Es waren zwei Königskinder …
Tennessee Williams‘ Erfolgsstück in Detmold – Enjoy it!
Shine bright like a diamond …
I choose to be happy
We're like diamonds in the sky
You're a shooting star I see
A vision of ecstasy
When you hold me, I'm alive
We're like diamonds in the sky
At first sight I felt the energy of sun rays
I saw the life inside your eyes
So shine bright, tonight you and I
We're beautiful like diamonds in the sky
Shine bright like a diamond
Shine bright like a diamond …
Sehnsucht – Begierde – Spaß
g.WaSa - Detmold - „Enjoy“ steht in Leuchtschrift über der jüngsten Inszenierung des Landestheaters Detmold - als unübersehbares Motto?
„Enjoy“: In meinen Lexika wird das übersetzt mit „Genieß es / Viel Vergnügen / Hab Spaß!“ – Im deutschen Titel des hier gespielten Stücks steht das Wort „Sehnsucht“, eine ziemlich verharmlosende Übersetzung des original-amerikanischen „desire“, das ja vor allem (gerade auch: sexuelle) Begierde bedeutet.
Sehnsucht – Begierde – Spaß: ist es also dieses Dreieck, in dem sich die Detmolder Inszenierung von „A Streetcar named Desire / Endstation Sehnsucht“ abspielt? In dem sich die zweifelhafte „Heldin“ Blanche DuBois bewegt? Besser: Das Dreieck, in dem Blanche gefangen ist?
Das Stück
Diese Blanche DuBois, ca. 30 Jahre alt, ist der letzte Spross einer einst glanzvollen Südstaaten-Aristokratie, ein letztes Überbleibsel der romantischen Gloire des alten Südens; doch die Gloire ist verblasst, das Vermögen der einst mächtigen Dynastie ist längst zerronnen, die Plantage zugunsten der Hypotheken-Gläubiger verschleudert. Mit viel Mühe und letztlich vergebens versucht Blanche, das aristokratische Flair aufrecht zu erhalten. Ihren Lebensunterhalt verdient sie als Lehrerin, indem sie versucht, irgendwelchen Vorstadt-Romeos Respekt für Hawthorne und Whitman beizubringen (großes Zutrauen in die literarische Bildung seiner Zuschauer hat das Landestheater nicht – vorsichtshalber hat man diese Namen durch „Shakespeare“ ersetzt); doch beherrscht wird Blanche von ihrer Sehnsucht/Begierde. Zum Verhängnis wird ihr, dass sich diese Begierde vorzugsweise auf sehr junge Männer richtet (womöglich verursacht durch ein traumatisches Erlebnis in ihrer Jugend). Als sie einen 17jährigen verführt, verliert sie ihren Job als Lehrerin. Als einzige Zuflucht bleibt die schäbige Zweizimmer-Wohnung ihrer jüngeren Schwester Stella, die schon vor Jahren vor dem Bankerott der alten Kultur geflohen ist und sich in eine Ehe mit dem Macho Stanley Kowalski gerettet hat, einem Kind polnischer Einwanderer, Vertreter eines neuen, proletarischen Yankee-Amerika.
(Mehr zu dem Stück – einem der bedeutsamsten „Klassiker“ der amerikanischen Moderne – und zum Verfasser – einem der großartigen Südstaaten-Autoren – in meinem Kommentar zu der Paderborner Inszenierung ).
Der Regisseur
Martin Pfaff, ist seit Beginn dieser Spielzeit Schauspieldirektor am Landestheater Detmold. Seinen Einstand hat er mit einer leichten Boulevard-Komödie gegeben und sich dann auch noch ein „EVENT“ genanntes Experiment geleistet. Dabei hätte ich eigentlich erwartet, er würde die „Ära Pfaff“ programmatisch mit einem „großen“ Stück eröffnen (der „Faust“ hätte sich dafür geradezu angeboten!). Denn schließlich hat Pfaff das Detmolder Publikum als Gastregisseur jahrelang mit gelungenen Regiearbeiten verwöhnt, vom Klassiker („Kabale und Liebe“) über die volkstümliche Klamotte („Charleys Tante“) bis zum anspruchsvollen Gegenwartsstück („Am schwarzen See“) – lauter solide, handwerklich einwandfreie Inszenierungen von ordentlichen Stücken, in aller Regel dicht am Original, ohne deshalb auf eigene Regie-Akzente zu verzichten! – Und so sah ich durchaus mit Spannung seiner ersten Inszenierung eines „ordentlichen Stückes“ als frischgebackener Detmolder Schauspieldirektor entgegen …
Inszenierung und Ausstattung
Und? Was hat uns der neue Schauspieldirektor geboten? – Eine solide, handwerklich einwandfreie Inszenierung, dicht am Original, ohne deshalb auf eigene Regie-Akzente zu verzichten! Bravo!
Ausstatterin Petra Mollérus hat das Stück in seiner Entstehungszeit (1947) belassen. Die von ihr gestaltete Wohnung gleicht in ihrer ausgesucht-biederen Hässlichkeit fast aufs Haar der Kleine-Leute-Wohnung meiner Eltern in den 50er Jahren – mit diesem pastell-bunten Küchen-Buffet (das zur Erneuerung alle paar Jahre in neuen Farben gestrichen wurde, anstatt gleich die ganze Einrichtung zu ersetzen). Lediglich das Piano passt nicht so recht in dieses proletarische Ambiente (doch das wird später gebraucht, damit die Schwestern singen können: „We're beautiful like diamonds in the sky“).
Und in diesem Einheits-Bühnenbild spielt also die ganze Geschichte. Die von Tennesse Williams gewünschte Öffnung nach außen, zur Straße hin, entfällt – und damit entfällt das New-Orleans-Flair dieser „Elysische Gefilde“ genannten Straße mit ihrer „Atmosphäre des Verfalls“, aber auch ihrem „flotten Charme“. Da können dann auch gleich all die Mini-Rollen gestrichen werden, mit denen der Autor die melting-pot-Folklore der Südstaaten-Metropole illustriert: von „a negro woman“ bis zur mexikanischen Blumenverkäuferin …:
Ein Kammerspiel - Die Personen
So wird das Stück zum Kammerspiel, ganz konzentriert auf die vier Hauptpersonen: die ziemlich derangierte Südstaaten-Grande-Dame Blanche (Natascha Mamier): die Prinzessin, die sich nach dem Prinzen in Gestalt eines Ölmilliardärs sehnt, aber eigentlich schon über den braven Retter von nebenan froh wäre; ihre Schwester Stella (Nicola Schubert), die’s gewohnt ist, die zweite Geige zu spielen: sich früher der dominanten älteren Schwester untergeordnet hat, heute dem mindestens ebenso dominanten Ehemann Stanley Kowalski (Robert Oschmann); und schließlich ist da noch Mitch (Christoph Gummert), der langweilige aber solide Poker-Kumpel Stanleys – und für Blanche die letzte Hoffnung, doch noch einen Ehemann abzukriegen und „versorgt“ zu sein.
Gemeinhin kennt man dieses Stück als Auseinandersetzung zwischen den Protagonisten Blanche und Stanley: überlebte Südstaaten-Grandezza gegen vitale Yankee-Hemdsärmeligkeit. In Martin Pfaffs Inszenierung verschiebt sich der Akzent hin zu einer tragischen Königskinder-Beziehung: Mitch und Blanche hätten sich so gerne liebgehabt, aber der Graben war einfach viel zu tief. Im Fokus steht die Entwicklung des Verhältnisses dieser beiden Suchenden, mit dem Höhepunkt einer – sowohl hinsichtlich der Inszenierung als auch der schauspielerischen Leistungen! - wundervollen Szene: dem nächtlichen tête-à-tête, bei dem sich die beiden nach allen Regeln der Kunst auf ihre Eignung als Ehepartner abklopfen und sich tatsächlich näher kommen – rundum stimmig, bis ins Detail (etwa die geradezu poetische Art, in der Mitch die Aufgabe löst, Blanche hochzuheben).
In dieser Konstellation passt es sehr wohl, dass Blanche am Schluss nicht (nur) von dem brutalen Stanley vergewaltigt wird, sondern zunächst einmal vom braven Mitch, der nun mal in den moralischen Vorurteilen jener Zeit befangen ist: wenn sie schon nicht die Heilige ist, die ich meiner Mutter vorstellen kann, dann muss sie ja wohl die Hure sein, die beliebig verfügbar ist!
Sehnsucht – Begierde – Genuss
So erweisen sich am Ende die Sehnsüchte Mitchs und Blanches nach einer ordentlichen Durchschnittsexistenz als unerfüllbar (von einer glücklichen Zweierbeziehung ganz zu schweigen). Dafür hat Blanche in der Vergangenheit zu leicht(fertig) ihren Begierden nachgegeben. Und Genuss? Anno 2016 mag man Stella kaum glauben, dass sie mit dieser „Bestie Mann“ glücklich ist, nur weil „„es Dinge gibt, die zwischen Mann und Frau im Dunkeln geschehen, die alles übrige unwichtig erscheinen lassen“. Als einziger Genussmensch bleibt der erdverbundene Stanley, der sein Leben wie selbstverständlich genießt: seine Position als Chef des Bowlingvereins, seine feucht-fröhlichen Pokerrunden, den Sex mit seiner attraktiven Frau … Kaum ein Zuschauer dürfte sich wundern, wenn zum Ende des Stücks das leuchtende „Enjoy“ verlischt.
Doch sie, die Zuschauer, haben es wohl genossen (der Beifall lässt es vermuten): das herausragende Stück, die durchdachte Inszenierung, die wunderbaren Darsteller!
PS: „Endstation „Sehnsucht“ in Paderborn
Auch in Paderborn steht „Endstation Sehnsucht“ auf dem Spielplan ( mehr ) Gelegentlich höre ich ein vorwurfsvolles „die könnten sich doch besser abstimmen“, wenn mal zwei Theater in der Region dasselbe Stück auf dem Spielplan haben. – Ja, könnten sie! Aber anders rum! Ich habe es immer genossen, vergleichen zu können, Man schwärmt immer vom „Reichtum der deutschen Stadttheater-Landschaft“ – gerade hier, im Vergleich, ist dieser Reichtum praktisch-sinnlich erlebbar: Wie setzen verschiedene Theater den Text um? Da erkennt man, wie wichtig doch das Regietheater ist! Wenn man – zum Beispiel – auf eine Entfernung von 40 Autominuten sieht, wie ein hervorragendes Stück in zwei hervorragenden, und doch so unterschiedlichen Inszenierungen auf die Bühnen gebracht wird!
(Nächste Vorstellungen in Paderborn: 30.01. / 04.02. / 06.02.2016)
Landestheater Detmold:
Endstation Sehnsucht (A Streetcar Named Desire)
von Tennessee Williams
Deutsch von Helmar Harald Fischer
Regie: Martin Pfaff
Ausstattung: Petra Mollérus
Dramaturgie: Christian Katzschmann
Stanley: Robert Oschmann
Blanche: Natascha Mamier
Stella: Nicola Schubert
Mitch: Christoph Gummert
Steve: Hartmut Jonas
Eunice: Julia Hinze
Pablo: Jürgen Roth
Arzt: Joachim Ruczynski
Krankenschwester: Lydia Voigt
junger Kassierer: Marius Matthewes / Ruben Michael
Weitere Vorstellungen:
Mi, 3.2./ So, 7.2./ Di, 23.2./ Sa, 13.3./ Mi, 23.3./ Fr, 15.4./ Sa, 23.4./ So, 8.5.2016