Hyäne des Schlachtfelds

Trotz irritierender Regieeinfälle: Beeindruckende „Courage“ in Paderborn

 

„Will vom Krieg leben

Wird ihm wohl müssen auch was geben.“

 

(Feldwebel in „Mutter Courage“, 1. Bild)

 

g.wasa     -     Paderborn.     -     Der Dreißigjährige Krieg scheint zurzeit „in“ zu sein: Auf der SPIEGEL-Bestsellerliste stehen sowohl unter „Belletristik“ als auch unter „Sachbuch“ Werke zum Thema: Daniel Kehlmanns „Tyll“ und Herfried Münklers „Der Dreißigjährige Krieg“; dazuhin führte der SPIEGEL mit dem Historiker Münkler ein Gespräch darüber, „was der Dreißigjährige Krieg mit heutigen Kriegen zu tun hat“; es erschien (am 28.10.17, Heft 44/17) rechtzeitig vor der Paderborner Premiere von „Mutter Courage“, von Brechts Lehrstück über eben jenen Dreißigjährigen Krieg.

 

In welchem Krieg sind wir eigentlich?

Ein Stück über eben jenen Dreißigjährigen Krieg? Der zwischen 1618 und 1648 Europa verwüstete? Man möchte daran zweifeln, wenn in Paderborn (sozusagen) der Vorhang aufgeht und man mit Stukalärm beschallt wird. Eva Brunner mit ihrem Chanson „Lasst die Trommel ruhen“ könnte auch eine Diseuse aus einem 20er-Jahre-Kabarett sein, wenn nicht gar eine Konzertsängerin, die zum Liederabend antritt (ob ihr Pelzmantel frisch aus einer edlen Boutique kommt oder ein nach sechs Jahren Krieg mottenzerfressener Lumpen ist, lässt sich aus der Mitte des Zuschauerraumes nicht unterscheiden).

 

(alle Fotos: Theater Paderborn / Meinschäfer)

(Und ob die Uniformen der Militärs nun eher der Wehrmacht, der Bundeswehr oder der US-Army nachempfunden sind, bleibe dahingestellt – jedenfalls haben sie nichts mit folkloristisch-bunten Landsknechts-Kostümen zu tun. So wie auch die Waffen nicht aus frühneuzeitlichen Waffenschmieden kommen, sondern von den Firmen Colt oder Mauser.

 

Vor allem aber: hier schleppt die Courage-Sippe nicht ihren Marketender-Karren über die Bühne, so wie einst Helene Weigel oder Therese Giese, sondern kommt im Auto angefahren, einer Art (ziemlich altersschwachem) amerikanischem Straßenkreuzer. Wo sind wir also? In einem der Kriege, welche die USA nach dem 11. September 2001 geführt haben? Auf dem Balkan? In Syrien? In der Ost-Ukraine?

 

Der Krieg als Geschäftsmodell

Egal: Am Beispiel einer jeden dieser Auseinandersetzungen ließe sich demonstrieren, was laut Brecht:

 

„eine Aufführung von ‚Mutter Courage‘ hauptsächlich zeigen soll“, dass nämlich „die großen Geschäfte in den Kriegen nicht von den kleinen Leuten gemacht werden. Dass der Krieg, der eine Fortführung der Geschäfte mit andern Mitteln ist, die menschlichen Tugenden tödlich macht ...“

 

Diese Absicht Brechts schimmert in Malte Kreutzfeldts Inszenierung immer wieder durch – einerseits -, auch wenn sie – andererseits - immer wieder hinter den Regie-Ideen zu verschwinden droht.

 

Irritierende Regie-Ideen

 

 Da ist (vielmehr: ist nicht) zunächst der Planwagen, in dem sich die  Interessen dieser Anna Fierling bündeln, die Geschäftsinteressen dieser Marketenderin, genannt Mutter Courage (Eva Brunner), welche vom Krieg lebt (und dadurch gezwungenermaßen: mit dem Krieg). Dass wir anstelle dieses Wagens in der ersten Hälfte des Abends einen Cadillac sehen – kein Problem. Aber warum ist er nach der Pause ganz verschwunden? Warum stehen nur noch die ausgebauten Sitze herum? Die fahrende Händlerin verliert so ihre Mobilität. Und es fehlt plötzlich das Symbol für ihren fortwährenden Abstieg und für den allmählichen Verlust ihrer Familie: bei Brecht wird der Wagen im Verlauf des Krieges immer ärmlicher und schäbiger; und wird er zu Beginn noch von zwei starken Söhnen gezogen, so müsste sich die Courage, nachdem ihr der Krieg all ihre Kinder genommen hat, am Ende eigentlich selbst vor den Karren spannen; in Paderborn muss sie ersatzweise ihre tote Tochter über die Bühne zerren.

 

Auch ein paar andere Regieeinfälle irritieren: gleich im ersten Bild gerät der Wahrsage-Hokuspokus ermüdend lang; die Hinfälligkeit des alten Obristen wird grotesk übertrieben. – Paul Dessaus Begleitmusik wird von der im Bühnenhintergrund platzierten Combo perfekt eingespielt - wozu bedarf es da noch eines alten Plattenspielers, aus welchem dem aus der Pause zurückkehrenden Besucher ein Weihnachtsmedley entgegenschallt (White Christmas, Jingle Bells …)? Und schließlich: das vorletzte Bild, wie die stumme Tochter Kattrin ihr Leben opfert, um die Stadt Halle vor einem Überfall feindlicher Truppen zu warnen -  üblicherweise eine der beeindruckendsten, berührendsten Szenen des Stücks; hier wirkt sie in ihrem Aufbau arg improvisiert und zudem in ihrem – vom Originaltext abweichenden – Verlauf nicht ganz logisch. Schade drum.

 

 

Schluss mit der Kritik – kommen wir zum redlich verdienten Lob …

… für die eine oder andere witzige Miniatur: wenn etwa die Schauspieler das heftige Rütteln des Autos auf kriegszerstörten Straßen simulieren. Vor allem aber: Lob für Personenführung und Schauspielerleistung: wenn Max Rohland den Opportunismus des Feldpredigers zeigt; wenn Alexander Wilß als frauenverstehenden Koch ganz gut und Kirsten Potthoff als Lagerhure durch Einsatz ihres attraktiven Körpers gar mit Gewinn durch den Krieg kommt. Vor allem die Kinder der Courage haben furiose Auftritte: Ogün Derendeli als Schweizerkas, der in seiner himmelschreienden Naivität auch dann noch selbstmörderisch-ehrlich bleibt, wenn rundum alles zugrunde geht. Tim Tölke als großspuriger Eilif, der als Soldat für seine Untaten ausgezeichnet wurde und als Zivilist dafür – grandios-deprimierend! – zur Hinrichtung geführt wird.

 

Und schließlich wunderbar als Kattrin: Gesa Köhler. Die empathische stumme Tochter ist eigentlich immer eine Paraderolle. Aber noch nie habe ich sie derart grausam-anrührend gesehen wie hier, wenn sie brutal geschlagen und vergewaltigt von ihrem Botengang zurückkehrt.

 

Diese Szene allein würde schon ausreichen, die Quintessenz aus Brechts oben zitierter Anforderung an eine „Mutter Courage“-Inszenierung zu erfüllen: zu zeigen,

 

„dass für die Bekämpfung des Krieges kein Opfer zu groß ist.“

 

 

 

 

 

 

Theater Paderborn – Westfälische Kammerspiele:

 

Mutter Courage und ihre Kinder 

von Bertolt Brecht, Musik von Paul Dessau

 

Regie:                                         Malte Kreutzfeldt 

Ausstattung:                                Nikolaus Porz

Musikalische Leitung:                  Michael Erhard

Dramatugrie:                               Daniel Thierjung 

 

Mutter Courage:                          Eva Brunner

Eilif/Ein Soldat:                            Tim Tölke

Schweizerkas/Ein Soldat:           Ogün Derendeli

Kattrin:                                        Gesa Köhler

Koch:                                           Alexander Wilß

Feldprediger:                               Max Rohland

Yvette Pottier:                              Kirsten Potthoff

Feldwebel/Der Einäugige/

   Ein Soldat:                                David Lukowczyk

Werber/Schreiber/Bauer:             Denis Wiencke

Feldhauptmann/Obrist/

   Ein Soldat:                                Willi Hagemeier

Sohn/junger Soldat:                     Jelle Altmiks / Till Bäsner

Eine Mutter/Eine Bäuerin:           Bettina Hammelrath / Vanessa Hillemeier

 

Drums                                         Clemens Ohlendorf

Bass                                           Daniel Le-Van-Vo

Reeds                                         Sven Hoffmann / Thorsten Floth

Piano                                          Michael Erhard

 

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