Ein starkes Stück!

Dramatisierung von Kafkas „Verwandlung“ im Grabbehaus

alle Fotos: Landestheater Detmold

Die Geschichte

WaSa     -     „Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt.“  Was für ein Anfang! Ist das nicht ein toller Anreiz für die eigene Phantasie? Gewiss! Gewiss kann sich da jeder eine phantastische Geschichte dazu ausdenken! Braucht es da die folgenden ca. 70 Seiten überhaupt noch? Auch hier ist die Antwort: ja, gewiss! Kafkas „Verwandlung“ ist einfach eine zu phantastisch-gute Erzählung, ein zu starkes Stück Literatur, um darauf zu verzichten: Die Geschichte des Handelsreisenden Gregor Samsa, der eines Morgens als „Ungeziefer“ erwacht (wobei Andeutungen, allenfalls Andeutungen vermuten lassen, dass es sich dabei wohl um eine Art Riesenkäfer handeln könnte). Der Verwandelte muss seinen Beruf aufgeben, verliert damit nicht nur seine Rolle als Ernährer von Vater, Mutter und Schwester, sondern wird auch zur Belastung der kleinen Familie. Während er sich zu Beginn noch als Mensch fühlt und mit baldiger Rück-Verwandlung rechnet, gibt ihn zunächst die Familie auf, gibt er sich schließlich selbst auf, vegetiert noch ein paar Monate – immer mehr isoliert – vor sich hin, bis er endlich stirbt – zur Zufriedenheit der Familie, die jetzt neu auflebt. 

 

 

Eine psychologische Deutung

Es gibt zahlreiche Interpretationen, die Gregor Samsas Verwandlung psychologisch deuten: Dieser langweilige Durchschnittsmensch, hat bisher nur für seine Arbeit gelebt und damit seine Familie finanziert. Er selbst musste immer zurückstehen. Das Hobby des Textil-Reisenden ist es, seine Touren mithilfe von Fahrplänen auszuarbeiten. Ach ja: und gelegentliche Laubsägearbeiten! Ähnlich aufregend ist sein Sexualleben: es besteht aus dem Illustriertenfoto einer Dame in Pelzkleidung, das er an seine Wand gepinnt hat (mancher fühlt sich an Sacher-Masochs Novelle „Venus im Pelz“ erinnert), und aus der vagen Erinnerung an ein Hotelerlebnis, das wir heute vielleicht als One-Night-Stand bezeichnen würden (falls es Samsa so weit kommen ließ). Jetzt kann dieses Arbeitstier plötzlich nicht mehr arbeiten, nicht mehr für die Familie sorgen: er wird somit zum „Ungeziefer“ – ein Wort, das gut 20 Jahre später von den Nazis zur Diffamierung von als „anders“ angesehen Menschen missbraucht werden sollte; so ähnlich wie „Volksschädling“ oder „Schmarotzer“. Es ist also keine biologische Verwandlung, sondern eine soziale.

 

Das ist sicherlich ein Vorteil für die Theater, auf die dieser Prosatext eine scheints unwiderstehliche Anziehung ausübt (zur Zeit in Berlin, München, Braunschweig, Hannover, Oberhausen, Köln ....): Sie müssen sich keine Gedanken machen, in welcher Tiergestalt sie Gregor Samsa auf die Bühne bringen sollen (Kafka selbst wollte keine Abbildungen von seinem „Ungeziefer“). Und vor allem ist die allmähliche Verwahrlosung eines Menschen dramaturgisch nun mal viel ergiebiger als es eine Umwandlung über Nacht sein könnte. 

Kafka-Dramatisierung in Detmold

„Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt.“ – Was für ein starker erster Satz! Als die Stiftung Lesen 2007 den „schönsten ersten Satz der deutschsprachigen Literatur“ suchte, stand dieser Anfang an zweiter Stelle (nach „Ilsebill salzte nach“ aus dem Butt von G. Grass). Da ist es schon ein starkes Stück, dass dieser Satz in der Detmolder Kafka-Dramatisierung überhaupt nicht auftaucht! Doch keine Angst (soviel sei vorweggenommen) – es ist trotzdem ein starkes Stück, das wir auf der kleinen Bühne im Grabbehaus geboten kriegen!

 

Man hat hier die 102 Jahre alte Geschichte ins Heute geholt. Der Textilreisende Samsa ist jetzt Pharmareferent und übt sich in amerikanisch-inspiriertem Manager-Sprech. Der Vater sucht sein Auskommen nicht mehr als Hoteldiener sondern bei der „Security“; die Schwester kellnert im Coffee-Shop. Der Geschäftsdiener wird mit dem Prokuristen zu einem Key account Manager verschmolzen. Man kommuniziert per Facebook und sms. Ein Teil von Gregors Verwandlung besteht darin, dass ihm die Schwester sein Handy wegnimmt. - Dass der Vater Wörter wie „Manager“ nicht kennen soll, wirkt da allerdings reichlich albern!

Die Bühne

Die Gegebenheiten der kleinen Grabbebühne werden von Jenny Wolf geschickt genutzt. Wir blicken in das karge Zimmer Gregor Samsas: die nötigsten Möbel; als Zimmerschmuck eine halb vertrocknete Pflanze. Und das Bild: anstelle des „Dame im Pelz“-Fotos ziert ein großer, stark stilisierter aber sehr wohl erotischer Rückenakt die Rückwand. Und diese Rückwand öffnet sich in halber Höhe zum Wohnzimmer, das aber nur ausnahmsweise mal einsehbar, meist durch eine mehr oder weniger transparente Wand abgeschlossen ist. Hinter dieser Wand spielt sich das gutbürgerliche Familienleben ab; wohingegen Gregor Samsa („der da unten“) in eine Art Souterrain verbannt bleibt, wo er allmählich verwahrlost. 

Eine überzeugende Verwandlung

Verwahrlost – ja, sicher! Aber als Spezies darf der Detmolder Samsa Mensch bleiben, ja, sogar ausgesprochen menschliche Regungen zeigen: Sehnsucht nach Anerkennung und Zuneigung. Was dieses verwandelte Wesen arbeitsunfähig macht, ist wohl noch nicht einmal ein Burn out – den spielt er nur. Er hat es einfach satt, sich immer nur für die andern (den anmaßend-fordernden Chef, die undankbare Familie) abzurackern und  seine eigenen Interessen zurückzustecken. Deshalb bleibt er eines Morgens einfach im Bett. Er wird nicht verrückt – er simuliert nur den Debilen, um der Familie eine wohlfeile Erklärung für sein „Versagen“ zu liefern. Da entwickeln sich keine „tierisches“ Verhaltensweisen – er tut nur so, als seien ihm jegliche Tischmanieren abhanden gekommen.

 

Insgesamt eine stimmige, glaubwürdige Darstellung der Verwandlung!

Deshalb wundert man sich etwas, dass noch eine zweite Erklärung für Gregor Samsas Probleme hinzugefügt wird: ein Vaterkonflikt, der – fast wie in der Peripetie der klassischen Tragödie (oder sollen wir sagen: als Showdown?) – zwischen dem Ungeziefer-Sohn und dem als schwarzem Sheriff ausstaffierten Vater ausgetragen wird. Hier kommt alles aufs Tapet: die Vorwürfe des Vaters („lebensuntüchtig“, „Schmarotzer“) ebenso wie die Bindungsunfähigkeit des Sohnes, die sich etwa in gescheiterten Verlobungen manifestiert. Fairerweise ist im Programmheft Kafkas berühmt-berüchtigter „Brief an den Vater“ in Auszügen abgedruckt, so dass man nachvollziehen kann, dass hier ein gravierendes biographisches Problem des Autors in die Dramatisierung seiner Erzählung hineinmontiert wurde. Das war sicherlich nicht falsch – auch in Kafkas „Verwandlungs“-Text ist es ja vor allem der Vater, der den verwandelten Sohn ausgrenzt. Es war allerdings auch nicht nötig, hier sozusagen eine zweite Front zu öffnen. Fast könnte man meinen, das Regieteam habe dem eigenen Konzept der „Verwandlung“ nicht getraut. 

Die Personen

Simon Breuer wurde vom Publikum gefeiert. Zu Recht! Vermag er doch die zahlreichen Facetten des sich verwandelnden Gregor Samsa dem Detmolder Publikum überzeugend nahe zu bringen. Auch Anna Katharina Schwabroh als Schwester changiert glaubwürdig zwischen Ekel über das Ungeziefer, zwischen ehrlichem Kummer über das Schicksal des Bruders und selbstsüchtigem Interesse am eigenen Fortkommen. Dass sie von sich und dem Ungeziefer-Bruder ein Selfie macht, soll wohl eher einen Aktualisierungsversuch darstellen, als dass es einen dramaturgischen Sinn hätte. - Stephan Clemens verkörpert gekonnt den distanzierten bis feindseligen Vater (für den Gregor „ja irgendwie auch zur Familie gehört“), wie er sich in Kafkas Erzählung andeutet und in dem Vater-Brief abzeichnet.

 

Die übrigen Personen aus der Erzählung werden von Schwabroh und Clemens (häufig aus dem Off) mit gesprochen. Das klappt ganz gut bei der Mutter und beim Prokuristen; es mag allerdings etwas verwirren, wenn Clemens am Tisch sitzt und sich – einerseits als Vater, andererseits als Untermieter (bei Kafka gabs deren drei) – mit sich selbst unterhält. 

Fazit

Ein paar kleine Mängel, insgesamt aber die beeindruckende Dramatisierung dieses Stücks Weltliteratur.

 

Landestheater Detmold – Grabbe-Haus

 

Die Verwandlung

 

Nach der Erzählung von Franz Kafka

Textfassung: Anna Drechsler, Christian Katzschmann

 

Besetzung

 

Regie:   Anna Drechsler

Bühne:   Jenny Wolf

Dramaturgie:   Christian Katzschmann

 

Gregor Samsa:   Simon Breuer

Vater, Prokurist, Zimmerherr:   Stephan Clemens

Grete:   Anna Katharina Schwabroh

 

 

Weitere Vorstellungen
(soweit nicht anders angegeben: im Grabbehaus):  

12.12.2014    19:30 bis ca. 21:10 Uhr
17.12.2014    19:30 bis ca. 21:10 Uhr
20.12.2014    19:30 bis ca. 21:10 Uhr
18.01.2015    18:00 bis ca. 19:40 Uhr
24.01.2015    19:30 bis ca. 21:10 Uhr
04.02.2015    19:30 bis ca. 21:10 Uhr   Städt. Gymnasium Bad Driburg

10.03.2015    20:00 bis ca. 21:40 Uhr   Bühnenhaus Wesel

10.04.2015    19:30 bis ca. 21:10 Uhr
05.06.2015    19:30 bis ca. 21:10 Uhr   zum letzten Mal in dieser Spielzeit in Detmold