Im Zeichen der Pistole

Martin Pfaffs umstrittene „Romeo und Julia“-Inszenierung

(alle Fotos: Landestheater Detmold - Hupfeld)

g.wasa     -     Detmold.     -     Es geht ganz klassisch los: mit den „zwei Häusern, gleich an Rang und Stand hier in Verona“. Doch schon nach nur einer von den vier Strophen, die Shakespeare seinem meistgespieltes Stück voranstellt, bricht Jürgen Roth den Prolog ab, springt mitten hinein in die erste Szene und zitiert die erbosten Bürger, die den Dauerstreit der beiden Adelshäuser satt haben: „Schlagt auf sie los! Weg mit den Capulets! Weg mit den Montagues!

 

Aber hat wirklich jemand ein komplettes Sonett an dieser Stelle erwartet?

 

Erwartungen ...

Welches Bild von „Romeo und Julia“ macht sich der gut-bildungsbürgerliche Abonnent auf dem Weg in die Premiere? Vermutlich denkt er an die Balkonszene: Julia, gute Tochter aus vornehmem Haus, den zierlichen Körper in fließende Stoffe gehüllt, ein hübsches Kleid, gerne Rokoko- oder Renaissance-Stil, befindet sich oben auf dem Balkon. Und unten steht Romeo, „stolzgemuter“ Sohn eines „in Ansehn gleichen Hauses“, und schmachtet hinauf, natürlich in der romantisch-schönen Schlegel-Übersetzung:

 

„meine Göttin! Meine Liebe! …

O wie sie auf die Hand die Wange lehnt!

Wär ich der Handschuh doch auf dieser Hand

Und küsste diese Wange!“

 

... und Enttäuschungen

Und was bekommt der erwartungsfrohe Besucher vom Detmolder Schauspieldirektor Martin Pfaff und seinem Team vorgesetzt?

 

Eine Rotzgöre, die gerne mal heimlich eine Zigarette raucht und Schnaps von der Amme schnorrt, im Outfit – Bomberjacke überm Minikleidchen – irgendwo zwischen Lara Croft und Pippi Langstrumpf, fläzt sich ganz vorne, an der Rampe auf dem Boden. Und Romeo im Hamletkostüm turnt oben rum. Oben – nein, nicht auf dem Balkon, sondern auf der Pistole.

 

Auf welcher Pistole? Auf der Pistole, die das Bühnenbild beherrscht, besser: das Bühnenbild ausmacht. Denn außer dieser übermannshohen Pistole gibt es nichts, allenfalls mal etwas schwächeres, mal etwas helleres Licht, gelegentlich akzentuiert durch ein bisschen Bühnennebel. Die einzige Abwechslung: vor der Pause sieht der Besucher die Pistole seitlich, im Profil. Nach der Pause ist die Mündung drohend Richtung Zuschauerraum gerichtet.

 

Ja, Pfaff & Co. machen’s dem oben genannten Bildungsbürger nicht einfach! In  diversen Gesprächen mit Premierenbesuchern hörte ich immer nur: Ablehnung. Dazu passt, dass nach der Pause so mancher Sitz leer blieb, sowie der „durchaus endenwollende Schlussbeifall“.

 

 

Nichtsdestotrotz: ich fand’s gar nicht so schlecht …!

Was ist der Inszenierung wirklich vorzuwerfen?

Meine Pausengesprächspartner beklagten nicht zuletzt die „Obszönitäten“, die beispielsweise den Maskenball prägten. Klar, das mag für uns Deutsche ungewohnt sein, die wir „Romeo und Julia“ vor allem in der betulich-verharmlosenden Schlegel-Übersetzung kennen. Jedoch hat Shakespeare, dieser bis heute unübertroffene Meister der komischen Tragödie, der tragischen Komödie, sich immer einen Spaß daraus gemacht, seine Texte mit (eher ein- als zweideutigen) Wortspielen und Kalauern (gerne aus der unteren Schublade) zu spicken; und gerade in dieser Liebestragödie lässt Shakespeare heftigst ferkeln und sauigeln – was Schlegel weggelassen hat (mit der wohlfeilen Ausrede, die Wortspiele seien unübersetzbar).

 

Da ist es nur verdienstvoll, wenn Pfaff den „klassischen“ Schlegel-Text durch die moderne und hervorragende Übersetzung Frank Günthers ergänzt hat, welcher eine besondere Leidenschaft (und ein Händchen) für die Übertragung gerade solcher Wortspiele hat: So bekommen wir den authentischeren Shakespeare!   

(mehr zu Shakespeare-Übersetzunügen)

Keusch? – Lächerlich!

Umso unverständlicher ist die zimperliche Prüderie, wenn dieses Liebespaar aller Liebespaare seine Hochzeitsnacht bekleidet mit braver Baumwollunterwäsche absolviert!  Im Publikum reagierte man mit Kichern, und selbst die würdige Dame in der Reihe hinter mir spottete: „Hach – wie keusch!“

 

Nein – niemand braucht sich diesem dauerhustenden Detmolder Publikum nackt zu präsentieren. Aber es sollte doch zum kleinen 1x1 eines Regisseurs gehören, eine solche Szene hinzukriegen, ohne sich selbst und – schlimmer – seine Darsteller der Lächerlichkeit preiszugeben!

 

„Gewalt, Macht und Sex – total heutig“

Und diese „unsägliche Pistole“? Symbolisiert die Sicht des Regie-Teams auf das Stück und auf diese unsere Welt, wie wir sie bereits in unserer Vorankündigung beschreiben haben. Denn tatsächlich agieren die Liebenden ja vor einem gesellschaftlichen Hintergrund, der geprägt ist „von Gewalt, Macht und Sex“, wie Dramaturgin Marie Johannsen konstatiert, die dieses harsche Urteil auch gleich aus Shakespeares Text heraus begründet: sich bekriegende Familien-Clans, mit geradezu mafiosen Strukturen, Mord und Totschlag auf offener Straße, übergriffige Kerle. Einmal mehr zeigt sich, dass ein Gesellschaftsbild, wie es das Genie aus Stratford upon Avon vor 400 Jahren gemalt hat, auch heute noch (wieder) das passende Ambiente für einen zeitgenössischen „phantastischen Thriller“ (Johannsen) liefern kann.

 

Denn nach den politischen Umwälzungen der letzten Jahre, angesichts der Erosion von – als quasi sicher geglaubten – Werten wie Aufklärung, Diskurs, Toleranz; nach dem Wiederaufleben eines fast mittelalterlichen Faustrechts, dem Wieder- „Aufschäumen der Barbarei“ auch in Europa – wer wollte da Pfaffs Behauptung widersprechen: „Das ist ein total heutiges Stück“.

What a wonderful world

Dementsprechend macht Bühnen- und Kostümbildner Mathias Rümmler Anleihen bei der heutigen Politik“, nicht nur in Form der Pistole (welche die Waffe mit verknotetem Lauf vor dem UNO-Hauptquartier, die Frieden und Gewaltlosigkeit symbolisieren soll, quasi zurücknimmt), sondern auch durch seine Personen: wenn der Chef des Capulet-Clans unverkennbar als Donald Trump (Holger Teßmann) ausstaffiert ist, inklusive junger Model-Gattin (Marie Luisa Kerkhoff) als Trophäe (und der gewalttätige Tybalt (Stephan Clemens) zumindest ein bisschen an Kim Jong Un erinnert).

 

Da möchte man eine andere Shakespeare-Figur zitieren (wofür wir – angesichts des inflationären Gebrauchs des Wortes „wonderful“ in zeitgenössischen politischen Verlautbarungen -  eine ins Gegenwarts-Englisch übertragene Version verwenden):

 

“Oh, what a wonderful new world, that has such people in it!” (Shakespeare: Tempest, V 1).

 

Seltsame Outfits und Genuschel: die Figuren und ihre Darsteller  

 „Eine Sprache, die wie ein Trampolin zum Hochspringen herausfordert“, hat Pfaff vorab über Shakespeares Text geschwärmt. Mit Recht! Nur – warum achtet er dann nicht darauf, dass dieser tolle Text ordentlich, ohne Nuscheln über die Rampe kommt?! Trotz (ich behaupte mal: guter) Kenntnis sowohl des Schlegel- als auch des Günther-Textes habe ich viel, allzu viel kaum oder gar nicht verstanden. Manchmal zweifelt man ja an sich selbst: Reicht mit zunehmendem Alter womöglich mein Gehör nicht mehr aus, um in der 7. Reihe noch genügend zu verstehen? Deshalb habe ich jüngere Premierenbesucher, die in der 3. bzw. 5. Reihe saßen, nach ihrem Eindruck von der Sprechkultur gefragt. Antworten: „Schrecklich!“, „Unzumutbar!“

Ausdrücklich ausgenommen von diesem Vorwurf: Lukas Schrenk, der einen ordentlichen Romeo abliefert.  Nicola Schubert dagegen (die mir bei ihren bisherigen Detmolder Auftritten doch immer ganz gut gefallen hat) redet nicht nur undeutlich, sie scheint auch insgesamt keinen so rechten Zugang zur Rolle der Julia gefunden zu haben. – Warum Jürgen Roth als Bruder Lorenzo die Augen verbundenen hat, kann man nur vermuten (soll er das blinde Schicksal darstellen?). – Kerstin Klinder spielt die Amme mit der ihr eigenen Professionalität; seltsam, dass der Ausstatter sie in ein solch unsägliches Kleid gesteckt hat. Dagegen hat der sich alle Mühe gegeben, sie in ihrer zweiten Rolle, als Fürstin, in eine unverkennbare Angela Merkel zu verwandeln – gelungen! Schade nur, dass sie als solche lediglich einen kurzen Auftritt hat (laut Shakespeare wäre sie noch zweimal wieder gekommen).  

 

 

 

 

Landestheater Detmold:

 

Romeo und Julia

Tragödie von William Shakespeare

  • Inszenierung:   Martin Pfaff
  • Ausstattung:   Mathias Rümmler
  • Dramaturgie:   Marie Johannsen
  • Romeo:   Lukas Schrenk
  • Julia:   Nicola Schubert
  • Mercutio/ Apotheker:   Hubertus Brandt
  • Benvolio:   Hartmut Jonas
  • Lady Capulet, Stiefmutter von Julia:   Marie Luisa Kerkhoff
  • Capulet, Vater von Julia:   Holger Teßmann
  • Amme von Julia / Fürst von Verona:   Kerstin Klinder
  • Bruder Lorenzo:   Jürgen Roth
  • Tybalt / Graf Paris:   Stephan Clemens

 

Premiere: Fr. 22. Sep 2017 Detmold, Landestheater

Di. 26. Sep 2017 Wolfsburg, Theater

Do.28. Sep Detmold, Landestheater

Sa.30. Sep Detmold, Landestheater

Mi.11. Okt 2017  Hagen, Theater

Do.19. Okt 2017   Detmold, Landestheater

Sa.21. Okt 2017  Detmold, Landestheater

So.22. Okt 2017   Detmold, Landestheater

Do.26. Okt 2017   Detmold, Landestheater

Mi.29. Nov 2017  Detmold, Landestheater

Sa.09. Dez 2017   Detmold, Landestheater

Fr.15. Dez 2017    Detmold, Landestheater

Sa.30. Dez 2017   Detmold, Landestheater

So.04. Mär 2018   Bad Bevensen, Kurhaus

Mi.18. Apr 2018   Detmold, Landestheater

Sa.28. Apr 2018   Monheim, Aula am Berliner Ring

Do.28. Jun 2018   Wetzlar, Rosengärtchen