13 Leichen im Keller

Massenmord mit Arsen und Spitzenhäubchen am Landestheater

 

1939 schrieb der bis dahin wenig bekannte und mäßig erfolgreiche Schriftsteller Joseph Kesselring (1902 – 1967, New York) das Theaterstück „Arsen und Spitzenhäubchen“ („Arsenic and Old Lace“). 1941 wurde es am Broadway ur-aufgeführt.

 

Die Story

Die Schwestern Abby und Martha Brewster sind die guten Seelen von Brooklyn. Die älteren Damen sammeln Spielzeug für arme Kinder, kochen Suppe für die kranke Nachbarin, versorgen die örtliche Polizei großzügig mit Kaffee und kümmern sich rührend um den Neffen Teddy, der ein bisschen gaga ist und glaubt, der Präsident Theodore Roosevelt zu sein.

 

Ihre besondere Fürsorge gilt betagten Herren, die im Alter unter Einsamkeit leiden: Ihnen bieten die Schwestern ein Zimmer in ihrem Heim an und bewirten sie mit Holunderbeerwein. Der hat es allerdings in sich! Das im Detmolder Programmheft abgedruckte Rezept macht richtiggehend Lust auf ein Gläschen oder zwei – bis man den letzten Satz liest: „Vor dem Servieren Arsen, Strychnin und Zyankali in die Flasche geben, gut schütteln und sofort genießen“ – sozusagen die gut gemeinte Endlösung für die einsamen alten Herren.

 

Um die Leichen (ein Dutzend, bisher) kümmert sich Neffe Teddy alias Präsident Roosevelt: Dieser baut zurzeit – im heimischen Keller – den Panamakanal, gräbt bei Bedarf neue „Schleusen“ in denen „die an Gelbfieber gestorbenen“ Kanalarbeiter beigesetzt werden. Das hätte noch lange so weitergehen können, wenn nicht die beiden Brüder des irren Teddy aufgetaucht wären:

 

Jonathan, der als „schwarzes Schaf“ der Familie gilt und tatsächlich als echter Bösewicht eine gewisse Familientradition als irrer Verbrecher fortsetzt und deshalb - im Gegensatz zu den Tanten - von der Polizei gejagt wird. Er will sich mit seinem Komplizen Dr. Einstein bei den Tanten verkriechen und zunächst mal eine mitgebrachte Leiche entsorgen.

 

Jonathan fühlt sich in seiner Ganovenehre gekränkt, weil er nur ebenso viele Morde wie seine Tanten begangen hat. Deshalb will er unbedingt noch Mortimer umbringen, einen weiteren Neffen des liebenswürdigen Mörderinnen-Duos.

 

 

Dieser, ein Theaterkritiker, ist frisch verlobt mit der Pfarrerstochter aus der Nachbarschaft – und er findet zufällig das letzte Opfer seiner Tanten in einer Truhe. Der entsetzte Mortimer will unbedingt weitere Morde verhindern, will aber auch die Tanten vor dem Gefängnis bewahren und will vor allem den bösen Jonathan loswerden.

 

Nach turbulentem Hin und Her gelingt dies alles: Jonathan wird von der Polizei verhaftet; Tanten und Teddy lassen sich in ein Sanatorium einweisen, und die Leichen im Keller ruhen sanft.

 

 

Bleibt nur noch ein Problem: Da ist einerseits die heftige Liebe zwischen Mortimer und Pfarrerstochter und der ungestüme Drang, schnell zu heiraten. Dem entgegen steht das Bestreben Mortimers, die Beziehung zu beenden, da er glaubt – bei dieser Verwandtschaft! – keinesfalls seine Gene weitergeben zu dürfen. – Ob er aus diesem Dilemma einen Ausweg findet und wenn ja: welchen – das müssen Sie sich schon selber ansehen!

 

Vom Melodram in dunklen Zeiten zum Klamotten-Klassiker

Die Jahre um 1940 gehörten ja einer eher unseligen Epoche an. Weite Teile Europas (Deutschland, Italien, Spanien …) waren von faschistischer Diktatur im Inneren und kriegstreibender Expansion nach außen geprägt. Die Sowjetunion stand unter der skrupel- und gnadenlosen absoluten Herrschaft Stalins. In Asien tobte der japanisch-chinesische Krieg. Spätestens durch den japanischen Überfall auf Pearl Harbour am 7.12.1941 und die vier Tage später folgende deutsche Kriegserklärung wurden die USA in den Zweiten Weltkrieg hineingezogen.

 

Trotz dieser düsteren Situation (oder eben deshalb – denn gerade in schweren Zeiten sehnt man sich ja nach leichter Unterhaltung) wurde „Arsen und Spitzenhäubchen“ zum Hit und später zum Welterfolg: Die Broadway-Inszenierung kam auf 1444 Vorstellungen; das Stück wurde zum Renner in London und wurde im selben Jahr von Frank Capra mit Cary Grant verfilmt. Der Film konnte – wegen des Theatererfolgs – erst 1944 aufgeführt werden, da zunächst die letzte Broadway-Vorstellung abgewartet werden musste, dann wurde auch er zum Kassenschlager.

 

Für Kesselring wurde die Kriminalgroteske zu seinem größten Erfolg als Schriftsteller (gerade auch finanziell). Dabei hatte er ursprünglich unter dem Titel „Leichen in unserem Keller“ ein gemäßigt sozialkritisches und „eher behäbiges Melodram“ geschrieben, das dann aber „von den erfahrenen Bühnenautoren Howard Lindsay und Rusell Crouse zu einer spritzigen Komödie aufgepeppt“ wurde (HARENBERG).

 

Und als solche ist „Arsen und Spitzenhäubchen“ ein Erfolgsstück geworden und bis heute geblieben. Neben „Charleys Tante“, der „Pension Schöller“ oder dem „nackten Wahnsinn“ gehört es zu den beliebten Schwänken, den populären Klamotten, die immer volle Theatersäle garantieren.

 

Und jetzt also auch in Detmold, in einer furiosen Inszenierung von Jan Langenheim.

 

 

Die Inszenierung

Wer sich auf eine Krimikomödie im behäbigen Alt-Jungfern-Ambiente eingestellt hat, wird – wenn der Vorhang hochgeht - möglicherweise etwas befremdet sein, sieht er sich doch einer dystopischen Szenerie gegenüber, die belebt ist von hinkenden, zappelnden, zuckenden, lärmenden Zombies. Karneval der Bekloppten? Einmal glaube ich aus dem heiseren englischen (?) Gebrabbel etwas wie „Jahreswechsel 194x“ herauszuhören. Also Silvesterfeier im Irrenhaus? Kurz danach befinden wir uns aber in der Vorweihnachtszeit … Egal …

 

Endlich erbarmt sich die auf der Bühne herumtorkelnde Horde und schiebt einen containerartigen Quader auf die Vorderbühne. Und ja – in diesem Guckkasten entdecken wir das erwartete Spießerwohnzimmer mit gepolsterten Stühlen, geblümtem Sofa und dem mit doppelter Tischdecke versehenem Teetischchen. Hinten, in einem Schränkchen, dräut (noch unauffällig) die Flasche … Und sobald einer der Mitspieler diese unschuldige Idylle betritt, verwandelt er sich vom Zombie in einen ordentlich-gesitteten Mitbürger (und umgekehrt, wenn jemand im Lauf des Abends den Raum wieder verlässt).

 

Noch ist alles ganz friedlich und harmlos. Miss Abby (herrlich geziert: Kerstin Klinder) trinkt Tee mit dem Herrn Pfarrer. Sie freut sich über die Verlobung ihres Neffen Mortimer mit der Pfarrerstochter; der Pfarrer hat noch etwas Bedenken: Muss denn dieser junge Journalist ausgerechnet über den Sündenpfuhl Theater schreiben? (Es gäbe doch auch Sport, zum Beispiel.)

 

 

Neffe Teddy alias Präsident Roosevelt (angemessen komödiantisch: Hartmut Jonas) bringt Leben in die Bude mit jämmerlich-fistelnden Trompetensignalen und befehls-gewohnten „Atttaaakkke“-Kommandos. 

 

 

Und dann – als schlüge der Blitz in die Idylle ein! – entdeckt Neffe Mortimer die Leiche in der Fenstertruhe: das bisher letzte Opfer der fürsorglichen Schwestern! Jetzt laufen die beiden (neben K. Klinder: Anja Syrbe als Martha) zu ganz großer Form auf: wenn sie den entsetzten Neffen in aller Harmlosigkeit über ihr – wie sie überzeugt sind: verdienstvolles – Treiben aufklären. Und demgegenüber darf Adrian Thomser den Neffen Mortimer geben – ein Durchschnittsmensch, dessen heiles Familienweltbild gerade in Stücke geht und der sich plötzlich herausgefordert sieht, seine Verwandten vor der Polizei zu bewahren und gleichzeitig deren Opfer zu retten – ein Kabinettstückchen der Persönlichkeitszeichnung.   

 

 

Und jetzt geht’s Schlag auf Schlag: der böse Jonathan taucht auf, mit einer weiteren Leiche im Gepäck, die es ebenfalls zu entsorgen gilt. Dieser sadistische Berufsverbrecher wird zur Paraderolle für Patrick Hellenbrand, der herrlich als Boris Karloff zurechtgemacht ist (Karloff – der Monster-Darsteller im Frankenstein-Film von 1931 – hat den Jonathan in der Uraufführung am Broadway gespielt).

 

Die übrigen Mitwirkenden haben es verdient, zumindest lobend erwähnt zu werden: Justus Henke als alkoholliebender „Schönheits“-Chirurg und Komplize; Ewa Noack als forsche Polizeichefin bzw. als pragmatisch-verliebte Pfarrerstochter (die einzig Normale, in diesem Irrenhaus, möchte man meinen). Und schließlich Jürgen Roth und Gernot Schmidt, die immer wenn Not am Manne ist auftreten und helfen, dem Wahnsinns-Karrussel zu einer weiteren Drehung zu verhelfen, mal als Polizist, mal als Holunderwein-Opfer …

 

 

Fazit

 

Am Schluss gabs begeisterten, anhaltenden Applaus. Kein Wunder, bei diesem  herrlich irrwitzigen Stück voller überraschender Gags; angesichts einer begeisternd aufspielende Schauspieltruppe in wunderbar passender Kostümen (Jule Dohrn-van Rossum). Und am Schluss wird auch noch das ersehnte Happy End geliefert. Bravo!

 

Jedoch …

 

 

Aber …

Es bleibt allerdings die Frage nach dem dystopischen Vorspann, der sich den ganzen Abend fortsetzt, immer wenn ein Beteiligter die gute Mörder-Stube verlässt und wieder zum Zombie mutiert.

 

Eine Interpretation, die sich als erstes aufdrängt: Die elende Außenwelt erinnert an die düstere Entstehungszeit des Stücks, weist zurück auf den Kontrast zwischen heiler Theaterwelt und schreckliche Realität. Dies könnte auch so ungefähr die Intention des Regisseurs gewesen sein, der nämlich im Programmheft ausführt:

 

„Das Stück setzt der aus den Fugen geratenen Realität eine scheinbare Stabilität entgegen. In dieser stabilen Welt ist jedoch nichts, wie es aussieht. (Denn: ) Diese Welt trägt das Chaos im Herzen. Das Grauen der Außenwelt spiegelt sich in dem Zuhause der Tanten, in dieser Puppenstube …“

 

Und dabei muss man nicht unbedingt an 1941 denken. Dies gilt „auch heute noch“.

 

So weit so schön. Aber war es wirklich nötig, diese Klamotte mit so viel Sinn aufzuladen? Mit dem fast schon philosophischen Nachdenken über die ineinander geschachtelten Wirklichkeiten? Düstere Außenwelt – heiles Tantenheim – und darin das Grauen in Person der liebenswerten Mörderinnen? Hätte man es nicht einfach bei der skurrilen Komödie, bei der gut gemachten Unterhaltung belassen können?

 

Wenn die Nebenhandlung wenigstens zu irgendetwas geführt hätte. Wenn sich aus den fortgesetzten Wandlungen der Personen irgendetwas ergeben hätte. Aber da wartet der verwirrte Zuschauer, die enttäuschte Zuschauerin vergebens. Da kommt nix mehr.

 

 

Landestheater Detmold:

 

Arsen und Spitzenhäubchen

 

Komödie von Joseph Kesselring

 

Besetzung

Inszenierung                           Jan Langenheim

Bühne                                     Jan Langenheim

Kostüme                                 Jule Dohrn-van Rossum

Dramaturgie                           Laura Friedrich

Maske                                     Kerstin Steinke

Licht                                       Carsten-Alexander Lenauer

Ton                                         Timo Hintz

 

Abby Brewster                       Kerstin Klinder

Martha Brewster                    Anja Syrbe

Mortimer Brewster                 Adrian Thomser

Teddy Brewster/O'Hara         Hartmut Jonas

Dr. Harper /

Jonathan Brewster            Patrick Hellenbrand

Elaine Harper/ Rooney          Ewa Noack

Klein/ Mr. Witherspoon         Gernot Schmidt

Dr. Einstein                            Justus Henke

Brophy/ Mr. Gibbs                 Jürgen Roth

 

 

Termine in Detmold:

            Do 15.12.22    19:30 Uhr     

Mi 28.12.22    19:30

So 22.01.23    18:00  

Sa 11.02.23     19:30

Fr 24.02.23     19:30

Sa 25.02.23     19:30

 

Weitere Termine

 

Di 20.12.22     19:45 Stade, Stadeum

So 29.01.23    15:00   Marl Theater

So 05.03.23    19:00   Herford, Stadttheater

Fr 17.03.23     19:30   Bad Salzuflen, Kur- und Stadttheater

Sa 08.04.23     19:30   Hagen, Theater