Ist es auch Wahnsinn, hat es doch Methode!

„Charleys Tante“:  turbulente Klamotte am Landestheater

alle Fotos: Landestheater Detmold

WaSa     -     Ich kann dieses grauenvolle Theater nicht länger ertragen“, stöhnt Charley, aber da ist die Aufführung auch schon bald vorbei. Zu dieser Zeit liegt ein solcher Stoßseufzer dem anspruchsvoll-kultivierten Zuschauer schon seit zwei Stunden auf der Zunge – spätestens seitdem kurz vor dem ersten Vorhang die halbe Einrichtung klirrend-krachend durcheinanderfliegt. „Was für ein Chaos!“

 

Wahrlich - eine Zumutung, diese überspannten englischen Studenten („ich bin etwas nervös“), die formelhafte Sprachklischees vortragen wie auf einer Laienbühne („Halt! Ich hab’s!“). Und dieser trottelige Kolonialoffizier. Und dieser volltrottelige Butler. Ganz zu schweigen, dass das Talent einer Ewa Rataj an die schier unerträgliche Karikatur einer Blondinen-Karikatur verschwendet wird. Und Helene Grass als schülertheaterhaftes Zerrbild eines Hamlet. Oder was? Und dann all diese unsäglichen Zufälle ...

 

 

Mein Gott, Walter, jetzt blas dich mal nicht so auf! Du bist hier schließlich nicht bei einer hauptstädtischen Experimentalbühne, sondern bei einem provinziellen Stadttheater. Einem Landestheater, sogar. Und das spielt nicht nur für dich, sondern hat ein breites Spektrum anzubieten – was es ja eigentlich ganz gut macht! Muss man dich an deine eigenen Elogen auf die Produktionen der letzten Monate erinnern? Auf den „Sommernachtstraum“? Den „schwarzen See“?  Den „Weibsteufel“? – Allein in dieser noch jungen Spielzeit: Eine große Verdi-Oper! Ein ganz ordentlich gemachtes kritisches Gegenwartsstück! Eine gelungene ambitionierte Kafka-Dramatisierung! Da wirst du ja wohl, ein paar Wochen vor Weihnachten, die bewährte Komödie, den lustigen Schwank, die populäre Klamotte tolerieren können?!

 

Okay, okay. Also, noch mal von vorn:

Zum Jahresausklang verwöhnt das Landestheater sein treues Publikum mit einem besonderen Bonbon aus dem Schatzkästlein der sogenannten leichten Muse: mit der Farce „Charleys Tante, die schon bei ihrer Uraufführung Begeisterungsstürme auslöste, dann in London und am Broadway zum Kassenschlager wurde und in den 122 seither vergangenen Jahren unzählige Triumphe feierte – auch als Musical, immer wieder im Film (unter anderem mit Heinz Rühmann oder mit Peter Alexander). Und natürlich bis heute: auf ungezählten Bühnen. 

Und jetzt ist also auch auf der Detmolder Landestheater-Bühne diese turbulente Geschichte zu sehen: wie die beiden Studenten Jack und Charley ihre Angebeteten Anny und Kitty einladen wollen, dafür aber einen Anstandswauwau benötigen; deshalb muss der Kommilitone Lord Babberly eine Tante aus Brasilien spielen  ... Ums kurz zu machen: am Ende der Komödie ergeben sich vier Paare; doch bis dahin hat der Zuschauer einiges zu lachen angesichts all der versuchten Schummeleien und vollendeten Täuschungen, der gestörten Tête-à-têtes und der begehrlichen Verfolgungsjagden, der Versteckspiele und der Beinahe-Aufklärungen von Geheimnissen. Und vor allem: angesichts der ganzen Verwechslungen und Missverständnisse rund um die falsche Tante – die sich natürlich noch einmal steigern, als auch noch die echte Tante (Kerstin Klinder als ruhender Pol in dieser ganzen Turbulenz) dazu kommt ...

Natürlich ist das alles zeimlich altbacken (Entschuldigung – kennen Sie überhaupt noch den Begriff „Anstandswauwau“?). Natürlich ist das purer Boulevard – mit typisiertem Personal und einer auf Knalleffekte hingedrechselten Dramaturgie (auch wenn’s ein bisschen langatmig losgeht). Zum Glück macht Martin Pfaff, der Detmolder Regisseur, erst gar nicht den Versuch, diese Knallkomödie etwa auf ein ordentliches Niveau heben zu wollen. Nein – wie unsere Altvorderen sagen würden – er setzt auf einen Schelm anderthalbe. Wenn da ein Kleid eine große Schleife benötigt, dann wird die Schleife noch ein bisschen größer gemacht – wie er selbst sagt: „Es soll zu schön sein, um wahr sein zu können“.

 

Dabei scheut er nicht davor zurück, alle möglichen Versatzstücke in seiner Inszenierung zu vereinen, was teilweise im Stück bereits angelegt ist, teilweise aber auch Regie-Zutat sein könnte: den Onkel/Vormund, der sein hübsches/reiches Mündel bewacht, gab’s schon bei Molière und Beaumarchais;  die beiden Studenten könnten - samt kompletter Fin-de-Siècle-Ausstattung - aus Oscar Wildes „Bunbury“ stammen (man beachte Wildes Originaltitel: „Wie wichtig es ist, ernst zu sein“), das wenige Jahre nach „Charleys Tante“ entstanden ist. Henry Klinder könnte auch als Oberst Pickering, wenn schon nicht in Shaws Original, so doch in „My fair Lady“ auftreten. Ja, und die Sache mit dem Cross-Dressing ist ja ohnehin ein altes Erfolgsmodell: von „Some like it hot“ bis Conchita Wurst. Schon Shakespeares – der ohnehin reichlich zitiert wird – hatte in seinen schönsten Komödien beschrieben, wie – vom Ardenner Wald bis Illyrien – gendermäßig falsch Verkleidete so manche Liebesverwirrung auslösen. Kurz: Ist es auch Wahnsinn, hat es doch Methode  ...

 

Ein Vor-Weihnachtsgeschenk also ans Publikum. Und ein Vor-Weihnachtsgeschenk ans Ensemble, das hier so richtig glänzen kann (ohne dass hier Einzelne herausgehoben werden sollen – schauen Sie einfach unten auf der Besetzungsliste nach, und glauben Sie: die glänzen alle!)

PS:

Schade, eigentlich, dass das Landestheater „Charleys Tante“ nicht auf dem Programm für Silvester hat. Da könnte es die traditionelle Vor-der-Party-Unterhaltung ersetzen: Schließlich ist „Dinner for one“, wenn man die imaginären Gäste mitzählt, ein „Dinner for five“ – und genau das hatten Jack und Charley ja ursprünglich geplant. Und Joachim Ruczynski als Butler scheint direkt aus der TV-Aufzeichnung zu kommen. Selbst das Tigerfell hat er mitgebracht. 

Landestheater Detmold:

 

Charleys Tante

 

Komödie von Brandon Thomas

 

 

Regie:   Martin Pfaff

Ausstattung:   Sabine Pommerening

Dramaturgie:   Christian Katzschmann

Besetzung:

Jack Chesney, Student:   Philipp Baumgarten

Charley Wykeham, Student;   Christoph Gummert

Lord Babberley, Student:   Roman Weltzien

Brassett, Faktotum im Kolleg:   Joachim Ruczynski

Col. Sir Francis Chesney Baronet:   Henry Klinder

Mr. Spettigue, Advokat:   Jürgen Roth

Anny Spettigue, dessen Nichte:   Ewa Rataj

Kitty Verdun, dessen Mündel:   Karoline Stegemann

Donna Lucia d´Alvadorez, Charleys Tante:   Kerstin Klinder

Ella Delahay, eine Waise:   Helene Grass

 

 

Weitere Aufführungen in Detmold:

 

10.12.2014   -  19:30 bis ca. 22:05 Uhr
20.12.2014  -  19:30 bis ca. 22:05 Uhr
28.12.2014  -  18:00 bis ca. 20:35 Uhr
18.01.2015  -  18:00 bis ca. 20:35 Uhr
10.02.2015  -  15:00 bis ca. 17:35 Uhr
10.04.2015  -  19:30 bis ca. 22:05 Uhr
30.04.2015  -  19:30 bis ca. 22:05 Uhr
(zum letzten Mal in dieser Spielzeit in Detmold)