Liebe – Erotik – Gewalt:
Furioser Saisonauftakt mit Bizets Carmen
(mehr Fotos: www.kulturinfo-lippe.de)
WaSa. Detmold. - Als irgendwann, wohl im 4. Jahrhundert, in Alexandria ein Kultbild des Eros eingeschmolzen wurde, dichtete der sonst wenig bekannte Epigrammatiker Palladas: „Der Schmied verwandelte den Eros zur Bratpfanne. Und nicht ohne Grund: kann doch auch sie glühend erhitzen“. Die bis zum Verbrennen glühende Kraft des Eros ist auch ein Leitmotiv der Oper „Carmen“; doch hat das Landestheater – wie schon Prosper Merimée über seine Novelle – an den Anfang seiner Inszenierung ein anderes Zitat des (angeblich mit einer zänkischen Frau geschlagenen) Palladas gesetzt:
„Böse ist jedes Weib – doch zwei gute Stunden hat es: Die eine im Arm des Bräutigams, die andere im Arm des Todes.“
Dies wird am Anfang der Aufführung aus dem Off gesprochen, und mit dem Wort „Tod“ setzt die Ouvertüre ein – ein starker Auftakt für eine Premiere, die zum furiosen Auftakt für die neue Landestheater-Saison wird!
Das bewährte Team Erich Wächter (musikalische Leitung), Kai Metzger (Inszenierung), Petra Mollérus (Ausstattung) und Richard Lowe (Choreografie) sowie Elisabeth Wirtz als Dramaturgin haben den Detmoldern schon manchen Opern-Hit beschert, mit dieser „Carmen“ haben sie sich selbst übertroffen. – Der Reihe nach:
Die Ausstattung:
Wir befinden uns im Innern einer Stierkampfarena. Eine grobe Holzwand begrenzt den Kampfplatz; in der Mitte der Wand der „Retiro“, hinter den sich die Stierkämpfer vor dem angreifenden Stier retten können. Doch der wird hier nur zum Auftritt und Abgang genutzt – in dieser Arena gibt es keine Flucht, da werden alle Kämpfe ausgetragen, notfalls bis zum Tod. Und damit ist auch das Innenbild der Arena gerechtfertigt, obwohl die Handlung natürlich außerhalb spielt. Der riesige Hintergrund changiert zwischen einem blutigen Feuerrot und einem feurigen Blutrot – eine ebenso einfache wie geniale Adaption der leidenschaftlich-erotisch-gewalttätigen Atmosphäre!
Ebenso gelungen die Kostüme: gedeckte Farben dominieren (von den weißen Hemden der Männer abgesehen): dunkelgrau bis schwarz. Einige wenige Farbtupfer setzten die roten Barette der Offiziere und der capote, das bunte Tuch des Toreros (dieser selbst wirkt fast etwas lächerlich in seiner Zirkusuniform – aber natürlich würde das kein Stierkampf-Aficionado so sehen!). Und Carmen – sie bildet den grellen Kontrapunkt zu allen übrigen: feuerrote Haare, flammendrotes Kleid – voilà, quelle femme!
Allenfalls hätte man sich die Micaela etwas flotter gewünscht; es müssen ja nicht gleich blauer Rock und blonde Zöpfe sein; aber das große Umschlagtuch verleiht ihr etwas Madonnenhaftes. (Dafür ist Mollérus selbst beim Schlussapplaus gewohnt hip aufgetreten: leuchtend-orangerot durchgestylt von den Haarspitzen bis zu den Plateauschuhen – ein Extragenuss!)
Die Inszenierung:
Metzger-Wächter haben vor einiger Zeit mit der langjährigen Detmolder Tradition gebrochen, alle Opern auf Deutsch singen zu lassen. So hat man sich inzwischen an die italienische Oper im Original gewöhnt. Dennoch mag sich mancher verwundert die Ohren gerieben haben, als der Chor auf französisch zu singen begann. Ein Blick an den oberen Bühnenrand: nein, kein mitlaufender Text auf Deutsch (wenigstens wurde das Eingangszitat ins Deutsche übersetzt – über Merimées Novelle steht es noch im griechischen Original). Immerhin: auf diese Weise fallen Kürzungen in den Rezitativen bzw. Dialogen (es gibt die „Carmen“ ja in diesen zwei Versionen) kaum auf . Und, tut mir Leid: Aber was ist das defensive französische „Toreador – en ga-a-a-arde!“ schon gegen das kühn-aggressive „Auf in den Kampf, Torero!“?
Allerdings – es gibt Entschädigung: Man hat sich den Text von Prosper Merimées „Carmen“ vorgenommen, welcher Bizets Oper zugrunde liegt, und aus der etwas umständlich-langatmigen Novelle eine Reihe von Schlüsselsätzen herausgezogen, die von einer kultivierten, ja fast sanften Stimme (Christoph Gummert) aus dem Off gesprochen werden – auf Deutsch (natürlich?). Das führt immer wieder zu stimmigen Konfrontationen: Wenn zum Beispiel Don Josés Hoffnung zitiert wird, hier, in der Wildnis, sei er sich Carmens Liebe sicher – erklingt bedrohlich das Stierkämpfer-Motiv. Und so ergibt sich ein rundes Ganzes, eine überzeugende und packende Inszenierung (die ohnehin nicht auf das Wort als Ausdrucksmittel beschränkt ist – siehe unten). Dabei sind es viele kleine Gesten, die überzeugen: Wenn etwa Don José immer wieder am Rande des Geschehens sitzt und an seinem Stück Holz herumschnitzt, dann bedeutet das am Anfang souveräne Gleichgültigkeit gegenüber den Verführungskünsten der Zigeunerin(nen), am Schluss ist es die fast schon pathologische Übersprunghandlung eines zerstörten Ichs.
Auch hier, bei aller Begeisterung, ein kleine Kritik: Dass Don José seinen Vorgesetzten – vorlagenwidrig – umbringt, mag man ja noch hinnehmen; auch die anschließende Leichenfledderei. Aber dass ein spanischer Soldat (oder – nach Merimée: ein baskischer Hitzkopf, dessen angestammte Waffe ein eisenbeschlagener Stock ist) seinen Gegner nicht mit dem Degen tötet, noch nicht einmal mit der Pistole, sondern ihn mit einem Seil schnöde erdrosselt – nein, Monsieur Boucher! Quelle Dégôutance! (Und sagen Sie nicht, dass Merimée das Erdrosseln als einem Hidalgo gemäße Hinrichtungsart gepriesen hat – da ging es um die Garotte, das spanische Würgeeisen, und auch die hat spätestens seit den Scheußlichkeiten, die Franco damit anstellen ließ, ihre Wertschätzung verdientermaßen verloren!) - Aber kommen wir zu Wichtigerem:
Choreografie:
Eines der bereits erwähnten Ausdrucksmittel dieser Inszenierung ist der Tanz. Nein, nicht folkloristischer Flamenco; nicht gefälliges Ballett, das nach französischer Tradition jede Oper zu schmücken hatte. Nein – wenn diese Carmen tanzt, ach was: wenn sie sich nur bewegt, dann ist das nicht nur archaischer Zigeunertanz, dann ist das explodierende Erotik!
Und dazuhin: Mag man den französischen Text nicht verstehen – man bekommt den wesentlichen Inhalt noch einmal übersetzt – ins Tänzerische. Ein eigens eingeführtes Tanzpaar (Mireia Facal und Adonai Luna) begleitet die Handlung, illustriert das Verlorensein des Menschen, sein Umherirren im Dreieck Liebe – Gewalt – Erotik. Fantastisch!
Musik:
Bizets Musik steht schon für sich. Man kennt und freut sich auf die Ohrwürmer (Habanera und eben der Toreador/Torero). Und hier treffen ein Orchester unter der gewohnt souverän-mitreißenden Leitung Erich Wächters und eine stimmlich und darstellerisch überzeugende Sängerriege aufeinander. Das Ergebnis ist Musikgenuss pur. Die Carmen der Rita Lucia Schneider ist nicht nur explodierende Erotik, das ist auch aufwühlende, ins Herz schneidende Stimme (oder sollte da gar kein Unterschied sein?). Der Don José entspricht äußerlich zwar nicht gerade dem Bild des schneidigen Dragoners, doch wenn Emmanuel di Villarosa singt, dann fragt „man“ (und vielleicht erst recht: „frau“) sich, wie Carmen dem widerstehen kann! Lob gebührt auch den Übrigen, allen voran Marianne Kienbaum-Nasrawi als Micaela und James Tolksdorf als Escamillo; aber auch den Offizieren (Joonyoung Kim, Jundong Kim), den Schmugglern, Zigeunerinnen und nicht zuletzt dem Chor unter Marbod Kaiser.
Das Publikum:
Was kann man bei einer solchen Inszenierung anderes tun, als immer wieder Szenenapplaus zu spenden und alle Beteiligten am Schluss lang-anhaltend und kräftig zu beklatschen?