Gesellschaftsspiele

Ibsens Hedda Gabler anno 2016

(alle Fotos: Landestheater Detmold / Quast)

Am Anfang war die Orgie

War am Anfang die Orgie? Honi Soit Qui Mal y Pense! Was sehen wir wirklich in der prologartigen Szene, mit der Andreas Kloos seine Detmolder „Hedda-Gabler“-Inszenierung eröffnet? Womöglich einfach Herrn und Frau Tesman, die mitten in der Nacht von ihrer Hochzeitsreise zurückkommen, sich unter einem roten Septembermond von den Freunden verabschieden, welche sie vom Schiff abgeholt haben, und dann todmüde ins Bett sinken.

 

Oder steht dieses Körpergewimmel bei grellroter / halbdüsterer Partybeleuchtung halt doch für die wilde Vergangenheit? Diese Vergangenheit, in welcher der dröge Jörgen etwas mit der braven Thea hatte; in der die verwöhnte Hedda mit ihren schönen Beinen eine heftige Beziehung (nicht nur) zum genialen aber liederlichen Eilert unterhielt? Wo der übergriffige Richter sich bereits als Hahn in jeden Korb gedrängt hat? Und wo die liebe Cousine Julle womöglich alles mitgemacht hat, woran ihr geliebter Cousin beteiligt war, und sei’s nur, weil sie glaubte, ohne sie ginge es nun mal nicht? Oder?

 

Diese Unsicherheit passt gut zu Ibsens Stück. Denn auch der Autor hat manches nur angedeutet, vieles offen gelassen: Lebt Eilert als trockener Alkoholiker? – Ja, ziemlich sicher. Ist Hedda tatsächlich schwanger? Oder ist das nur eine Wunschvorstellung der familien-besessenen Tante? Wie wild war das Verhältnis Hedda-Eilert früher wirklich? Wie intim ist das heutige Verhältnis Eilert-Thea?

 

Wenn sich Ibsen um 1890 diskret zurückhielt, so lag das sicher auch am damaligen Moral-Codex. Eine Dame der Gesellschaft, die sich von einem Freund des Hauses eincremen lässt? Undenkbar! Sich gar vor seinen Augen umzieht? Skandalös!

 

Moderne Sprache – modernes Ambiente

Da sind wir heute – Gott sei Dank! – lockerer drauf! Und so sind auch die Figuren der Detmolder Inszenierung – Gott sei Dank! – lockerer! Ibsens zimperliches Hin und Her zwischen „Du“ und „Sie“ zum Beispiel: einfach gestrichen! Die Yuppie-Gesellschaft ist selbstverständlich per Du (aber letzten Endes – wie schon bei Ibsen - perdu?)

 

Ja – die Detmolder haben nicht nur die betuliche Sprache (wie sie sich zumindest in mancher Übersetzung findet) erfreulich radikal modernisiert, sie haben gleich noch die alte Gesellschaftstragödie einfach ins Jahr 2016 verlegt. Angefangen von der Ausstattung: Beatrice von Bomhard hat den Protagonisten ein zeitgemäßes Outfit verpasst; die von Ibsen liebevoll geschilderte altmodisch-großbürgerliche Wohnung („in dunklen Farben“) wird zum Loft mit Zweckmöbeln, in hellem Weiß mit himmelblauen und bonbonrosa Akzenten. Die Reisefotos sind nicht im Album sondern in der Cloud; und natürlich kommuniziert man per Handy anstatt mittels Briefen.

 

Menschen von heute

Aber auch die Story selbst ist gekonnt ins Heute übertragen. Und das funktioniert viel besser, als man sich bei der Lektüre dieser moralinsauren Geschichte vorstellen konnte. Denn ob damals oder heute: das eigentlich Schwierige – und das Interessante, das Bühnenwirksame – sind die Beziehungen zwischen diesen so unterschiedlichen wie fragwürdigen Helden:

 

Da ist einmal die Titelfigur, Hedda Tesman, Tochter des reichen General Gabler, verwöhnt, schön, umworben, voller Ansprüche. Nach bewegten Jahren hat sie so was wie Torschlusspanik empfunden und deshalb den Heiratsantrag des einzigen ihrer Freunde angenommen, der versprochen hatte, sie zu versorgen.

 

Doch der Ehemann, Jörgen Tesman, ist ein Langweiler (herrlich naiv: Robert Oschmann). Seine mehrmonatige Hochzeitsreise hat er vor allem in Bibliotheken und Archiven verbracht, um seine kulturwissenschaftliche Dissertation fertigzustellen: über Kunsthandwerk im mittelalterlichen Brabant („Also sowas – dass man darüber schreiben kann“, staunt – nicht nur - Tante Julle). Nun taucht auch noch der alte Freund/Nebenbuhler Eilert auf und macht ihm womöglich die sicher geglaubte Professorenstelle streitig – da hätte man sich dann mit Hauskauf und Einrichtung übernommen; Reitpferd und livrierter Diener (must-haves für die kapriziöse Hedda) rückten in weite Ferne, anstelle rauschender Partys müsste man mit gelegentlichen Besuchen von Tante Julle vorlieb nehmen … Für die „Generation Praktikum“ gar nicht so ferne Vorstellungen!

 

Da ist es für Hedda kein Trost, dass der aufdringliche Richter (sehr überzeugend: Stephan Clemens als „würdige“ Inkarnation des alten Adam) sich als Hausfreund anbietet – im Gegenteil: dass dieser sich mit Erpressung eine aktive Position im  Beziehungsdreieck Ehemann-Ehefrau-Liebhaber erobern will, löst die finale Katastrophe aus.   

 

Deren eigentliche Ursache: wenigstens einmal wollte Hedda Schicksal spielen, die Geschicke eines anderen Menschen lenken: Sie manipuliert ihren alten Liebhaber Eilert Lövborg so gekonnt, dass der in das alte liederliche Leben zurückfällt, aus dem er sich gerade eben mühsam und mit Aussicht auf beruflichen Erfolg herausgekämpft hatte.

 

Zu den Höhepunkten der Aufführung gehören die Szenen zwischen Hedda und Eilert: herrlich, wie ihr erstes (noch fiktives?) Zusammentreffen mit Musik und Körpersprache inszeniert wird! Die Schauspieler geben hier ihr Bestes! Markus Hottgenroth als genialer Wissenschaftler und Publizist, dem seine gar zu bohèmehaften Veranlagung zum Verhängnis wird. Und Karoline Stegemann als blasierte Kettenraucherin („Ich denke, ich habe nur zu einer einzigen Sache Talent: Mich zu Tode zu langweilen“), die übrigens ein Handikap äußerst gekonnt überspielt: zu Beginn der Aufführung heißt es mal, Hedda habe sich während der Hochzeitsreise den Arm gebrochen – dabei hatte sich die Schauspielerin diesen Bruch in der Proben-Wirklichkeit zugezogen.

 

Schließlich, nicht zu vergessen: die wunderbare Natascha Mamier als Thea Elvsted, eine fast schon unterwürfige Kontrastfigur zu Hedda, in ihrem Verhältnis zu Eilert irgendwo zwischen höriger Geliebter und sorgender Mutterfigur angesiedelt.

 

Und Marie Luisa Kerkhoff in einer Doppelrolle: einmal spielt sie Tesmans Cousine Julle als Mischung aus Girlie und Gutmenschin (damit ersetzt sie die von Ibsen vorgesehene altjüngferliche Tante Fräulein Tesman – eine Änderung, die nicht nötig gewesen wäre, aber – angesichts der attraktiven jungen Frau – durchaus gefällt). Und sie spielt Berte, welche etwas zu sehr als Karikatur eines Dienstmädchens angelegt ist. Warum dieses Dienstmädchen als einzige den Text nicht ins Deutsche übersetzt bekommt, sondern norwegisch reden muss, bleibt das Geheimnis der Regie. Immerhin: ihren letzten Satz (auch wenn sich der nicht bei Ibsen findet) versteht man auch so:

 

„Madamen er død!“

 

 

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Landestheater Detmold:

Hedda Gabler

Schauspiel in vier Akten von Henrik Ibsen

Regie:                    Andreas Kloos
Ausstattung:         Beatrice von Bomhard
Dramaturgie:         Christian Katzschmann

Hedda Gabler:       Karoline Stegemann
Jörgen Tesman:    Robert Oschmann
Ejlert Lövborg:      Markus Hottgenroth
Julle / Berte:          Marie Luisa Kerkhoff
Richter Brack:       Stephan Clemens
Thea Elvsted:        Natascha Mamier

Fotos: Landestheater/Quast