Die Urmutter aller Ehehöllen-Dramen – durchaus vergnüglich

Hervorragende Darsteller zeigen Strindbergs „Totentanz“

 

Edgar:   Ich möchte wissen,

ob das Leben aller Menschen so ist.

Alice:   Vielleicht, wenn sie auch nicht davon sprechen

(Strindberg: Totentanz, I, 1. Akt)

 

 

alle Fotos: Landestheater Detmold

 

WaSa     -     Detmold.     Das Landestheater Detmold zeigt August Strindbergs 1900 entstandenes Drama „Totentanz“. Strindberg – der selber nicht gerade Talent zu einer glücklichen Ehebeziehung hatte – hat damit die „Urmutter aller Ehehöllen-Dramen“ geschrieben, als da etwa sind: Albees „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“, Bergmans „Szenen einer Ehe“ oder die „Dämonen“ des 95 Jahre nach Strindberg ebenfalls in Stockholm geborenen Lars Norén. Alles andere als leichte Kost – sollte man annehmen. Aber keine Angst: Die Detmolder Inszenierung zeigt ein packendes Beziehungsdrama, das stellenweise durchaus vergnüglich anzusehen ist.

Das Bühnenbild

Strindberg hat (wie im Naturalismus üblich) seinen Stücken ausführlich-detaillierte Bühnenbildangaben mitgegeben. Den Schauplatz seines „Totentanzes“ richtet er geradezu gemütlich ein: „Fenster mit Blumen und Vogelkäfigen ... Lehnstühle ... Hängelampe ...“.  

Die von Nikolaus Porz gestaltete Bühne lässt davon nichts erkennen. Der erste Eindruck des Zuschauers ist: Distanz, ja: Abweisung, wenn er vor dem nüchtern-grauen hermetisch geschlossenen eisernen Vorhang Platz nimmt. Der zweite Eindruck ist: Kälte, denn der Boden der Vorbühne ist – wie mit einem tiefen Teppich – von einer dicken Schicht aus Eisbrocken bedeckt. Die Kälte-Assoziation bestätigt sich, wenn die eiserne Barriere endlich hochgekurbelt wird: ein paar Schneeflocken wirbeln in den Raum (später, wenn mal der eine, mal der andere Mitwirkende mit dem Gewehr in die Decke schießt, wiederholt sich das Phänomen – also doch kein Schnee? Sondern bröckelnder Putz?). Die bunten Farben, die den Himmel über dem Geschehen beherrschen, möchte man unter diesen Umständen (und angesichts des skandinavischen Schauplatzes) als Nordlicht interpretieren. 

Auf der Detmolder Bühne finden sich auch nicht die von Strindberg geforderten Fotos und Lorbeerkränze, noch nicht einmal das Barometer, geschweige denn ein Pianino (stattdessen lediglich ein tickendes – und ziemlich nervendes – Metronom). Die Bühne ist leer - bis auf eine ordentliche Batterie leerer, halbvoller und voller (Whisky?-)Flaschen sowie ein riesiges halbkreisförmiges Sofa, das auf der Drehbühne rotiert – wieder und wieder, endlos – bis es endlich in der Schluss-Szene anhält, eher erstarrt als zur Ruhe kommt. - Auf der Rückwand zeichnet sich das unscharfe Bild einer Insel ab: eine Fototapete mit einem tropischen Atoll? Oder doch Blick durchs Fenster auf eine schwedische Schäre?

 

Sonst gibt es nur noch einen Papierstreifen, der von weit oben herab ins Zimmer hängt – als säße dort oben jemand mit einer Rolle Klopapier, die er allmählich abwickelt. In Wirklichkeit handelt es sich um den Papierstreifen des Telegrafen, den die Bewohner als einziges Kommunikationsmittel nach außen nutzen, da sie dem Telefon nicht trauen (zu Strindbergs Zeiten gab’s ja noch das „Fräulein vom Amt“, dem unterstellt wurde, die Gespräche mitzuhören; heutzutage, in der Ära von NSA & Co., bedarf die Abhörfurcht keiner weiteren Begründung) und da sie mit den wenigen Mitbewohnern auf der kleinen Insel („Alle sind Abschaum“ – „Idioten allesamt“) schon lange nicht mehr reden. 

 

Und damit wären wir dann auch mitten in der Geschichte. 

Die Geschichte

Edgar ist in seiner Militärkarriere über den Hauptmann nicht hinausgekommen und versauert nun, kurz vor dem Ruhestand, als Artillerie-Kommandant auf einer kleinen Insel. Seit 25 Jahren ist er mit der 10 Jahre jüngeren Alice verheiratet, und seit 25 Jahren bekriegen sich die beiden. – Jetzt erscheint Kurt auf der Insel, Alices Vetter und beider früherer Freund. In der Detmolder Inszenierung sprechen starke Indizien dafür, dass Alice und Kurt früher mal eine Liebesbeziehung hatten (wofür Strindbergs Text allenfalls sehr vage Andeutungen liefert). – 

Jetzt wirkt Kurt für das Ehepaar wie ein Katalysator, der die ewig schwärende Feindschaft schnell zu einer finalen Auseinandersetzung hochkochen lässt; für Edgar ist er als gebildeter (und „nachgiebiger“!) Gesprächspartner eine willkommene Abwechslung in der öden Einsamkeit, vor allem hat er endlich wieder jemanden, den er mit (haltlosen) Vorwürfen und Anschuldigungen piesacken kann. Alice sieht in ihm gar den Retter, der sie als neuer Partner aus der verhassten Beziehung erlöst – wobei die Erlöser-Symbolik arg hoch aufgehängt wird, wenn Alice in Maria-Magdalena-Pose Kurts Füße wäscht und mit ihren Haaren trocknet (s. Lukas 7, 36-50 ).  


Doch Kurt will seine Freundschaft mit Edgar nicht wieder aufwärmen; schon gar nicht möchte er Alices Retter sein. Edgar muss erkennen: „alle, die in unsere Nähe kommen, werden böse und gehen ihrer Wege. Kurt ist schwach und das Böse ist stark!“ – So bleiben die beiden allein, müssen sich und ihren Hass weiter ertragen. Bei Strindberg nehmen sie – in alter Feindschaft - ihre Silberhochzeit in Angriff; in der Detmolder Inszenierung klammern sie sich in wilder Leidenschaft aneinander. 

Die Inszenierung

Dieser Detmolder Schluss steht keineswegs im Widerspruch zu Strindberg. Bei aller Abneigung fühlen sich die beiden „aneinander gekettet“, in einer Hassliebe verbunden, die erst der Tod scheiden wird, was in Detmold in einer kleinen aber besonders eindrucksvollen Szene wunderschön zum Ausdruck gebracht wird:

 

Alice: „Wir kommen nicht los. Wir warten auf den Befreier, ...“ 

-  Edgar und Alice nähern sich Kurt  -

„... den Tod“

 

Überhaupt gelingt es Malte Kreutzfeldt (Regie) und Christian Katzschmann (Dramaturgie) hervorragend, dieses ambivalente Verhältnis, diese Hassliebe deutlich herauszuarbeiten: durch Blicke und vor allem kleine Gesten: von der zarten Berührung bis hin zur Andeutung eines lasziven Tanzes. Da ist das „Herz ist Trumpf“ beim Kartenspiel der beiden fast schon zuviel an boshafter Ironie (bei Strindberg war es Pik).

 

Ansonsten haben die Detmolder nur wenig in den Text eingegriffen. Die gestrichenen Nebenpersonen sind tatsächlich entbehrlich, und auch die unvermeidlichen Textkürzungen fallen nicht unangenehm auf. 

Ein paar Regieeinfälle / Abweichungen von Strindberg verleihen der Inszenierung Pep: So etwa, wenn Kurt von Anfang an da ist (wie überhaupt alle drei – fast – immer auf der Bühne sind), aber bis zu seinem eigentlichen Auftritt, etwa in der Mitte des ersten Aktes, bewegungslos auf dem Sofa liegt – wie ein Stück Mobiliar. Oder: Wenn Kurt einen Strauß weißer Blumen (Symbol für Tod und Friedhof) mitbringt, diese aber nicht überreicht; erst viel später, wenn Edgar krank mit dem Tode ringt, erhält er die Blumen und wird dann auch gleich wie eine Leiche mit ihnen aufgebahrt. 

Die Darsteller

Eine tolle Inszenierung also. Mit den angemessen tollen Schauspielern. Markus Hottgenroth (Kurt), Henry Klinder (Edgar) und Ewa Rataj (Alice) – alle drei haben wir hier schon so oft gepriesen, dass man es mit Verweis darauf eigentlich belassen könnte. Dennoch: Dieses Kammerspiel der Leidenschaften lebt vor allem auch von der Darstellungskunst der Beteiligten; und gerade von den kleinen Gesten, der zurückhaltenden Mimik. Und da glänzen die drei mal wieder: Klinder als bärbeißiger Egozentriker, der vorzugsweise mit einem verächtlichen „Blödsinn“ auf die Äußerungen der andern reagiert. Herrlich sein verächtlicher Gesichtsausdruck, wenn er spekuliert, welchen unpassenden Wein die ignoranten Nachbarn wohl zum Haselhuhn trinken werden! - Hottgenroth, der immer dann zu ganz großer Form aufläuft, wenn es ambivalente Persönlichkeiten darzustellen gilt, ist hier hin und her gerissen zwischen seiner alten Freundschaft zu Edgar, seiner – durch einen Striptease besonders angeheizten – Leidenschaft für Alice, und der letztlich siegreichen Feigheit, die ihn vor den Problemen der anderen davonlaufen lässt. - Ewa Rataj schließlich hat hier keineswegs das Opfer ihres dominanten Mannes, das Opfer des feigen Möchtegern-Geliebten zu spielen: sie ist eine würdige Gegnerin, die jede Beleidigung mit einer Gemeinheit vergilt; die auch mit Kurt von Anfang an ihre Machtspielchen spielt, bis zur finalen Domina-Szene. Auch bei ihr sind es die kleinen, fast unscheinbaren Reaktionen, die besonders überzeugen - ihre zwischen Furcht und Hoffnung changierende Mimik etwa angesichts der wechselnden Gesundheitszustände ihres Mannes.

 

Alle drei: einfach sehenswert. 


Die Fortsetzung

„Gibt es denn kein Ende?“, schreit Alice verzweifelt auf der vorletzten Seite meiner Reclam-Ausgabe. Nein, gibt es nicht. Auch nicht auf der letzten Seite. Strindberg hat einen zweiten Teil verfasst, der in Detmold – wie bei den meisten heutigen Inszenierungen – unterschlagen wurde. Da setzt sich der Ehekrieg dann nochmals fort – bis dann das von Anfang an immer wieder angekündigte (und von Alice offen herbeigesehnte) Ende doch noch eintritt: Edgar stirbt. Und jetzt wird zur Gewissheit, was schon im ersten Teil vermutet wurde:

 

Kurt: Also liebt er dich!

Alice: Wahrscheinlich. Aber das hindert nicht, dass er mich hasst!

 

und was Kreutzfeldt/Katzschmann in ihrer Schlussszene, der leidenschaftlichen Umarmung, vorab zum Ausdruck gebracht haben:

 

„Ich muss diesen Mann geliebt haben ...  Und gehasst. Friede sei mit ihm“, sind Alices Schlussworte.

 

Ein Ende gibt es trotzdem nicht ... Der Geschlechterkampf wird wohl weitergehen – nun zwischen Edgars und Alices Tochter Judith und Kurts Sohn Allan.  

Landestheater Detmold:

 

Totentanz (1. Teil)

 

Von August Strindberg

 

Übertragung aus dem Schwedischen und Fassung von Malte Kreutzfeldt

 

Regie:     Malte Kreutzfeldt

Ausstattung:     Nikolaus Porz / Anke Wahnbaeck

Dramaturgie:     Christian Katzschmann

 

Edgar:     Henry Klinder

Alice:     Ewa Rataj

Kurt:     Markus Hottgenroth

 

 

Weitere Termine in Detmold:

 

Sa, 18.04.2015, 19:30 Uhr

Do, 04.06.2015, 19:30 Uhr