Von Göttern und Menschen

Kleists Amphitryon in Paderborn

(Alle Fotos: KREFT, Theater Paderborn)

 

 

Everyone is trying to get to the bar.
…  the bar is called Heaven …

 

Heaven is a place where nothing ever happens. …

There is a party, everyone is there …

When this kiss is over it will start again.
It will not be any different, it will be exactly the same.
It's hard to imagine that nothing at all
could be so exciting, could be so much fun.

Heaven is a place where nothing ever happens ...

 

(Talking Heads, 1979)

 

 

g.WaSa     -     Paderborn     -     Sehr geehrte Herren Regisseure, verehrte Damen Dramaturginnen – ich hätte da mal ‘ne Frage: Warum gibt es eigentlich zwischen München und Paderborn, zwischen Berlin und Detmold so gut wie keine Inszenierung mehr, in die nicht mindestens ein englischer Song hineinmontiert ist? Müssen Sie damit Ihrem Publikum (oder: sich selbst) ihre jugendliche Weltläufigkeit beweisen? Ihre Verwurzelung in der globalen Popkultur? – Ach!

 

Im Himmel ist nix los!

Wie auch immer: Auch wer – wie meine Generation – noch nicht selbstverständlich mit Englisch aufgewachsen ist, hat hoffentlich trotzdem eines verstanden: Im Himmel ist nix los!

 

 

 

 

Vielleicht haben die Götter deshalb den Paderborner Bühnenbildner beauftragt, irgendwo in den Weiten der Milchstraße eine coole Bar zu installieren, wo die göttlichen Nighthawks saufen, chillen und Robert-Gernhardt-Verse rezitieren. Neben dem unanständigen und (deshalb?) wohl bekanntesten Gedicht vom munteren Kragenbär (kennen Sie nicht? Googeln Sie! Es lohnt sich!) auch einige … na ja … brave, wie zum Beispiel dies:

 

„Zum Adler sprach die Gabelweihe
dass sie auf seinen Nabel speie,
nähm’ er nicht sofort seinen Schnabel
aus ihrer frischgekämmten Gabel.“

 

Ganz amüsant – aber als äonenlange Unterhaltung für vergnügungssüchtige Olympier eben so wenig ausreichend wie die immer gleichen Küsse.

 

Götter-Spielzeug

Da trifft es sich gut, dass – weit am Rande der Galaxis – auf dem dritten Planeten eines mickrigen Zwergsterns eine semi-intelligente Spezies existiert, deren Weibchen dem Göttervater Zeus-Jupiter schon manches Mal gute (Liebes-) Dienste geleistet haben. Jetzt hat der praktizierende Casanova sein lüsternes Götterauge auf Alkmene gerichtet, die Gemahlin Amphitryons, des Feldherrn von Theben. Und so wird einfach Amphitryons Palast (in Paderborn eine Art Zirkuszelt aus goldenen Stoffstreifen) mitten in die Bar herunter gebeamt, inclusive lebendem Inventar als da sind: der Diener Sosias (nebst Ehefrau), welcher als Prügelknabe für den sadistisch-brutalen Merkur herhalten muss, sowie natürlich Alkmene als Freudenmädchen für den Chef. Dass auch Amphitryon selbst mit herbeigezaubert wird, scheint unvermeidlich: schließlich braucht der eitle Jupiter einen Rivalen, den er kraft göttlicher Überlegenheit in den Schatten stellen kann; und überhaupt steht der Feldherr ja nicht nur in Kleists Text, sondern sogar im Titel.

 

Alkmene ihrerseits ist ein Ausbund an Bravheit: keine Sodomie, ja, noch nicht mal Untreue! Und deshalb wird Jupiter diesmal weder zum Stier noch zum Schwan, sondern zum Ebenbild des Ehemanns. Und da Gott Merkur die Gestalt des Dieners Sosias annimmt, steht einer deftigen Komödie der Irrungen und Verwechslungen nichts mehr im Wege – wenn es denn eine Komödie ist (?).  

 

Lange Komödien-Tradition

Jedenfalls hat der Stoff eine lange Komödien-Tradition, mit den wichtigsten Stationen: Plautus (ca. 200 v. Chr.) – Molière (1668) – Kleist (1803) – Giraudoux (1929). In Paderborn hat man sich für die Fassung von Heinrich Kleist entschieden. Der wollte zunächst nur Molière ins Deutsche übersetzen, hat dann aber das französische Lustspiel „durch radikale Verdeutschung“ zum  „metaphysischen Theaterspielwerk“ veredelt, wie Thomas Mann lobte, der das Ergebnis dann auch gleich zum „geistreichsten, tiefsten und schönsten Theaterspielwerk der Welt“ hoch-jazzte – ein Urteil, an dem man zweifeln darf, gerade auch wenn man die Aufführungspraxis betrachtet (ganz im Sinne Brechts: „the proof oft the pudding ist the eating oft the pudding“): Thomas Mann selbst jammerte, selten habe es eine gute Inszenierung gegeben und er würde weit reisen, eine zu sehen.

 

Und in Paderborn?

  

Eine gelungene Mischung!

Wer will, kann – ganz nach Thomas Mann – „Tiefe“ und „Geist“ entdecken. Nach der Pause steht Amphitryon mitten im Publikum und zitiert Kleists Brief an seine Verlobte:

 

„Wenn alle Menschen statt der Augen grüne Gläser hätten, so würden sie urteilen müssen, … [alles sei grün] … Wir können nicht entscheiden, ob das, was wir Wahrheit nennen, wahrhaft Wahrheit ist …“

Ist dieser – auch als „Kleists Kant-Krise“ bekannte – Zweifel nicht heute berechtigter denn je? – Und wenn zum Beispiel der Doppelgänger plötzlich alle Geheimnisse des echten Sosias kennt, dann mag man – ganz heutig –  an „Datenklau“ denken, an die feindliche Übernahme einer Persönlichkeit sowieso. Und wie die brutale Selbstherrlichkeit der Götter vorgeführt wird, darf schon als Kritik an Herrscherwillkür gesehen werden. Als komödientypisch sollte man Merkurs Prügelorgien heute nicht mehr sehen; zu Zeiten des preußischen Offiziers Kleist gab’s zwar im Militär noch die Prügelstrafe; doch schon Lessing hatte über die Lustspiele vor Minna geätzt: „Prügeleien waren die witzigsten Einfälle derselben“.

 

Jedenfalls haben es die Paderborner hingekriegt, die Inszenierung als vergnügliche Komödie zu grundieren, mit dem einen oder anderen gelungenen Gag (vielbelacht: die Umsetzung von Jupiters „herabsteigen“ mithilfe eines Friseurstuhles). Ein humoristisches Kabinettstückchen auch: gleich der erste Auftritt des zimperlichen Sosias.

Fazit

Hätte ich also Thomas Mann die weite Anreise aus dem schweizerischen Kilchberg empfohlen? Das dann wohl doch nicht! Aber den 30-km-Trip von Detmold nach Paderborn habe ich nicht bereut.

 

 

 

Theater Paderborn:

 

AMPHITRYON

 

von Heinrich von Kleist

 

 

Regie                                          Volker Schmalöer

Ausstattung                               Tobias Kreft

Musikalische Einstudierung    Sebastian Müller

Dramaturgie                               Anne Vogtmann

 

 

Jupiter                                        David Lukowczyk

Merkur                                        Maximilian Scheidt

Amphitryon                                Lars Fabian

Sosias                                         Tim Tölke

Alkmene                                      Katharina Goebel

Charis                                          Anne Bontemps

 

 

Premiere:    04.02.2017

 

Weitere Vorstellungen:
09.02. / 11.02. / 17.02. / 23.02. / 25.02. / 03.03. / 05.03. / 09.03. / 11.03. / 18.03. / 26.03. / 07.04.