Abschied und Bilanz

Intendant Kay Metzger wechselt von Detmold nach Ulm

Zur Donau! Zur Donau!

Ich stand der ganzen Ulmer Sache sehr skeptisch gegenüber – die Kleinstadt … Wir spielten in einer ehemaligen Schulaula, da das eigentliche Stadttheater, eines der ältesten deutschen und wohl auch schönsten, im Krieg zerstört worden war. [Die Bühne war winzig. Es gab 250 Plätze.] Und es gab praktisch keine Technik.“  (Peter Zadek: My Way. S. 279)  Das war 1959, als Peter Zadek seine deutsche Karriere in Ulm begann. Seither hat sich einiges geändert:

 

Als ältestes städtisches Theater Deutschlands sieht sich das (1641 gegründete) Theater Ulm (laut Wikipedia) immer noch. Doch seit 1969 verfügt das Drei-Sparten-Theater – neben dem kleinen „Podium“ - über ein neues Großes Haus mit 815 Plätzen und einer vornehmen Adressen: Herbert-von-Karajan-Platz 1 (der Dirigent hatte am Ulmer Theater sein erstes Engagement: von 1929 bis 1934 als Erster Kapellmeister). Bis 2017 wurde im Rahmen einer Generalsanierung „neben der Beseitigung baulicher Mängel auch die Technik auf den neuesten Stand gebracht“.

 

Adieu Detmold

So mag denn Kay Metzger sein Amt als neuer Ulmer Intendant guten Mutes antreten. Der Abschied von seiner alten Wirkungsstätte wurde schon mal offiziell zelebriert: Am 12.06.2018 (in Singapur spielten Trump und Kim gerade Welttheater) bereitete das Landestheater Detmold seinem bisherigen Leiter nach 13 Jahren eine prächtige Abschiedsvorstellung.

 

Chefdramaturg Dr. Christian Katzschmann (welcher Metzger nach Ulm begleiten wird) führte mit seinem trockenen Humor durch ein buntes Programm, das mit einzelnen Orchesterstücken und – gelegentlich leicht satirisch verfremdeten – Spielszenen die Erinnerung an einige vom „Chef“ verantwortete Inszenierungen wachrief. Unter dem Beifall des vollbesetzten Hauses bescheinigte der Vorsitzende des Aufsichtsrates, Landrat Dr. Axel Lehmann, dem scheidenden Intendanten, „Kultur für jedermann erlebbar“ gemacht zu haben. „Das Landestheater Detmold ist einer der wichtigsten lippischen Botschafter für Kultur, sein Ruf reicht weit über die Grenzen Lippes hinaus.“ Zum Abschluss verlieh er Kay Metzger die Ehrenmitgliedschaft des Landestheaters Detmold (wobei er – als typisch-sparsamer Lipper – das damit verbundene Anrecht auf eine Freikarte besonders hervorhob). 

 

Brigitte Bauma vom Betriebsrat verschwieg zwar nicht, dass zwischen ihr und dem obersten Chef nicht immer eitel Harmonie herrschen konnte. Allerdings verzichtete sie – weise – darauf, die Konflikte an diesem Abend auszubreiten. Stattdessen sorgte sie für unbändiges Vergnügen bei allen Anwesenden, indem sie die Titel sämtlicher – ca. 30 – Metzger-Inszenierungen gekonnt in einer skurrilen Kurzgeschichte unterbrachte. Brava!

 

 

13 Jahre Metzger - mein persönliches Resümee

Von Anfang an habe ich die Arbeit Metzgers am Landestheater Detmold kritisch beobachtet. Die Bilanz ist – wen wundert‘s? – „durchwachsen“.

 

Beginnen wir (nachdem vor wenigen Tagen der „Kultur für alle“-Apologet Hilmar Hoffmann gestorben ist) mit einem dicken Plus: In der Ära Metzger hat sich das Landestheater weit nach außen geöffnet. Beispielhaft: die Matineen, die ungefähr eine Woche vor (fast?) jeder Premiere angeboten werden: mal im Museum, mal in der Bank, mal im Autohaus. Dort hat das interessierte Publikum (es kommen mal 100, mal mehr) Gelegenheit, spannend dargebotene Hintergrundinformationen zu bekommen, einige Beteiligte (Regieteam, einzelne Darsteller) kennenzulernen und richtiggehend in das Stück hinein zu schnuppern. Gelegentlich habe ich (zugegeben: ohne die geringste Hoffnung auf Erfolg) vorgeschlagen, das eigentliche Stück abzusetzen und stattdessen die Matinee noch ein paar Mal zu wiederholen. –

 

Metzger vor der Jedermann-Bühne in der Luther-Kirche

Damit nicht genug: es gab Lesungen im Buchladen oder Treffen mit Theaterleuten „auf ein Glas Wein“ in der Weinhandlung. Metzgers Affinität zur Kirche ist zu verdanken, dass es nicht nur zu vielen Produktionen „Vis-a-vis“-Gottesdienste mit thematisch-passenden Predigten gibt, sondern dass so manche Aufführung gleich in der Kirche stattfindet („Judas“, „Jedermann“).

 

Zweiter Pluspunkt: das Bemühen des Theaters um den Nachwuchs. Das „junge Theater“ – mit eigener Spielstätte! – ist geradezu zur vierten Sparte geworden. Ich persönlich habe mich dafür wenig interessiert – aber schauen Sie doch mal unter http://www.landestheater-detmold.de/junges-theater

 

Die Spielpläne

Metzger mit seiner Mann(??)schaft bei einer Spielplan-Präsentation

Über Metzgers Spielplanpolitik kann man sicherlich diskutieren (wär‘ ja schlimm, wenn nicht). Man sollte ihm allerdings zugestehen, dass er hier einen Weg finden musste – wie er es in unserem Interview ausdrückte – „zwischen künstlerischer Kür und wirtschaftlicher Pflicht“. In aller Regel ist dabei eine gute Mischung herausgekommen aus Klassik und Moderne: viel Traditionell-Bewährtes für den „konventionellen“ Abonnenten und für den wirtschaftlichen Erfolg (das Landestheater hat zu Metzgers Zeiten immer seine Eigenfinanzierungsquoten geschafft), aber dazwischen immer hinreichend Neues, ja, durchaus auch Experimentelles fürs künstlerische Selbstverständnis – bis hin zum „Event“ für einen Schauspieler und einen Zuschauer.

 

Ein Amtsvorgänger Metzgers hat einmal gesagt, die schlechte Inszenierung eines Klassikers sei in der Regel immer noch besser, als ein durchschnittlich inszeniertes Gegenwartsstück. Da mochte er vielleicht sogar recht haben – aber hätte Schiller je zum Klassiker werden können, wenn nicht im 18. Jahrhundert mutige Intendanten seine - damals skandalös „modernen“ – Stücke auf die Bühne gebracht hätten? Unter Metzger hatte das Landestheater den Mut zum Gegenwartsstück – durchaus immer mal wieder mit Erfolg; und  wenn gelegentlich mal – gerade bei der einen oder anderen Uraufführung – ein Missgriff darunter war, so war doch der Mut des Provinztheaters zu loben, ein solches Wagnis einzugehen.

 

Tollkühn: der erste Ring der rollt

Gerade im Musiktheater bewies Metzgers Haus Mut. Natürlich denkt man dabei an den „Ring“ – für jedes Stadttheater dieser Kategorie ein riskantes Wagnis. Aber damit nicht genug: mit „dem ersten Ring der rollt“ bezeichnete Metzger stolz sein tollkühnes Unterfangen, mit einer Reisebühne erstmals Wagners Monumentalwerk auf Abstecher quer durch die Republik zu schicken. Der Lohn war Lob von nah und fern. Ralph Bollmann hat sogar seinen deutschen Opern(haus)führer den Titel „Walküre in Detmold“ gegeben (und die entsprechende Inszenierung knapp aber eindeutig gelobt).

 

Chlestakows Wiederkehr (Foto: Landestheater)

 

Vielleicht noch bemerkenswerter: die Wagnisse, die Metzger auf dem Felde zeitgenössischer Musik einging. Unvergessen: die „schräge“ (als Kompliment gemeint!) Uraufführungs-Inszenierung von Giselher Klebes „Chlestakows Wiederkehr“. Oder in neuerer Zeit:  Benjamins / Crimps Oper „Written on Skin“, die Detmold als erstes Stadttheater neben Bonn (in einer Inszenierung Metzgers) aufführte. Oder – ebenfalls von Metzger inszeniert – die Uraufführung von Alexander Munos „Sogno d’un mattino di primavera“ (Gewinnerstück des Giselher-Klebe-Preises). Und zuletzt: Powder her Face.

 

Selten überzeugend: Roman- und Film-Dramatisierungen

Geärgert hat mich die Häufung von Roman- und vor allem von Film-Dramatisierungen in Metzgers Theater. Auch wenn das eine oder andere Gelungene darunter war – meist war es vorhersehbar enttäuschend: von einem guten Roman geht einfach zu viel verloren, wenn er in einen Theaterabend gepresst wird; und vom Gesamtkunstwerk Film bleibt viel zu wenig übrig, wenn man auf einen Großteil von dessen technischen und personellen Möglichkeiten verzichtet.

 

Intendant und Regisseur dazu

„Ja, unbedingt!“ antwortete Metzger in unserem Interview auf die Frage, ob er – vor die Wahl gestellt – der bloße Regiearbeit den Vorzug geben würde vor der rein administrativen Tätigkeit eines nicht-inszenierenden Intendanten. Zum Glück konnte er in Detmold beides sein, und so wird Kai Metzger dem Theaterpublikum wohl vor allem als Regisseur von zahlreichen bemerkenswerten Inszenierungen in Erinnerung bleiben, wobei sich der Intendant auch nicht zu schade war, mal eine ordentliche Komödie fürs Hoftheater zu machen.

 

Der fliegende Holländer

Nicht immer war ich von seinen Arbeiten begeistert, natürlich nicht. Aber – soweit ich mich erinnere – hat er immer solides Handwerk abgeliefert. Und mehr als das: seinen Inszenierungen hat man in aller Regel angemerkt, dass ein durchdachtes Regiekonzept dahintersteckt. Beim Käthchen etwa, um ein jüngeres Beispiel zu nehmen. Oder ausdrücklich auch bei seiner Hermannsschlacht, auch wenn ich jenes Konzept kritikwürdig fand. – Und oft genug ist eben auch ein „Highlight“ dabei herausgekommen. Einige davon wurden schon genannt. Meine persönlichen Lieblinge: im Schauspiel der „Jedermann“. Und im Musiktheater: die Meistersinger! Auch sein Holländer im Kino, der beim Detmolder Publikum hörbares Grummeln auslöste, hat mir gut gefallen: gerade wegen des außergewöhnlichen, aber durchdachten und nachvollziehbaren Regiekonzepts. Überhaupt Wagner: entgegen der Behauptung, Wagner liebe man entweder oder hasse ihn, stand ich ihm jahrelang indifferent gegenüber. Das Landestheater, und hier nicht zuletzt Metzger, hat mich mit seinen Inszenierungen zum gemäßigten Wagner-Fan gemacht.

 

 

 

 

Jedermann

 

Und noch eines meiner persönlichen Highlights: Metzgers „Carmen“. Kurz nach der Detmolder „Carmen“ habe ich in Dresden die Inszenierung der Semperoper gesehen. Als Nicht-Musiker maße ich mir nicht an, die musikalische Qualität der beiden Aufführungen zu vergleichen. Aber die Inszenierung war in Detmold eindeutig besser!

 

Nochmal Zadek:

Mit Zadeks skeptischer Annäherung an Ulm haben wir begonnen. Schließen wir mit seinem Resumee: „Die drei Jahre Ulm erscheinen mir heute wie zehn Jahre – oder wie drei Jahre Paradies. Es war die reinste, ungestörteste Theaterzeit, die ich je erlebt habe“ (My Way. S. 329). – Ein gutes Omen für Kay Metzger!

 

Toi toi toi!