Endstation Triebwagen

Sehenswert: Tennessee Williams Erfolgsstück in Paderborn

Alle Fotos: Theater Paderborn - Christoph Meinschäfer

Der Autor

g.WaSa     -     Paderborn     -     Tennessee Williams (Thomas Lanier Williams;  * 1911 in Columbus, Mississippi,  + 1983 in New York) ist einer der großen Südstaatenautoren. Er selbst war eher zart-kultiviert als derb-männlich (wenn man so will: eher Blanche als Stanley). Seinem Vater – oft als Erfolgsmensch und grober Familientyrann charakterisiert – war dieser Sohn suspekt, gerade auch seine literarischen Neigungen; der Vater zwang ihn, sein Studium der Publizistik und Theaterwissenschaft abzubrechen und stattdessen seinen Lebensunterhalt in einer Schuhfabrik zu verdienen. Dass Tennessee Williams mit seiner Homosexualität ziemlich offen umging, machte ihm das Leben in der fundamentalistisch-religiösen Machogesellschaft des amerikanischen Südens der 40er und 50er Jahre auch nicht gerade einfacher. Später hatte er Alkohol- und Drogenprobleme.

 

Auch wenn umstritten ist, was alles an seinen Stücken biographisch ist, so sind doch Parallelen zwischen seinem Leben und seinen Texten unverkennbar.

 

Das Stück

Natascha Heimes (Blanche)

Endstation Sehnsucht“, uraufgeführt 1947, war nach der „Glasmenagerie“ (1944) der zweite große Erfolg des Dichters (Pulitzerpreis; legendäre Verfilmung durch E. Kazan mit Marlon Brando als Stanley Kowalski).

 

Hier stößt die romantische Gloire des alten Südens auf den nüchtern-brutalen Pragmatismus des modernen Amerika – jeweils verkörpert in den beiden Protagonisten des Stücks: Blanche DuBois ist der letzte Spross einer einst glanzvollen Südstaaten-Dynastie; doch die Plantage ist längst verschleudert, das Vermögen zerronnen; mit viel Mühe und letztlich vergebens versucht Blanche, das aristokratische Flair aufrecht zu erhalten. Und diese ziemlich zerzauste Scarlett-O’Hara-Wiedergängerin stößt auf Stanley Kowalski: Kind polnischer Einwanderer, ungehobelter, rüder Macho, stolz darauf, Bürger der mächtigsten Nation der Welt zu sein: des modernen, geschäftstüchtigen Yankee-Amerika.

St. Weigelin (Stanley), A. Ostapenko (Stella)

Blanches jüngere Schwester Stella hat sich vor dem Bankrott der alten Kultur in eine Ehe mit Stanley geflüchtet. Dass dieser „eine andere Art Mann“ („a different species“) ist, als die „Gentlemen“, mit denen sie einst als Plantagenerbin auszugehen pflegte, nimmt sie in Kauf – schließlich „gibt es Dinge, die zwischen Mann und Frau im Dunkeln geschehen, die alles übrige unwichtig erscheinen lassen“.

 

Endstation Sehnsucht“ heißt im Original „A Streetcar Named Desire“; und oft genug wurde darauf hingewiesen, dass mit dem deutschen Begriff „Sehnsucht“ eine wesentliche Dimension des originalen „Desire“ unterschlagen wird, nämlich: Verlangen, Begehren, Begierde, bis hin zu Trieb*). Deshalb wurde gelegentlich (wohl nicht ganz ernsthaft) vorgeschlagen, den deutschen Titel in „Triebwagen Sehnsucht“ umzubenennen.

N. Heimes (Blanche)

Diesem Trieb sind die drei Hauptfiguren ausgesetzt; bei Stella und Stanley ist er legitimiert durch die Ehe. Doch am stärksten beherrscht der Trieb Blanche – vermutlich psychologisierend zu erklären durch ein traumatisches Jugenderlebnis: die 16jährige war unsterblich verliebt – bis sie den Geliebten mit einem anderen Mann erwischt; als sie ihm ihren Ekel unter die Nase reibt, erschießt er sich. Seither sucht sie Liebe und Geborgenheit bei immer neuen Männern – vorzugsweise sehr jungen Männern. Angesichts der Moral der Zeit – wonach Männer jedes Anrecht auf Huren haben, Frauen immer Heilige sein müssen – wird sie damit schnell zur Außenseiterin; als sie einen 17jährigen verführt, verliert sie ihren Job als Lehrerin. Ihre letzte Hoffnung ist Mitch, der langweilige aber solide Poker-Kumpel ihres Schwagers. Als aber Stanley seinen alten Freund über Blanches schlechten Ruf aufklärt, reagiert der wie alle Männer in Blanches Leben: er will zwar noch den Sex, den sie ihm bisher – angeblich tugendhaft - verweigert hat, aber heiraten will er sie nicht mehr: „You‘re not clean enough to bring in the house with my mother“  (in Paderborn wird das ziemlich gespreizt formuliert: „Sie sind nicht achtbar genug …“).   

Die Inszenierung

Judith Kuhnerts fast dreistündige Paderborner Inszenierung weist einige Längen auf. Dabei wurde bereits kräftig gestrichen: das bunte Straßentreiben, die ganze „Neger“-Folklore und damit das New-Orleans-Lokalkolorit fallen ersatzlos weg. Wenigstens die musikalische Grundierung scheint auch in Paderborn immer wieder durch.  – Angenehmer Nebeneffekt der Kürzungen: dass auf die ganzen Randfiguren (Straßenhändler, Seemann, Blumenverkäuferin …) verzichtet werden kann. Auch die erste atmosphärische Einführung in Stans und Stellas Lebensverhältnisse fehlt. Die Inszenierung beginnt mit Blanches Auftritt.

N. Heimes (Blanche), St. Weigelin (Stanley)

Damit wird die Handlung noch stärker als im Original auf die beiden Hauptfiguren fokussiert: auf den zupackenden selbstsüchtigen Macho Stanley und auf die in ihren Träumen verharrende, in ihren eigenen Lügen verfangene Blanche („In meinem Herzen habe ich nicht gelogen – ich habe die Dinge nur nicht so dargestellt, wie sie sind, sondern wie sie sein sollten“). Auch der Öl-Millionär, von dem die Original-Blanche schon recht früh als „weißem Ritter“ träumt, wird in Paderborn erst gegen Ende – und dann ziemlich unvermittelt – angesprochen.

St. Weigelin (Stanley), N. Heimes (Blanche)

Es ist unvermeidlich,  dass sich zwischen Stan und Blanche eine sexuelle Spannung aufbaut. Stans Behauptung in der finalen Vergewaltigungsszene, dieses „Date“ hätten sie von Anfang an gehabt, wird in Paderborn geschickt bestätigt, wenn Blanche schon ziemlich früh das Luder gibt, das den Schwager massiv anmacht. Nachvollziehbar ist auch, dass in Paderborn die Vergewaltigung nicht im Bett, sondern in der Badewanne stattfindet, also am Ort von Blanches obsessiv praktizierter „Hydrotherapie“. Etwas rätselhaft:  warum Blanche in Paderborn neben ihrem Badewannen-Tic auch noch einen Ventilator-Tic haben muss.

 

Die Paderborner Inszenierung endet mit einem Paukenschlag: Nach der Vergewaltigung durch Stanley hat Blanche endgültig ihren Verstand verloren. In der letzten Szene wird sie von einem Irrenarzt abgeholt. Der Originaltext lässt ein bisschen Hoffnung: Man mag sich eine Blanche vorstellen, die im Sanatorium weiter lebt, als wäre es ein schöner Traum – „Belle rêve“, wie ihr altes Gutshaus hieß, im Idealfall behandelt von charmanten jungen Ärzten … In Paderborn brezelt sie sich nochmal auf: Talmi-Diadem und goldene Schuhe … Ein letztes Mal hört man das schrille Fahrgeräusch der Straßenbahn, das die sensible Blanche schon oft an diesem Abend erschreckt, verstört hatte (während es von der robusten Stella stoisch ignoriert wurde). Jetzt reißt sich Blanche vom Doktor los und rennt hinein in diesen Krach.

 

Endstation Triebwagen?

 

 

 

Ausstattung und Personen

N. Heimes (Blanche), A. Wilß (Mitch)

Gesine Kuhn hat sich eng an T. Williams Vorgaben für das Bühnenbild gehalten: die schäbig-kleinbürgerliche Erdgeschoss-Wohnung der Kowalskis wird auf der Drehbühne immer passend präsentiert, eine mächtige Treppe führt ins Obergeschoss; in einer Art witzigem Verfremdungseffekt wird schon mal eine Wand beiseite geschoben.

St. Weigelin (Stanley), N. Heimes (Blanche)

Die Kostüme verweisen in eine zeitlose Gegenwart und unterstreichen die Persönlichkeiten: Stanley (Stephan Weigelin) im Holzfällerhemd oder T-Shirt (gern auch mal oben ohne): der Prolet; Stella (Alexandra Ostapenko) in Hotpants: sexy Prekariats-Outfit; Mitch (Alexander Wilß): ordentlich, der Biedermann in Person. Und Blanche (Natascha Heimes): nach dem Motto „Kleider machen Leute“: die Pracht der großen Garderobe ist inzwischen ziemlich abgeschabt … so wie auch Blanches Vornehmsein etwas zerschlissen ist: wie entsetzt ist sie, als ihr Schwager seine Stiefel auf den Tisch stellt, wenn sie Cola nicht im Glas serviert bekommt, sondern aus der Flasche trinken soll – doch wenn sie allein ist, dann landen auch ihre Schuhe mal auf dem Tisch, dann schmeckt der Schnaps auch aus der Flasche

Fazit

Eine überzeugende Inszenierung, dicht am Original (Neologismen wie „Alles roger in Kambodscha“ bleiben seltene Ausnahme), geschickt konzentriert auf die Spannung zwischen den beiden Protagonisten Blanche und Stan, wobei die – nennen wir’s mal – sekundären Hauptfiguren Stella und Mitch noch Raum finden für die Ausbildung eigener Charaktere. Ich hatte den Eindruck, dass die vier Darsteller ihre Sache ganz gut gemacht haben – so richtig beurteilen ließ sich das aus der Entfernung (12. Reihe) nicht mehr.

 

Das Premierenpublikum hat den verdienten zufriedenen Applaus gespendet.

 

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*) desire: 1 strong longing; strong sexual attraction; … earnest wish;  2 request;  3 thing that is wished for  (Oxford Advanced Learner’s Dictiononary of Current English. – London 1974)

 

 

 

PS: "Endstation Sehnsucht" in Detmold

Foto: Landestheater Detmold

Auch in Detmold steht „Endstation Sehnsucht“ auf dem Spielplan ( mehr  ) Gelegentlich höre ich ein vorwurfsvolles „die könnten sich doch besser abstimmen“, wenn mal zwei Theater in der Region dasselbe Stück auf dem Spielplan haben. – Ja, könnten sie! Aber anders rum! Ich habe es immer genossen, vergleichen zu können, Man schwärmt immer vom „Reichtum der deutschen Stadttheater-Landschaft“ – gerade hier, im Vergleich, ist dieser Reichtum praktisch-sinnlich erlebbar: Wie setzen verschiedene Theater den Text um? Da erkennt man, wie wichtig doch das Regietheater ist! Wenn man – zum Beispiel – auf eine Entfernung von 40 Autominuten  sieht, wie ein hervorragendes Stück in zwei hervorragenden, und doch so unterschiedlichen Inszenierungen auf die Bühnen gebracht wird! 

 

 

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Theater Paderborn:

Endstation Sehnsucht

von Tennessee Williams

Deutsch von Helmar Harald Fischer

 

Premiere 30.10.2015

Weitere Vorstellungen 08.11. / 14.11 . / 29.11.  / 03.12. / 11.12.

 

 

Regie                               Judith Kuhnert

Bühne & Kostüme           Gesine Kuhn

Dramaturgie                     Birgit Lindermayr

Sounddesign                   Alexander Wilß und Martin Zwiehoff

 

 

Blanche                           Natascha Heimes

Stella                               Alexandra Ostapenko

Stanley                            Stephan Weigelin

Mitch                                Alexander Wilß

Eunice                             Kirsten Potthoff

Steve                                David Lukowczyk

Pablo                               Willi Hagemeier

Ein Arzt                            Manfred Schlaffer

Ein junger Kassierer      Markus Schultz