Männerfreundschaft –

zwischen Lachen und Kunst (oder »Kunst« ?)

Yasmina Rezas »Kunst« im Detmolder Hoftheater

(Szenenfotos: Landestheater Detmold - Jochen Quast)

 

das Wesen der Kunst liegt nicht in der Wiedergabe der Wahrheit der Natur. Vielmehr geht es um das Erfühlen künstlerischer Realität durch Emotionen. 

Ich erkannte, dass die Realität

oder das Sachthema etwas war,
 was in eine ideale Form

überführt werden musste“

 

(Kasimir Malewitsch, 1933)

 

 

g.WaSa     -     Detmold     -    Auch zwischen Göttern herrscht bekanntlich nicht immer eitel Freundschaft. Doch kürzlich schien der Wettergott dem Theatergott wohlgesonnen: Zur Premiere des diesjährigen Hoftheaters blieb der Theaterhof nicht nur trocken, sondern auch noch so angenehm temperiert, dass mitgebrachte Jacken im Rucksack bleiben konnten. Dabei hatte noch die Voraufführung unter dem nasskalten Wetter gelitten, das die Tage vorher geherrscht hatte.

 

Wie alle Jahre wieder hat das Landestheater Anfang Mai seinen Innenhof gekehrt, mit Biertischen möbliert und Bierstand und Wurstbude installiert. In der Vergangenheit fanden in diesem „Hoftheater“ häufig leichte Musikrevuen und dergleichen ihr dankbares Publikum. Dieses Jahr steht Yazmina Rezas »Kunst« auf dem Programm – inszeniert vom Intendanten Georg Heckel höchstpersönlich. Ein Boulevardstück, aber mit Tiefgang. Ein Welterfolg, aber auch Auslöser kritischer Diskussionen.

Provokation 1915 – Provokation 1994

1915 findet in St. Petersburg „Die letzte Futuristische Ausstellung“ statt. Hier zeigt Kasimir Malewitsch seine „suprematistischen“ Werke: im Wesentlichen „monochrome“, also einfarbige geometrische Figuren. Höhepunkt dieser Sammlung: „Das schwarze Quadrat“: ein 79,5 x 79,5 cm großes Stück Leinwand, das einfach nur schwarz ist. Eine Provokation! Erst recht, da dieses Bild  ausgerechnet ganz oben  in der östlichen Saalecke hängt  – war dies doch im russischen Haus der traditionelle Ehrenplatz für die geheiligte Ikone! Bis zum Schwarzen Quadrat war es für Malewitsch ein langer Weg gewesen: immer weiter weg vom Realismus, hin zum „Supremat“, der „Überlegenheit“ von reiner Farbe und Form über die bloße Imitation einer äußerlichen Realität (-->  Malewitsch-Ausstellung).

 

1994 wurde in Paris Yasmina Rezas Erfolgs-Stück „»Kunst«“ uraufgeführt. So eine Art Hauptrolle spielt darin „ein Ölgemälde von 1,60 x 1,20 m, ganz in Weiß … Ein weißes Bild mit weißen Streifen.“  Da hing Malewitschs „Schwarzes Quadrat“ längst in der renommierten Moskauer Tretjakow-Galerie und galt als „Ikone der Modernen Malerei“. Und (mindestens) ein monochromes Gemälde hängt heutzutage in so gut wie jedem Museum, das was auf sich hält.

 

In Rezas Stück wird das weiße Gemälde von Serge gekauft, einem Dermatologen, der vielleicht „nicht in Geld schwimmt“, aber doch genug hat, um sich die „zweihunderttausend“ für ein Bild leisten zu können (1994 ging es um 200.000 französische Franc; heute darf man die Währung getrost weglassen: für das Werk eines angesagten Malers wären auch 200.000 Euro oder Dollar ein Schnäppchen). – Für Serges Freunde, den rationalen Ingenieur Marc und den Loser Yvan, ist derartige „Kunst“ allerdings immer noch eine Provokation („diese weiße Scheiße“).

 

Mehr als Boulevard

 

Offenbar hat Reza damit einen Nerv getroffen! Ihr »Kunst«-Stück wurde zu einem der erfolgreichsten Dramen der Gegenwart, das sich regelmäßig auf den Spielplänen findet. Jetzt also im Detmolder Hoftheater.

 

Je witziger ein Stück ist, je größer sein Erfolg beim Publikum, desto näher liegt (zumindest in Deutschland) der Verdacht des „Seichten“, der Vorwurf (Vorwurf?) des „Boulevards“. Einst zeigte sich Reza gekränkt, weil ihrem Stück »Kunst« „dieses pejorative Etikett immer und überall in Deutschland aufgedrückt“ werde *).

 

Allerdings wurde der Autorin auch immer wieder ihre „hohe Sprachkunst“ und dem Stück seine dramaturgische Qualität bescheinigt: als „Drama der Postmoderne in der Tradition des guten Konversationsstückes“, welches in Frankreich auch als „pièce bien faite“ bezeichnet wurde (was man gerne mit „well made play“ ins Neudeutsche übersetzt hat).

 

Und tatsächlich: Heckels Inszenierung bestätigt bald, dass »Kunst« mehr ist, als ein harmlos-heiter dahinplätscherndes Unterhaltungsstück. Dafür sorgt schon die subtile psychologische Charakterisierung der drei Personen (s.u.).

 

Die Bühne

Rezas »Kunst« spielt abwechselnd in den Wohnungen der drei Freunde. Sie hat dafür ein Einheitsbühnenbild vorgesehen; die drei Schauplätze unterscheiden sich lediglich durch ein … Bild! Bei Serge ist es das bewusste weiße, bei Marc eine umstrittene figurative Landschaft („Ansicht von Carcassonne“), bei Yvan ein „Schinken“ (fast mag man sich den berüchtigten röhrenden Hirsch vorstellen). Allerdings werden uns hier die beiden letzteren unterschlagen, in Detmold bleibt es bei Serges „Weiß auf weiß“ – wirklich schade! Denn so fällt es nicht nur dem Zuschauer schwerer, zu erkennen, wo man sich gerade befindet. Die verschiedenen Bilder spielen auch im Text und vor allem für die Charakterisierung ihrer Eigentümer eine Rolle!

 

Die Figuren: drei Typen

(Aom Flury (Yvan) - Andreas Torwesten (Serge) - Michael Schäfer (Marc) )

 

Diesen Mangel im Bühnenbild macht die Inszenierung wieder wett! Hier kommt nicht nur die – tatsächlich kunstvolle – Sprache Yasmina Rezas zur Geltung; die Regie lässt den Darstellern auch Gelegenheit, - durch diese Sprache, vor allem aber durch ihr Auftreten – die drei Typen sehr anschaulich zu zeichnen: Serge (Andreas Torwesten) ist der erfolgreiche und (daher) grenzenlos selbstbewusste Arzt, der vermutlich erst neuerdings die moderne Kunst als Hobby entdeckt hat (sein Maßstab für Kunst ist der Ruf des Künstlers und der Preis des Objekts), und der jetzt mit einer gewissen Arroganz auf das Banausentum seiner Freunde herabblickt; Marc (Michael Schäfer) ist der logische, technokratische Ingenieur der nicht damit fertig wird, dass die andern seine – doch so rationale - Meinung nicht teilen wollen. Zwischen ihnen steht Yvan (Aom Flury) der verschüchterte Papierwarenverkäufer, der es am liebsten immer allen recht machen möchte, sei es all den pantoffelschwingenden Frauen in seinem Umfeld (Braut, Mutter, Stiefmutter, Schwieger-Stiefmutter …), sei es seinen beiden streitenden Freunden – und der dabei zwangsläufig in seiner Looser-Rolle gefangen bleibt.

Freundschaft – Lachen - »Kunst«

Und diese drei führen uns also eine Männerfreundschaft in der Krise vor. Denn womöglich ist dies ja das eigentliche Thema von »Kunst«: es ist ein Stück über die Freundschaft und das Lachen. In einem Interview betont die Autorin, das Problem sei „nicht, daß Serge das weiße Bild kauft, sondern daß man mit ihm nicht mehr lachen kann“ – wohingegen sie von einem eigenen Erlebnis berichtet, das dem Stück zugrunde liegt: Wie einer ihrer Freunde, ein Dermatologe, eben ein solches weißes Bild für 200.000 Franc gekauft hat:

 

„… und ich brüllte vor Lachen. Er allerdings auch. Das Wunderbare daran war, daß er sein Bild liebte und daß er lachte, weil ich lachte. Wir sind Freunde geblieben, weil wir lachten.“

 

Kunst oder »Kunst«?

Rezas Text erlaubt am Ende eine optimistische Deutung: Serge fordert Marc auf, dem weißen Bild mit Hilfe eines blauen Filzstiftes einen Inhalt zu geben. Der zeichnet einen Skifahrer als Strichmännchen. Selbst wenn die blaue Zeichnung später wieder abgewaschen wird, so bleibt auch für Marc das Wissen:

 

Das Bild „stellt einen Mann dar, der einen Raum durchquert und dann verschwindet“.

 

Eine hübsche Illustration des Mantras moderner Kunstkritik: Dass Kunst erst im Auge beziehungsweise im Kopf des Betrachters entstünde.

 

Unterdrückt wird die Diskussion um die Berechtigung einer solchen Behauptung, welche es erlaubt, beliebige Banalitäten zur »Kunst« zu adeln – eine Diskussion, zu der Rezas Stück eigentlich schon herausfordert, auch wenn die Autorin behauptet, Kunst sei überhaupt nicht Thema des Stücks und den Vorwurf zurückweist „reaktionär“ zu sein, wenn sie sich (immerhin!) mit Marc identifiziert. Denn der zeigt (in Serges Worten) als „Anhänger der guten alten Zeit eine wirklich verblüffende Arroganz“; „er gehört zu diesen neuen Intellektuellen, die sich nicht damit begnügen, Feinde der Moderne zu sein, sondern sich unbegreiflicherweise auch noch etwas darauf einbilden“.

 

Immerhin muss die Frage erlaubt sein, ob nicht die Befreiung der Malerei von der Last des erkennbaren Bildes“ in eine Sackgasse führt. Denn wenn eine weiße Fläche (oder eine Fadenrolle oder ein Backstein) genügt, Kunst im Kopf des Betrachters entstehen zu lassen – warum dann nicht ein letztes Schrittchen weitergehen und auch auf diese leere Fläche verzichten? Die Phantasie kann’s trotzdem richten. Zumindest Kasimir Malewitsch scheint das erkannt zu haben, denn nachdem er einige Jahre lang nur noch „suprematische“ Bilder (= durchnummerierte monochrome geometrische Formen) gemalt hatte, mit dem Schwarzen Quadrat als Höhepunkt, da hörte er 1919 mit dem Malen ganz auf. Als er nach acht langen Jahren wieder anfing, kehrte er zur gegenständlichen Malerei zurück (-->  Malewitsch-Ausstellung).

 

Kunst und die deutsche Vergangenheit

Als Rezas Stück 1994 herauskam, wurde es (nicht nur) in Frankreich zum Anlass einer heftigen Diskussion über Kunst und Nicht-Kunst.

 

In Deutschland hat man sich damit schwer getan. Die Nazis und ihre unselige Ideologie von der „entarteten Kunst“ lagen damals erst 50 Jahre zurück. (Übrigens: Die Detmolder „Kunst“-Premiere am 12.05.2023 fiel fast genau auf den 90. Jahrestag des Beginns der systematischen Bücherverbrennungen am 10.05.1933). Hier wollte man sich gern vor dieser Diskussion drücken und lieber jeden Zweifel an einem „weißen Bild“ als arrogant und reaktionär abtun – als ob eine derart apodiktische Zurechtweisung nicht selbst arrogant und reaktionär wäre!

 

»Kunst« im Hoftheater – oder nur 3 x Midlifecrises?

Und Georg Heckel? Für ihn war wohl von Anfang an das Streitthema „Kunst – Nicht-Kunst“ zweitrangig; er wollte sich offenbar nicht auf die Diskussion um den Kunst-Begriff einlassen und hat stattdessen auf das – theatralisch wohl viel ergiebigere – Thema „drei Charaktere im Clinch“ gesetzt. - Die Stück-Ankündigung des Landestheaters behauptet,

 

bei dem „erbitterten Streit (ging es) nur vermeintlich um Geschmacksurteile … Mit der aberwitzigen Komödie »Kunst« lieferte Yasmina Reza … eine feinfühlige Analyse der Wünsche, Beziehungen und Glücksvorstellungen westeuropäischer Männer in den besten Jahren …“

 

Yasmina Reza hatte Wert darauf gelegt, ihren Titel, also das Wort »KUNST«: in Anführungszeichen zu setzen. Das Landestheater Detmold unterschlägt diese Anführungszeichen, sowohl im Spielplan als auch im Programmheft.

 

Und es unterschlägt Rezas Schluss, also die Illustration der These, dass Kunst im Kopf des Betrachters entstehe: Auf der Detmolder Hof-Bühne gibt es keine Zeichnung eines Skifahrers und damit keinen „Mann, der einen Raum durchquert und dann verschwindet“. Das Bild bleibt weiß! Stattdessen tritt Marc an die Rampe und erklärt:

 

„Mein Freund Serge, der schon lange mein Freund ist, hat sich ein Bild gekauft, ungefähr 1,40 x 1,10 …“

 

Endlich hat er’s – wenn schon nicht kapiert, so doch: akzeptiert. Die Freunde bleiben Freunde.

 

 

*) Yasmina Reza im Interview mit Reinhard Palm, 14.2.1996. – In: Programmheft 8, 1995/96 des Schauspielhauses Zürich zur Schweizer Erstaufführung von „„Kunst«“ – hier zitiert nach dem gekürzten Abdruck in SPECTACULUM 62, Frankfurt/M 1996.

 

 

 

 

Landestheater Detmold – Hoftheater:

KUNST

 

Komödie von Yasmina Reza 

in der Übersetzung von Eugen Helmlé

 

 

Inszenierung:                      Georg Heckel

Bühne und Kostüme:         Jule Dohrn-van Rossum

Dramaturgie:                        Laura Friedrich / Philip Krückemeier

Licht:                                     Jonas Müller

 

Marc:                                     Michael Schäfer

Serge:                                   Andreas Torwesten

Yvan:                                     Aom Flury / Heiner Junghans

 

Dauer ca. 100 Minuten,  eine Pause

 

 nächste Vorstellungen:

18.05., 19.05., 20.05., 21.05. (18:00), 14.06., 23.06., 24.06., jeweils 19:30 Uhr

(ohne Gewähr – s.

https://www.landestheater-detmold.de/de/programm/kunst/39776647 )

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