„Mann und Weib und Weib und Mann“

  Landestheater glänzt mit Händels „Xerxes“

(alle Fotos: Landestheater Detmold - Matthias Jung)

(g.wasa     -     Detmold.)     Eine Händel-Oper! Dazuhin noch eine der „erfolglosesten Opern aus der Feder des Komponisten“ (wie ich – allerdings erst im Nachhinein – aus dem Programmheft erfahre). 

 

Ach du meine Güte! Das wird bestimmt ein öder Theaterabend. Am liebsten würde ich die Vorstellung schwänzen. Aber wenn das Abo nun mal bezahlt ist, dann lässt man als schwäbisch-sparsamer Lipper das Ticket natürlich nicht verfallen. Also gehe ich hin.

 

 

Gott sei Dank!

 

Denn dieser „Xerxes“ ist nach „Das kalte Herz“ und „Eugen Onegin“ ein weiterer fulminanter Höhepunkt dieses Sonntagnachmittag-Musiktheater-Abos.

 

 

 

 

 

Ziemlich verwirrend ...

Dabei komme ich – ganz gegen meine Gewohnheit – völlig unvorbereitet in die Vorstellung. Na ja – kaum vorbereitet: zumindest den Wikipedia-Eintrag  habe ich mal kurz aufgerufen. Das dort beschriebene Beziehungs-Hin-und-Her war aber für ein kurzes Überfliegen zu verwirrend, so dass mir im dritten Akt immer noch nicht vollständig klar war, wer nun wer ist und wer zu wem in welcher Beziehung steht. Dass Briefe vertauscht und vor allem, dass sich mal eine Frau als Mann, mal ein Mann als Frau verkleidet, macht es auch nicht leichter. Zudem halte ich „Arsamene“ zunächst für einen Frauennamen; es ist aber ein Mann (welcher allerdings von einer Sängerin dargestellt wird).

 

 

Deshalb (sofern Sie nicht ohnehin ein Alter Opern-Hase oder gar Händel-Fan sind): verschaffen Sie sich vorher einen Überblick über die Handlung. Die „Vorgeschichte“ und die „Geschichte“ im Programmheft sind da recht hilfreich.

 

(Nicht ganz) LGBTQD*: Zum Regiekonzept:

Ohnehin möchte ich Ihnen das (von Dramaturgin Elisabeth Wirtz verantwortete) Programmheft ans Herz legen. Da gibt es wertvolle Hintergrund-Informationen, z. B. über die Positionierung des „Xerxes“ zwischen Opera seria und Opera buffa; oder – wichtiger! -: Aufschlüsse über Kai Links Regiekonzept: „Wir drehen an der Genderschraube absichtlich noch etwas weiter“, indem „Amastre … bei uns [tatsächlich] ein Mann ist“, so dass der Titelheld irgendwo zwischen hetero, schwul und bi, dazuhin noch dendrophil (= baum-liebend) angesiedelt wird: „ein irregeleiteter Schürzenjäger“, der weder „loyal zu seiner Geliebten“ noch „zu seiner Sexualität stehen“ kann und „stattdessen versucht, sich als echter Kerl zu inszenieren“.  

 

Eine Interpretation, der man folgen kann. Aber nicht muss (auch, da sie ohne Vorwissen nicht unbedingt nachvollziehbar ist).

 

Aber: Trotz aller Unklarheiten und Verwirrungen: Diese Inszenierung wird zum Erlebnis. Macht einfach Spaß!

 

Die Musik

Da ist – zunächst und als Grundlage des Ganzen – Händels begeisternde Musik, mitreißend dargeboten vom symphonischen Orchester unter seinem (in Detmold noch ziemlich neuen) Leiter Per-Otto Johansson, unterstützt von Francesco Damianis Chor.

 

Die Solist*innen

Im Mittelpunkt des Interesses steht natürlich der israelische Sänger Maayan Licht. Klar – als Xerxes und damit als Titelheld. Vor allem aber wegen seiner Stimme. Wann hat man schon mal Gelegenheit, einen Countertenor nicht nur im Kulturradio von WDR-3 zu hören, sondern leibhaftig auf der heimischen Bühne zu sehen? Und zu hören! Ein Erlebnis! Und Licht begeistert nicht nur mit seiner Stimme, sondern auch als Schauspieler! Mit seiner Akrobatik. Mit seiner Mimik. Immer wieder fragt man sich: Ist das König Xerxes, der da oben seine Mitmenschen umgarnt, bezirzt? Oder ist es der Sänger Maayan Licht, der da ungeniert mit seinem Publikum flirtet? Egal! Die Zuschauer*innen lieben ihn! (Da übersieht man beinahe, dass dieser König Xerxes nicht nur Sonnyboy ist, sondern auch „tyrannischer Sonnenkönig“, welcher, bei der geringsten Verfehlung eines Untertanen mit einem kleinen Wink mal schnell „kurzen Prozess“ macht.)

Seine Mitsänger*innen müssen sich da nicht verstecken. Lotte Kortenhaus: auch sie gefällt als Schauspielerin; und vor allem: die als „Mezzosopran“ vorgestellte Sängerin steht auch als Sopranistin ihren Mann (nämlich den Königs-Bruder Arsamene). Stephanie Hershaw und Penelope Kendros komplettieren das Sopranist*innen-Quartett; und Dorothee Bienerts etwas tiefere Stimmlage prädestiniert sie für die Rolle des verkleideten Soldaten.

 

Das Gegengewicht bilden der fulminante „Generals-Bass“ des Feldherrn (Irakli Atanelishvili). Und Seungweon Lee amüsiert das Publikum als komischer Diener Elviro, der seine Stimme aus der Tiefe seines Basses immer wieder in die Höhen der verkleideten Blumenverkäuferin hinaufklettern lässt.

 

 

 

Die Inszenierung

Zumindest für all diejenigen, welche gemeinhin Opern nicht „sehen“ sondern „hören“, kann angesichts dieser musikalischen Grundausstattung eigentlich nichts mehr schief gehen.

 

Aber auch das Regieteam (Regisseur Kay Link, Ausstatterin Olga von Wahl, Dramaturgin Elisabeth Wirtz) trägt ein gerüttelt Maß dazu bei, diese Inszenierung zum umjubelten Erfolg zu machen, nicht zuletzt mit der einen oder anderen ansprechenden Regie-Idee:

 

Da ist der Vorspann, der schon mal auf DEN Schlager dieser Oper hinweist: die Liebes-Arie „ombra mai fu („Nie war ein Schatten“), mit welcher der geile König eine Platane ansingt. Mehr Interessantes und Wissenswertes zu diesem – besser als „Händels Largo“ bekannten – Stück sollten Sie unbedingt im Programmheft und bei Wikipedia nachlesen!  ( https://de.wikipedia.org/wiki/Ombra_mai_fu )

 

Hier nur so viel: Dieses Largo wurde nicht nur von jede*r*m Starsänger*in gesungen, auf 1001 Beerdigungen und in ungezählten Konzerten gespielt, es war auch das Musikstück, das bei der ersten drahtlosen Radiosendung übertragen wurde (Weihnachten 1906, gesungen von Alessandro Moreschi, „dem letzten päpstlichen Kastraten“). Zu Beginn dieser Inszenierung wird mit einem lebenden Bild radiohörender Matrosen daran erinnert.

 

Und im Verlauf des Abends wird das dendrophile Verhältnis des Königs zu einer Platane, ebenso wie sein Schwärmen für einen Schatten noch mehrfach thematisiert. Die Platane ist als sperrige Baumleiche auf der Bühne präsent. Dagegen verschwindet der Ursprung des besungenen Schattens – rätselhafterweise – im Nichts.

 

Schließlich noch eine Kleinigkeit, die aber für Diskussionen sorgte: Wenn sich ein Mitspieler im Museum (s.u.) aus Protest an einem Bild festklebt, so reagiert das Publikum darauf mit Gelächter. Manche fragen sich aber auch, ob „solche rücksichtslosen und kriminellen Aktionen von Chaoten jetzt auch schon auf der Opernbühne auftauchen müssen“ (mitgehörtes Pausengespräch). Wer sich (wie ich) schon in „Frau Luna“ über den Appell zur Bewahrung unserer Erde gefreut hat, der mag genau das begrüßen (mit einer Begründung, die den Rahmen dieser Besprechung sprengen würde!). 

 

Das Bühnenbild

Das Bühnenbild passt ja überhaupt nicht zum Inhalt“, hörte ich jemanden auf dem Weg in die Pause sagen. – „Ich find’s trotzdem gut“, erwiderte sein Begleiter, und darauf einigten sie sich denn auch. Ich schließ‘ mich dem gerne an!

 

Wir sind in einer Galerie, einem Museum mit einer großen Wand voller Bilder in Petersburger Hängung (also dicht an dicht). Dauernd kommen Besucher, mal kunstinteressiert, mal gelangweilt, aber immer eifrig fotografierend. Davor, dazwischen die Akteure, die Aktricen von „Xerxes“, die auch gerne mal in Doppelrollen aushelfen: Romilda als Restauratorin, Atalanta als nimmermüde Museumsführerin; und Ariodate wird in seiner Generalsuniform zum respektheischenden Museumswärter

 

Raumbeherrschend ist ein Monumentalgemälde von 1868: Wilhelm von Kaulbachs (1805 – 1874) „Die Seeschlacht von Salamis“ = eine der großen Schlachten zwischen den Griechen und den Persern unter Xerxes I. (480 v.Chr.) – also sehr wohl zum Thema Xerxes passend (auch wenn die Perser damals katastrophal untergingen)!

 

Ansonsten: ein wilder Epochen-, Stil- und Themenmix: von einem vorderasiatisch-antiken Relief (babylonisch? assyrisch? persisch? womöglich gar ein Xerxes-Porträt?) bis zu einer giftgrünen Phantasiefigur (von Kindern am Kreativ-Nachmittag der Ferienspiele nach dem Vorbild einer Jeff-Koons-Skulptur modelliert?).

 

Dazwischen eine kunsthistorische Sensation: die bisher als „verschollen“ geltende „Schlacht von Anghiari“ (1505) von Leonardo da Vinci. Außerdem: Guido Renis „Hl. Sebastian“ (1617), El Grecos „Laokoon“ (um 1612), reichlich Seestücke, aber auch Zeitgenossen: Alex Katz („Portrait of a Poet“) oder Reiner Fetting („Badende“?). Gustave Courbets „Ursprung der Welt“ (1866) wird nur mal kurz hereingeschoben – offenbar will man dem Publikum diesen (einst? skandalösen) Anblick nicht allzu lange zumuten.

 

Zum Schluss …

… wird’s noch mal rätselhaft: Xerxes singt (als vorweggenommene Zugabe?) nochmals sein „ombra mai fu“ und schmachtet dabei eine Gestalt an, von welcher nur der Schatten hinter einem Vorhang erkennbar ist. Mit dem Vorhang verschwindet auch dieses obskure Objekt seiner Begierde spurlos. Gleichzeitig verflüchtigen sich, eines nach dem andern, die Bilder auf der Museumswand.

 

Wer will, mag sich über dieses Rätsel ärgern. Er darf sich aber auch an einer Interpretation versuchen. Oder er freut sich einfach nochmal über die tolle Musik.

 

Ich empfehle Letzteres.

 

 

 

Landestheater Detmold:

 

Serse (Xerxes)  

 

 

Musikalische Leitung:     Per-Otto Johansson

Inszenierung:                   Kay Link

Ausstattung:                    Olga von Wahl

Dramaturgie:                  Elisabeth Wirtz

Chor:                               Francesco Damiani                    

 

 

Serse (Xerxes), König von Persien: Maayan Licht

Arsamene, sein Bruder:                    Lotte Kortenhaus /

                                                                   Zsófia Mózer

Amastre:                                           Dorothee Bienert

Ariodate, Prinz:                                Irakli Atanelishvili

Romilda, seine Tochter:                    Stephanie Hershaw

Atalanta, ihre Schwester:                 Penelope Kendros

Elviro, Diener von Arsamene:          Seungweon Lee