Männerfreundschaft – zwischen Kunst, Lachen und »Kunst«

Paderborn zeigt Yasmina Rezas »Kunst«

 

 

 

 

das Wesen der Kunst liegt nicht in der Wiedergabe der Wahrheit der Natur. Vielmehr geht es um das Erfühlen  künstlerischen Realität durch Emotionen. 

Ich erkannte, dass die Realität

oder das Sachthema etwas war,
 was in eine ideale Form

überführt werden musste“

 

(Kasimir Malewitsch, 1933)

Provokation 1915 – Provokation 1994

g.WaSa     -     Paderborn     -     1915 findet in St. Petersburg „Die letzte Futuristische Ausstellung“ statt. Hier zeigt Kasimir Malewitsch seine „suprematistischen“ Werke: im Wesentlichen „monochrome“, also einfarbige geometrische Figuren. Höhepunkt dieser Sammlung: „Das schwarze Quadrat“: ein 79,5 x 79,5 cm großes Stück Leinwand, das einfach nur schwarz ist. Eine Provokation! Erst recht, da dieses Bild  ausgerechnet ganz oben  in der östlichen Saalecke hängt  – war dies doch im russischen Haus der traditionelle Ehrenplatz für die geheiligte Ikone! Bis zum Schwarzen Quadrat war es für Malewitsch ein langer Weg gewesen: immer weiter weg vom Realismus, hin zum „Supremat“, der „Überlegenheit“ von reiner Farbe und Form über die bloße Imitation einer äußerlichen Realität (-->  Malewitsch-Ausstellung).

 

1994 wurde in Paris Yasmina Rezas Erfolgs-Stück „»Kunst«“ uraufgeführt. So eine Art Hauptrolle spielt darin „ein Ölgemälde von 1,60 x 1,20 m, ganz in Weiß … Ein weißes Bild mit weißen Streifen.“  Da hing Malewitschs „Schwarzes Quadrat“ längst in der renommierten Moskauer Tretjakow-Galerie und galt als „Ikone der Modernen Malerei“. Und (mindestens) ein monochromes Gemälde hängt heutzutage in so gut wie jedem Museum, das was auf sich hält.

In Rezas Stück wird das weiße Gemälde von Serge gekauft, einem Dermatologen, der vielleicht „nicht in Geld schwimmt“, aber doch genug hat, um sich die „zweihunderttausend“ für ein Bild leisten zu können (1994 ging es um 200.000 französische Franc; heute darf man – wie jetzt in Paderborn – die Währung getrost weglassen: für das Werk eines angesagten Malers wären auch 200.000 Euro oder Dollar ein Schnäppchen). – Für Serges Freunde, den rationalen Ingenieur Marc und den Loser Yvan, ist derartige „Kunst“ allerdings immer noch eine Provokation („diese weiße Scheiße“). 

M. Rohland (Serge), M. Schultz (Yvan). - Foto: Theater Paderborn, Chr. Meinschäfer

Mehr als Boulevard

Offenbar hat Reza damit einen Nerv getroffen! Ihr »Kunst«-Stück wurde zu einem der erfolgreichsten Dramen der Gegenwart, das sich regelmäßig auf den Spielplänen findet. Jetzt zum Beispiel bei den Westfälischen Kammerspielen in Paderborn.

 

Je witziger ein Stück ist, je größer sein Erfolg beim Publikum, desto näher liegt (zumindest in Deutschland) der Verdacht des „Seichten“, der Vorwurf (Vorwurf?) des „Boulevards“. So zeigt sich Reza gekränkt, weil ihrem Stück »Kunst« „dieses pejorative Etikett immer und überall in Deutschland aufgedrückt“ werde *).

 

In Paderborn will man einem solchen Vorwurf von vornherein den Boden entziehen. In ihrer Einführung charakterisiert Dramaturgin Anne Vogtmann  »Kunst« als „Drama der Postmoderne … in der Tradition des guten Konversationsstückes“, das in Frankreich auch als „pièce bien faite“ bezeichnet wurde (was man gerne mit „well made play“ ins Neudeutsche übersetzt hat). Vogtmann preist die hohe „Sprachkunst“ der Autorin und die „sehr subtile psychologische Charakterisierung“ der Figuren.

 

Und tatsächlich, es sei vorweggenommen: diese Inszenierung bestätigt das aufs Schönste!

Die Bühne

M. Rohland (Serge), M. Schultz (Yvan), L. Fabian (Marc) - Foto: Theater Paderborn, Chr. Meinschäfer

Zwar würde Nora Johanna Gromers Ausstattung auch einer ordentlichen Boulevard-Komödie gut anstehen: die Bühne zeigt eine Mischung aus Designer-Wohnlandschaft auf zwei Ebenen und aus Studentenbude mit äußerst sparsamer Möblierung: ein paar winzige Regale und ein fahrbares Tischchen mit Weinflasche und Gläsern; das Bett liegt auf dem Boden und stellt sich später als Sofa heraus, das die Nutzer zu akrobatischen (um nicht zu sagen: boulevardesk anmutenden) Verrenkungen zwingt. Die Ebenen werden geschickt genutzt, um mal Serges, mal Yvans Wohnung zu kennzeichnen. Dass die Handlung auch mal bei Mark spielt, fällt kaum auf – fehlt doch das entscheidende Unterscheidungsmerkmal: Reza hat eine einheitliche Bühne für alle drei Wohnungen vorgegeben, abgesehen von verschiedenen Bildern: bei Serge das bewusste weiße, bei Marc eine figurative Landschaft, bei Yvan ein „Schinken“. Die beiden letzteren werden uns in Paderborn unterschlagen – wirklich schade! Spielen sie doch auch im Text und für die Charakterisierung ihrer Eigentümer eine Rolle!

Die Figuren: drei Typen

Diesen kleinen Mangel im Bühnenbild macht die Inszenierung durch Nikolaos Boitsos wieder wett! Hier kommt nicht nur die – tatsächlich kunstvolle – Sprache Yasmina Rezas zur Geltung; die Regie lässt den Darstellern auch Gelegenheit, - durch diese Sprache, vor allem aber durch ihr Auftreten – die drei Typen sehr anschaulich zu zeichnen: Serge (Max Rohland) ist der etwas naive Schwärmer, der gerne mal ein bisschen beleidigt ist; Yvan (Markus Schultz) der verschüchterte Papierwarenverkäufer, der es am liebsten immer allen recht machen möchte, sei es den pantoffelschwingenden Frauen in seinem Umfeld (Braut, Mutter, Stiefmutter, Schwieger-Stiefmutter …), sei es seinen beiden streitenden Freunden. Und schließlich Marc (Lars Fabian), das (Möchtegern-)Alpha-Männchen: er weiß auf seine technokratische Art immer genau, was Sache ist, so dass für ihn eine Welt zusammenbricht, als seine Freunde nicht mehr seiner Meinung sein wollen; vielleicht ist er in seiner rigorosen Arroganz doch etwas zu krass gezeichnet – dazu gleich mehr.

Freundschaft – Lachen - »Kunst«

Und diese drei führen uns also eine Männerfreundschaft in der Krise vor. Denn darum geht’s in »Kunst«: es ist „ein Stück über die Freundschaft und das Lachen“, sagt Dramaturgin Vogtmann und kann sich dabei auf die Autorin berufen, die im Interview betont, das Problem sei „nicht, daß Serge das weiße Bild kauft, sondern dass man mit ihm nicht mehr lachen kann“ – wohingegen sie von einem eigenen Erlebnis berichtet, das dem Stück zugrunde liegt: wie einer ihrer Freunde, ein Dermatologie, eben ein solches weißes Bild für 200.000 Franc gekauft hat:

 

„Und ich brüllte vor Lachen. Er allerdings auch. Das Wunderbare daran war, daß er sein Bild liebte und daß er lachte, weil ich lachte. Wir sind Freunde geblieben, weil wir lachten.“

 

Vielleicht lachen die drei Freunde in der Paderborner Inszenierung manchmal zu betont; immerhin erlaubt das Ende eine optimistische Deutung: Serge fordert Marc auf, dem weißen Bild mittels blauem Filzstift einen Inhalt zu geben. Der zeichnet einen Skifahrer als Strichmännchen. Selbst wenn die blaue Farbe später wieder abgewaschen wird, bleibt auch für Marc das Wissen:

 

Das Bild „stellt einen Mann dar, der einen Raum durchquert und dann verschwindet“.

Kunst oder »Kunst«?

Eine hübsche Illustration des Mantras moderner Kunstkritik: Dass Kunst erst im Auge beziehungsweise im Kopf des Betrachters entstünde.

 

Unterdrückt wird die Diskussion um die Berechtigung dieser Behauptung, welche es erlaubt, beliebige Banalitäten zur »Kunst« zu adeln – eine Diskussion, zu der Rezas Stück eigentlich schon herausfordert, auch wenn die Autorin behauptet, Kunst sei überhaupt nicht Thema des Stücks und den Vorwurf zurückweist „reaktionär“ zu sein, wenn sie sich (immerhin!) mit Marc identifiziert. Denn der zeigt (in Serges Worten) als „Anhänger der guten alten Zeit eine wirklich verblüffende Arroganz“; „er gehört zu diesen neuen Intellektuellen, die sich nicht damit begnügen, Feinde der Moderne zu sein, sondern sich unbegreiflicherweise auch noch etwas darauf einbilden“.

 

Verständlich, dass wir in Deutschland uns – angesichts der Erinnerungen an die unselige „entartete Kunst“ – ganz besonders vor dieser Diskussion drücken und lieber jeden Zweifel an einem „weißen Bild“ als arrogant und reaktionär abtun – als ob eine derart apodiktische Zurechtweisung nicht selbst arrogant und reaktionär wäre!

 

Zumindest sollte die Frage erlaubt sein, ob nicht die Befreiung der Malerei von  der Last des erkennbaren Bildes“ in eine Sackgasse führt. Denn wenn eine weiße Fläche genügt, Kunst im Kopf des Betrachters entstehen zu lassen – warum dann nicht ein letztes Schrittchen weitergehen und auch auf diese leere Fläche verzichten? Die Phantasie kann’s trotzdem richten. Zumindest Kasimir Malewitsch scheint das erkannt zu haben, denn nachdem er einige Jahre lang nur noch „suprematische“ Bilder (= durchnummerierte monochrome geometrische Formen) gemalt hatte, hörte er 1919 mit dem Malen ganz auf. Als er nach acht langen Jahren wieder anfing,  kehrte er zur gegenständlichen Malerei zurück (-->  Malewitsch-Ausstellung).

 

Und Yasmina Reza? Schließlich hat sie das Wort »Kunst« in Anführungszeichen gesetzt.

 

*) Yasmina Reza im Interview mit Reinhard Palm, 14.2.1996. – In: Programmheft 8, 1995/96 des Schauspielhauses Zürich zur Schweizer Erstaufführung von „„Kunst«“ – hier zitiert nach dem gekürzten Abdruck in SPECTACULUM 62, Frankfurt/M 1996.

 

 

 

Theater Paderborn – Westfälische Kammerspiele – Großes Haus:

 »Kunst«

von Yasmina Reza

aus dem Französischen von Eugen Helmé

 

 

Marc                      Lars Fabian

Serge                     Max Rohland

Yvan                      Markus Schultz

 

Regie                     Nikolaos Boitsos

Ausstattung           Nora Johanna Gromer 

Dramaturgie          Anne Vogtmann 

 

nächste Vorstellungen:

03.10. / 08.10 . / 10.10. / 16.10. / 25.10. / 31.10. / 13.11. / 20.11. / 26.11. / 28.11.2015

Dauer ca. 85 Minuten, keine Pause