Schlag nach bei Shakespeare!

"Kiss me, Kate"-Zirkus am Landestheater

(Fotos: Landestheater Detmold)

WaSa – Detmold.   Ein Faszinosum der Kunstform Theater ist das Zusammenwirken verschiedener  Zeitebenen, die eine Inszenierung beeinflussen (sollten): die Zeit, in der das Stück spielt, die Zeit, in der es geschrieben wurde. und schließlich das Heute, in dem es aufgeführt wird. Die gesellschaftlich-kulturellen Bedingungen können in diesen drei Perioden äußerst unterschiedlich sein, und es ist die Kunst und die vornehmste Aufgabe des (guten) Regietheaters, die daraus erwachsenden  Spannungsverhältnisse für den Zuschauer fruchtbar zu machen. Bei dem Stück-im-Stück-Musical „Kiss me, Kate“ kommen sogar noch weitere Ebenen hinzu:

Da spielt also das Landestheater Detmold anno 2013 ein Werk, das kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in den USA entstanden ist: Eine Hinterhof-Truppe im Baltimore jener Zeit tut so, als wäre sie ein norditalienisches Wandertheater, das (wann auch immer) zwischen Venedig, Mantua, Cremona und Verona hin und her tourt. Und dieses Wandertheater wiederum führt ein Stück auf, das der Engländer Shakespeare Ende des 16. Jahrhunderts geschrieben hat (übrigens auch als Stück-im-Stück, was aber im Musical keine Rolle mehr spielt): „Die Zähmung der Widerspenstigen“, die großenteils in Padua und wohl noch mal einige Jahrzehnte früher spielt. 

Allein diese Vielfalt lässt einiges erwarten. Dazuhin kommen Backstage-Geschichten meist gut an. Vielleicht, weil sich Theaterleute nun mal mit „Backstage“ auskennen; und was man kennt, macht man besonders gut. Und das Stück im Stück zählt zu den größten Erfolgen Shakespeares. Auch die Rahmenerzählung liefert einen vielversprechenden Plot:

Das einstige Schauspieler-Traumpaar Fred Graham und Lilli Vanessi hatte sich getrennt und arbeitet jetzt wieder bei der Widerspenstigen-Produktion zusammen. Lilli ist inzwischen mit einem General verlobt, der beim Präsidenten ein- und ausgeht (dieser Präsident heißt übrigens Obama – so ziemlich die einzige aktuelle Anspielung). Fred tröstet sich mit der einen oder anderen „Hupfdohle“. Bei der Zusammenarbeit fliegen natürlich die Fetzen. Und – ebenso natürlich -  funkt es wieder zwischen den beiden ...!

Kein Wunder also, dass „Kiss me, Kate“ zu den erfolgreichsten Musicals (zumindest der Vor-Lloyd Webber-Ära) gehört. Und die Gangster im Stück dürften auch für die Detmolder Inszenierung prognostizieren: „Die Show wird laufen. Sie ist unterhaltsam und quicklebendig und wird den anspruchsvollen Theaterkenner nach allen Regeln der Kunst erfreuen“. Tatsächlich:  der üppige Premierenapplaus für Darsteller und Leitungsteam klang begeistert!

Und das trotz einiger Schwächen von Stück und Inszenierung:  Wenn die kratzbürstige Diva Lilli Vanessi nach den ewigen Streitereien das Theater verlässt, um ihren General zu heiraten, dann ist es schon sehr überraschend, dass sie – sobald sie als unterwürfige Katharina gebraucht wird – plötzlich wieder da ist, als Dea ex machina, sozusagen. Aber zumindest die Feministinnen werden getröstet: Bevor sie sich über Katharinas altväterliche Botschaft, Frauen müssten „unseren Gatten in Liebe gehorsam sein“, so richtig aufregen können, zeigt der verschlagen-stolz-triumphierende Blick Lillis/Katharinas, dass die ganze Unterwerfung nur Theater ist und in Wirklichkeit die Frauen das Heft in der Hand haben.




Leider fällt in Detmold die Unterscheidung der verschiedenen Ebenen nicht immer ganz leicht. Dabei wurden die drei obersten Schichten – Detmold / Baltimore / italienisches Wanderensemble – nicht ungeschickt zu einer zusammengefügt und mit einer bunten Zirkustruppe besetzt, die mit einem Zirkuswagen anstelle des Thespiskarrens unterwegs ist. Für deren herrliche Kostüme hat Bodo Demelius ein Lob verdient: Da ist ein prächtiger Zirkusdirektor in rotem Frack, da sind akrobatische Pausenclowns und sexy Nummerngirls, welche die glitzernden Vorhänge ziehen. Diese unterschiedlichen Vorhänge, die das Bühnengeschehen vom Hintergrund abtrennen, sollen möglicherweise die unterschiedlichen Stückebenen charakterisieren – aber angesichts des vielfältig-turbulenten Lebens auf der Bühne ist es mir nicht gelungen, hier Zusammenhänge zu identifizieren. Da helfen dann schon eher die „Flightcases“, die großen Schrankkoffer, die (ganz ähnlich wie in der „Kiss me, Kate“-Inszenierung der Berliner Komischen Oper) das Bühnenbild während der Rahmenhandlung prägen und die immer wieder zu faszinierenden bespielbaren Landschaften zusammengeschoben werden. 

Gelegentlich wirkt die Inszenierung etwas unzusammenhängend – das liegt natürlich an den verschiedenen Ebenen und den unterschiedlichen Kostümstilen (neben die klassischen, teilweise Commedia dell’Arte-artigen Kostümen der Shakespeare-Handlung und den Zirkuskostümen tritt noch das sportliche Outfit einer modernen Musical-/Tanztruppe); das liegt aber auch an dem Nummern-Charakter einzelner Songs, die häufig deutlich von der Handlung abgesetzt sind. Wenn dann in einer ansonsten komplett-deutschsprachigen Inszenierung das „Es ist viel zu heiß“ plötzlich auf Englisch gesungen wird, dann trägt das zur zusätzlichen Verwirrung bei.

Aber eigentlich bleibt für eine solche Verwirrung gar keine Zeit, denn gerade diese Nummer („It is too darn hot“) ist dermaßen toll choreografiert, dass die Freude darüber alles andere überstrahlt. Und nicht nur hier hat Richard Lowe mit seiner Tanztruppe ganze Arbeit geleistet: immer wieder rufen seine Choreografien Begeisterung hervor, so bei Biancas „Aber treu bin ich nur dir“, um bloß ein weiteres Beispiel zu nennen.

Was weiterhin zum Erfolg dieser Show beitragen wird: die vielen Ohrwürmer („Premierenfieber“, „Wunderbar“, „Venedig – Verona“, „Nur kein Mann“ ...); außerdem ein paar nette Regie-Gags: wenn etwa die Ganoven an „Schlag nach bei Shakespeare“ (vermutlich der populärste Ohrwurm) plötzlich noch eine Strophe anhängen; oder wenn „Bianca“ zum gleichnamigen Song auf einer Mondsichel über die Bühne schwebt und dieses wunderschön-kitschige Bild herrlich kontrastiert mit den burschikosen Reimen auf Bianca („geht mein Herz vor Anka“, ein „Liebeskranka“ ...).

Zeit, zu den Darstellern zu kommen: aus einer insgesamt tollen Truppe ragen die Hauptpersonen heraus: herrlich die beiden Protagonisten: Silke Dubilier und Andreas Jören als Lilli Vanessi/Katharina und Fred Graham/Petruchio. Und wenn die schöne Bianca die Kerle im Padua der Renaissance becirct und die Tingeltangeltänzerin Louis Lane die männliche Hälfte des Theaterpersonals in Baltimore verrückt macht, so bezaubert deren Darstellerin Peti van der Velde die Detmolder Männerwelt mindestens in gleichem Maße. 

Für altgediente Detmolder Theaterfreunde bietet diese Inszenierung noch einen besonderen Reiz: ein Wiedersehen mit einer ganzen Reihe ehemaliger Detmolder Theaterstars, die man in den letzten Jahren allenfalls noch sporadisch auf der Landestheater-Bühne erleben durfte: Ulrich Holle (der hier einst Regisseur einer beeindruckenden „Widerspenstigen“- Inszenierung war) als Zirkusdirektor und Baptista, Wolfgang von der Burg als General, der den alten geilen Bock so gekonnt gibt, als habe er jahrelang für diese Rolle trainiert; und Manfred Ohnoutka, der in künftigen Aufführungen im Wechsel mit Jören die männliche Hauptrolle spielen wird, worauf man sich wohl freuen kann – hat er bei der Premiere doch (neben Kevin Dickmann)  als Ganove eine herrliche Kostprobe seines Könnens gegeben. 

Zum Schluss noch ein Extralob für das Programmheft, das geschickt als Zeitung  („Baltimore Express“) aufgemacht ist, und Informationen rund um Stück und Inszenierung bietet. Auch wenn manche Artikel dieses Boulevardblattes doch reichlich albern sind – vergnüglicher zu lesen als die sonst üblichen drögen Programmhefttexte sind diese launigen Geschichten allemal. 


Kiss me, Kate

Musical

Musik und Songtexte:          Cole Porter

Buch:                                      Bella und Samuel Spewack 

       (unter Verwendung von William Shakespeares "Der Widerspenstigen Zähmung")   

 

 

 

Inszenierung:                       Peter Rein

Choreografie:                       Richard Lowe

Ausstattung:                         Bodo Demelius

Choreinstudierung:             Marbod Kaiser

Dramaturgie:                         Elisabeth Wirtz

 

Fred Graham (Petruchio)    Andreas Jören / Manfred Ohnoutka

Lilli Vanessi (Katharina)      Silke Dubilier

Bill Calhoun (Lucentio)       Patrick Adrian Stamme / Gero Wendorff

Louis Lane (Bianca)             Peti van der Velde

Harry Trevorn (Baptista)     Ulrich Holle

Hattie                                     Brigitte Bauma

Paul                                        Lemuel Pitts

Harrison Howell                   James Tolksdorf / Wolfgang von der Burg

1. Ganove                             Manfred Ohnoutka / Gero Wendorff

2. Ganove                             Kevin Dickmann

Gremio/ Ralph                     Tom Schimon

Pförtner                               Torsten Lück

Hortensio                              Markus Gruber

1. Bühnenarbeiter               Kyung-Won Yu

2. Bühnenarbeiter               Bonghan Kim

3. Bühnenarbeiter               Hoe Chun Kim

Schneiderin                          Annette Blazyczek / Rita Gmeiner

 Symphonisches Orchester, Chor, Ballett, Statisterie des Landestheaters Detmold