Alberner Blödsinn oder Groteske mit Tiefgang?

Düffels „Weltkrieg für alle“ auf der Grabbebühne

alle Fotos: Landestheater Detmold

WaSa    Detmold.     -     Ach je – schon wieder diese schwierige Entscheidung: Soll ich mich nun ärgern? Oder Spaß haben? Ärgern – weil ein so wichtiges und ernstes Thema wie „Krieg“ dermaßen albern verkackeiert wird? Dazuhin noch in einem Umfeld, in dem das Landestheater ernsthaft der Schrecken des Krieges gedenken will (ich habe die Aufführung während des „Themenwochenendes: 100 Jahre Erster Weltkrieg – 75 Jahre Zweiter Weltkrieg“ gesehen und war angesichts der Ästhetisierung des Hässlichen eh etwas genervt);   ja, als Teil einer Spielzeit, die unter dem Motto „Schlachten Feste Katastrophen“ ausdrücklich an die Weltkriege erinnern will:  an all die „Opfer auf allen Seiten und als Folge Vergeltung, Rache, Hass, neuerliche Katastrophen“ (Spielzeit-Vorschau).

 

 

Oder doch lieber Spaß haben – an den grotesken Situationen, den vergnüglichen Anspielungen, der witzigen Sprache? Will ich dem Landestheater einfach zugute halten, dass es nun mal auch einen „Unterhaltungswert durch Witz und Esprit“ bieten muss und dafür das „Lachpotential“ auch der großen Katastrophen ausnutzt? Schon bei den Athener Dionysien (dem ältesten Theater-Festival und –Wettbewerb der Geschichte) war es schließlich alljährliche Pflicht, auf jeweils drei Tragödien noch ein viertes, ein komisches Stück, das Satyrspiel folgen zu lassen (dem sich Autoren wie Euripides und Sophokles mit ebensoviel Eifer widmeten, wie ihren Tragödien).

 

Nach durchaus anspruchsvoller Kost (dem Anpasserstück „Mefisto forever“, der Tragödie des schwarzen Generals „Othello“ und diesem ausgesprochenen „Schlacht(-en)“-Stück „Gothland“) – genießen wir also die Farce in Form von John von Düffels „Weltkrieg für alle – Eine kurze Geschichte des Friedens“ auf der kleinen Grabbebühne.

 

Zu Beginn singt Alexandra „Mein Freund der Baum ist tot“, so dass wir wissen: Wir sind im legendären Jahr 1968, rücken aber schnell vor nach 1969: Mondlandung, Willy-Wahlen ... Nach drei CDU-Kanzlern folgen jetzt die sozialliberalen Jahre, die bis 1982 dauern sollten. Und danach, 1983, endet dann auch das Stück – mit einem Knalleffekt (der darin besteht, dass es NICHT knallt).

 

Diese bundesdeutsche Epoche wird am Beispiel der Familie Hansen abgehandelt: 

Papa/Opa Hansen (mal wieder hervorragend gezeichnet von Joachim Ruczynski) lebt allerdings noch 50 Jahre in der Vergangenheit, ist geistig nie aus dem Krieg (dem Ersten, dem Zweiten Weltkreig) heimgekehrt. Und so bekommt Alexandras früh-ökobewegtes Lied gleich eine ganz andere Bedeutung: beim „toten Baum“ handelt es sich um Hansens alten Kameraden, einen gefallenen Gefreiten namens Baum ...

 

„Baum“ will er deshalb auch seinen Enkel nennen: den kleinen Sohn seiner Tochter Helga (wunderschön flippig, auch als X-mas-Girlie: Anna Katharina Schwabroh), die es auf einer Willy-Wahl-Party völkerverbindend sowohl mit einem Ami als auch mit einem Russen getrieben hat; später werden sich die beiden als US-Präsident Ronald McReagan und als Russen-Klischee-Väterchen-Frost um den kleinen Deutschen streiten (Achtung: Allegorie!), welcher zunächst beinahe einen Franzosen zum Pflegevater bekommen hätte: 

 

Simon Breuer liefert zu Beginn eine herrliche Franzosen-Karikatur ab („Wir verdun überwinden die Feindschaft“), bevor er dann dem deutschen Sohn die Züge erst eines trotzigen Kleinkindes, dann eines vorpubertierenden Wenig-Bock-Teenies verleiht.

 

Tja, das war eigentlich schon die ganze Geschichte – und doch bietet dieses Geschichtchen eine Menge Gelegenheiten: dem Sprachhandwerker Düffel zum Beispiel, der hier die Platitüde („Man lebt nur einmal“) ebenso souverän einbaut wie den Kalauer (die harmlose Raucherfrage „Habt ihr mal Feuer?“ wird mit MG-„tactactactactac“ beantwortet), die Parodie auf die absurde Ost-West-Rüstungswettlauf-Rhetorik oder den wirklich gelungenen ironischen Aphorismus:  „Er hörte erst mit Schweigen auf, als er zu reden anfing“.  – 

 

Apropos Sprache: Ein Extralob für Joachim Ruczynskis herrliches Deutsch-Russisch (als Väterchen Frost) und für Jürgen Roths atemberaubendes Ami-Deutsch (dass das in seiner ausuuuuufernden Geschwätzigkeit mit der Zeit doch ziemlich nervt, hat nicht der Darsteller zu verantworten). 

Gute Gelegenheiten gibt es auch für Alexander Martynow: Gelegenheit, das eigentlich einfache Bühnenbild symbolisch aufzuladen: mit der (gerne auch als Bunker nutzbaren) Apollo-Mondlandekapsel auf der einen Seite und einem symbolbehafteten („Atomkraft – nein danke“) Mülleimer auf der anderen, in den im Laufe des Abends Unmengen von zeitgeschichtlichen Accessoires gestopft werden. Und Martynow nutzt die Gelegenheit, als Kostümbildner zu glänzen: mit einem märchenhaften Väterchen Frost und einem Klischee-Parteitagskitsch-Cowboy-Superman-Ami. 

Martynows Meisterstück ist allerdings Oma Ingrid Hansen (gewohnt souverän: Kerstin Klinder) und deren Outfit-Entwicklung: zunächst als biedere Hausfrau mit Trockenhaube (bei der man aber auch an Stahlhelm denken möchte);  dann als friedensbewegtes Hippie-Blümchenkind, das von einem revolutionären Frankfurter Taxifahrer schwärmt und den Enkel – anstatt „Baum“ – deshalb „Josch K.“ nennt; dann als alternative Power-Frau (Petra Kelly?) und schließlich als eine an den Zeitläuften verzweifelnde Gisela Elsner: „Ich bin eine Frau, die mit ihrem Traum von einem besseren Fischer gescheitert ist“. (An die Spätgeborenen: ich erkläre euch jetzt nicht, wer die alle waren: Alexandra, Willy, Ronald Reagen, Joschka Fischer, Petra Kelly, Gisela Elsner ... – ihr habt ja Wikipedia).

 

Zum Schluss gibts noch zwei Anhänge, die nicht unbedingt zu dieser Geschichte gehören, aber dem Verfasser offenbar wichtig sind: Die Präsidentenkarikatur McReagan verwandelt sich in einen seriösen Staatsmann, der staatstragende Worte in eine Kamera spricht, allerdings nicht in einem Fernsehstudio, sondern in seinem „Oral Office“, inclusive einer Monica Lewinsky – die allerdings einen ganz anderen Präsidenten geblowt hat (oder sollte womöglich Reagan auch ...?).

 

Und ein Auftritt des Sowjet-Offiziers Stanislaw Petrow, der 1983 (seltsamerweise bis heute fast unbeachtet von der Öffentlichkeit) den dritten Weltkrieg vermieden hat,  indem er die eindeutigen Meldungen des sowjetischen Frühwarnsystems von amerikanischen Raketenabschüssen – mit Recht – als Fehlalarm einschätzte und NICHT auf den „roten Knopf“ drückte. Düffel hat hier im wesentlichen ein Interview der „Frankfurter Allgemeinen“ vom 18.02.2013 mit Petrow einfach abgeschrieben. Er selbst hat seither in mehreren Interviews (unter anderem im Programmheft zur Detmolder Aufführung) die Auffassung vertreten, tatsächlich sei damals „die Welt definitiv untergegangen“ und wir befänden uns lediglich – wahlweise - in einer „second life Simulation im Himmel“ oder in „unserer zweiten Chance“ auf einer Art alternativem Science-fiction-Zeitstrang: „Und ich glaube, wir sind kurz davor,  diese zweite Chance zu vermasseln.“ ( Interview vom 18.05.2014)

 

Ist der kriegstraumatisierte Opa Hansen in Düffels Stück also gar nicht so verrückt, wenn er klagt: „Hört das denn nie auf?“

 

Landestheater Detmold / Grabbehaus:


Weltkrieg für alle

Eine kurze Geschichte des Friedens

 

Stück von John von Düffel

Premiere 22.01.2015

 

Besetzung:

 

Regie:     Swentja Krumscheidt

Ausstattung:     Alexander Martynow

Dramaturgie:     Christian Katzschmann

 

Helga Hansen u. a.:     Anna Katharina Schwabroh

Hans Heinrich Hansen / Väterchen Frost:     Joachim Ruczynski

Ingrid Hansen:     Kerstin Klinder

Josch K. / François / Petrow:     Simon Breuer

Ronald Mc Reagan:     Jürgen Roth