Der Esel und die Kreaturen
Landestheater überzeugt mit abgründigem Sommernachtstraum
„Warum ich mit Tieren arbeite, um unsichtbare Kräfte auszudrücken? ... wenn ich versuche, mit diesen spirituellen Wesen wie mit Tieren zu sprechen, wirft das die Frage auf, ob nicht jeder mit diesen Geistwesen sprechen kann“ (Joseph Beuys).
Shakespeare in Uralt-Übersetzung
WaSa (Detmold). - Was hat das deutsche Theater dem englischen voraus? - Shakespeare. – Wie?
Shakespeare? – Ja, Shakespeare! Während sich die englischen Theater mit dem heute nur noch schwer verständlichen Text von ca. 1600 herumschlagen müssen, haben die Deutschen das Glück, „sich jedes
Jahr einen neuen Shakespeare schreiben zu können“.
Das heißt: Bei uns braucht man nur eine der famosen modernen Übersetzungen zu nehmen und kann die zeitlosen Shakespeare-Dramen problemlos so auf die Bühne bringen, wie es der Vollbluttheatermensch Shakespeare gemacht hat: in der Sprache der Zeitgenossen.
Deshalb wundert man sich schon, dass das Landestheater für seine „Sommernachtstraum“-Inszenierung auf Johann Joachim Eschenburg zurückgreift, der Shakespeares Stücke um 1780 übersetzt hat, und der zwar für seine „genaue Sinnentschlüsselung schwieriger Stellen“ gelobt (SUERBAUM), der aber wegen seiner zahmen Übersetzung der prallen Shakespeare-Sprache bereits von Schiller als „trauriger Erzphilister“ geschmäht wurde.
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Den Verdacht, man habe einfach die Lizenzgebühren für eine neuere Übersetzung sparen wollen, weist das Landestheater (natürlich!) zurück. Vielmehr begründet Regisseurin Tatjana Rese die Uralt-Übersetzung mit der „Spannung“, die aufgrund der altertümlichen Sprache in einer ansonsten durchaus modernen Inszenierung entstünde. Aber welche Spannung erwächst denn nun tatsächlich aus der penetranten Verwendung von „itzt“ oder „er kömmt“? Es irritiert eher. Da fällt dann schon auf, wenn Shakespeares 129. Sonnett in Stefan Georges Übertragung einmontiert wird, obwohl es sich eigentlich ganz gut in Theseus‘ und Hippolitas Gespräch einfügt.
Elfenwelt - nur ein Spiel der Reichen und Schönen?
Apropos Theseus und Hippolita und das Thema sparen: Die Darsteller des Athener Fürstenpaares müssen das Elfenkönigspaar Oberon und Titania gleich mit spielen. Das ist nun allerdings auch nichts Neues. Seit Peter Brooks legendärer Inszenierung von 1968 ist eine solche Besetzung beinahe Standard geworden, wobei zumindest Brooks für diese Gleichsetzung handfeste und überzeugende inhaltliche und dramaturgische Gründe anführen konnte. Natürlich kann auch Rese diese Doppelbesetzung erklären: die (erotischen) Spielchen der Elfen seien einfach ein Rollenspiel des Athener Adels, so eine Art „Schäferspiel“, wie es von Italien kommend zu Shakespeares Zeiten auch in England populär wurde. Allerdings wirkt Reses Inszenierung in dieser Sichtweise stellenweise unlogisch (die simpelste Frage, die sich dabei stellt: Wieso kann Theseus plötzlich zaubern?).
Aber: Wer wollte einem Sommernachtstraum mit Logik kommen??! Und überhaupt - gestehen wir einer Inszenierung des 21. Jahrhunderts doch einfach zu, dass sie mit einer virtuellen Welt arbeitet, einem „second Life“, in dem Oberon und Titania sozusagen zu Avataren von Theseus und Hippolita werden.
Die Bühne: stylische Galerie oder schwüler Dschungel?
Und eine moderne Inszenierung hat Rese ja ausdrücklich angekündigt. Dazu passt gleich schon die Bühne, die von dem Wiesbadener Professor für „Ausstellungsarchitektur und Inszenierungen“, Reiner Wiesemes, gestaltet wurde, mit dem das Landestheater seit einiger Zeit gern zusammenarbeitet. Diese Bühne verzichtet auf Kulissen (und erinnert so bei aller Modernität an die klassische Shakespeare-Bühne), sie ist nur durch eine Art Glitzervorhang von der sonstigen Welt, dem dahinter liegenden ungewissen Dunkel abgeschlossen. Und sie ist weitgehend leer – bis auf ein paar bedeutsame Requisiten, unter anderem einer abstrakten Skulptur(die eine entfernte Ähnlichkeit hat mit der Skulptur vor der Detmolder Musikhochschule – oder mit einem indianischen Totempfahl), woraus Rese schließt, dass dieser „stylische Raum“ wohl „Theseus‘ Privatgalerie sein könnte“. Zumindest ist es wohl sein Spielzimmer, in dem er seine ganze Spielchen veranstaltet, in dem das ganze Schau-Spiel stattfindet. Einen Wald gibt es hier nicht, schon gar keinen romantischen!
Aber: eine grüne Pflanze symbolisiert die Natur; sie taucht irgendwann mitten im Stück auf, wächst dann rasch zu bühnenbeherrschenden Ausmaßen heran. Dieses fast schon bedrohliche Gewächs stammt nicht aus einem englischen Forst, schon gar nicht aus der kargen mediterranen Macchie im Umland Athens; nein diese seltsame Mischung aus Bananenstaude und Farn ist ein Produkt des tropisch-schwülen Dschungels, des ungebändigten, des ungebärdigen Urwaldes ...
Orgie mit Verwandlungen
Und das Personal passt in ein solches – angedeutetes – Ambiente, es verkörpert eine wilde, schillernde Kreatürlichkeit. „Shakespeare entwickelt eine Orgie der Verwandlungen – unheimlich,
grotesk und derb vergnüglich“ – so interpretiert das Landestheater selbst seine Inszenierung. Ja! – Da ist nicht nur der Esel, diese Symbolfigur roher Potenz. Da ist auch Theseus/Oberon mit
einem Hirschgeweih –Hörner, die er sich mit seinen Spielchen selbst aufgesetzt hat? Ob man Hippolita, nachdem sie eine Flasche Wein ex getrunken hat, wirklich derart hässlich rülpsen lassen muss, mag
Geschmacksache sein (mir hat sie jedenfalls als blendend-schöne halbnackte wilde Titania besser gefallen). Überhaupt scheinen die Athener in dieser erotisch-aufgeladenen Atmosphäre in ihrem Element
zu sein: da ist ein Anmachen und Angreifen, ein Grabschen und Fummeln; Theseus nimmt die hübsche Hermia gern auf den Schoß, wenn er ihr staatsmännisch ins Gewissen redet; Lysander stürzt sich
geil auf die eben noch gehasste Helena, kaum dass die geliebte Hermia den schönen Rücken gekehrt hat ...
Die Darsteller: Bravo!
Zeit für ein paar Worte zu den Darstellern, die dieses so vielfältig-skurril-ernsthaft-komödiantisch-shakespearesche Personal verkörpern: die vier jungen Schauspieler Christoph Gummert, Karoline Stegemann, Philipp Baumgarten und Marianne Thies mischen sich schon vor Beginn als aufgekratzte Party-Gäste unters Publikum und geben dann mit viel vergnüglicher Spielfreude die zwei unglücklich-glücklichen sich liebenden und hassenden Paare. Besonders zu erwähnen: dass Marianne Thies wenige Tage vor der Premiere für eine erkrankte Kollegin als Helena eingesprungen ist und diese schwierige Aufgabe mit Bravour meistert!
Lächerlich oder anrührend? – Die Handwerker
Einen Gegenpol zur dekadenten Adelsclique bilden die biederen Handwerker (Joachim Ruczynski, Henry Klinder, Stephan Clemens, Jürgen Roth und Simon Breuer). Natürlich sind das in Detmold – Stichwort „moderne Inszenierung“ – nicht mehr Blasebalg- oder Kesselflicker. Nein, schließlich sieht Rese die Bühne als Theseus‘ Privatgalerie, vielleicht sogar als Museum an, und das braucht Personal: den Hauselektriker etwa oder den Aufseher. (Dass sie gelbe Filzpantoffeln tragen, wie man sie früher in grau bei Schlossbesuchen über die Schuhe stülpen musste, verleiht dem Ort des Geschehens noch einen – wirklich nötigen? – zusätzlichen Aspekt.) Aber auch diese Museums-Angestellten wollen ihrem Chef eine Freude machen: durch die Aufführung der „höchst kläglichen Komödie und den höchst grausamen Tod des Pyramus und der Thisbe“. Dabei ist es Reses erklärtes Ziel, diese braven Alltagsmenschen nicht als lächerliche Clowns vorzuführen – was allerdings dann doch nicht ganz zu vermeiden ist. Schließlich ist die derb-komische Naivität, mit der diese einfachen Normalbürger an den pathetischen Text herangehen ein tragendes Element dieser Komödie. Immerhin: Stephan Clemens als Zettel/Pyramus vermag mit seiner Sterbeszene – bei aller Klapprigkeit der Verse – das Publikum auf und vor der Bühne zu rühren!
Bodenständig und kreatürlich
Natürlich ist auch diese bodenständige Angestelltenwelt mit der kreatürlichen Feen-Sphäre verflochten:
Durch die Verwandlung Zettels (dessen Originalname Bottom ja weitaus vielschichtiger ist als die harmlose Schlegelsche Übersetzung) in ein animalisches Geschöpf, durch seine deftige Affäre mit der Feenkönigin Titania.
Auch Kerstin Klinder wird zur Wanderin zwischen den Welten: als Dienstmädchen / Serviererin gehört sie zunächst zu den Museumsangestellten. Dann wird sie zur leicht-bekleideten „Bohnenblüte“, der einzigen von vier Shakespeareschen Elfen, die es in die Detmolder Inszenierung geschafft hat. Am Schluss trägt sie dann wieder ihr Kostüm ....wenn auch ziemlich schief geknöpft ...
Puck: müder Kobold und Kunst-Rätsel
Und schließlich Puck (Roman Weltzien) – eine rätselhafte Gestalt, gerade in dieser Inszenierung. Schon sein Kostüm weist ihn als etwas Besonderes aus: die Athener Society ist streng schwarz-weiß gewandet (mal gestreift, mal groß-, mal kleinkariert); er dagegen trägt rote Streifen und scheint damit außerhalb der Gesellschaft zu stehen, bei Theseus eher Hofnarr als Haushofmeister. Er tritt auch mal als Jahrmarktsschreier auf (so ähnlich könnte man sich Liliom vorstellen). Bei Oberon ist er Mädchen für alles und Tunichtgut – doch scheint er selbst seiner Streiche am überdrüssigsten zu sein. Ist der Kobold müde geworden?
Pucks abschließende Ansprache ans Publikum hat Rese gestrichen. Stattdessen hat sie im Vorfeld – bewusst rätselhaft - „ein Künstlerzitat“ angekündigt. Kerstin Klinder als Elfe / als Hausdame verwandelt sich in den Esel und führt eine Art Tanz vor Puck auf; der verharrt in einer seltsam-zurückgezogenen Pose – die einem aber irgendwie bekannt vorkommt. Da ich durch Zufall das Wort „Beuys“ mitbekommen hatte, fiel es mir nicht schwer, das Vorbild für dieses Zitat zu identifizieren. Wenn Sie’s damit allein nicht finden, ein zusätzlicher Tipp: geben Sie doch neben Beuys den Titel eines der größten Hits aus der ersten Landestheater-Premiere dieser Saison bei Google ein (nein, nicht „Maria“).
Ein Sommernachtstraum
Von William Shakespeare – Deutsch von Johann Joachim Eschenburg
Inszenierung: Tatjana Rese
Ausstattung: Reiner Wiesemes
Dramaturgie: Christian Katzschmann
Theseus/Oberon: Markus Hottgenroth
Lysander: Christoph Gummert
Hermia: Karoline Stegemann
Egeus: Jürgen Roth
Demetrius: Philipp Baumgarten
Hippolita/Titania: Ewa Rataj
Helena: Marie Suttner / Marianne Thies
Puck: Roman Weltzien
Bohnenblüthe: Kerstin Klinder
Squenz: Joachim Ruczynski
Zettel: Stephan Clemens
Schlucker: Jürgen Roth
Schnock: Henry Klinder
Flaut: Simon Breuer
Weitere Vorstellungen:
Sa 19.10./ Sa 09.11./ So 24.11./ Do 12.12./ So 15.12.2013/ Mo 10.02./ Mi 05.03.2014