„Play Strindberg“ ?

„My Fair Lady“ – amüsante Komödie mit Tiefgang am Landestheater Detmold

(Theaterfotos: Landestheater Detmold)

 

(g.wasa   -   Detmold.)   -   „Männer und Frauen passen einfach nicht zusammen“. – Die Erkenntnis des Alltags-Weisen Loriot wird soeben mal wieder bestätigt: in der neuesten Produktion des Landestheaters Detmold. Da jammert Professor Higgins: „Kann eine Frau nicht sein wie ein Mann?“ und fordert – da sie’s nun mal nicht kann – vehement: Lasst keine Frau an mich heran! Und sein weiblicher Widerpart Eliza macht aus der globalen Kriegserklärung „Kampf dem Mann!“ ihrer acht Jahre älteren Musical-Schwester Katharina/Kate nunmehr eine personalisierte Hate-Speech: „Warts nur ab, Henry Higgins!

 

Eine uralte Geschichte:

Die Geschichte – also: das Problem – ist uralt. Schon bei den alten Griechen hatte ein gewisser Pygmalion so seine Schwierigkeiten mit realen Frauen, weshalb er sich ein Musterexemplar (zwar nicht gebacken, aber) aus Elfenbein geschnitzt hat – was so lange gut ging, bis die Liebesgöttin Venus die schöne Elfenbeinfigur in eine Galatea aus Fleisch und Blut (und ausgestattet mit eigenen Bedürfnissen!) verwandelte.

Das Interesse an der traurigen Paarbeziehung hielt sich über die Jahrhunderte, diente Malern und Bildhauern zur Inspiration und bot Stoff für die Literatur: von Vergil (um 50 v. Chr.), über Ovid (ums Jahr 0) bis zu Franz von Suppé („Die schöne Galathée“; 1865) … 

 

Dann stieß – Anfang des 20. Jahrhunderts – George Bernard Shaw auf die Geschichte. Der irische Menschenkenner und (deshalb?) Zyniker machte aus dem antiken Stoff eine moderne, boshafte Tragikomödie über die englische Gesellschaft und deren Klassenunterschiede (die sich weit mehr als im deutschen Sprachraum an der sprachlichen Schranke zwischen Ober- und Unterschicht orientieren), über die Hybris eines Wissenschaftlers und über die Gefühle eines einfachen Mädchens, das „wie ein Kiesel am Strand aufgelesen“ und in seiner Persönlichkeit runderneuert wurde.

 

Die Story:

Henri Higgins, Phonetik-Professor und fanatischer Apologet reiner Sprache, trifft im abendlichen London auf die einfache, breitestes Cockney sprechende Blumenverkäuferin Eliza. Mit Oberst Pickering (wie Higgins Sprachforscher, aber anders als der nicht nur Wissenschaftler, sondern auch Mensch) wettet er, dieser Gossengöre binnen eines halben Jahres nicht nur feinstes Englisch, sondern auch noch so viel Manieren beibringen zu können, dass diese beim Diplomatenball als Herzogin durchginge. Es folgen sechs Monate Frust und Mühsal, doch am Ende wird Eliza tatsächlich zur umschwärmten Ballkönigin!

 

Für Higgins heißt das: „Mission accomplished!“ – Gott sei Dank! Denn das Experiment war ihm längst langweilig und lästig geworden. Pickerings Frage: „ob das Mädchen auch etwas empfinden könnte“, verneint er ganz selbstverständlich: „Jedenfalls nichts, womit wir uns befassen müssten“. Ebenso souverän ignoriert er „das Problem, was danach mit ihr werden soll“. Denn als feine Dame kann Eliza nicht mehr zurück auf die Straße. Und während „Umgangsformen und Gewohnheiten eine feine Dame unfähig machen, ihren Unterhalt selbst zu verdienen“, fehlt Eliza „das Einkommen einer feinen Dame“. Letztlich bliebe ihr nur eine Heirat. Aber will sie das? „Ich habe Blumen verkauft. Aber nicht mich selber!“ – Und als weiteres Dienstmädchen in Higgins Haushalt zu bleiben? Ihm seine Pantoffeln zu suchen? Was sie davon hält, zeigt sie, indem sie ihm die Pantoffeln – zum Vergnügen des Publikums! - an den Kopf schmeißt, bevor sie verschwindet.

 

Ein offener Schluss also; und ein erbärmlicher Schluss, mit dem Shaw seine liebenswerte Figur (und die Zuschauer) zurück lässt!

 

Trotz dieses Handikaps hat „Pygmalion“ das Zeug zu einem Theater-Bestseller! Jenseits der  bissigen Sozialkritik, über die feinfühlige Psychologisierung hinaus, bleibt diese „gehobene Posse, ein Stück reinen Theaterspaßes“ (HENSEL) – nicht zuletzt dank ihrer lebensprallen Figuren!

 

Vom Stück zum Musical

Und doch ist „Pygmalion“ kaum einmal auf einer Bühne zu sehen! Shaws Stück wurde – leider! – verdrängt von einem Abkömmling: von „My fair Lady“, einem operettenhaften Musical, das 1956 in New York uraufgeführt wurde und bis heute eines der erfolgreichsten Musicals geblieben ist! „My Fair Lady“ bleibt recht dicht an Shaws Originaltext und gewinnt eine zusätzliche Dimension durch Frederick Loewes eingängige Musik, vor allem durch eine ganze Serie von Ohrwürmern, von Evergreens: Elizas Traum vom kleinen Glück in einem „Zimmerchen irjendwo“ mit „Koks im Ofen, lichterloh“ und von schier unvorstellbarem Luxus: „Pralinés, aber gleich en gros – wäre det nich wunderschön“; später ihre Freude über erste Phonetik-Erfolge: „Ich hätt‘ getanzt heut‘ nacht“.

 

Oder der panisch-ausgelassene Abschied ihres Vaters vom Junggesellenstatus: „Hei, heute morgen mach‘ ich Hochzeit“. Und natürlich der Superhit (von Robert Gilbert kongenial ins Deutsche übertragen):  „The rain in Spain stays mainly in the plain“ --> „Es grünt so grün wenn Spaniens Blüten blühen”.

 

Vom offenen zum Happy-End

Dass das Musical seine literarische Vorlage in der Gunst des Publikums weit überflügelt hat, liegt wohl – außer an der Musik – auch an einem gravierenden inhaltlichen Eingriff: Für „my fair Lady“ steht ein Happy End in Aussicht!

 

Shaw selbst hat dieses Happy End – eine Heirat zwischen Eliza und Higgins – vehement abgelehnt. Er selbst hat zwar seine Geschichte eine „Romanze“ genannt, in einem umfangreichen Nachwort macht er sich aber über den gewöhnlichen Zuschauer lustig, dessen „Einbildungskraft durch zweitklassige Fertigwaren verdorben (sei), wo die Romantik immer ein Happy-End bereithält, das alles unpassend abschließt“. Die „gedankenlose Annahme …, dass Eliza ihren Helden geheiratet hat, da sie ja die Heldin einer Romanze war“ ist für Shaw „unerträglich, weil ihr kleines Drama vernichtet wird“. Für ihn liegt eine andere „Fortsetzung auf der Hand“, welche er im Nachwort breit ausmalt: Eliza heiratet Freddy, einen jungen Mann, der Eliza anbetet, und der zwar der guten Gesellschaft angehört, aber über keinerlei Vermögen verfügt: weder finanziell, noch körperlich und schon gar nicht geistig – so dass sie ihn wird ernähren müssen, mit Hilfe eines kleinen Blumen- und Gemüseladens, den der großzügige Oberst Pickering dem ehemaligen Blumenmädchen und der gelernten feinen Lady endlich einrichtet.

 

Den weiteren Verlauf dieser Ehe mag man sich nun wirklich nicht vorstellen!

 

Zum Glück greifen da die Musical-Autoren ein! Der eingefleischte Junggeselle Henry Higgins wacht endlich auf, als von einer Verbindung Eliza – Freddy die Rede ist: „Ich werde mein Meisterstück nicht Freddy hinwerfen“, wütet er schon bei Shaw, wo er allerdings noch an Generalgouverneure und Vizekönige als würdige Ehepartner denkt.

 

Doch am Ende des Musicals hat er’s begriffen: „Ich bin gewöhnt an ihr Gesicht  …“  gesteht er sich selbst, und ein operettenseliges Publikum vergisst über dem herzerweichenden Gesülze allzu gerne des Junggesellen früheres Wüten gegen die Frau. Der Boden ist also bereitet: Eliza kann zurückkehren. Ihre naive Rechtfertigung von einst („Ick hab mir extra Hände und Jesicht jewaschen“) kann nun als Bekenntnis „Ich gehöre zu dir“ interpretiert werden. Und Higgins‘ grobianisches „Wo sind meine Pantoffeln“ darf man gerne als Antizipation eines kommenden Ehe-Alltags nehmen. Zum Glück nimmt zum Abschluss die Musik nochmals die gefälligsten Motive auf („Ich hätt getanzt …“), auf dass nun wirklich keiner auf die Idee einer Strindbergschen Fortsetzung komme …

 

Die Detmolder Inszenierung

Gleich zu Beginn werden wir mit den Gegensätzen konfrontiert, die den sozialen Hintergrund von „My Fair Lady“ ausmachen: Das unregelmäßige Muster der Rückwand evoziert den bröckelnden Putz in den Hinterhöfen rund um Covent Garden, während das Bühnenportal schon mal auf die im Style William Morris‘ und Burne Jones‘ dekorierten Wohnungen des Professors und seiner Mutter verweist (Bühne: Markus Meyer). Soeben strömt aus der Oper die aufgebrezelte feine Londoner Gesellschaft – und trifft auf den Bodensatz der Großstadtbevölkerung: Straßenhändler, Obdachlose, Herumtreiber, zwischen denen schon mal eine überdimensionierte Ratte herumwuselt. Hier ist es, wo der Spachpurist Higgins (Jan Friedrich Eggers) erstmals auf die gemäßigt berlinernde Eliza (Lotte Kortenhaus) trifft.

Und hier kann Kostümbildnerin Maren Steinebel damit anfangen, eine breite Vielfalt von Kostümen vorzuführen, was sich im Verlauf des Abends fortsetzen wird: von den Dickens-inspirierten Elendsklamotten der Unterschicht über den Ausgeh-Anzug eines mode-muffeligen Professors bis zu den Kreationen einer High Snobiety in Ascot. Dazwischen immer mal wieder die grell-gelben Kostüme des Chors / Dienstmädchengeschwaders, bei denen man spontan an die französischen Gelbwesten denkt (ohne dass das einen Sinn ergäbe).

 

Einen Schnelldurchgang durch die englische Geschichte bis in die jüngste Gegenwart verpasst uns einer der Obdachlosen mit einem schäbigen Pappkarton, auf dem zu Beginn zu lesen Ist: „It’s going to get worse“ bis dann der Tiefpunkt erreicht ist: “Can’t get worse than this”. Da blieb nur noch die Hoffnung: “Let’s join EU”. Wo das hin geführt hat, weiß man. Am Ende steht dann der (vergebliche?) Appell: Remain”. 

 

Ansonsten halten sich Regisseur Christian Poewe und Dramaturgin Elisabeth Wirtz ziemlich eng an die Vorlage. Die zentrale Ball-Szene ist allerdings stark stilisiert; Higgins Konkurrenten, Prof. Karpathy, kennt man hier – ebenso wie die Königin von Transsylvanien – nur vom Hörensagen. Dagegen wird Elizas Phantasie von der Rache an ihrem Peiniger Higgins („Wart’s nur ab!“) drastisch illustriert durch eine Art lebendes (Traum-)Bild im Hintergrund.

 

Dazwischen mal ein Witzchen: Eigentlich wollte Oberst Pickering in der Oper die „Aida“ hören (die zurzeit erfolgreich am Landestheater gespielt wird), ist dann aber zu seinem Missvergnügen in „Lohengrün“ (!) geraten.

 

Und ganz am Schluss, als Eliza zurückkommt, gibt’s noch einen gendermäßigen Paukenschlag! Eine herrliche Überraschung! Die aber hier noch nicht verraten werden darf (nur so viel: wenn vorhin im Hinblick auf eine Ehe Eliza – Freddy von einer „Strindbergschen Fortsetzung“ die Rede war, und wenn mit einer solchen Fortsetzung durchaus auch für das Verhältnis Eliza – Higgins zu rechnen ist, dann wird diese Befürchtung durch den „Paukenschlag“ keineswegs gegenstandslos).

 

Und sonst? Die von Kirsteen Mair choreografierten Tänze: eine Augenweide. Der von  Francesco Damiani geleitete Chor: ein Vergnügen. Das Orchester unter Mathias Mönius spielt mit dem schmissigen Swing, den man erwartet. – Nur leider können die Sänger mit der Macht der Musik nicht immer mithalten, so dass einige der Hits eher etwas kläglich beim Zuhörer ankommen.

 

Die Darsteller:

Die Darsteller und die Ausgestaltung der Rollen haben in unterschiedlichem Maße begeistert. Den Freddy müsste man nicht gaanz so dröge darstellen. Und schade, dass Brigitte Bauma unter ihrer unförmigen Perücke nicht zu erkennen war. Erst recht schade, dass sie kaum eine Chance bekam, das komische Potential in der Rolle der Haushälterin auszuspielen. Altgediente Landestheaterbesucher werden sich dagegen gefreut haben, dass Joachim Ruczynski aus dem Ruhestand reaktiviert wurde, um die Rolle des Oberst Pickering perfekt auszufüllen. Star des Abends war dann Lotte Kortenhaus (die als Eliza natürlich auch eine tolle Rolle hat): Sie erfreut nicht nur mit ihrer Stimme, sie überzeugt auch als Schauspielerin, indem sie die freche Gassengöre ebenso glaubhaft verkörpert wie die verzweifelte gepiesackte Sprachschülerin. Und wie sie dann als vornehme Lady in weißer Abendrobe die Treppe herunterschreitet, herabschwebt - da könnte selbst Audrey Hepburn neidisch werden.

 

 

PS:

Aus der langen Reihe literarischer Pygmalion-Adaptionen soll noch auf eine neuere aufmerksam gemacht werden, die aufgrund ihres originellen Ansatzes interessant ist: In Neil LaButes Theaterbestseller „das  maß der dinge“ (2002) ist es eine weibliche, ausgesprochen fiese Pygmalia namens Eve(-lyn), welche sich ein männliches Mauerblümchen namens Adam schnappt und diesen – mit Überredung und Sex – vom plump-unscheinbaren Langweiler zum jugendlich-attraktiven Helden stylt.

 

 

 

 

Landestheater Detmold:

 

My Fair Lady

Musical nach George Bernhard Shaw „Pygmalion“
Musik Frederick Loewe / Buch Alan Jay Learner


Musikalische Leitung                             Mathias Mönius
Inszenierung                                         Christian Poewe
Choreografie                                         Kirsteen Mair
Bühne                                                   Markus Meyer
Kostüme                                               Maren Steinebel
Chor                                                     Francesco Damiani
Dramaturgie                                          Elisabeth Wirtz


Prof. Henry Higgins                               Jan Friedrich Eggers / Andreas Jören
Eliza Doolittle                                        Lotte Kortenhaus / Caterina Maier
Alfred P. Doolittle                                  Klaus Belzer / Rudi Reschke
Oberst Pickering                                   Hannes Fischer / Joachim Ruczynski
Freddy Eynsford-Hill                              Jakob Kunath / Nando Zickgraf
Mrs. Pearce, Higgins Hausdame            Brigitte Bauma
Mrs. Higgins, Higgins Mutter                  Kerstin Klinder / Monika Mayer
Mrs. Eynsford-Hill                                  Annette Blazyczek
Harry                                                     Jürgen Strohschein
Jamie Steven                                        Armin Novak
1. Mädchen                                           Annette Blazyczek / Tatjana Yang
2. Mädchen                                           Almut Orthaus / Andrea Drabben
Mrs. Hopkins                                         Rita Gmeiner
Lady Boxington                                      Mila Feidern
Lord Boxington                                      Torsten Lück
Vier Obdachlose                                    Daniel Schliewa / Lifan Yang /

                                                             Sebastian Schaffer / Jürgen Strohschein
Tänzer*innen                                         Makiko Kitamura

Jacqueline Krell
Grace Monahan
Adrian Sánchez Cancillo

Georg (Wirt)                                          Florian Zanger
 

Symphonisches Orchester, Chor und Statisterie des Landestheaters Detmold
Doppelbesetzung in alphabetischer Reihenfolge

 

Premiere: Freitag, 25. Oktobber 2019, 19:30 Uhr, Landestheater Detmold

Besuchte Vorstellung: 30.10.2019

Weitere Vorstellungen: 30.10. / 10.1 1 . / 15.1 1 . / 20.1 1 . / 22.1 1 . / 23.11. / 8.12. / 14.12. / 19.12. / 26.12. / 31.12.2019 / 31 .3. / 20.4. / 10.5.2020