Mit zunehmender Begeisterung ….
Ein wiederholter Besuch im Detmolder “Faust”
g.Wasa - Detmold - “Ich kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen” ist eine populäre“ Fassung des heraklit’schen “panta rhei – alles fließt“: dauernd verändert sich alles. Im Fluss ist neues (anderes) Wasser nachgeströmt, ich selbst habe mich verändert (und sei es nur, dass ich jetzt mehr Erfahrung darin habe, in einen Fluss zu steigen).
Ich kann nicht dieselbe Theaterinszenierung zweimal ansehen. Ein Faszinosum der Kunstform Theater ist schließlich, dass jeder Abend ein Unikat, etwas Besonderes ist. Und ich selbst … siehe oben.
So braucht es nicht zu wundern, dass ich aus der letzten Detmolder „Faust“-Vorstellung dieser Spielzeit doch ziemlich anders herauskomme als aus der Premiere. Wobei nicht zu klären sein wird, was sich mehr verändert hat – die Aufführung oder ich selbst.
Wie auch immer – das Ergebnis vorweggenommen:
War nach der Premiere mein Eindruck zwiespältig – so bin ich jetzt rundum begeistert! Naja – fast rundum. Nach wie vor ist mir zu viel Text herausgekürzt (aber das geht mir – von Steins Komplettfassung natürlich abgesehen – bei jeder Faust-Inszenierung so!).
Nach wie vor halte ich es für eine gute Idee, den Erdgeist in Fausts Inneres zu versetzen, nach wie vor denke ich aber, dass es dafür eine bessere Lösung gäbe als diese epileptischen Zuckungen (ich weiß nicht mehr wo – vor einiger Zeit wurde das, beispielsweise, mit der Projektion eines „Flammenbildnisses“ auf Fausts nackte Brust besser gelöst). - Nach wie vor finde ich das Lieschen in Gestalt Henry Klinders peinlich …
Aber egal. Peanuts! Nach wie vor bin ich von der Grundkonzeption dieser Inszenierung begeistert, wie sie sich bereits äußerlich im Bühnenbild andeutet und dann in so manchem Inszenierungsdetail ausgeführt wird. Der erklärte Anspruch des Regisseurs, hier „(Gefühls-)Terrorismus“ zeigen zu wollen, erschließt sich mir allerdings nach wie vor nicht.
Schließlich und vor allem: Die Schauspieler haben mich von Anfang an beeindruckt. Meinen Vorwurf des „Steifen“, des „Text-Herunterleierns“ nehme ich hiermit zurück!
Das geht überzeugend los mit Stephan Clemens‘ stockendem, tastendem Einstieg in Fausts Anfangsmonolog (immer eine Herausforderung: wie soll man hier, nach 1000&x Inszenierungen noch etwas Originelles finden). Das geht überzeugend weiter auf dem Osterspaziergang: wenn Jürgen Roth seinen Wagner zunächst geradezu angeekelt zeigt angesichts des „Rohen“, des „Fiedeln, Schreien, Kegelschiebens“ und ihm dann im Dialog mit Faust eine altkluge Selbstgefälligkeit verleiht. –
Markus Hottgenroth als Pudel: ein Kabinettstückchen! –
Gretchens „Meine Ruh ist hin“ ist hier keine Klage sondern Anklage, mit der Nicola Schubert ihre Zusage einlöst, das Gretchen nicht als naiven Spielball der Männer sondern als selbst-bewusste junge Frau zu geben.
Zu einem Höhepunkt wird dann das – von der „Gretchenfrage“ ausgehende – Religionsgespräch. „Gretchenfrage“ ist geradezu sprichwörtlich geworden für eine Frage, die eigentlich einfach mit Ja oder Nein zu beantworten wäre, der man aber gerne ausweicht. Das wird hier einmal geradezu exzessiv durchexerziert: Wenn Faust die klare Frage „Glaubst du an Gott“ mit hochtrabenden aber nichtssagenden schönen Worten („… webt in ewigem Geheimnis unsichtbar sichtbar neben dir …“) abzutun versucht, und Gretchen sein dauerndes Ausweichen wieder und wieder mit der Ausgangsfrage kontert: „So glaubst du nicht?“ – bis sie’s dann endlich doch aufgeben muss: „Das ist alles recht schön und gut“. – Ein hoffnungsloser Fall!
Wie gesagt: es war die letzte „Faust“-Aufführung, die ich noch einmal gesehen habe. – Trotzdem kein hoffnungsloser Fall: Mit einer Wiederaufnahme in der nächsten Spielzeit ist zu rechnen. Merken Sie sich’s schon mal vor!
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Landestheater Detmold:
Faust – der Tragödie Erster Teil
von Johann Wolfgang von
Goethe
Inszenierung:
Jasper Brandis
Ausstattung:
Andreas Freichels
Musik: Frank Niebuhr
Dramaturgie: Christian
Katzschmann
Faust:
Stephan Clemens
Mephisto:
Markus Hottgenroth
Gretchen:
Nicola Schubert
Marthe Schwerdtlein: Natascha Mamier
Wagner/Valentin: Jürgen Roth
Hexe/Lieschen: Henry Klinder