Ära Pfaff beginnt mit mutigem Experiment

EVENT für einen Schauspieler und eine Zuschauerin

Fotos: Landestheater Detmold

Event, der oder das

 

Wortart: Substantiv, maskulin oder Neutrum

 

Gebrauch: Jargon

Häufigkeit: OOO▮▮

Bedeutung:  besonderes Ereignis

 

Wussten Sie schon?

… stand 1996 erstmals im Rechtschreibduden.

 

Synonyme:

Anlass, Ereignis, Erlebnis, Fest, Festlichkeit, Fete,

Geselligkeit, Happening, Party, Schau, Schauspiel,

Show, Spektakel, Treffen, Vergnügung

 

Herkunft:

englisch event < altfranzösisch event < lateinisch eventus,

zu: eventum, 2. Partizip von: evenire 

= heraus-, hervorkommen; sich zutragen, ereignen

 

Typische Verbindungen (Adjektive):

gesellschaftlich, angesagt, toll, kulturell,

spektakulär, sportlich, einmalig

 

( http://www.duden.de/rechtschreibung/Event  <gekürzt>)

 

 

Neu am Landestheater: Schauspieldirektor und die Event-Kultur?

g.WaSa     Detmold     -     Das Wort „Event“ ist in jüngerer Zeit in Diskussionen um die deutsche Theaterlandschaft öfters mal aufgetaucht. Nachdem der Berliner Senat den belgischen Kunstkurator Chris Dercon als Nachfolger für Frank Castorf gekürt hatte, schimpfte Claus Peymann, man wolle aus der Volksbühne wohl einen „Eventschuppen“ machen. Ähnliches fürchten von Johan Simons verwöhnte Münchner Fans für die dortigen Kammerspiele, deren neuer Intendant Matthias Lilienthal schon mal als „Macher bunter Events“ verunglimpft (?) wird.

Martin Pfaff verwöhnte das Detmolder Publikum als Gastregisseur jahrelang mit gelungenen Regiearbeiten, vom Klassiker („Kabale und Liebe“) über die volkstümliche Klamotte („Charleys Tante“) bis zum anspruchsvollen Gegenwartsstück („Am schwarzen See“) – lauter solide Inszenierungen  von ordentlichen Stücken.     

 

Und nun? Kaum ist er als neuer Detmolder Schauspieldirektor installiert, schon eröffnet er die Ära Pfaff am Landestheater (programmatisch?) mit einem – EVENT !

 

Der Autor und das Stück

Den New Yorker Stückeschreiber John Clancy kennt man vor allem als Begründer des New York Fringe Festival und als Verfasser einer amerikanisierten Version des „König Ubu“ („Fatboy“). - Sein “Event“ ist ein Monolog für einen Schauspieler (oder – natürlich – eine Schauspielerin, wie z. B. vor  einem Jahr in Münster mit der wundervollen Carola von Seckendorff). 

 

„Event“ handelt von der Befindlichkeit des Schauspielers. Auf der Bühne ist er unanfechtbar; keiner kann ihm dreinreden, er zieht sein Ding durch, spielt seine Rolle. Spielt seine Rolle – eben! Und die ist ihm vorgegeben. Fremdbestimmt. Der Text sowieso. Und damit im Wesentlichen auch die Persönlichkeit. Die kann er durch die eine oder andere Geste akzentuieren, vielleicht sogar charakterisieren. Durch seine Geste, ja – aber nur, wenn der Regisseur sie abgenickt hat. Und dann muss er dabei bleiben; muss die Geste immer wieder machen. Jeden Abend neu ….

 

Das führt zur Frage: was ist Kommunikation? Auf der Bühne? Zwischen den Schauspielern? Aber wenn da nur einer ist? Zwischen Schauspieler(n) und Publikum? Wer ist dieses Publikum? Auch das – seine Ansprechpartner – kann sich der Schauspieler nicht aussuchen. Muss es nehmen, wie es kommt. Immer in der Hoffnung, dass es kommt. Und nicht vorzeitig geht …. Überhaupt: Kommunikation. Kann Theater als Kommunikations-Anstalt noch funktionieren, wenn Kommunikation in der Gesellschaft den Bach runter geht? Wenn Kinder nur noch mittels (um nicht zu sagen: mit) Elektronik kommunizieren („autistisch“)? Wenn das Leben zugedeckt wird durch „Vergnügungsangebote rund um die Uhr“?

 

Ist die „existenzielle Sehnsucht nach gutem Gespräch“ (Martin Pfaff) womöglich nur noch im Theater zu stillen? Oder? Ist im Theater überhaupt ein Gespräch möglich? Im herkömmlichen Theater, bei „Kabale und Liebe“ oder „Charleys Tante“? Die auf der Bühne sind schließlich festgelegt. Siehe oben. Und die vor der Bühne? Clancey nennt sie „strangers“, „Fremde“. Die haben doch gar keine Chance, sich einzubringen. Schon gar nicht als einzelner Zuschauer. Da bedürfte es ganz anderer Theaterformen. (Aber ob das dann noch „unser“ Theater wäre?)

Darsteller – Zuschauer:   1 : 1

Solostücke sind eigentlich die Ausnahme. Müssen es sein im Theater, das als Gattung von der dramatischen Auseinandersetzung lebt. (Trotzdem sind Solostücke immer wieder Highlights in Theaterprogrammen, waren es häufig auch in Detmold). Das Landestheater führt die Idee des Solostücks jetzt konsequent bis zum Ende: dem einen Darsteller sitzt genau ein Zuschauer gegenüber. Mehr … äh: weniger geht nicht! (Wirklich? Wie attraktiv könnte es für sparzwang-gebeutelte Intendanten sein, in jede Abo-Reihe – mindestens – einen Abend „Kein Schauspieler spielt für Niemanden“ aufzunehmen?!)

(auch) Ein Selbstversuch

Auch für mich – regelmäßigen und durchaus auch in ungewöhnlichen Formen erprobten Theatergänger – ist diese Vorstellung ein Experiment, dem ich mit großem Interesse … aber doch auch mit einem gewissen Bangen entgegensehe. So ganz ohne Vordermann, der Deckung böte, ohne Zuschauermasse, in deren Anonymität ich eintauchen könnte …

 

Also werde ich (ICH, nur ich!) am Theatereingang abgeholt, die Treppe hinaufgeführt, vorbei an der Fremdenloge („da drin wird der ‚Faust‘ gespielt“, verrät meine Führerin  in bedeutungsschwangerem Flüstern) und hinein in die Leopold-Lounge, wo das Theater sonst seine Pressegespräche durchführt. Jetzt sitze ich allein auf einem der ca. 20 Stühle und warte. Nicht lange, denn bald schon betritt Roman Weltzien den Raum, beachtet mich gar nicht (ganz der da oben, der für die da unten spielt, aber nicht mit ihnen). Aber auch das nicht lange. Denn während er von sich selbst immer nur in der dritten Person spricht, spricht er mich bald direkt an. Solange er seine Rolle als Schauspieler reflektiert (s. o.) hört man sich das einfach an. Mehrfach bietet er mir mehr oder weniger direkt an, ich dürfe gerne auch gehen: „Wollen Sie wirklich Ihre Lebenszeit dafür opfern, sich anzuhören, was der Mann auswendig gelernt hat?“ – „Aber das tue ich doch immer, wenn ich ins Theater gehe!“ – Das sage ich nicht laut; allenfalls durch Nicken bzw. Kopfschütteln bekunde ich meine wilde Entschlossenheit, hier zu bleiben.

 

Fotos: Landestheater Detmold

Und wenn er sich dann in einer breiten Gesellschafts- und Zivilisationskritik ergeht? Da wird tatsächlich der Drang (die „existenzielle Sehnsucht nach gutem Gespräch“)  immer stärker, mit ihm zu diskutieren. Aber immer noch begnüge ich mich mit zustimmendem Kopfnicken. Denn schließlich kann ich ihm zustimmen. Aber wenn er jetzt anfinge, eine zu meinen Vorstellungen völlig konträre politische Meinung zu äußern? Würde ich ihm dann widersprechen? Wozu? Es wäre ja womöglich gar nicht seine Meinung (s.o.). Und wenn’s dann wirklich inakzeptabel würde? Zum Glück erspart er (er?) mir diese Entscheidung – sowas wie beispielsweise pegida-mäßige Hetze gibt’s nicht (hätte mich doch auch sehr gewundert, bei „meinem“ Landestheater!)  

 

Und auf dezente Art macht er immer wieder deutlich, dass eine – zeitraubende – Diskussion, ein Abweichen vom inszenierten Geschehen schlicht und einfach nicht vorgesehen ist: mehrfach blickt er auf die Uhr und teilt auf die Minute genau mit, wie lange diese gegenseitige Zumutung noch dauern wird. Wer traute sich da, den genau vorgegebenen Ablauf durcheinanderzubringen? (Vielleicht – wenn ich „normales“ Publikum wäre – könnte es mich reizen, einfach mal auszuprobieren, was passiert, wenn sich der Zuschauer plötzlich zum Mitspieler aufschwingt … aber so, als neutraler Berichterstatter … Nein).

Der Darsteller

Fotos: Landestheater Detmold

Ich mag diesen Schauspieler. Wie gut er sein Handwerk beherrscht, hat er in einer – sonst nicht weiter erwähnenswerten – „Laurel & Hardy“-Produktion gezeigt. Als Puck oder als Johannes Pinneberg hat er mir sehr gut gefallen. Als Charleys Tante wurde er Publikumsliebling.  

 

Und jetzt? So Aug in Auge? Auch da überzeugt er durch ruhige Professionalität. Ja: überzeugt! Obwohl er selbst seine Schauspielerei immer wieder thematisiert, sich von seinem Verhalten als fremdbestimmt distanziert, von seinem Text sowieso – ich ertappe mich immer wieder dabei, wie ich ihm zunicke, ihm meine Zustimmung zu seiner Meinung signalisiere, von der ich doch gar nicht wissen kann, ob es seine ist. Aber er überzeugt eben, dass es so ist.

 

Ich finde es immer etwas peinlich, wenn ich als Einzelner einem anderen applaudieren soll. Am Ende seines Auftritts verschwindet Weltzien so wie er gekommen ist durch die Tür. Und kommt nicht wieder. Damit erspart er dem Zuschauer die Peinlichkeit des einsamen Applauses. Aber leider nimmt er ihm gleichzeitig die Möglichkeit, seiner Begeisterung Ausdruck zu verleihen. Wenigstens ich habe hier dazu die Gelegenheit:

 

BRAVO!

 

 

 

 

Landestheater Detmold:

Event

Monolog von John Clancy

 

Regie:                     Martin Pfaff

Dramaturgie:           Christian Katzschmann

 

Der Mann:               Roman Weltzien

 

 

Nächste Aufführungen:

 

Jeweils 2 x parallel zu den „Faust“-Aufführungen (ursprünglich war nur jeweils eine Aufführung pro „Faust“ vorgesehen, die Verdoppelung lässt auf Zuschauer-Interesse schließen):

 

07.11.2015: 19:45 + 21:30 Uhr

22.11.2015: 14:30 + 16:15

26.11.2015: 19:45 + 21:30

03.12.2015: 19:45