Ich bin, was ich bin („und das ist auch gut so“)
Kult-Musical „La Cage aux Folles“ am Landestheater Detmold
Wieso seltsam?
Während Tausende Musical-Besucher begeistert einen schwulen Travestie-Star bejubelten und sich von der Liebesgeschichte zweier Männer rühren ließen, war in Deutschland immer noch der berüchtigte „Schwulen-Paragraph“ § 175 aus Kaisers Zeiten in Kraft (der in Frankreich längst und in der DDR immerhin seit 1968 abgeschafft war). In der BRD war Homosexualität ab 1969 wenigstens Erwachsenen (ab 21) erlaubt. Lesbischen Müttern wurde bis in die 1980er Jahre das Sorgerecht für ihre Kinder entzogen. Erst 1994 – im Zuge der Rechtsangleichung zwischen BRD und DDR – wurde der § 175 in Deutschland ganz gestrichen. Da lief dieses Stück längst erfolgreich in zahlreichen deutschen Theatern.
Das Stück
Georges und Albin sind seit Jahrzehnten ein Paar. In Saint Tropez betreibt Georges den frivolen Travestie-Club »La Cage aux Folles«, in welchem Albin als schillernde Dragqueen „Zaza“ das Publikum bezaubert.
Gemeinsam haben sie Georges Sohn Jean-Michel großgezogen, wobei Albin die Stelle einer liebevollen Mutter übernommen hat. Nun will Jean-Michel heiraten – ein Mädchen! – Na gut, aber ausgerechnet Anne Dindon: Deren Vater ist Abgeordneter der erzkonservativen „Partei für Tradition, Familie und Moral“ und will sämtliche „unmoralischen“ Clubs schließen!
Nun muss Annes Eltern eine normale (spieß-)bürgerliche Familie vorgegaukelt werden – in welcher Albin keinen Platz hat. Für den bricht eine Welt zusammen, als er aus der gemeinsamen Wohnung ausquartiert werden soll. Doch dann wird er gebraucht: Er soll dem Besuch die Mutter Jean-Michels vorspielen. Das gelingt – fast. Doch im Eifer des Gefechts enthüllt er seine wahre Identität. Katastrophe! Bis zum (natürlich unvermeidlichen) Happy End braucht es dann noch einige Windungen … (nach: Landestheater)
Spaß und Ernst
Auf dem gewundenen Weg zum Happy End macht dieser „Käfig voller Narren“ eine Menge Spaß: mit Wortwitz und Situationskomik, mit frechem Bühnenbild und glitzernden Kostümen und – natürlich! - mit Tanz und Musik.
Kein Wunder – stammen Musik und Songtexte doch vom „Broadway-Großmeister“ Jerry Herman (der schon ca. 20 Jahre vorher mit „Hello, Dolly!“ Triumphe gefeiert hatte). In „Cage aux Folles“ begeistert er das Publikum mit „im Grunde simplen aber großartig orchestrierten Melodien“ lobt der musikalische Leiter Mathias Mönius, der darüber hinaus schwärmt:
„Als die Musical-Begleitung schon auf Bandgröße zu schrumpfen begann und Keyboards die Streicher und Bläser ersetzten, fährt Herman ein großes Orchester auf. Mit Saxofon, Gitarre und Drum-Set schafft er eine glitzernde Showatmosphäre, lässt aber auch Raum für intime Klänge: Violine und Akkordeon drücken sogar etwas auf die Tränendrüse. Kurz: schmissig - nostalgisch – melodienselig“. (Programmheft)
Bei aller Melodienseligkeit, bei allem Spaß darf man das gesellschaftliche Umfeld nicht vergessen, in welchem „Cage aux Folles“ entstanden ist: dieses „erste Musical, das in seiner Haupthandlung die Liebe eines gleichgeschlechtlichen Paares offen thematisiert“. Dass drei homosexuelle Männer (Autor Fierstein, Komponist Herman und der Uraufführungs-Regisseur Arthur Laurents) ein solches Stück an den Broadway brachten, wurde wohl nur „aus den Befreiungsschlägen der 68er-Bewegung heraus“ möglich. Doch in den 80er Jahren machte AIDS nicht nur die (sexuelle) Freiheit wieder zunichte, die Angst vor der „Schwulenkrankheit“ führte auch zu neuen Ressentiments gegen Homosexuelle. Die Ablehnung all dessen, was wir heute unter LGBTQ* zusammenfassen, grassierte ja nicht nur beim Abgeordneten Dindon und seiner „Partei für Tradition, Familie und Moral“. Mit welchen Ängsten die schwulen „Väter“ von „Cage aux Folles“ zu den Voraufführungen nach Boston („einer blaublütigen, konservativen und vorurteilsbeladenen Stadt“) gingen, sollten Sie in Jerry Hermans Erinnerungen nachlesen (abgedruckt im Programmheft).
Die Detmolder Inszenierung
Was ist das, was sich da zu Beginn auf der Bühnenwand abspielt? Der Urknall? Die rasend schnelle Entwicklung dieser unserer Welt über den Urmenschen hinweg bis in unsere (gefühlt?) so fragile Gegenwart? Mit all den verunsicherten Menschen, die zwar selbstbewusst behaupten möchten: „Wir sind, was wir sind!“ – sich dessen aber doch nicht sicher sein können: „… was wir sind, sind wir nur scheinbar …“. – Oder?
Tatsächlich: Sie sind, was sie sind – „und das ist auch gut so“ *)
Sie sind nämlich Menschen wie du und ich – und das zu zeigen, gelingt der Truppe unter Regisseur Randy Diamond (der auch den/die Albin/Zaza spielt) und seiner Co-Regisseurin Katajun Peer-Diamond ausnehmend gut. „In den Vordergrund“ ihrer Inszenierung stellen sie nämlich eine „tief romantische Liebesgeschichte“ – also eine gängige Opern-, Operetten-, Musical-Story. Nur halt nicht zwischen Mann und Frau, sondern zwischen Mann und Mann. Wenn man bei einem der ersten Auftritte von Albin/Zaza noch denkt: „Schwulen-Karikatur“, so verliert sich dieser Eindruck ganz schnell. Albins Enttäuschung über den Verrat seiner Familie, seine Einsamkeit und das gefühlige Versöhnungs-Tête-à-Tête mit Georges (überzeugend: Mike Garling): all das ist großes Theater!
Überhaupt: Großes Theater ist auch die Show insgesamt mit den bunten Kostümen, dem glitzernden Ambiente, der schmissigen Musik und den attraktiven Tänzer…(äh)…innen.
Dass die Detmolder das Stück etwas reduziert haben (Verzicht auf einige Nebenhandlungen und damit auf Schauplätze und Personal) freut wohl nicht nur den Kassenwart, es macht die Inszenierung auch schlanker, flüssiger, wenn man so will: konsumierbarer. Es schadet gewiss nicht, dass dadurch auch Albin/Zaza an Sympathie gewinnt: Die Szene, in der sich eine Tänzerin heftig über den notorisch unzuverlässigen Albin beschwert, ist gestrichen. Und dass am Ende das Happy End gar zu plötzlich und unvermittelt kommt, kann man der Inszenierung nicht vorwerfen – das ist schon im Originaltext so.
Erhalten bleibt eine Reihe von Highlights. Etwa die köstliche Szene, in welcher Albin „männliches Verhalten“ einüben soll – nicht etwa eine Ironisierung von „weibischem Getue“ von Schwulen als vielmehr eine Persiflage auf harte-Kerle-Allüren à la John Wayne. Ganz besondere Höhepunkte: die Darstellung der Tiefen und Höhen einer schwulen Existenz in einem – wo nicht feindlichen so doch verständnislosen – Umfeld: Albins Einsamkeit und Verzweiflung nach seiner Ausquartierung einerseits und andererseits das schon erwähnte gefühlige Versöhnungs-Tête-à-Tête mit George. Und schließlich – natürlich! -: der zentrale Song:
„I am what I am“
Dieser Song, dieses „Ich bin, was ich bin“, diese selbstbewusste Rechtfertigung Albins / Zazas wurde schnell
zum Welthit, wurde – etwa in der Fassung von Gloria Gaynor - zur Hymne der Schwulenbewegung und in
der Folge all der LGBTQ*-People.
Und heute? – Alles gut! – Oder?
Ungefähr zur Zeit der Detmolder Premiere von „Cage aux Folles“ meldet der SPIEGEL: „… die Polizeipräsidentin von Berlin hat gesagt, Juden und Homosexuelle sollten in manchen Quartieren der Stadt vorsichtig sein …“ (SPIEGEL, 2024/49, 30.11.2024, S. 28)
Und kurz davor wurden die offiziellen Zahlen über „LSBTIQ*-feindlich motivierte Straf- und Gewalttaten in Deutschland“ veröffentlicht:
„2023 wurden 1.499 Fälle im Bereich „sexuelle Orientierung“ und 854 Fälle im Bereich „geschlechtsbezogene Diversität“ gemeldet - ein Anstieg von Vorfällen gegen lesbische, schwule, bisexuelle und queere Menschen um 49 % und gegen trans, intergeschlechtliche und nicht-binäre Menschen um 105 % gegenüber 2022“
(LSVD - Verband Queere Vielfalt nach Bundeskriminalamt)
La lotta continua!
https://www.lsvd.de/de/ct/2445-Queerfeindliche-Gewalt
*) „Ich bin schwul und das ist auch gut so“ – damit outete sich der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, am 10.06.2001 als einer der ersten namhaften deutschen Politiker.
Landestheater Detmold:
La Cage aux Folles
Musik und Gesangstexte von Jerry Herman
Buch von Harvey Fierstein
Nach dem Stück »Ein Käfig voller Narren« von Jean Poiret
Besetzung
Musikalische Leitung Mathias Mönius
Regie Randy Diamond
Co-Regie Katajun Peer-Diamond
Choreografie Sean Stephens
Ausstattung Anike Sedello
Dramaturgie Katharina Schellenberg
Licht Udo Groll
Chor Francesco Damiani
Georges Mike Garling
Albin Randy Diamond
Jacob Heiner Junghans / Lifan Yang
Jean-Michel Nikos Striezel
Anne Dindon Laura Zeiger
Edouard Dindon Torsten Lück
Marie Dindon Brigitte Bauma
Jaqueline Marianna Nomikou / Franziska Pfalzgraf
Symphonisches Orchester
Opernchor des Landestheaters Detmold
Ballett des Landestheaters Detmold