenigstens Günter Grass gönnte dem Trio Alfred Matzerath – Agnes – Jan Bronski eine harmonische Koexistenz, ähnlich früher schon unser Dichterfürst, dessen Drama „Stella“ einen Höhepunkt der Dreiecksliteratur darstellt: Er bescherte dem Dreieck Cäcilie – Fernando – Stella ein Happy End: „Und ihr Glück und ihre Liebe fasste selig: Eine Wohnung, Ein Bett, und Ein Grab“, wobei das „Grab“ beim jungen Goethe in einer fernen Zukunft lag. Dieser Schluss war allerdings mit dem geheimrätlichen Moralempfinden des alten Goethe nicht mehr vereinbar, weshalb er (Schande über ihn!) sein Stück umdichtete, gemeinsame Wohnung und Bett strich und zwei der drei sogleich ins Grab schickte.

 

Später, bei Brecht, scheint die Polyamorie dagegen auf allerhöchstes Wohlwollen zu stoßen: wenn ein Deus ex machina in Gestalt von „des Königs reitendem Boten kommt“ und verkündet: „Den anwesenden Brautpaaren (Polly – Mackie – Lucy) lässt die Königin ihre königlichen Glückwünsche senden“.

 

Geniale Shakespear’sche Lösung: Der Überraschungsgast

Auch Shakespeare bemüht einen Deus ex machina, oder sagen wir lieber: einen Überraschungsgast, um aus dem fragilen Dreieck zwei stabile Zweierbeziehungen zu formen: Wir, als Zuschauer, wissen bereits seit Beginn des zweiten Aktes, dass Violas/Cesarios ertrunken geglaubter Zwillingsbruder Sebastian noch am Leben ist. Endlich, im fünften Akt, als alles auf eine Katastrophe zuläuft, trifft er plötzlich auf die anderen und wird von Olivia sofort geheiratet, die in ihm ja einen vollwertigen (mehr als vollwertigen: schließlich ist er ein echter Mann) Ersatz für Cesario/Viola findet. Und der Herzog? Der fand den tollen Cesario schon immer ganz geil, und wer weiß, wenn er seine schwule Ader nicht unterdrückt hätte … Aber so: Kaum hat er erfahren, dass sein Cesario in Wirklichkeit eine Viola ist, verlangt er ihre „Hand“ und kanns kaum erwarten sie in Frauenkleidern zu sehen (warum eigentlich überhaupt in Kleidern?). Olivia vollendet dann das Happy End:

 

Mein Fürst, wenn Sie nach alledem als Schwester

Mich mögen könnten statt als Ehefrau,

Soll, wenn Sie wolln, ein Tag zwei Ehen krönen

Auf meine Kosten hier in meinem Haus.

 

Bis dahin war’s ein weiter Weg mit diversen Täuschungen und Verwechslungen – was aber nie langweilig wird, schon wegen Shakespeares kunstvoller Sprache.

 

Shakespeares Sprachkunst

Schon während der Saisoneröffnung im Schlosspark hat das Landestheater seinem Publikum einen Ausschnitt aus „Was Ihr wollt“ als Appetithappen dargeboten: der Dialog, in dem Orsino dem vermeintlichen Cesario sein Liebesleid klagt, während gleichzeitig Viola ihm ihre Liebe gesteht - eine der sprachlich schönsten und zugleich inhaltlich raffiniertesten Szenen aus  Shakespeares Œuvre:

 

Foto: WaSa: Stella Hanheide (Viola), Aom Flury (Orsino)

 

Herzog:

Mein Leben wett ich drauf, jung wie du bist,
Hat schon dein Aug um werte Gunst gebuhlt. …
Was für ein Mädchen ists? …  Von welchem Alter?

Viola: Von Euerm etwa, gnädiger Herr.

Herzog: Zu alt, beim Himmel! …

Denn Mädchen sind wie Rosen: kaum entfaltet,
Ist ihre holde Blüte schon veraltet.

Viola: …Ach! muss ihr Los so sein,
Zu sterben grad im herrlichsten Gedeihn?

Herzog: [beklagt Olivias „Grausamkeit“, da sie seine Liebe nicht erwidert]:
Viola:

Denkt Euch: ein Mädchen (wie's vielleicht eins gibt)
Fühl ebensolche Herzenspein um Euch
Als um Olivien Ihr. Ihr liebt sie nicht,
Ihr sagts ihr: muss sie nicht die Antwort nehmen?

….  ich weiß zu gut nur was ein Weib für Liebe hegen kann.
Fürwahr, sie sind so treuen Sinns wie wir.
Mein Vater hatt eine Tochter welche liebte
Wie ich vielleicht, wär ich ein Weib, mein Fürst,
Euch lieben würde.

Herzog: Und was war ihr Los?

Viola: Sie verschwieg ihr Lieben
Und ließ Geheimnis, wie den Wurm die Knospe,
Die Rosenwange nagen, härmte sich
Im Sinnen, und mit bleichem gelbem Gram
Saß sie wie die Geduld auf einer Gruft,
Dem Kummer lächelnd. Sagt, war das nicht Liebe?
Wir Männer mögen leicht mehr sprechen, schwören,
Doch immer steht dem Wort der Wille nach:
Wir stark in Schwüren, doch im Lieben schwach.

Shakespeare auf Deutsch

Hier bewährt sich die „klassische“ Übersetzung von Schlegel nach wie vor – was allerdings nicht für das ganze Stück gilt: Für die shakespeare-üblichen bzw. gar -typischen Derbheiten und Ferkeleien hatte der Romantiker Schlegel so gar keinen Sinn und hat sie entweder verharmlosend übertragen oder ganz weggelassen, mit der wohlfeilen Begründung, diese Wortspielereien seien unübersetzbar. Wer „den ganzen Shakespeare“ will, sollte deshalb zur Übersetzung des derzeit wohl populärsten Shakespeare-Übersetzers greifen: Frank Günther, der ein besonderes Faible gerade für diese raffinierten Wortspielereien des Sprachkünstlers aus der Zeit um 1600 hat (allerdings gerade in „Was ihr wollt“ seine übersetzerische Freiheit manchmal arg weit treibt. - Vgl. Der deutsche Shakespeare).

 

Die Zwölfte Nacht

Derartige – gerne derbe bis obszöne – Wortspielereien legt Shakespeare meistens seinen Clowns in den Mund, welche – als Rüpel, Narren, Hanswurste usw. – nicht nur in den Komödien sondern auch in den meisten Tragödien ihr (Un-)Wesen treiben. Besonders ausgiebig in „Was Ihr wollt“, wo schon der Originaltitel „The Twelth Night“ auf den Charakter des Stücks verweist:

 

Die zwölfte Nacht nach Weihnachten (ist) das Ende der Weihnachtsfestivitäten …: eine Art dionysisch-anarchischen Karneval, eine verkehrte Welt … derb und deftig, obszön und närrisch mit Tanz, Suff und Gelagen. Verkleidung, Maskenspiel und Kleidertausch zwischen den Geschlechtern …“ (GÜNTHER; S. 227 f. **)

 

Gerade für solche Verkleidungs- und Kleidertauschszenen bietet Shakespeare mit seinem Gender-Wechsel-Spiel reichlich Stoff. Doch wohl immer noch nicht genug für die Detmolder Inszenierung: Dass der Narr von einer Frau (Alexandra Riemann) gespielt wird – das ist nichts Neues. Dass aber der Rüpel Sir Toby hier „Lady Sirtoby“ heißt (Manuela Stüßer) und das kesse Kammer-Kätzchen Maria als „Maria / Mario“ (Adrian Thomser) auftritt – das lässt aufhorchen. Ein Blick in die Ankündigung bestätigt dann:

 

In seiner Inszenierung treibt Schauspieldirektor Jan Steinbach das Spiel der Identitäten, Geschlechterrollen und Kostümierungen weiter.“

 

Man darf gespannt sein!

Denn gerade die genannten Figuren spielen Hauptrollen in der Nebenhandlung des Stücks. Die derben Elemente beschränken sich hier nicht auf einzelne Szenen, sondern bilden eine ganze Neben-, ja sogar: Parallelhandlung, die sich im Haus der Gräfin Olivia abspielt. Nur so viel: Der eitle Haushofmeister Malvolio wird von einem Clowns-Quartett grausam veräppelt (Shakespeare würde wohl eher sagen: verarscht).

 

Die Langfassung sollten Sie sich im Theater ansehen. Viel Vergnügen!

 

 

Mehr "Was ihr wollt":

Münster 2002

Paderborn 2001

Detmold  2001

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*) Einige wenige Beispiele für literarische Dreiecksverhältnisse:

in der Bibel:    Uria – Batseba – König David

bei den alten Griechen:  Agamemnon – Klytaimnestra – Aigisthos (u.a.)

bei unseren Klassikern:   Maria Stuart – Leicester – Elisabeth I.

in den großen Romanen:   Karenin – Anna Karenina - Wronskij

                                           Instetten – Effie Briest – Crampas

im 20. Jahrhundert:   Polly – Mackie Messer – Lucie

                                  Alfred Matzerath – Agnes – Jan Bronski

 

**)   William Shakespeare: Was ihr wollt. -

       Zweisprachige Ausgabe. Deutsch von Frank Günther.

       dtv klassik   dtv   München   1996

 

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