Film, Theater oder Spektakel?

Landestheater tut sich schwer mit der Bühnenadaption von Kaurismäkis Filmklassiker „I Hired a Contract Killer“

(Fotos: Landestheater)

WaSa   -   Detmold.   Ist Ihnen das auch schon mal passiert? Dass Sie beim – sagen wir: - sonntäglichen „Tatort“-Gucken aus Versehen auf die Taste gedrückt haben, welche eine Erzählstimme aktiviert, die für Blinde beschreibt, was auf dem Bildschirm gerade passiert? Ich erinnere mich mit Schrecken an ein solches Erlebnis. Ich schwankte damals zwischen dem zornigen Impuls, den unablässig quasselnden Fernseher aus dem Fenster zu schmeißen, der vernünftigen Entscheidung, den AUS-Knopf zu benutzen, und dem Versuch, durch panisches Drücken aller möglichen Tasten diese Funktion wieder abzustellen. Letzteres hatte zum Glück Erfolg – damals, beim Tatort.


Am Freitag Abend, bei der Premiere von „I Hired a Contract Killer / Vertrag mit meinem Killer“, gab’s leider keine Taste zum Ausschalten. Da musste man das Gequassel einfach aushalten – nicht 90 Minuten lang, wie beim „Tatort“, auch nicht 80 Minuten (der Dauer von Kaurismäkis originaler Film-Version), nein: geschlagene 105 Minuten wurde man zugetextet. Nicht von einem Sprecher, sondern gleich von dreien (in der Besetzungsliste als Kaurismäki 1 – 3 verzeichnet).


Der Film war damals, 1990, Kult; aber nach fast einem Viertel-Jahrhundert sollte man vielleicht an den Inhalt erinnern: Der Franzose Henri lebt unauffällig-zurückgezogen in London; sein Dasein wird geprägt durch ewiges Einerlei: Wohnung – U-Bahn – langweiliger Job im Wasserwerk – Mittagspause - Einkaufen – U-Bahn – Wohnung. Mit der Kündigung verliert er den Sinn seines Lebens. Da er selbst für einen Selbstmord zu ungeschickt ist, engagiert er einen Killer für sich – und trifft unmittelbar danach prompt auf die Liebe seines Lebens. Jetzt will er den Mordauftrag rückgängig machen, was gar nicht so einfach ist ...

Ein spannender, origineller Plot also (wenn auch nicht ganz neu: die zugrunde liegende Geschichte stammt schon von Jules Vernes und wurde mit Heinz Rühmann und J.-P. Belmondo bereits vorher zwei mal verfilmt). Und diesen spannenden Stoff hat nun das Landestheater für die Bühne adaptiert.


Aber was heißt „für die Bühne adaptiert“? Offenbar konnte man sich nicht entscheiden, ob man nun tatsächlich ein Theaterstück aufführen will, oder ob man den Film auf der Bühne nacherzählt.

Der Film wurde gerade für die „Stilisierung durch Farbe und Musik“, „die Einbindung der Farben in die Dramaturgie gelobt; Quelle). In Detmold wird die Geschichte jeglicher Atmosphäre entkleidet und in einen düsteren Guckkasten verbannt, der gerade mal mit ein paar knappen Requisiten ausgestattet ist. Außerdem wird das Personal auf die drei Hauptfiguren reduziert. Alles andere wird von „Kaurismäki 1 – 3“ übernommen, vorgeführt oder eben nur als nicht-enden-wollende Regieanweisung gesprochen: „Innen – Tearoom – Morgen ...“. Die drei (Philipp Baumgarten, Stephan Clemens, Cristoph Gummert) sind von einer beeindruckenden Präsenz und Vielseitigkeit: kaum ist einer links abgegangen, kommt er schon wieder von rechts herein; sie produzieren das Möwengeschei an der Themse ebenso wie das Klacken des Gasanzünders in Henris Wohnung; sie geben die sexy Vorzimmerdame so überzeugend wie den unauffälligen U-Bahn-Passagier; aus dem Bauarbeiter (mit einem Stuhl als Presslufthammer) wird durch ein raffiniertes Zusammenraffen des uniformen Schwarz-Weiß-Outfits plötzlich ein leicht geschürztes Nachtclubgirl ... Die Filmatmosphäre wird durch rasend schnelle Schnitte imitiert, immer kenntlich gemacht durch die ewigen Anweisungen: Büro / Lokal / U-Bahn / Straße / Wohnung ... Gleichzeitig erinnert das unablässige Erzählen der Handlung an einen Roman.


Man hat den Eindruck, die Regie habe sich Campbells furioses Spektakel „Frank & Stein“ zum Vorbild genommen, in dem zwei Filmvorführer den klassischen Frankenstein-Film mit alltäglichen Requisiten nachspielen. Aber was in jener „Monster-Komödie“, in der erklärten Veräppelung des Horrorfilm-Genres wunderbar funktioniert, geht hier daneben, wo ja schließlich immer noch – so ist jedenfalls zu hoffen! – ein ernsthafter Inhalt erzählt werden soll: die Entwicklung eines roboterhaften Gewohnheitstiers zum sozialen Wesen, ja: zum Helden (und wenn auch nur zum Helden eines gewöhnlichen Alltags).


Keine Frage: dieser komplizierte Held ist mal wieder eine Paraderolle für Markus Hottgenroth, der den Henri in seinen unterschiedlichen Facetten glaubwürdig verkörpert. Und in Ewa Rataj als Margaret hat er die kongeniale Partnerin. Diese beiden tollen Schauspieler hätten – wenn man sie schon in den engen Guckkasten einsperren muss – ein intensives Kammerspiel mit psychologischem Tiefgang aufführen können, mit dem Auftragsmörder (in all seinem Elend von Jürgen Roth herrlich verkörpert!) als dramatisch-belebendem Dritten. Auch dabei hätte der Spaß nicht zu kurz kommen müssen, der ergibt sich bereits aus dem Gang der Handlung sowie aus dem Humor einer durch feine Ironie und überraschende Untertreibungen gekennzeichnet Sprache („Dass ’at misch umgestimmt“ ist der knappe Kommentar des Franzosen zur existentiellen Wende in seinem Leben).


Um so bedauerlicher, dass die eigentlich Handlung, die bemerkenswerte Schauspielerleistung gar zu oft und allzu massiv in den Hintergrund gedrängt und überdeckt wird durch das übertriebene Spektakel, das die drei „Kaurismäkis“ (wie gekonnt auch immer!) unaufhörlich veranstalten.

Weniger wäre da mehr gewesen.


Andererseits hätte man sich mehr gewünscht: „Mehr Licht!“ Das (natürlich als Regieanweisung gesprochene) „schmutzige Blau-Grau der Wände“ kontrastiert mit dem realen Schwarz des Bühnen-Guckkastens; trübe Neonlampen bemühen sich vergeblich, den (erzählten) „Frühjahrssonnenschein“ zu simulieren.


Wieso verschandelt das Landestheater eigentlich seinen schönen Zuschauerraum durch hässliche Scheinwerferbatterien an allen Ecken und Enden – wenn dann auf der Bühne doch nur ein ödes Schummerlicht herrscht?

 

 

 

I Hired a Contract Killer / Vertrag mit meinem Killer“


Nach dem Film von Aki Kaurismäki


Regie:   Andreas Nathusius

Ausstattung:   Günter Hellweg

Dramaturgie:   Christian Katzschmann