Heimat – deine Kneipen 

„Soul Kitchen“ bietet im Landestheater Nahrung fürs Gemüt

(alle Fotos: Quast/ Landestheater Detmold)

 

Erst wenn der letzte Tante-Emma-Laden durch einen

Bürokomplex ersetzt, das letzte Büdchen pleite und die letzte Eckkneipe zum Gourmet-Tempel upgegradet ist,

werden wir merken, dass Amazon und Pizzadienst

keine Gesprächspartner und schon gar

keine Freunde ins Haus liefern.

 

(Alte Stadtindianer-Weisheit)  

Von der Film-Kneipe ins Theater

g.wasa    -     Detmold.     -     Wieder mal nimmt das Landestheater Detmold – anstelle eines „richtigen“ Stücktextes – einen Film als Vorlage für seine nächste Inszenierung: „Soul Kitchen“. Meine Vorbehalte gegen diese Art Theater habe ich oft genug geäußert. Die Matinée, die das Publikum auf die Inszenierung einstimmen sollte, war allerdings vielversprechend und verhieß einen interessanten Theaterabend.

 

Nach Selbsteinschätzung des Landestheaters ist „das Stück nach dem vielfach prämierten Kultfilm von Fatih Akin und Adam Bousdoukos … eine rasante Komödie mit subtilem Witz über Überlebenskünstler mit dem Herz am rechten Fleck.“ -

 

Einen „offiziellen“ Theatertext gibt es nicht; Autor und Verlag stellen lediglich das Filmdrehbuch zur Verfügung. Die Bühnenfassung wird dann vom Theater erstellt. - Während der Film des Hamburgers Fatih Akins von hansestädtischem Lokalkolorit geprägt ist, will die Detmolder Regisseurin Sarah Kohrs die Chance nutzen, sich „auf die Menschen zu konzentrieren“. Das klingt vielversprechend, wenn man sich die Konstellation des Stücks ansieht: Schauplatz ist eine kleine Kneipe; und dort stoßen die unterschiedlichsten Figuren aufeinander: zunächst der migrationshintergründige Wirt Zinos mit all seinen (finanziellen, gesundheitlichen, Beziehungs-) Problemen, dessen Angestellte: Shayn zum Beispiel, ein kochender Messerwerfer (oder messerwerfenden Koch); der liebenswerte kleinkriminelle Bruder des Wirts und der fiese wirtschaftskriminelle Immobilienhai und Ex-Schulkamerad; natürlich die Gäste, Sokrates, etwa, der ungefähr so reich an Bildung wie arm an Geld ist; und schließlich, nicht zu vergessen: die strengen Beamtinnen von Gesundheits- und Finanzamt … Man darf also eine menschlich-allzumenschliche  (Tragi- ?) Komödie erwarten und sich auf einen vergnüglichen Abend freuen.

Heimat Kneipe

Doch halt – Kohrs und Dramaturg Christian Katzschmann haben dem Stück noch eine zweite Ebene eingezogen, die sich mit dem – in jüngerer Zeit geradezu inflationär verwendeten – Begriff „Heimat“ zusammenfassen ließe. „Soul Kitchen“ ist nicht nur der Name von Zinos Kneipe, „Soul Kitchen“ ist auch Programm: Nahrung für die Seele. „Soul Kitchen ist dort, wo jemand er selbst sein kann“ (Kohrs).

Kann im Zeitalter der Globalisierung, in der Ära der unbeschränkten Mobilität(spflicht) die kleine Kneipe tatsächlich zur Heimat für die (Arbeits-) Nomaden werden? Wenigstens „zum Wohlfühlort und zur Schutzzone“, sozusagen als Heimatersatz? Und selbst wenn sie es könnte – kriegt sie überhaupt eine Chance? Hat sie noch Platz in den „Adaptive Cities der Zukunft“ mit ihrer „Flatrate-Economy“? Gegen die „einheitlich gestylten Convenience-Food-Quader mit überall identischem Service und Geschmack, serviert von ebenso stromlinienförmig freundlichen Jungs und Mädels, vor Ort, to go oder per Lieferservice“, gegen diesen standardisierten „Service by Design“ – was können dagegen all die (laut coolen Trendforschern) „verstaubten Orte“ ausrichten, die bereits „heute ein Schattendasein fristen, weil ihre alte analoge Logik nicht mehr funktioniert, wie Bibliotheken, Imbisse oder Kneipen?

 

Happy-End im Theater …. und draußen?

Vorstellbar, dass das Theater in seinem „Bühnen-Märchen für Erwachsene“ ein Happy End für das „Soul Kitchen“ bereit hält. Aber draußen, ein paar Meter weiter in der Langen Straße, der Kummen Straße (zu schweigen von Paulinen- und Bismarckstraße)? Angesichts der nicht-theatralen Realität kann der Realist nur Pessimist sein.

 

Und die (wie manche meinen: vornehmste) Aufgabe des Theaters, über die Realität hinauszudenken, Denkblockaden aufzulösen, womöglich gar Auswege zu zeigen? Warten wir mal die Premiere ab.

Manus manum lavat (?)

 

Dramaturg Katzschmann hat’s jedenfalls schon mal versucht, mit einem Appell ans Publikum:

 

„Doch wir haben es selbst in der Hand, Originalität und Würze, das Besondere zu erhalten: Riskieren wir etwas, bleiben wir neugierig, lassen wir uns die ‚verstaubten‘ Orte zugunsten von trendigen Allerweltsangeboten nicht nehmen! Wenn Sie reale Kneipenheimaten retten wollen, dann gehen Sie doch nach dem Vorstellungsbesuch mal wieder in Ihr Lieblingslokal vor Ort, dem, und der Stadt tut es gut.“

 

JA!
 

 

 

Landestheater Detmold:

Soul Kitchen

Schauspiel mit Live-Musik nach dem gleichnamigen Film von Fatih Akin und Adam Bousdoukos

 

Besetzung:
Regie: Sarah Kohrs
Bühne: Petra Mollérus
Kostüme: Roland Papst
Musikalische Leitung: Andrew Garsden
Dramaturgie: Christian Katzschmann

 

Schon wieder mit Pistole?

Zinos: Adrian Thomser
Illias: Hubertus Brandt
Neumann: Hartmut Jonas
Lucia: Kathrin Berg
Lutz: Markus Hottgenroth
Nadine: Jorida Sorra
Shayn: Jürgen Roth
Sokrates: Henry Klinder
Frau Schuster: Nicola Schubert
Milli: Ralf Kramer
Ziege: Tilman Capelle
Restaurantgast/Makler: Matthias Bünger

Restaurantbesitzer/Meyer/Polizist: Holger Teßmann

 

„Soul Kitchen“-Band:
Bennet Sawadsky/Arndt Hesse (Drums)
Ingo Otte (Kontrabass)
Andrew Garsden (Gitarre)

 

Premiere:

Freitag, 3. November 2017, 19.30 Uhr, Landestheater Detmold
 

Vorstellungen:

Sa, 11.11./ Do, 16.11./ So, 26.11./ Do, 14.12./ Mi, 27.12.2017/ Do, 11.1./ Mi, 24.1./ Sa, 27.1./ Fr, 9.3.2018
 

Aufführungsdauer: 2 Stunden, 1 Pause