Ehrenhaft gescheitert

Zu viele Fronten in Metzgers "Hermannsschlacht"

WaSa   -   Detmold.     Mit diesem Stück hat man’s nicht leicht. Oder vielleicht richtiger: Dieses Stück hatte es nie leicht!  Der Autor Grabbe galt den braven Bürgern seiner Heimatstadt Detmold als versoffener Versager (heute verwendet man in der „Kulturstadt Detmold“ lieber Heines Formulierung vom „betrunkenen Shakespeare“). Die  „zwergigte Krabbe“ (Selbst-Charakterisierung) hatte ein Faible für Helden: Hannibal, Faust, Napoleon und zuletzt: Hermann, der germanische Bezwinger römischer Legionen. Der 35jährige hat die „Hermannsschlacht“ zwischen Weinkneipe und Sterbebett mühsam hingekritzelt und dabei – noch radikaler als bei früheren Stücken – jegliche Theaterkonvention ignoriert: drei komplette römische Legionen und „helle Haufen“ von Germanen hetzt er aufeinander, kreuz und quer durch den Teutoburger Wald. Das Stück ist technisch unspielbar (heute erkennt man es als Filmdrehbuch) und wird zudem durch die stereotype Abfolge von Schlachtenszenen langweilig. Kein Wunder, dass es über 100 Jahre auf seine Uraufführung warten musste. Erst den Nazis war der Cheruskerfürst als germanisch-deutsche Ur-Type so notwendig, dass er auf die großen deutschen Bühnen musste. Dass es bei diesen Gelegenheiten mit jeweils einem kräftigen Schwall brauner Blut-und-Boden-Soße übergossen wurde, hat dem Stück vollends den Rest gegeben.

Nach 1945 ließ man endgültig die Finger davon - bis zum Jahr 2009, wo es zur Feier des 2000-jährigen Schlachtenjubiläums gleich dreimal gespielt wird. Detmold machte den Anfang (es folgen Bielefeld und Osnabrück), wobei es für den Detmolder Intendanten Metzger Ehrensache war, die Version Grabbes zu spielen (und nicht die – dramaturgisch sehr viel bessere – von Kleist). Gleichzeitig sind in Detmold die Berührungsängste besonders ausgeprägt: in böser Erinnerung an die hakenkreuz-umflatterten Grabbe-Weihespiele im Detmolder Theater, 1936, zum 100. Sterbetag.

Deshalb wird die Detmolder Hermannsschlacht  zum Versuch einer Vergangenheitsbewältigung und erhält dazu den neuen Untertitel: "Eine deutsche Betrachtung mit Texten von Christian Dietrich Grabbe u. a.". Die dramaturgischen Probleme dieses Nicht-Stücks löst Metzger genial einfach, indem er das Kriegsgetümmel radikal reduziert auf einen Gockelkampf Hermann – Varus: Die beiden malträtieren sich mit einer kackbraunen Schmiere und machen so aus dem welthistorischen Wendeereignis eine ordinäre Schlammschlacht (man denkt wieder an Heine, der den Schauplatz als „klassischen Morast“ bezeichnet und damit mehr noch die Rezeptionsgeschichte als den geomorphologischen Zustand charakterisiert hatte). 

So wäre aus der unspielbaren Vorlage beinahe ein vergnügliches, satirisch gebrochenes Spektakel geworden: mit Hermannsdenkmal-Gartenzwergen, mit einem rockigen fitnessstudio-trainierten Womanizer-Hermann (Alexander Frank Zieglarski) auf der einen Seite und einem  dauererkälteten Varus mit Regenschirm und kariertem Schal zum Bürokratenanzug auf der anderen (Henry Klinder); mit Höhepunkten wie der kabarettistisch-gelungenen Darbietung von Scheffels Studentenlied „Als die Römer frech geworden …“ oder dem Gegeneinander-Ansingen von „Deutschland, Deutschland über alles“ und „Auferstanden aus Ruinen“.

Aber damit wäre der Political Correctness nicht Genüge getan! Metzger musste unbedingt noch deutlich machen, dass er gegen Krieg ist! So beginnt der Abend mit Sirenengeheul und angreifenden Stukkas. Wenn sich der Vorhang hebt, blicken wir in einen schwarzen Luftschutzbunker. Michael Engel kann seiner Leidenschaft für dunkle Bühnenbilder freien Lauf lassen. Dann wird einmontiert, was an deutscher Antikriegsliteratur Rang und Namen hat: Kästners „Land wo die Kanonen blühn“; ein Gryphius-Sonett über die Greuel des 30-jährigen Krieges; Schreckensszenen aus Remarques „Im Westen nichts Neues“; Prozessprotokolle über unsägliche Holocoust-Untaten und so weiter. Schließlich darf dann noch ein Bundeswehrsoldat in Unterhosen auftreten. Welch einmalige Idee!

Wenn man’s wenigstens dabei belassen hätte! Aber nein, es müssen auch noch die Abgründe der (neueren) deutschen Geschichte vorgeführt werden: Hitler, Himmler und Konsorten erhalten überreichlich Redezeit („Sieg Heil!“).. Der von den Nazis zum Märtyrer stilisierte Freikorps-Haudrauf Schlageter wird der verdienten Vergessenheit entrissen; Magda Goebbels opfert noch mal ihre Kinder dem deutschen Schicksal …. Und damit immer noch nicht genug:  Das Thema Macht wird mittels Talkshow-Platitüden diskutiert; zu Varus’ Selbstmord ertönt der Weltmeisterjubel von 1954; zur wohl unvermeidlichen Lilly Marleen wird ein Soldat von einer Nutte abgeschleppt; ein weiterer legt vor einem Playboy-Centerfold Hand an sich … Der Rest ist Party.

„Was soll das alles?“, möchte man rufen. Oder noch lieber: „Es reicht!“ Die Inszenierung ist heillos überfrachtet, ohne dass mehr dabei herauskäme als „Krieg ist schlecht“ und „deutsche Geschichte war schlimm“. Was Hermann damit zu tun hatte, bleibt offen.

Positiv: Einige darstellerische Leistungen. Neben den genannten Protagonisten (besonders Zieglarski/Hermann wurde am Schluss regelrecht bejubelt) ist beispielhaft Valentin Stroh zu nennen, der einen in Gestus und Duktus beklemmend-gelungenen Hitler imitiert. Und die famose Kerstin Hänel, die vom kitschigen Pathos der Geschirrtuch-bewaffneten Heldengattin Thusnelda in Sekundenschnelle übergeht zum Revoluzzer-Stakkato einer Ulrike Meinhof (ja, auch die darf nicht fehlen).

 

Insbesondere zu loben: dass der Zuschauer den Text der Inszenierung mit Quellenangabe all der Einschübe in die Hand bekommt (da hätte man sich das konventionelle Programmheft mit seinem Sammelsurium beliebiger bis ärgerlicher Texte gerne sparen können).

 

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Landestheater Detmold:
Die Hermannsschlacht.

Eine deutsche Betrachtung mit Texten von Christian Dietrich Grabbe u. a.

Inszenierung:   Kay Metzger
Ausstattung:   Michael Engel

Dramaturgie:   Christin Katzschmann

Musikalische Leitung:   Felix Lemke