Ein Lustspiel zum Verständnis der Börse?

Theater-Matinée zu Eckoldts „Mammon zieht blank!“-Uraufführung 

"Wenn ich sechs Hengste zahlen kann
Sind ihre Kräfte nicht die meine?
Ich renne zu und bin ein rechter Mann
Als hätt’ ich vierundzwanzig Beine."

(Mephisto, in Goethe, Faust I, 1824-1827)

 

"... was ich zahlen kann, das bin ich. 

So groß die Kraft des Geldes, so groß ist meine Kraft.

.... Ich bin lahm, aber das Geld verschafft mir 24 Füße;

 ich bin also nicht lahm;

 ... ich bin geistlos, aber Geld ist der wirkliche 

Geist aller Dinge, wie sollte sein Besitzer geistlos sein?

Zudem kann er sich die geistreichen Leute kaufen ...

Verwandelt also mein Geld nicht alle meine Unvermögen

 in ihr Gegenteil?“

Karl Marx:

Ökonomisch-philosophische Manuskripte – 3.4 – Geld

In: MEW (Marx Engels Werke), Bd. 40, S. 564 f.)

 

 

„Ein schlauer Kopf“

(Landestheater-Dramaturg Dr. Christian Katzschmann

über Karl Marx)

 

Schlechte Erinnerungen, aber ... 

g.WaSa   -   Detmold.     Nein, er gefiel mir nicht, der neue Stückeschreiber, bei dem das Landestheater vor ein paar Jahren ein „Lustspiel zur Freiheit“ in Auftrag gegeben hatte! Vielmehr gingen mir seine eloquent-geschwätzig ausformulierten Banalitäten, sein nichtssagend-hochtrabendes Soziologengewäsch („Kalibirierung der Willensströme“) gewaltig  auf den Geist, sowohl in seinem Stück („Wie ihr wollt“) als auch bei der Lesung aus seinen Büchern.

 

Und nun hat die Detmolder Schauspieldirektorin Tatjana Rese bei ihrem Berliner Landsmann Dr. Matthias Eckoldt schon wieder ein Stück bestellt! 

 

 

... hoffnungsvolle Erwartungen  

Und – oh Wunder! – ich blicke der Premiere erwartungsfroh entgegen. Ja, genau: erwartungsfroh!  Das zumindest seit der Matinée, in der das Landestheater (so wie – lobenswerterweise! – zu allen Premieren) dem interessierten Publikum das anstehende Stück vorstellt: mit Auszügen aus dem Text und Zusatzinformation rund um Autor, Stück und Thema.  .

 

Und was erwarte ich mir nun also von „Mammon zieht blank“, diesem  „Lustspiel über Geld und andere Scharfmacher“?

 

Unser alltägliches Ausgeliefertsein  

Zunächst einmal: Die Behandlung eines wichtigen Themas! Was gibt es denn sonst, das uns alle alltäglich persönlich beträfe? Unser Leben, unser Schicksal bestimmte? Als Geld? Als ein Finanzsystem, das nicht nur uns kleine Wähler beherrscht, sondern auch die von uns Gewählten? Dabei wissen wir, dass dieses System von Menschen gelenkt wird. Dass wir allerdings nicht zu diesen Menschen gehören. Weil wir schon gar nicht wissen, was das alles ist – Portfolios, Arbitrage, Leverage-Effekt, Leerverkäufe, Shortposition, Put-Call-Ratio, Volatilität  ... -, geschweige denn, wie es funktioniert. 

Die Figur, die durchblickt? - Ewa Rataj als Mammonia

Schon mit den Größenordnungen haben wir Otto-Normal-Kleinverdiener Probleme: Als während der Matinée von Hegdefonds-Gewinnen und Banker-Boni die Rede war, da rauschten die Millionen und Milliaren nur so an uns vorbei. Oder waren es Billionen und Billiarden?

 

Und vor allem: spätestens seit der „Finanzkrise“ ist jedem einigermaßen Mitdenkenden klar, dass da ganz gewaltig etwas schiefläuft.

 

Nur was???

 

 

Es wäre sicherlich vermessen zu hoffen, dass Eckoldts Stück uns da umfassende Aufklärung brächte,  auch wenn Regisseurin Tatjana Rese kühn behauptet, Mammonia, die zentrale Gestalt des Stücks, sei „die Figur die durchblickt“.

 

Matinée: Kurzweilige Vorlesung in Wirtschaftsgeschichte  

Aber vielleicht lernen wir ja ein bisschen was zum Thema Geld und Finanzen. Die Matinée hat bereits zwei Stunden Vorlesung in Wirtschaftsgeschichte ersetzt (und das auch noch außerordentlich unterhaltsam!): Uns wurde die erste große Spekulationsblase samt Crash der Neuzeit vorgestellt: Zeit: 1636/37; Ort: die Niederlande (und weit darüber hinaus); Spekulationsobjekt: Tulpenzwiebeln. Ja genau – Tulpenzwiebeln. Da kann man sich wenigstens was drunter vorstellen. Dagegen OTC-Derivate - wissen Sie, was das ist?

Spekulationsobjekte damals und heute (damals: wenigstens hübsch anzusehen)

Zweite Lektion: Die Machenschaften des John Law, der das Papiergeld zwar nicht erfunden hat, ihm aber Anfang des 18. Jahrhunderts als Generalkontrolleur der Finanzen am luxusgeilen und daher notorisch geldknappen französischen Königshof zum ersten Durchbruch verhalf.  –  Der bald darauf folgende Zusammenbruch diskreditierte das Papiergeld zunächst einmal, in den Worten Tatjana Reses: „Für lange Zeit galt Papiergeld als Teufelszeug“. Das muss Goethe so ähnlich empfunden haben, verlegte er im 1. Akt seines „Faust II“ die Geschichte doch an den deutschen Kaiserhof und ließ Mephisto die Rolle des John Law spielen – mit (be-)rauschendem Erfolg (im 4. Akt ist dann auch hier das System zusammengebrochen). Als einzig Kluger erweist sich der Narr, der die substanzlosen Titel sofort in Sachwerte investiert:

 

„Die Zauberblätter! Ich versteh’s nicht recht ...

Heut abend wieg‘ ich mich im Grundbesitz“

Mephisto: „Wer zweifelt noch an unsres Narren Witz!“   (V. 6157 ff.)

 

Und so weiter – das Landestheater verspricht uns einen unterhaltsamen Streifzug durch die Geschichte des Geldes: von Thomas Morus und Martin Luther über den  Zusammenbruch des Systems von Bretton Woods (und damit die endgültige Aufgabe einer Sachwertbindung des Geldes)  in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts bis heute, wo wir eine weitere Ebene erklommen haben: jetzt braucht man nicht einmal mehr Papier, um Geld darauf zu drucken. Der Großteil des Reichtums exisitert heute nur noch in den Computern ...

 

Wie sollen Menschen wie du ich ich das noch verstehen?

 

Ob uns da Eckoldts „Mammon“ Erleuchtung bringt?

Eckoldts Talent: der kleine, entlarvende Dialog

Wenn der Autor Eckoldt eines richtig gut kann, dann ist es der kleine pointierte Dialog. Schon in seinem – ansonsten ... äh, lassen wir das – „Wie ihr wollt“ war ich begeistert von den entlarvenden Gesprächen der „Suchenden“. Und diese „Suchenden“ werden uns jetzt wieder in Aussicht gestellt – diesmal wohl nicht auf der Suche nach einem Lebenspartner (oder wenigstens einem One-Night-Stand), sondern auf der Suche nach der ökonomischen Wahrheit, nach einer Erklärung des komplizierten Finanzsystems ...

 

Die während der Matinée präsentierte Kostprobe erinnert an die „Topidioten“ (à Eckoldt-Lesung). Ob uns derartige Topidioten allerdings wirklich Erkenntnisse bescheren werden ... ???

 

Aber: den Finger in die Wunde zu legen, die Absurdität dieses Systems (mal wieder ... oder überhaupt) bewusst zu machen – das wäre doch schon mal was! Womöglich gar mit einigen unterhaltsamen frech-erhellenden Formulierungen (die Benennung unserer Parlamentarier als „monetär-missionarische Laienpriester“ hat mir schon mal ausnehmend gut gefallen!)

 

 

 

Und so hoffe ich also, dass in dem Streit zwischen Dramaturg („Ein Aufklärungsstück“) und Autor („Nein! Ein Lustspiel!“) der Dramaturg Recht behält. Wenigstens ein bisschen.

 

PS: 

Für die Musik in der Inszenierung wird das A-capella-Quintett SELBSTLAUT! sorgen. Bei der Matinée gaben die fünf schon mal eine Kostprobe ihres Könnens. - Wer würde nicht ihren musikalisch vorgetragenen Wunsch teilen:

 

"Ich wär so gerne Millionär"

 

Allerdings dürfte die daran geknüpfte Erwarung

 

"Dann wär mein Konto niemals leer"

 

ziemlich naiv sein. Soo große Sprünge lassen sich heutzutage mit einer Million nicht mehr machen (siehe oben, den Absatz über Banker und Hedgefonds - nicht umsonst gewähren sich die Mächtigen des Geldgewerbes Boni in zig-facher Millionenhöhe).