Präsidentinnen in kleinstbürgerlicher Wohnküche 

Werner Schwabs Groteske am Theater Paderborn

 

Ja ist DENN das DENN ein Theaterstück,

nur weil es grässlich ist und brutal?

(Werner Schwab)

 

(alle Fotos: Theater Paderborn / Kreft)

g.wasa     -     Paderborn.     -     Bei der Vorbereitung auf die Paderborner Inszenierung von Werner Schwabs „Präsidentinnen“ bin ich unter anderem auf die Kritik einer Wiener Inszenierung gestoßen, in der es sinngemäß – und nachvollziehbar! - heißt: Für dieses Stück, in dem nur drei Frauen um einen Küchentisch sitzen und reden, bräuchte man eigentlich keinen Regisseur (Nachtkritik). Nun hat man dafür in Paderborn gleich zwei Regisseurinnen aufgeboten, darunter die Intendantin höchstselbst; dazuhin gleich noch zwei Dramaturgen. Viele Köche? – Aber nein, die haben den Brei nicht verdorben, sondern uns – um das Fazit vorwegzunehmen – einen kurzweiligen und amüsanten Abend beschert.

 

Der Autor und sein „Fäkaliendrama“

Nicht aufführbar“, lautete dagegen vor einem Vierteljahrhundert das Fazit des Wiener Burgtheater, als der ca. 30jährige Werner Schwab dieses Stück  zum ersten Mal dort einreichte. – „Werch ein Illtum“, könnte man mit einem anderen genialen Österreicher sagen. Heute, da „die Präsidentinnen“ – wieder einmal! – auf dem Spielplan der „Burg“ stehen, schwärmt man dort: „Wie ein Komet erscheint Werner Schwab zu Beginn der 90er über der österreichischen Dramatikerlandschaft“. Aber wie das mit Kometen so ist: sie verschwinden so schnell, wie sie gekommen sind. Der Brachialkünstler, der in den 80er Jahren als Landwirt gearbeitet und aus Tierkadavern „verwesende Skulpturen geschaffen hatte, wurde am Neujahrstag 1994 tot in seiner Wohnung gefunden, mit 4,1 Promille Alkohol im Blut. Zu Tode gesoffen, mit 36 Jahren.

 

Nicht verschwunden sind seine Werke („Meine Leber ist sinnlos“, heißt eines). Außer in Wien und in Paderborn sind „die Präsidentinnen“ in dieser noch jungen Spielzeit z. B. in Bonn und  Kassel zu sehen, in der Vorsaison liefen sie in Potsdam, Münster, Bremen, Innsbruck, Trier …

 

„Schwabisch“ – eine neue Sprache

Was damals, Ende der 1980er Jahre, Hauptgrund für die Ablehnung war, gilt heute als das eigentliche Kapital von Schwabs Stücken: seine Sprache, diese Sprache der ungebildeten Lebens-Philosophen, eine karge und bilderreiche Sprache, gespickt mit stimmigen Fehlern, voller logischer Absurditäten.  

 

Primitive realistische Dialoge, durchbrochen von obszöner Phantasie. Durch mangelndes Sprachvermögen des Autors wirkt vieles unfreiwillig komisch. Eine surrealistische Farce, die (auch dramaturgisch) im Chaos endet“ – so hieß es damals am Burgtheater. „Unfreiwillig komisch“? Komisch auf jeden Fall. Jetzt, in der Paderborner Aufführung, begann das Publikum in der ersten Minute zu kichern. Und dieses Kichern hielt an bis zum Ende, nur immer mal wieder kurzfristig erdrückt vom Ekel, von der Peinlichkeit, angesichts (‚angehörts‘ gibt’s ja nicht) des hier ausgesprochenen Unsäglichen. 

 

Schon bald wurde Schwabs Sprache hochgejubelt, als „kleine-Leute-Sprache“ gepriesen, als „Schwabisch“ kanonisiert. Kluge Sprachwissenschaftler machten sich darüber her, sezierten sie, psychologisierten und soziologisierten …  - Schwab selbst bot dafür reichlich Material. In einem Interview sagte er: „Zuerst kommt die Sprache, dann kommt der Mensch“. Und im Vorspann unseres Stückes: „Die Sprache, die die Präsidentinnen erzeugen, sind sie selber“. Diese Behauptung hätte man in dem absurden Kontext belassen können, in den der Autor sie gestellt hat („Das Stück handelt davon, dass die Erde eine Scheibe ist, dass die Sonne sich um die Erde dreht; dass nichts Funktion sein will, nur Zerstreuung“). Aber nein, mit Hilfe sprachphilosophischer Spitzfindigkeiten hat man diesen Satz aufgeblasen zur wissenschaftlichen Abhandlung (KERN, 2004), wonach „die Sprache“ die eigentliche Hauptperson, ja, die einzige Person des Stückes sei, und die drei auftretenden Figuren nur „Sprachkörper“ seien, also so eine Art Ausblühungen der Sprache (heute würde man sagen: Avatare) ohne eigene Persönlichkeit.  

 

 

Die Personen und ihre Darstellerinnen:

Hält man solch akademische Klugscheißerei (Entschuldigung! Aber im Kontext dieses „Fäkaliendramas“ möge der Kraftausdruck ausnahmsweise erlaubt sein) schon beim Lesen des Stücktextes für „einen Schmarrn“, so wird sie völlig obsolet, sobald man „die Präsidentinnen“ auf der Bühne sieht, wenn Schauspielerinnen aus Fleisch und Blut den Personen Persönlichkeit verleihen. – In Paderborn sind das:

 

 

Maria Jordan als Erna: „Mindestpensionistin“, deren Leben um zwei Pole kreist: ihren fanatischen Geiz („Statt einen Kaffeefilter kann man auch ein Klopapier nehmen. Und ich erspar mir den Kaffee ja überhaupt, weil zum Glück vertrag ich einen Kaffee ja gar nicht“) und ihre naiv-bigotte Kirchengläubigkeit. Beide Pole kulminieren in der Person des Wottila Karl, eines Schlachters polnischer Herkunft und Objekt von Ernas schwärmerischer Liebe: zum einen bietet er den Leberkäs konkurrenzlos billig im lebenslänglichen Dauersonderangebot an, zum andern wurde er durch eine Marienerscheinung von den irdischen Allerweltslastern Rauchen und Trinken geheilt (für die Jüngeren: Karol Wojtyła war der zivile Name des charismatischen polnischen Papstes Johannes Paul II., der zur Entstehungszeit der „Präsidentinnen“ ungefähr die Hälfte seiner 26-jährigen Amtszeit hinter sich hatte).

 

Josephine Mayer als Grete:Pensionistin“, die „Lustige“ der Gesellschaft – gemeint ist: „die Lüsterne“. Sie träumt ihrer Jugend nach, die – man darf es vermuten – promiskuitiv gewesen sein könnte. Jetzt pflegt sie ihr Begehren zu sublimieren: „… dann kauf ich mir eine Braunschweigerwurst und einen Emmentaler, dazu Gurkerl und ein Flascherl Bier, und schon bekommt das Leben wieder ein friedliches Gesicht“; wieweit sie ihre geliebte „Lydi“, ihren Dackel, in die Sublimation einbezieht, bleibt der Phantasie überlassen.

 

Nancy Pönitz als Mariedl: die Jüngste und die „am ärmlichsten gekleidete“; der Name – ein Diminutiv von Maria – verweist auf die „Jungfrau Maria voller Gnade, der Herr sei mit Dir“; aber Mariedl ist eher eine heilige Johanna der verstopften Abortschüssel, die ihre tiefste, geradezu religiöse Befriedigung darin findet, den feinen Leuten (und besonders dem Herrn Pfarrer mit seinem „spitzbübischen Lächeln“)  ihre verstopften Klos zu reinigen, und zwar mit bloßen Händen: „Die Mariedl machts auch ohne …“: auch ohne Gummi, also ohne Gummihandschuhe: „Mich würgt es halt auch wirklich überhaupt nicht, wenn ich hinunter greife in die Muschel, ich opfere das auf für unseren Herrn Jesu Christ, der für uns am Kreuze gestorben ist.“

 

Schon recht unterschiedliche Typen also. Und nicht nur Typen, nein, zumindest hier in Paderborn darf man von Charakteren sprechen, die von den Darstellerinnen gekonnt gestaltet werden, insbesondere durch ihre Körpersprache: perfekt, etwa, wie Nancy Pönitz mit kleinen Gesten den unterdrückten Eifer der Mariedl immer weiter anschwellen lässt, bis der sich endlich Bahn bricht. Und J. Mayer erhält begeisterten Szenenapplaus für ihren orgiastischen Bericht über einen (nur in ihrer Phantasie existierenden) Heiratsantrag.

 

Die Bühne:

Und diese drei sitzen also – gegenüber den 99 Sitzplätzen des „Studios“ – in einem winzigen Guckkasten, der neben Platz für einen kleinen Küchentisch und drei Stühle gerade noch ausreichend Raum bietet für eine handfeste Rauferei. Die Bühne (nach Schwab „eine kleinstbürgerliche Wohnküche, bis an die Decke“ ordentlich vollgestopft mit „viel religiösem Kitsch“ und prekariatärem Plunder) ist hier gähnend leer, einziger Schmuck ist das dezente Tapetenmuster, einzige Ausstattungsstücke sind ein kleines Kruzifix an der Wand und der gebraucht gekaufte Primitiv-Farbfernseher.

 

Die Handlung:

Hier drin spielt sich die ganze Handlung ab, quasi statisch: Die drei sind zusammengekommen, um im Fernsehen eine Papstmesse zu verfolgen; anschließend sitzen sie noch am Küchtisch und führen ein Alltagsgespräch (sparen, essen, Haustier, Kindersorgen …). In der zweiten Szene mutiert die Unterhaltung zunehmend zu einzelnen Monologen; der Traum vom besseren Leben beherrscht die Gedankenwelten, wobei alle drei nicht an die Möglichkeit einer Verwirklichung zu glauben scheinen, denn sie sprechen darüber nicht mehr in der ich-Form sondern in der dritten Person. Dabei bleiben die Wünsche alltäglich: drehen sich um neue Ehepartner oder um – naja, sagen wir mal: - berufliche Anerkennung. Da ist es schon äußerster Luxus, wenn zur Feier des Heiratsantrages zum Selchfleischbrot noch ein hartes Ei dazu bestellt wird, obwohl das doch zwei Schillinge extra kostet.

 

Die „dritte Szene“:

Die Behauptung des „Statischen“ wird auch nicht dadurch widerlegt, dass es gegen Ende tatsächlich zur Katastrophe kommt: dass zwei „Präsidentinnen“ die dritte umbringen. Wie auch in anderen Schwab-Stücken üblich: am Schluss sind sie alle wieder da. Der Autor hat dafür eine „dritte Szene“ vorgesehen, in der alles – mit einem Theater im Theater und jüngeren (!) Schauspielerinnen – wieder von vorne losgeht.  Diese dritte Szene habe ich allerdings noch nie auf einer Bühne gesehen. Meist wird sie ersatzlos gestrichen. So auch in Paderborn.

 

Oder? 

 

Ein Regisseur hat auf meine entsprechende Frage mal behauptet: „Wir spielen NUR die dritte Szene und nicht: die erste und die zweite Szene!!!“ – Womöglich auch hier? Das wäre eine Erklärung dafür, dass die Paderborner Präsidentinnen sämtlich deutlich jünger und sehr viel attraktiver sind, als man es von Schwabs „alte Blunzen“ erwartet hätte.

 

Wenigstens die kirchenkritische Ballade, mit der Schwab seine dritte Szene einleitet, wird in Paderborn zumindest in Auszügen gesungen: von den Präsidentinnen, anstatt von den eigentlich dafür vorgesehenen „Original Hinterlader Seelentröstern“. Und da darf dann auch die ermordete Präsidentin ihren abgeschnittenen Kopf wieder erheben und fröhlich mitsingen.  

 

Und so kann dann auch das Premieren-Publikum unbeschwert applaudieren – lange und begeistert, so wie‘s die Inszenierung verdient hat.

 

 

 

 

Theater Paderborn / Westfälische Kammerspiele, Studio:

Die Präsidentinnen 

von Werner Schwab

 

Regie:             Marie-Soophie Dudzic & Katharina Kreuzhage

Ausstattung:    Tobias Kreft  

Dramaturgie:   Kerstin Car & Daniel Thierjung 

 

     

Erna:               Marie Jordan

Grete:              Josephine Mayer

Mariedl:           Nancy Pönitz