Spectaculum maximum

"Ben Hur" am Landestheater Detmold  – inklusive Wagenrennen!

(alle Fotos - soweit keine andere Quelle genannt: Landestheater Detmold/Lefebvre)

 

g.wasa     -     Detmold     -     Mist-Wetter! Da hat’s mir doch glatt meinen Gag mit „panem et circenses“ verregnet! So hätte ich den Bericht  über dieses Spektakel nämlich gerne überschrieben, wenn’s denn wie geplant im Hof des Landestheaters stattgefunden hätte: mit Bierbude, Bratwurstgrill und Salatbar, so wie im Vorjahr und den Vor-Vorjahren …

Doch heuer musste die Premiere in den Saal verlegt werden, und an Kulinarischem gab’s lediglich den von den Darstellern schon vorab marktschreierisch angepriesenen Ben-Hur-Schnaps.

 

Aber mein Latein-Wörterbuch hat eine ganz brauchbare Titel-Alternative hergegeben – finden Sie nicht? Und Latein musste es nun mal sein (sogar des Deutschen liebste Krimiserie taucht hier als  Locus delicti  auf), denn schließlich spielt die Geschichte zur Zeit Jesu teils im römisch besetzten Judäa teils im Nabel der Welt selbst: Rom, Roma, Roma aeterna, Rom als „Macht in Form von Architektur“  …

Muss man mehr über die Story sagen? Die Geschichte vom jüdischen Prinzen Ben Hur und dem Römer Messala, als Jugendliche Busen(!)freunde, als Erwachsene Todfeinde; diese Geschichte, die im berühmten Wagenrennen gipfelt - die kennt doch jeder. Auch wer den 1880 erschienenen 1000-Seiten-Schinken von Lewis Wallace nicht gelesen hat, hat doch den Film von 1959 gesehen … oder zumindest davon gehört, und sei es nur durch die Ankündigung des Landestheaters:

 

„ … der monumentalste aller Monumentalfilme: 365 Sprechrollen, 50.000 Statisten, 300 Dekorationen, 5 Jahre Drehzeit!“ – 11 Oscars, sollte man noch ergänzen.

 

Das Landestheater selbst zweifelt: „Wie soll solch ein Spektakel auf der Bühne funktionieren?“ – Da kann ich mir meine Zweifel ja sparen (die ich hinsichtlich Bühnenadaptionen von Filmen schon oft und laut genug geäußert habe!)

 

Nein – da kann man gar nicht anders, als ein Spektakel draus zu machen! Und über ein solches Spektakel kann man entweder bildungsbürgerlich-kultiviert die Nase rümpfen ("Das ist nicht meine Art von Humor", tönte es pikiert aus der Reihe hinter mir) – oder sich auf den Spaß einlassen und sich einfach amüsieren. Meine Empfehlung: versuchen Sie’s mal mit letzterem … Da ist schließlich für Jeden was dabei (und auch für Jede; darauf würde die antike Feministin Natascha Mamier bestehen. - Die hat sich dann allerdings – typisch Gegenwarts-Feministin! – einen Mann aus dem Publikum geholt, um ihren Liegestuhl aufzubauen – Schande über den Mann, der sich da für die Feministin abgemüht hat!).

Ein paar Beispiele, wer als Jeder/Jede alles gemeint sein könnte: 

der Mitmachtheater-Fan (is‘ ja gut, Natascha, natürlich auch die Fannin): sie/er darf sich beim kollektiven Synchron-Galeeren-Rudern vergnügen;

der Schauspieler/innen-Verehrer: phänomenal, was die vier (Stephan Clemens,  Natascha Mamier, Jürgen Roth, Roman Weltzien) in ihren 365 Rollen (Statistenrollen nicht mitgezählt!) alles leisten! Allein die atemberaubenden Kostümwechsel: soeben verkörperte Weltzien als Messala noch die Karikatur eines Römers, schon steht er als semi-seriöser Moderator der Sportschau auf der Bühne (s. Foto ganz unten);

 

Natascha Mamier als Prinzessin B. Hur alias Galeerensklavin alias Traumschiff-Urlauberin (mit J. Roth)

die Gender-Fanatikerin: wenn endlich klargestellt wird (Zitat Landestheater: „so manches wird aufgedeckt, was das Kino verschwieg“), dass der Prinz Ben Hur eigentlich eine Prinzessin Ben Hur ist (müsste dann eigentlich Bint Hur heißen) – gleichzeitig ein genialer dramaturgischer Kniff, um die sexuelle Beziehung zwischen B. Hur und Messala zu legalisieren (übrigens: der nicht gerade als liberal bekannte Filmstar und B.-Hur-Darsteller Charlton Heston soll getobt haben, als er von der Absicht der Regie erfuhr, seinem Verhältnis zu Messala einen homoerotischen Touch zu verpassen);

 

die Schadenfrohe: was da alles schiefgeht! Gleich zu Beginn glänzt einer der (ohnehin nur vier) Darsteller durch Abwesenheit; dann versagt die Primitivmechanik, die den Stern von Bethlehem über die Bühne bewegen soll, so dass die paar zusammengenagelten Holzlatten per Hand transportiert werden müssen …;

der Liebhaber von Anachronismen: angesichts von Selfies, Mailbox und Hamlet(?)-Double;

 

oder wenn der römische Galeeren-Admiral Quintus Arrius (Jürgen Roth) als Traumschiff-Kapitän und Roman Weltzien (in der Rolle des ???) als friesischer Seebär kostümiert sind;

 

 

oder wenn ein heutiger Bauarbeiter staunend den mit zwei Kreuzesbalken ausgetragenen Fechtkampf eines weiblichen Zorro gegen einen Operetten-Römer verfolgt;

 

kleines Foto: Duane Hanson: Supermarket Lady - Ludwig-Forum Aachen

die Kunst-Historikerin: wenn Natascha Mamier als „Supermarket Lady“ auftritt (und in ihrem Einkaufswagen Brot und Fisch bringt, und so das Jesuswunder der Speisung der 5000 ermöglicht – Markus 6,30-44); von den arg-spät-römischen Säulen auf der Bühne wollen wir lieber schweigen …;

 

der Zitate-Jäger, wenn nicht nur Cäsars „Et tu?“ persifliert, sondern auch die jüngste „ernsthafte“ Landestheaterproduktion geplündert wird: „Es scheint in dieser Versammlung einige empfindliche Ohren zu geben …“;

 

die Kinogängerin: für sie gibt’s als besonderes Bonbon … ach was: als köstliche Praline: Natascha Mamier in Titanic-Pose; ach so ja: apropos Kino: das Wagenrennen beschreibe ich Ihnen jetzt nicht – das müssen Sie sich schon selber ansehen;

 

der rührselige Christ als naiver Konsument der Weihnachtsgeschichte: wenn die Hirten samt Schaf (R. Weltzien: „Mäh mäh“ in Dutzenden Modulationen) „Stille Nacht“ erst brav singen und dann auch noch rappen;

 

die klassische Musikliebhaberin: denn in einer Geschichte rund um den Messias darf natürlich auch Händels „Hallelujah“ nicht fehlen!

 

Und der Schlagerfan, der am Premierenabend die Live-Übertragung des Eurovision Song Contest verpasst hat – selbst für den gibt’s zumindest reichlich Ersatz: da erklingen beispielsweise: „dieser Weg wird steinig und schwer“(!) (Xavier Naidoo … sollte der nicht ursprünglich …?),  „Wir fliegen zu den Sternen“ (Nicole – hat die nicht sogar mal …?), „Wenn ich geh, geht nur ein Teil von mir“ (war das Peter Maffay?) … Und ganz am Schluss (nachdem er vorher schon mal als hässliche Karikatur aufgetaucht war) erscheint sogar the King himself: „Falling in love with you

 

 

Wo bleibt das Negative?

Mit diesem Höhe- und Endpunkt könnte jetzt eigentlich Schluss sein. Aber am Ende meiner Kritiken zitiere ich nun mal gerne Kästner: „Wo bleibt das Positive?“ – Diesmal Anti-Kästner: „Wo bleibt das Negative?“ – Also:

 

Für den Sportsfreund gab’s die Sportschau – eine unverschämte Zumutung! Nicht nur für Anhänger des VfB (dessen Abstieg am Premierentag besiegelt  und prompt von der Bühne herab verkündet wurde); nein -  unverzeihlich für alle Fußball-Fans: dass das heilige „Tor des Monats“ als „Rohr des Monats“ veräppelt wurde !!!

(Moderatoren-Foto: ARD - Sportschau)

 

 

Und schließlich: für den Kritiker, für den notorischen Nörgler: Ja! Manches ist einfach übertrieben, zu überspannt-albern (ein gelegentlich gar zu kindisches Gejammer Messalas) oder schlicht unnötig (der Streit der Weisen etwa, oder die aufgesetzte Konkurrenz um die Regie – wozu sollte die gut sein?).

 

Aber wollen wir wirklich diesem Beckmesser das letzte Wort überlassen? Nein! Das soll der Optimist kriegen: Womöglich passte das Albern-Überspannte ja nur nicht so recht in den gutbürgerlichen Theatersaal. Womöglich wirken solche Übertreibungen draußen, zwischen Biertisch-Garnituren ja ganz normal! Einfach nur unterhaltend!

 

Vielleicht leiste ich mir demnächst noch einen Besuch im „Hoftheater“ – erst recht, nachdem ich so nebenbei erfahren habe, dass dort jetzt auch noch das kulinarische Angebot (Sie erinnern sich? Panem et circenses!) ausgeweitet wurde.

 

 

 

 

Landestheater Detmold (Hoftheater):

 

 

Ben Hur

 

Komödie von Rob Ballard

 

 

Regie:                         Axel Stöcker

Bühne:                       Martin Dolnik

Kostüme:                   Torsten Rauer

Dramaturgie:            Marie Johannsen

 

Familie Hur / Römer / Schafhirten / Pöbel:
Stephan Clemens / Natascha Mamier / Jürgen Roth / Roman Weltzien

 

Premiere: Samstag, 14. Mai 2016, 19.30 Uhr, Hoftheater (wetterbedingt im Saal)

weitere Vorstellungen: So, 15.5./ Mo, 16.5./ Fr, 20.5./ Sa, 21.5./ Sa, 28.5./ So, 29.5./ Fr, 3.6./ Sa, 4.6./ Fr, 10.6./ Sa, 11.6./ Fr, 17.6./ Sa, 25.6./ So, 26.6./ Fr, 1.7./ Sa, 2.7./ So, 3.7.2016