Der Piccolo-Kaiser

Satirisches "Weißes Rössel" im Detmolder Hof-Theater

WaSa.  Detmold.   -   Gibts den Literaturprofessor, der seiner Putzfrau schon lange

versprochen hat, sie mal mit ins Theater zu nehmen, aber bisher kein passendes Stück gefunden hat? Dem Manne kann geholfen werden!

 

In Detmold hat man - wie jeden Sommer - den Theaterhof aufgeräumt, mit Biertischen und Bratwurstbude möbliert und zum Schauplatz fürs sommerliche Volksstück gemacht. Nach mehreren Eigenproduktionen (= Schlager-Revuen à la "Hossa") hat man heuer wieder auf einen Klassiker zurückgegriffen: "Das Weiße Rössl" ist ein "Singspiel", von dem Kenner munkeln, es sei zu seiner Entstehungszeit (1930) eine subversive Parodie gegen operettenseelige Heimattümelei gewesen; in 64 Jahren Aufführungspraxis wurde es dennoch zum folkloristischen Ausstattungs- und Rührstück, so dass Volker Klotz in seinem Standardwerk "Operette" das Urteil "schlechte Operette" geradezu genüsslich begründen kann: "Restaurativ wird hier ein Idyll heraufbeschworen" durch ideologischen Rückgriff "auf die kleinbürgerlichen Besserungsstücke des Wiener Restaurationstheaters". Erst 1994, in der legendären Inszenierung in der Berliner "Bar jeder Vernunft", wurde die ursprüngliche parodistische Idee wieder ganz präsent.

 

Und in Detmold? Keine Angst, Herr Professor, Ihre Marienhof-sozialisierte Putzfrau wird von der Show begeistert sein! So wie meine Banknachbarn, die in Dirndl und Trachtenjanker zur Premiere gekommen und geradezu glücklich waren, nach so schwerer Kost wie Tschechows Möwe oder gar dem "Kissenmann" endlich mal wieder "richtig schönes Theater" zu erleben. (Dass sie beim Mitsingen der Schlager vom "schönen Sigismund" und vom lustigen Salzkammergut meist den Ton nicht trafen, ist angesichts solcher Begeisterung verzeihlich).

 

Und der adorno-gestählte Professor selbst? Wird er die Detmolder Inszenierung als Satire goutieren? Ich selbst kam ganz schnell zum Urteil: "köstliche Parodie" - war mir aber nicht sicher, ob ich diesen Ehrentitel nur deshalb verliehen hatte, weil anders die Schmalzmengen nicht zu ertragen gewesen wären, mit denen Markus Hottgenroth in bester Peter-Alexander-Manier jubilierte: "Es muss was Wunderbares sein, von Dir geliebt zu werden."

 

Aber keine Angst, es gibt handfeste Indizien dafür, dass die Verantwortlichen die Etikettierung "Parodie" zumindest billigend in Kauf nehmen.

 

Zwar ist der Theaterhof mit alpenländischer Landschaft dekoriert, allerdings in Form von überdimensionalen Ansichtskarten, so dass, wer will, die naturalisierende Kulisse gerne als Postkartenkitsch identifizieren kann. Noch deutlicher: Da ragen die ostwestfälischen Externsteine aus der Mitte des Salzkammerguts, das Detmolder Weser-Renaissance-Schloß passt sich problemlos in die Alpenland-Architektur ein, und das Hermanns-Denkmal ist nie weiter als 7 Kilometer weg: so wird „Heimat“ zur Anhäufung beliebiger Versatzstücke, was das Publikum nicht hindert, die Detmold-Reminiszenzen lokalpatriotisch-begeistert zu beklatschen; ebenso applaudiert es dem tirillierenden bajuwarischen Jodler der gebürtigen Ossi Kerstin Klinder als Salzkammergut-Wirtin - Multi-Kulti nach Biedermanns Geschmack (obwohl: manchmal gehts schon bedenklich Richtung Balkan: wenn die Darsteller eher im Wiener als im Salzkammergut-Dialekt sprechen).

 

Schließlich: In der rührseligsten und unsäglichsten Szene des Stücks macht ein leutseliger Kaiser der Rössl-Wirtin klar, sie habe doch, bittescheen, genau dort in der gesellschaftlichen Hierarchie zu bleiben, wo eine göttliche und feudale Ordnung sie hingestellt haben. Und ausgerechnet diese Szene wird in Detmold – fürs Publikum offensichtlich – zum Fake. Und ausgerechnet der Piccolo, der Unterste in der Gaststätten-Hackordnung, darf Kaiserliche Hoheit doubeln (brillant in ihrer Doppel-Hosenrolle: Gabi Blum).

 

Selbst wenn Rese & Co. alles andere genau so ernst gemeint haben sollten, wie es vom Großteil des Publikums aufgefasst wurde (Henry Klinders Berliner Großschnauzigkeit, Wolfgang Müllers trottelige Professoren-Weltfremdheit, Lydia Voigts krachlederne "Christl von der Post", das Rindvieh-Outfit des Chors und nicht zuletzt den geradezu künstlerischen "Balkon-Vorbau" der Rössl-Wirtin) - selbst all das müsste man ihnen angesichts dieser genialen Umdeutung der Kaiser-Szene verzeihen!

 

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Landestheater Detmold (Hoftheater):

Im Weißen Rössl

Singspiel von Ralph Benatzky

 

Musik:   Ralph Benatzky

Libretto:   Ralph Benatzky, Hans Müller-Einigen, Erik Charell

Liedtexte:   Robert Gilbert

 

Inszenierung:                       Tatjana Rese

Bühne:                                  Hans-Günther Säbel

Kostüme:                              Pia Wessels

Musikalische Leitung:         Erich Radke

Musik:                                    Det Moldies