#SheToo ?

Detmolder Opernbühne: The Dirty Duchess Powders Her Face

(alle Fotos: Landestheater Detmold / Hupfeld)

Vorab: eine Grammatik-Übung? – Nicht nur!

g.wasa     -     Detmold     -     Wenn zwei das Gleiche tun, ist es dann wirklich das Gleiche? (Oder womöglich sogar dasselbe?). Zwei Menschen sind in vielem gleich: leben im selben Land, zur selben Zeit, sind beide reich, gehören derselben Gesellschaftsschicht an, sind sogar miteinander verheiratet und frönen demselben Hobby: Sex mit wechselnden Partner-inne-n. Und hier hört dasselbe auf, das Gleiche zu sein: Jedermann (jeder Mann?) wird einem Herzog jederzeit das selbstverständliche Recht zugestehen, es mit seiner Geliebten im Hotelzimmer zu treiben; dafür muss diese noch nicht mal standesgemäß sein. Bestellt sich dagegen die Herzogin einen Liebhaber so ist das weder dasselbe noch das Gleiche, sondern ein Skandal, egal ob der Herr von Adel ist oder womöglich gar – how shocking! – der Zimmerkellner.

 

Genüsslich durchexerziert wurde dies beispielsweise im adelsgläubigen England der 1960er Jahre, als sich der 11. Duke of Argyll aus gegebenem Anlass von der Herzogin scheiden ließ – unter großer Anteilnahme von Presse und Publikum am Vor- und am Nachleben der „Dirty Duchess“.

 

Vorab ein Lob für Mut zur Neuen Musik:

Genüsslich (?) durchexerziert wird das Leben der Herzogin vor und nach der Scheidung nun auch auf der Detmolder Opernbühne. Gleich vorab deshalb ein Lob an das Landestheater für seinen Mut – nein, gar nicht angesichts der pikanten Geschichte, sondern für das Wagnis, dem Publikum ein derart neutönerisches Werk vorzusetzen, das selbst Generalmusikdirektor Rademacher als „musikalisch extrem“ bezeichnet und das von Musikdramaturgin Wirtz mit dem leicht gebremsten Lob bedacht wird, es sei „nicht unanstrengend für die Ohren, aber sehr reizvoll und verführerisch – wie Brause auf der Zunge“.

 

Die Oper und ihre Väter:

Der Librettist Philip Hensher beschreibt die Entstehung von „Powder Her Face“ so: „Seit 1992 hat das Londoner Almeida Theatre jedes Jahr eine kleine Oper in Auftrag gegeben. 1994 hat man Thomas Adès beauftragt. Adès hatte Wellen gemacht im winzigen Gewässer der zeitgenössischen Musik“ (gekürzt aus Programmheft). Adès und Hensher wählten als Stoff das Leben kurz zuvor im Elend gestorbenen Margaret, Ex-Duchess of Argyll – worüber das Ameida Theatre „seine völlige Fassungslosigkeit nicht verbergen“ konnte. Doch die Oper wurde zum Erfolg, trotz (oder sogar wegen) ihrer Exzesse: der inhaltlichen (vieldiskutiert: die erste „Blowjob-Arie“ der Operngeschichte) wie der musikalischen: der damals erst 23jährige Komponist hat ein breites Spektrum der Musikliteratur aufgeblättert: von Schuberts „Tod und das Mädchen“ bis Cole Porter, von Strauß bis zum Tango (dem „Tanz des Teufels“, wie das Programmheft Eric Satie zitiert), und das alles in der angemessen-eigenwilligen Instrumentierung: im gerade mal 15-köpfigen Orchester dieser „Kammeroper“ kommen neben Blech und Schlagzeug auch Bass-Saxophon, Harfe, Klavier und ein Akkordeon zum Einsatz.

 

Eine behutsame Inszenierung:

Christian Poewes Inszenierung konzentriert sich auf die Herzogin – und geht erfreulich behutsam mit ihr um. Eva Bernard changiert auf – stimmlich wie schauspielerisch - faszinierende Weise zwischen den verschiedenen Facetten dieser Frau, die in einer Art Nummernrevue vorgestellt (oder vorgeführt?) wird: Es beginnt im Hotelzimmer, das die alte, einsame Herzogin bewohnt. Von hier blickt sie zurück auf ihr Leben: ein Leben als glamouröser Vamp oder als geile Ehebrecherin; aber vor allem ist sie das hilflose, verletzliche Opfer einer Männergesellschaft. Zuerst wird sie von ihrem Mann verstoßen, als sie – wie er – fremdgeht (ein Kabinettstückchen: die bigotte Urteilsbegründung des Scheidungsrichters: „skrupellose Frau mit der Moral eines Bettpfostens“), am Schluss wird sie vom Hoteldirektor vertrieben, als sie seine Rechnungen nicht mehr bezahlen kann. Tanja Hofmanns überzeugend gestaltetes Einheitsbühnenbild zeigt dieses Hotelzimmer. In den Wänden öffnen sich mal Klappen wie in der Peepshow, doch die Herzogin findet nicht hinaus, ist da drin gefangen wie in ihrem Leben: ein Objekt ihrer Umgebung, von der sie nichts zu erwarten hat. Am Ende wird ihr klar: „Die einzigen Menschen, die je gut zu mir waren, wurden dafür bezahlt“. Selbst ihre Sandwiches werden ihr vom Zimmerkellner weggefressen.

 

Der einsame Blowjob:

 

 

 

 

Und die berühmte Blowjob-Arie? Musikalisch ein Erlebnis; als Akt enttäuschend für alle, die – wider besseres Wissen – tatsächlicher Pornographie auf der Bühne erwartet haben sollten. Der blanke Hintern des Kellners ist nicht pornographischer als seine behaarte Heldenbrust. Und der Sex ist sehr pantomimisch: beide simulieren zwar die einschlägigen Zuckungen, bleiben dabei aber auf überdeutlichem Abstand. Eine „Überhöhung des un-theatralischen Vorgangs“ nennt dies der Regisseur. Der Zuschauer mag herauslesen, wie isoliert, wie einsam die Protagonisten selbst bei dieser intimen Vereinigung bleiben.

 

 

 

 

 

Der Rest der Welt:

 

 

Nur drei Kolleg-inn-en stehen der zentralen Figur der Herzogin gegenüber: Jeanne Seguin, Daniel Arnaldos und Michael Zehe. So umfassend wie deren Rollen (vom Elektriker und Zimmermädchen über Richter und Reporterin bis zum Herzog und dessen Geliebter) sind die stimmlichen Anforderungen, die der junge wilde Komponist seinen Sängern in die Partitur geschrieben hat. Sie alle erweisen sich der Herausforderung mehr als gewachsen. Bei Michael Zehe, der seine Stimme vom tiefsten Bass bis hinauf ins Falsett jagt, wartet der Zuhörer vergebens auf die „erkältungsbedingte Indisponiertheit“, für welche ihn die Dramaturgin eingangs prophylaktisch entschuldigt hatte.

 

  „Brause auf der Zunge“

Und die Neue Musik? Mag sein, dass sich der darin Ungeübte da erst einhören muss. Aber man gewöhnt sich schnell daran und vermag sich dann sehr wohl an diesem aus so vielen Elementen komplex verwobenen Klangteppich zu erfreuen. Der begeisterte Schlussapplaus des Premierenpublikums galt sicherlich nicht zuletzt dem souveränen Lutz Rademacher und seinem engagierten Orchester.

 

Schluss-Appell:

Lassen Sie sich von dem „modernen Image“ dieser Oper nicht abschrecken. Trauen Sie sich einfach! – Und falls Sie so ein bisschen „an der Hand genommen“ werden möchten – auch kein Problem: 45 Minuten vor jeder Vorstellung lädt Musikdramaturgin Elisabeth Wirtz zu einer Einführung in die Leopold-Lounge. Es lohnt sich.

 

 

 

Landestheater Detmold:

 

Powder Her Face

Kammeroper in zwei Akten von Thomas Adès
Libretto von Philip Hensher

in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln
 

 

Musikalische Leitung        Lutz Rademacher
Inszenierung                     Christian Poewe
Ausstattung                       Tanja Hofmann
Dramaturgie                      Elisabeth Wirtz


Herzogin                           Eva Bernard
Hotelmanager u.a.             Bart Driessen/Michael Zehe
Elektriker u.a.                    Daniel Arnaldos
Zimmermädchen u.a.        Jeanne Seguin (Mitglied im Opernstudio)

 

Symphonisches Orchester und Statisterie des Landestheaters Detmold
 

Premiere: Freitag, 9. Februar, 19.30 Uhr

 

Weitere Vorstellungen: So, 18.2./ So, 18.3./ Do, 22.3./ Fr, 23.3./ Sa, 7.4.2018