Sieben Ansichten von Clowns

Quel Spectacle!

Landestheater Detmold hat (nicht) die Katze im Sack gekauft

(g.wasa   -   Detmold)     -     Man erwartet (erhofft? befürchtet?) einen Besuch, und wenn dann ein Fremder in der Tür steht, hält man ihn für den Erwarteten. Die (teils heiteren, teils tragischen) Verwechslungen und Verwicklungen, die sich aus derartigen Situationen ergeben, kennen wir aus der Schweiz (Gottfried Kellers „Kleider machen Leute“) ebenso wie aus Russland (Gogols „Revisor“). Und aus Frankreich, wo George Feydeau Ende des 19. Jahrhunderts aus dem Stoff eine spektakuläre Komödie, eine „turbulente Farce“ (Landestheater) gemacht hat. 

(alle Fotos: Landestheater Detmold - Henke/Lontzek)

Der Autor

Georges Feydeau (* 8.12.1862, Paris, † 5.06.1921, Rueil-Malmaison) ist „ohne Zweifel der größte Lustspieldichter Frankreichs seit Molière, der Molière der Belle Epoque“ (Piontek). Der Sohn eines Schriftstellers war von Jugend an am Theater interessiert; mit 20 debütierte er als Dramatiker, doch seine ersten Stücke – darunter „Chat en poche“ (= „Katze im Sack“, 1888) – blieben ohne Erfolg. Der stellte sich erst 10 Jahre später ein, und seine insgesamt 39 Stücke brachten ihm ein Vermögen ein, das allerdings durch Spiel und Börsenspekulation immer wieder dahinschmolz.

(Mehr im Programmheft; noch mehr bei Wikipedia

 

Feydeau gilt als einer der Urväter der modernen Boulevadkomödie, als ein Meister der „Pièce bien faite“, des „gut gemachten Stückes“, mit einer präzise konstruierten „berechneten Komik, die sich selbsttätig zu potenzieren scheint“ (Hensel): „rasant, absurd und irrwitzig logisch“ (Piontek).

 

Die Interpreten sind sich einig, dass sich Feydeaus komplexe Stücke mit ihrer verwickelten Handlung nicht nacherzählen lassen. Andererseits empfiehlt sich gerade wegen dieser Komplexität (oder: Unübersichtlichkeit) eine gewisse Vorbereitung. Deshalb sei ein grober Inhalts-Überblick wenigstens versucht:

 Die Story

Monsieur Pacarel, sein Freund Dr. Landernau und die Ehefrauen Marthe und Amandine leben mit Pacarels Tochter Julie und dem Diener Tiburce in einem Haushalt in Paris. Der Zuckerfabrikant Pacarel hat „durch Ausbeutung der Diabetiker“ ein Vermögen gemacht; jetzt möchte er auf dem Feld der Kultur glänzen. Er trägt bereits die silbernen „Palmes Académiques“, die ihn als Offizier des Palmenordens ausweisen (= eine der höchsten französischen Auszeichnungen) – doch muss er gestehen, dass er diese nicht regulär, nämlich für Verdienste um das französische Bildungswesen erhalten, sondern beim Opernball gefunden hat. Doch nun soll die Opéra eine neue Version von Gounods „Faust“-Oper aufführen, die zwar von Tochter Julie komponiert wurde, die er aber, als „Werk meines Werkes“, als sein Erzeugnis betrachtet.

 

Um den Erfolg zu sichern, lässt er aus Bordeaux einen Star-Tenor kommen, doch den hat die Einladung nie erreicht. Als nun Monsieur Dufausset erscheint, ein junger Mann aus Bordeaux, hält man diesen – erste Verwechslung! - für den Gesangsstar, und Pacarel schließt sofort mit ihm einen Vertrag, der dem vermeintlichen Genie für 10 Jahre ein horrendes Einkommen sichert. In Wirklichkeit ist der Fremde der Sohn eines alten Freundes, der in Paris Jura studieren will und den Pacarel unter seine Fittiche nehmen soll.

 

Von Musik hat der junge Mann keine Ahnung; dafür erweist er sich schnell als begnadeter Womanizer, dem alle Frauen im Haushalt verfallen. Er selbst ist scharf auf Marthe Pacarel, die er jedoch – nächste Verwechslung! – für Amandine Landerneau hält.

 

Weitere Beiträge zum Spektakel sind (nur als Beispiele):

  • dass Amandine ein (rätselhaft bleibendes) Zusammentreffen mit einem Fremden auf der Place Vendome hatte und jetzt (noch eine Verwechslung!) meint, jener wäre „der Tenor“ gewesen;
  • die Tatsache, dass im Französischen Homonyme (= Wörter unterschiedlicher Bedeutung, die aber gleich klingen) viel häufiger sind als im Deutschen, woraus sich (im französischen Originaltext) zahlreiche (weitere) Verwechslungen ergeben; zum Beispiel: wenn Pacarel erklärt, etwas sei nicht zu leugnen („pas nier“, gesprochen: pa_nier) so versteht seine Frau „panier“ – und damit kommt ein „Korb“ ins Spiel, der als eine Art toter Briefkasten für heimliche Liebesbotschaften noch eine bedeutsame Rolle spielen wird; 
  • dass Tochter Julie und Lanoix de Veau auf Wunsch der Eltern verlobt sind, sich aber gegenseitig nur nerven und erst, als sie die Verlobung heimlich lösen, Gefallen aneinander finden.   

Dieses „aneinander Gefallen finden“ führt allerdings nicht (wie es für eine Komödie durchaus üblich wäre) zu einer Liebesbeziehung. Schließlich ist Lanoix anderweitig verliebt und Julie hat sich (natürlich!) in den „Tenor“ verguckt, was der aber (fixiert auf Marthe) trotz aller Hinweise nicht merkt – bis zum Schluss, wo dann die Situation geklärt, die Verhältnisse geordnet werden müssen. Man möchte sich wundern, wie schnell jetzt plötzlich aus Julie und Dufausset ein Paar wird … wenn man sich in diesem Stück überhaupt über etwas – und erst recht über eine Paarbeziehung – wundern könnte. Es bleibt aber der Eindruck, dass da zum Stückschluss auf Teufel komm raus ein Happy End zusammengeschustert werden musste.

Ohnehin mag man - zumindest im Hinblick auf „Chat en poche“ - das gängige Lob nicht teilen, Feydeau habe seine Stücke perfekt konstruiert, diese seien (wenn auch: „irrwitzig …“) „… logisch“ und ihre Handlung laufe „mit der Präzision eines Uhrwerkes ab“ (Piontek). Da folgt man lieber Hensels Diktum, „die Handlungen seiner Stücke [seien] verwickelter“, als dass sie einen „einigermaßen klaren“ Überblick zuließen.

 

So ist in „Katze im Sack“ vieles verwirrend, es gibt zu viele Handlungsstränge, von denen mal der Anfang fehlt (Amandines Vendôme-Abenteuer), die mal nirgendwohin führen (Tiburces Verliebtheit in Amandine). Schon bald fragt man sich, wie oft denn nun das Motiv der Verwechslung noch variiert und wiederholt werden wird (insgesamt gut zwei Stunden lang!)

Die Inszenierung

Da wird es zum ersten Verdienst des Detmolder Leitungsteams, Wege durch das Dickicht zu schlagen, wenigstens den schlimmsten Wildwuchs zu beseitigen:

 

Der Diener Tiburce ist gestrichen, und mit ihm so manches retardierende Moment. Ebenfalls gestrichen: die meisten der Verwechslungen aufgrund der französischen Homonyme, die ohnehin nur schwer ins Deutsche zu übertragen wären. Für die wichtigste dieser Verwechslungen, das bereits genannten Wortpaar „pas nier“ und „panier“, hat man einen passablen Ersatz gefunden: Wenn von einem „Chor“ gesprochen wird, kann man schon mal „Korb“ verstehen – umso glaubhafter, als (leider nicht nur dieser) Darsteller es öfters mal an einer deutlichen Artikulation mangeln lässt.

 

Einige der hübscheren Verwechslungen bzw. Irrtümer retten sich in die Detmolder Inszenierung herüber:

 

So wird Dufausset für einen „Innenarchitekten“ gehalten, als Pacarel dem vermeintlichen Gesangsstar prophezeit, er würde Säle und Hallen füllen. – Dufausset seinerseits reagiert mit einem „Ah! Mademoiselle Garnier“, als Pacarel seine Tochter als „Urheberin der Oper“ vorstellt: Charles Garnier war Architekt der 1875 eröffneten Opéra Garnier, einem der beiden großen Pariser Opernhäuser (und, nebenbei bemerkt, die Heimat des „Phantoms der Oper“).

Enttäuschend ist die Szene, in der Dufausset plötzlich glaubt, wenn alle ihn für einen großen Sänger hielten, dann müsse er das wohl auch sein – und (zur allgemeinen Befriedigung!) tatsächlich ein paar Takte singt. In der Detmolder Inszenierung bekommt rätselhafterweise Lanoix, Julies Verlobter, diese Gesangseinlage. Dass der den Gesang nur simuliert und per Kassettenrekorder einspielt, ist ein netter Regie-Gag, kann aber nicht über diese fragwürdige „Verwechslung“ hinwegtrösten. Um so weniger, als dabei auch noch „Dies Bildnis ist bezaubernd schön“ ertönt. Nichts gegen Mozart, aber im Originaltext ist es – viel passender! – tatsächlich eine zentrale Arie aus Gounods „Faust“: Die Forderung die Faust an den Teufel als Gegenleistung für die Verschreibung seiner Seele richtet:   

 

À moi les plaisirs, les jeunes maîtresses!

À moi leurs caresses! À moi leurs désirs!“   

„À moi l’énergie des instincts puissants!

Et la folle orgie du coeur et des sens!

         (Übersetzung z. B. hier: Gounod: Faust)

 

Natürlich kann man fragen, wieso der Musikbanause Dufausset plötzlich eine Gounod-Arie singen sollte, aber dieser Einwand gilt erst recht für die „Zauberflöte“. Immerhin mag damals noch so manches Stück aus der 1859 uraufgeführten Gounod-Oper in Paris als Gassenhauer in aller Munde gewesen sein.

 

Hilfreich und zu loben ist dagegen, dass die Sache mit den Kastraten der Sixtinischen Kapelle auf der Detmolder Bühne breit ausgewalzt und erst dadurch verständlich wird. Ich muss gestehen: die Andeutungen im Originaltext hatte ich nicht verstanden. Denn wer weiß heute noch, dass der „Sixtinische Chor“ sich damals (wenigstens teilweise) aus Kastraten zusammensetzte? Aber zur Entstehungszeit von „Katze im Sack“, 1888, war dem gebildeten Theaterpublikum diese Tatsache noch bekannt, und es konnte sich darüber amüsieren, wie sich Pacaral und Landerneau über die Bemühungen des vermeintlich Entmannten um ihre Ehefrauen amüsierten. (Erst 1903 verbot Papst Pius X. deren Auftritt von Kastraten in Kirchenchören.)

 

Überzeugendes Regie-Konzept: Die Stunde der Clowns

Natürlich könnte man das Stück in seiner Zeit belassen: das Artdéco-Interieur einer großbürgerlichen Villa auf die Bühne stellen und die Darsteller in elegante Fin-de-Siècle-Kostüme stecken. Aber eine derart museale Inszenierung ist – zum Glück – nicht Sache des Detmolder Schauspieldirektors. - Oder man könnte es in die Gegenwart holen. Und beispielsweise den Kult um Möchtegern-Gesangsstars und sonstige Schmalspur-Genies von 1001 TV-Casting-Shows persiflieren.

Doch Regisseur Steinbach, Ausstatterin Däßler und Dramaturgin Friedrich haben sich anders entschieden: Wenn schon Farce, dann aber auch richtig! Und so haben sie ganz tief in die Theaterkiste gegriffen und eine Urform des Komödianten herausgeholt: den Clown. Der vielleicht mal als Possenreißer angefangen und sich über Arlechino, Narr, Hanswurst und Kasperle entwickelt hat bis zum heutigen Zirkusclown, der sozusagen zwei Seelen in seiner Brust trägt und sich in zwei Gestalten aufspaltet: den anarchischen dummen August und den eher melancholischen Weiß-Clown – was sich wiederum bis auf Shakespeare zurückverfolgen lässt, bei dem auch noch die finstersten Tragödien durch die „Fools“ einen komödiantischen Touch bekommen, während in den Komödien oft der Narr der wahre Weise ist (Feste, Touchstone; aber etwa auch im „Lear“). – (Mehr zu Clowns in einem lesenswerten Beitrag der Dramaturgin im Programmheft).

 

Und so ist in der Detmolder Inszenierung eben „die Bühne eine Bühne“ (Däßler): nicht ein eleganter Salon, sondern eine Plattform, ein einfacher Bretterboden über den die wunderbar herausstaffierten Clowns trippeln, schlurfen, stolzieren, hampeln und purzeln …, immer wieder beeindruckend akzentuiert durch eine ausgeklügelte Lichtregie. Da fällt auch schon mal ein Pärchen über den Rand. Aber bevor man dazu kommt, dies als Klamauk zu kritisieren, lacht man schon über einen daraus entwickelten Papst-Witz.

 

Die Darsteller

( Mamier/Amandine – Roth/Landerau – Schmidt/Pacarel – Hanheide/Julie – Henke/Dufausset – Stüßer/Marthe – Weber/Lanoix )

Dieses Stück „weckt die Spielfreude der Mitwirkenden. Spielfreude der Mitwirkenden ist aber auch die Voraussetzung für den Erfolg“ (Regisseur Steinbach). Diese Spielfreude war bei allen Darstellern nicht zu übersehen.

 

Fazit

Das Premierenpublikum hat anhaltend kräftig applaudiert. Steinbach & Co. haben aus dem breiten Repertoire an Theaterformen eine hervorgeholt, die sonst in Detmold selten zu sehen ist. Klar – dieses Spektakel ist nicht unbedingt das, was der brave Samstag-Abend-Abonnent an „Hochkultur“ erwartet. Aber die hat er oft genug:

Vor einiger Zeit Katharina Torwestens herrlichen „Glöckner“, erst kürzlich die klassische Komödie der „Lustigen Witwe“ oder das Problemstück „Jugend ohne Gott“. Und wer unbedingt Theater mit Gegenwartsbezug braucht, der darf bei dieser Farce gerne auch an die Clowns von „Deutschland sucht den Superstar“ etc. denken.

 

 

Quellen:

Georg Hensel: Spielplan, 1992, S. 1453 f.

Frank Piontek: Feydeau. - Harenbergs Schauspielführer, 1997, S. 275 f.

 

 

Landestheater Detmold:

Katze im Sack  (Chat en poche)

Komödie von Georges Feydeau

Deutsch von Christoph Thein

 

Inszenierung:   Jan Steinbach

Ausstattung:   Lisa Däßler

Dramaturgie:   Laura Friedrich

Maske:   Kerstin Steinke

Licht:   Udo Groll

Ton:   Timo Hintz

 

Lanoix de Veau:   Emanuel Weber

Julie:   Stella Hanheide

Dufausset:   Justus Henke

Amandine:   Natascha Mamier

Landernau:   Jürgen Roth

Pacarel:   Gernot Schmidt

Marthe:   Manuela Stüßer