Seelenwanderung im Grabbehaus

Zum Saisonauftakt begeistert "Das andalusische Mirakel"

g.WaSa     -     Detmold.     -     Bevor das Landestheater die Schauspielsaison im großen Saal mit der gewichtigen deutschen Klassiker-Kost „Faust“ eröffnet, serviert es seinen Gästen noch eine mediterrane Vorspeise: leicht aber gehaltvoll, lecker und dabei bekömmlich: Auf der kleinen Nebenbühne im Grabbehaus inszeniert Martin Pfaff „das andalusische Mirakel“ von Lars Albaum und Dietmar Jacobs.

 

Wer mit diesen Autorennamen Fernsehserien wie „Stromberg“ oder „das Amt“ verbindet, wer „Mord mit Aussicht“ für das Sehenswerteste hält, was deutsches Fernsehen an Krimireihen zu bieten hat (auch wenn die souveräne Ironie der ersten Staffel inzwischen deutlich abgeflaut ist) – der darf von Albaum/Jacobs eine hintersinnig-sezierende Alltagssatire erwarten – und wird in dieser Erwartung auch vom „andalusischen Mirakel“ nicht enttäuscht werden.  

Die Geschichte: 

alle Figurinen: Torsten Rauer, Landestheater

Hubertus Heppelmann, größter Toilettensitzfabrikant Nordwest-Europas, hat seinen 25. Hochzeitstag vergessen; dem daraus resultierenden Ehestreit entflieht er nach Spanien, um seinen dort urlaubenden Anwalt mit der Scheidung zu beauftragen. Eine Autopanne hält ihn im öden Provinzkaff San Miguel fest, und das, wo ihm die spanische Lebensart doch ein Gräuel ist. So regt er sich – in einem Remake der berühmten Böllschen „Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral - darüber auf, dass „der Spanier“ auf seiner Terrasse sitzt und Siesta macht, wo doch ein ordentlicher Deutscher stattdessen Geld verdienen würde (um sich eine zweite Terrasse leisten zu können).

 

Als erstes dürfen wir uns also über den deutschen Spießer amüsieren, was wir natürlich mit großem Vergnügen tun, umso mehr, als wir – also vor allem ich, aber sicherlich auch du – diesem Klischee ja so gar nicht entsprechen! 

Und das spanische Hotelzimmer (das Hans-Günther Säbel ohnehin nicht standesgemäß eingerichtet hat) muss dieser Heppelmann dann auch noch mit einer jungen Frau teilen. Zwei Universen stoßen heftig aufeinander: der mit sich und der Welt unzufriedene, zynische, bärbeißige 50jährige, der nach 25 Ehe nur noch eines will: die Scheidung. Und Nelly, die lebensfrohe, notorisch gutgelaunte 20jährige Studentin, die völlig von der ersten Euphorie der ganz großen Liebe getragen wird.

 

Zwei wahre Paraderollen! Für Joachim Ruczynski und Karoline Stegemann! Man könnte den beiden stundenlang zusehen, wie sie sich so aneinander abarbeiten!

 

 

Aber dann rotiert diese Komödie nochmal um 180 Grad weiter! Es ereignet sich das andalusische Mirakel, das Wunder von San Miguel: Die Körper von Hubertus und Nelly werden vertauscht. Schon als Zuschauer ist man irritiert, wenn aus der hübschen, blondgelockten 20jährigen plötzlich der alte Griesgram spricht; wenn der  graubärtige Klodeckelfabrikant nunmehr zum mentalen Gutmenschen mit Herz fürs Kuscheltierchen wird … Wie wird das dann erst für die Betroffenen sein? Nur gut, dass Torsten Rauer wenigstens Kostüme bereitgelegt hat, mit denen Hubertus und Nelly ihre ungewohnte Identität zu kaschieren versuchen können …

 

Kein auch nur ansatzweise erfahrener Boulevardtheatergucker wird sich wundern, wenn jetzt auch noch Ehefrau Edelgard Heppelmann und Nellys Lover Benny auf der Bildfläche erscheinen! Nötig wäre das nicht unbedingt gewesen. Das Besondere, das Originelle dieser Geschichte hat sich vor der Pause abgespielt. Jetzt haben wir noch einen Rest recht konventioneller Verwechslungskomödie. Die sich am Ende NATÜRLICH in ein doppeltes Happy End auflöst. Boulevard-Routine halt. – Doch halt! Echt schade wäre es gewesen, wir hätten diese beiden Figuren nicht auch noch kennengelernt! Robert Oschmann als jugendlich-naiver Sex&Drugs&Rock’n’Roll-Hedonist und Kerstin Klinder, die - in gewohnten Souveränität - ihre Silberbraut zwischen Wut, Verzweiflung und (vom Schutt der 25 Jahre fast verschütteter) Liebe changieren lässt!  Herrlich!

 

Nicht zu vergessen: Hartmut Jonas als Juan, der wundergeile spanische Zimmerkellner aus dem Bilderbuch. Und das ganze Publikum, das mit Grillengezirpe, Kastagnetten-Geklimper und Olé-Ausbrüchen die spanische Folklore beisteuert …

 

Ein Extralob noch für die Haarkünstler, die vor allem den beiden Jugendlichen ihre extravaganten Frisuren verpasst haben! 

Fazit:

Das Premierenpublikum war begeistert. Verständlich! Insgesamt: ein herrliches Vergnügen! Das kann ja heiter werden, wenn sie Saison so weitergeht!

 

PS:

Im Vorfeld hatte mich ein bisschen gewundert, dass diese eher leichte Komödie von Martin Pfaff inszeniert wird – könnte man doch erwarten, dass der frischgebackene Detmolder Schauspieldirektor die „Ära Pfaff“ mit einem schwergewichtigeren „Paukenschlag“ eröffnet hätte, zumal er kürzlich in einem Interview Goethe als seinen Lieblings-Theaterdichter bezeichnet hat – auch wegen dessen „unglaublich modernen Figuren in ihrer Zerrissenheit“ – da wäre doch der „Faust“ genau richtig gewesen!

 

Seine Begründungen klingen aber einleuchtend: Unter anderem wehrt er sich gegen die Abwertung der Komödie – die sei, im Gegenteil, „die Königsdisziplin für einen Regisseur. Sie muss ganz ernsthaft erzählt sein.“   Ja! Und ldas hat er hier doch ganz gut hingekriegt!

 

Weiter: „Dabei muss man die Figuren liebevoll behandeln ...“. Und damit kommt Pfaff zu einer weiteren Begründung: Für den Hauptdarsteller, Joachim Ruczynski, wird diese Inszenierung zu einer Art Abschiedsvorstellung, da er am Ende der Spielzeit das Landestheater verlassen wird. Pfaff: „Da will ich es mir nicht entgehen lassen, mit diesem tollen Schauspieler noch einmal intensiv zu arbeiten“ – ich finde: die sympathischste der drei Begründungen. Auch für mich wäre die – womöglich letzte – Gelegenheit, Joachim Ruczynski in einer Hauptrolle zu erleben, Anlass genug für einen Besuch dieser Inszenierung gewesen.

 

 

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Landestheater Detmold – Grabbehaus:

 

Das andalusische Mirakel  

Komödie von Lars Albaum und Dietmar Jacobs#

 

 

Besetzung

 

Regie:                       Martin Pfaff

Bühne:                      Hans-Günther Säbel

Kostüme:                  Torsten Rauer

Dramaturgie:            Christian Katzschmann

 

Hubertus:                  Joachim Ruczynski

Nelli:                          Karoline Stegemann

Juan:                         Hartmut Jonas

Edelgard:                  Kerstin Klinder

Benny:                      Robert Oschmann

 

 

Premiere: 

Mittwoch, 30. September 2015, 19.30 Uhr, Grabbe-Haus

 

Nächste Vorstellungen: 

So, 4.10./ Mi, 7.10./ Do, 8.10./ Di, 13.10./ Mi, 14.10./ So, 18.10./ Di, 20.10./ Fr, 23.10./ So, 13.12./ Mi, 16.12./ Do, 17.12./ Di, 22.12./ Di, 29.12.2015/ So, 10.1./ So, 17.1./ So, 24.1./ Di, 26.1./ Sa, 30.1.2016