Furioses Gesellschafts-Spektakel mit kleinen Mängeln

Brechts „Puntila und Matti“ als burleske Komödie am Landestheater Detmold

(Foto: Landestheater)

WaSa. Detmold.  -  Am Landestheater Detmold hatte Bertolt Brechts Volksstück vom reichen Gutsherrn Puntila und seinem Knecht Matti Premiere – in einer furiosen Inszenierung mit kleinen Mängeln unter der Regie der Detmolder Spielleiterin Tatjana Rese, musikalisch eingerichtet von Thomas Wolter und damaturgisch betreut von Christian Katzschmann.

 

Der „Puntila“ soll – nach der Dreigroschenoper – das meistgespielte Brecht-Stück sein, was angesichts der eingängigen Story und der Lebensprallheit seiner Figuren nicht wundert. Natürlich handelt es sich bei diesem „Volksstück“ nicht um eines jener Wiener Rührstücke oder gar um Bauernstadl-Klamauk, die Brecht selbst in seinen „Anmerkungen zum Volksstück“ als „krudes und anspruchsloses Theater“ gebrandmarkt hat. Zwar gibt es hier sehr wohl „derbe Späße“, aber es fehlt der „gute Schluss“, der in Brechts Worten so aussieht: „Die Bösen werden bestraft, und die Guten werden geheiratet, die Fleißigen machen eine Erbschaft ...“ Nein, für den Begründer des „epischen Theaters“ ist das Ziel des Stücks nicht ein Happy End für die Protagonisten, sondern der Erkenntnisgewinn des Zuschauers. In diesem Sinne kann jedes der sieben großen Stücke aus Brechts Exilzeit als „Lehrstück“ bezeichnet werden, oder vielleicht – zur Abgrenzung gegen die frühen, ideologisch noch prononcierteren Lehrstücke – als „Appell“ an das Publikum: „Mutter Courage“ als Appell gegen den Krieg, der „Galilei“ als Appell an die Verantwortung der Wissenschaft (mit – je nach Version – unterschiedlichen Akzenten).

 

Und immer wieder appelliert der Dichter gegen die kapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, gegen die Klassengesellschaft mit ihrem „Ihr da oben – wir hier unten“. Gern führt er dabei vor, dass nicht unbedingt die Unteren die Guten und die Oberen die Bösen sind. Neben dem „guten Menschen von Sezuan“ und den Zwillingen in den „Todsünden“ ist wohl der Puntila das beste Beispiel für diese These: Eigentlich fühlt der Gutsherr sich „fast als Kommunist“, möchte seinen Dienstboten „nur Braten geben“ und mit den Erträgen seines Landgutes eine Kasse füllen, aus der sich jeder („nach seinen Bedürfnissen“) bedienen möge. Mit Recht warnt ihn der lebenspraktische Chauffeur Matti, dass er dann bald pleite wäre (so wie die gute Shen Te in Sezuan). – Aber das wird wohl nicht passieren!

 

Gleich zu Beginn gibt Rese einen Hinweis auf den zwiespältigen Charakter ihres Puntila, indem sie ihn ausgerechnet Jeremiah Peachum zitieren lässt: eine andere dieser janusköpfigen Gestalten, die Brecht so liebte: nach außen gibt er sich als christlichen Bettlerfreund und Wohltäter der Armen, in Wirklichkeit beutet er deren Elend gnadenlos aus. Was bei Peachum Taktik ist und beim „guten Menschen“ Notwehr – das ist bei Puntila Charaktereigenschaft: er ist immer dann der joviale, großzügige Kumpel (oder gar „Bruder“) seiner Untergebenen, wenn er besoffen ist; „sternhagelnüchtern“ dagegen ist auch er der aufbrausende, widerwärtige, ausbeuterische Gutsherr, der strikt auf seinen Vorteil bedacht ist. Oder, um noch einmal Peachum zu zitieren: Puntila wär ja gern gut anstatt so roh – doch die Verhältnisse, sie sind nicht so.

 

Brechts Bilderbogen vom Herrn Puntila und seinem Umfeld wird in Detmold als burleske Farce mit Anklängen an die Commedia dell’Arte gegeben. Ständig beherrschen turbulente Bewegung und pralles Leben die Bühne. Die Sexualität – die auch bei Brecht immer spürbar ist, aber doch eher akademisch in einem Juristengespräch über die finnische Sommernacht abgehandelt wird – ist hier allzeit präsent. Da wird gegrabscht und gestarrt. Wenn Brecht die Tochter mit dem Chauffeur in die Sauna schickt, um den drögen Verlobten zu provozieren, dann gibt er ihnen Spielkarten mit, damit sie etwas zu tun haben. Die Detmolder verzichten auf die Karten, stattdessen kommen die beiden schnell und eindeutig zur Sache.

 

Reiner Wiesemes hat für dieses Spektakel die passende Einheitsbühne gebaut: einen großer Guckkasten, dessen vergröberte Holzstruktur man als Hinweis auf Wälder und Sägewerke als Basis des Puntilaschen Reichtums sehen mag; in der Rückwand noch ein kleiner Guckkasten als Refugium der Musik und als Peepshow-Kabine für Puntilas Bräute; mitten auf der Bühne ein weiterer mobiler Guckkasten, der mit seinem Hin und Her fast wie ein weiterer Schauspieler zur Turbulenz des Geschehens beiträgt. Die Darsteller werden mit schriller Kleidung und geradezu grotesken Frisuren zu Typen – um nicht zu sagen: Chargen – aufgebrezelt, die mit ihrem teils slapstickartigen Agieren eine turbulente, farbenprächtige und unterhaltsame Show abziehen und dafür am Schluss mit dem verdienten ausgiebigen Beifall belohnt werden.

 

Die beiden Hauptrollen sind geradezu ideal besetzt: Henry Klinder als herrlich anbiedernder/brutaler Puntila, Markus Hottgenroth als ein gegelter Lackaffe, der vor den Launen seines Herrn brav duckt und dabei die eigenen Interessen fest im Blick behält. Stephan Clemens führt den dümmlichen Dünkel des Attachés gekonnt vor; Christoph Gummert und Philipp Baumgarten sind als skurile Juristen die Honoratioren und Saufkumpane Puntilas (wobei das geradezu akrobatische Geschick hervorzuheben ist, mit dem Gummert seinen Richter über die Bühne torkeln und fallen lässt); Kerstin Klinder repräsentiert mit Bravour das weibliche Gutspersonal; Marie Suttner gibt glaubhaft die verwöhnte Gutsbesitzerstocher, die gerne ausbrechen würde, aber auch ohne Mattis Rat sehr wohl weiß, dass sie „nicht in der finanziellen Situation ist, ihrem Vater Kummer zu bereiten“. Anna Katharina Schwabroh und Jenny-Ellen Riemann verleihen Puntilas Bräuten soviel Sexappeal, dass Man(n) bedauert, dass deren Zahl in Detmold von vier auf zwei halbiert wurde (immerhin kann so das Motiv, dass der betrunkene Puntila doppelt sieht, in witziger Weise nochmal aufgenommen werden). Jürgen Roth hat die wenig dankbare Aufgabe, die „restlichen“ Rollen zu spielen, denen er aber – trotz knappem Text – eine düstere Präsenz verleiht. Neben dem roten Surkkala, als welcher er im Personenverzeichnis steht, gibt er nicht nur den Kellner, sondern auch die Arbeitssuchenden, die vom betrunkenen Puntila hofiert, vom nüchternen davongejagt werden . Da zudem die Szene „Gesindemarkt“ ungeschickt gekürzt wurde, mag es hier zu Verständnisproblemen kommen – um so mehr, als Rese an dieser Stelle parallel zum Text Brechts „Arbeitereinheitsfrontlied“ singen lässt, wodurch weder der Text noch das Lied richtig verständlich sind.

 

Überhaupt scheint Rese etwas Probleme mit der Musik zu haben. Brecht maß der Musik in seinen Stücken ja eine hohe Bedeutung bei: als avantgardistisches Element und als wichtiges Instrument des epischen Theaters sollte sie die Absichten des Autors verdeutlichen und so Erkenntnisse vermitteln Zum „Puntila“ hat Paul Dessau die Bühnenmusik mit leichten Anklängen an den Jazz geschrieben. Die „Tavastland Cowboys“ (Ingo Otte, Shawn Grocott und Willi Budde) bringen als Bläser-Terzett diese Musik auch sehr beeindruckend auf die Bühne, doch mangelt es bei den Songs an Feinabstimmung durch die Regie: meist ist die Musik viel zu laut, übertönt die menschliche Stimme und zerstört somit die Brechtsche Funktion der Songs (wobei zudem zumindest die erste Strophe des „Pflaumenliedes“ in einer derart überstilisierten Weise gesungen werden muss, dass es einem graust).

 

Doch insgesamt: ein herrliches Spektakel mit hohem Unterhaltungswert! Allerdings muss der vom Autor angestrebte Erkenntniswert demgegenüber zurücktreten. Da mag der Gegensatz oben – unten noch so schön illustriert sein. Brechts Anliegen, die dafür verantwortlichen „Verhältnisse“ zu ändern, kommt dagegen zu kurz. Da hilft es auch nichts, dass – ziemlich unmotiviert – noch zwei politische Gedichte Brechts einmontiert werden (das erwähnte Einheitsfrontlied sowie das Lied von den „finsteren Zeiten“, beide von Hanns Eisler vertont). Am Schluss geht Matti einfach weg – ohne Zeugnis und mit fraglichen Zukunftsaussichten. Puntila wird wohl einen neuen Chauffeur engagieren und seine Untergebenen weiterhin triezen. Eva wird den ungeliebten Attaché heiraten und eine langweilige Honoratiorenehe führen ... Der Vorhang zu, und alles wie gehabt. Mattis rhetorische Schlussabrechnung mit Puntila: gestrichen! (Man mag allerdings Tanja Rese nicht wirklich widersprechen, wenn ihr Mattis Lösung für die Knechte dieser Welt in unserer gegenwärtigen polit-ökonomischen Situation gar zu naiv erscheint: „Den guten Herrn, den finden sie geschwind, wenn sie erst ihre eignen Herren sind“!)

 

(mehr Fotos: www.kulturinfo-lippe.de)