Viel Posse. Wenig Politik.

Dario Fos Polit-Posse "Bezahlt wird nicht" im Sommer- / Hof-Theater

Fotos: Landestheater

WaSa - Detmold.   Es hätte so schön werden können! Vorsommerlich-mediterranes Flair unter lippischem Sternenhimmel. Frisch gezapftes Bier aus heimischer Brauerei, knusprig gebratene Würstchen. Und dazu ein lustiges Spektakel für die ganze Familie ... Am Landestheater hat’s nicht gelegen. Das hatte – wie alle Jahre wieder gegen Saisonende – den Theater-Innenhof gekehrt und mit Biertischgarnituren ausgestattet. Wurstbraterei und Bierstand waren aufgebaut, die Kulissen gemalt, die Schauspieler in Form. Da musste nur noch das Publikum zur Premiere des diesjährigen „Hoftheaters“ kommen.

Wer nicht mitgespielt hat, war der Wettergott – ob wegen der Lasterhaftigkeit des Stücks, wie Dramaturg Katzschmann vermutete, sei dahingestellt. Jedenfalls hat sich das Theater angesichts spätherbstlicher Temperatuen und drohenden Dauerregens kurzfristig entschlossen, die Premiere von Dario Fos „Bezahlt wird nicht“ aus dem offenen Theaterhof  unter das gastliche Dach des Sommer(?!)-Theaters zu verlegen.

Nur, leider: Würstchen gab’s dort nicht (wer darauf spekuliert hatte, mochte gemeinsam mit dem Helden des Stücks jammern: „Mensch, hab ich einen Kohldampf“). Und statt des frisch gezapften Bieres wurde einem (angeblich: „leckerer“(!) und immerhin: italienischer) Rotwein aus dem 2-Liter-Plastik-Container angetragen (der Kommentar dazu ist der Selbstzensur zum Opfer gefallen).

Aber schön wurde es dann doch noch! Und – um das vorwegzunehmen – das Publikum war amüsiert und begeistert und hat dies durch reichlich Zwischenapplaus und kräftigen Schlussbeifall auch kundgetan.

Schließlich war im Sommertheater alles da, was man für ein amüsant-unterhaltsames Theatererlebnis  so braucht: die bunte Kulisse mit einer hübsch-hässlichen 50er-Jahre-Küche und überdimensionalen Werbeplakaten, die zum (bezahlten!) Einkaufen animieren sollen (mit einer Lasagnereklame, in die sich ein bisschen Pferd hineingeschlichen hatte);  noch buntere Kostüme (Giovanni trägt blau-gelb zur konservativ-tiefroten Gesinnung) und natürlich die Schauspieler  in diesen Kostümen: Wenn das Ehepaar Kerstin und Henry Klinder gemeinsam auf der Bühne steht, ist das immer ein Erlebnis für sich. So auch hier, wo die Rollen der schlitzohrigen Antonia und des bieder-bärbeißigen Giovanni den beiden wie auf den Leib geschneidert erscheinen. Ergänzt werden die beiden durch das „Nachwuchs“-Paar Margaretha und Luigi alias Jenny-Ellen Riemann und Martin Krah. Und dann ist da noch Joachim Ruczynski, der gleich in vier Rollen glänzt: als guter und als böser Polizist (die beiden hätte man durch Kostüm/Maske ruhig noch etwas deutlicher unterscheiden können), als Bestattungsunternehmer und als seniler Vater.

Ja, und schließlich und vor allem: eine turbulente Handlung mit hohem Spaßfaktor  ... nein – das erzählen wir jetzt aber nicht alles; das müssen Sie sich schon selber ansehen!

Stattdessen zum Hintergrund: diese Politposse ist eines der bekanntesten Werke des italienischen Nobelpreisträgers Dario Fo und spielt ursprünglich im Mailand der frühen 70er Jahre, also in der Umbruchzeit nach der ersten Ölkrise.

 

Über das Entstehungsjahr 1974 vermeldet Wikipedia:


„Auch in Italien bestimmte die Finanzkrise die Politik des Landes. Die wirtschaftliche Krise führte zu starken Unruhen und zu einem wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruch. Über Monate gab es keine Postzustellungen, und in den Großstädten wurden ... die Wohnungen knapp. In der Regierung häuften sich Korruptionsfälle .... Die (bis dahin seit Jahrzehnten unangefochtene) Christdemokratische Regierungspartei verlor zunehmend die Unterstützung.“ - In diese Zeit fällt auch die Reform des PCI in Richtung eines moderaten Eurokommunismus durch Enrico Berlinguer – was wiederum den überzeugten Kommunisten Fo zum Linksabweichler machte. 

 

Dass eine Arbeiterfamilie ihre Stromrechnung oder Miete nicht bezahlen konnte, dass Preissteigerungen für Güter des täglichen Bedarfs an die Existenz gingen, war also ein ganz realer Hintergrund für diese Politposse. Fo hat seine Stücke wirklich nach dem alte Theaterprinzip gebaut: „tua res agitur – da werden deine Probleme behandelt“ .

 

Denn – so HENSEL – Fo hatte tatsächlich „ein riesiges proletarisches Vorstadt-Publikum“, anders als in Deutschland, wo „das Proletariat nie ins Theater geht. So kommt es, dass seine Politpossen auf dem Weg von Italien nach Deutschland ihre direkte Beziehung zu ihrem Publikum, ihren aktuellen Biss und ihren romantischen Charme verlieren. Meist bleiben nur Possen übrig zum unbeschwerten Amüsement liberaler bürgerlicher Zuschauer, die Dario Fos politische Agitation freundlich übersehen“.

Die Detmolder Inszenierung ist also in guter Gesellschaft, wenn man ihr vorwirft, dass der sozialkritische Aspekt doch etwas hinter dem Spektakel verschwindet. Wichtiger als der leere Kühlschrank ist hier der running gag mit der sich immer wieder öffnenden Kühlschranktür; anstelle der Arbeiter revoltieren hier die Küchenschranktüren und –schubladen; dieses lustige Spektakel erhält Szenenapplaus, doch der Purist mag darüber die Nase rümpfen. Dass Giovanni  zwar ein kleinbürgerlicher Spießer, aber doch ein in der Wolle gefärbter Kommunist ist (ja, im damaligen Italien gab’s so was!), darauf deutet allenfalls noch hin, dass er beim Heimkommen das alte Arbeiterkampflied von der „bandera rossa“, der Roten Fahne, vor sich hin pfeift. 

Immerhin hat man versucht, das Stück zu aktualisieren: da ist von Betriebsverlagerungen nach Rumänien die Rede und von der Bahn, die unterirdische Bahnhöfe baut; aber meist geht es auch dabei um Harmloseres: um den argentinischen Papst und um die Sorge, dass die drohende Stromabschaltung auch den Fernseher lahmlegt – „gerade heute!“ (am Tag der Premiere spielte Dortmund gegen München in Wembley um den Champions-League-Pokal).  Ganz zum Schluss tritt allerdings noch einmal Joachim Ruczynski auf, der zu seinen vier Rollen hier noch eine fünfte dazu bekommen hat: als Banker, der mit einer Philippika gegen den Finanzkapitalismus einen überzeugenden Schlusspunkt  setzt - ein herrliches Stück ironischer Gegenwartskritik. Davon hätt's gern ein bisschen mehr sein dürfen!