Vorankündigung: Saisonauftakt in Detmold:

Faust: „Ich will Spaß!“

Gounods Oper in einer Spiegelwelt am Landestheater

Intendant Heckel (Foto: Landestheater)

g.wasa     -     Detmold.     -     Die aktuelle Spielzeit am Landestheater Detmold – die erste des neuen Intendanten Georg Heckel  – beginnt am 1. September mit einem Spielzeiteröffnungsfest. Davor gibt’s schon mal eine Wiederaufnahme (Così fan tutte am 29. August) und am Sonntag die traditionelle Sparkassen-Matinee.

 

So richtig los geht’s dann am Freitag, dem 7. September: mit „Faust“.

 

Faust? Hatten wir den nicht erst? – Doch, vor zwei, drei Spielzeiten, aber das war „der Faust“, der von Goethe (mehr). -  Diesmal ist es die Oper des französischen Komponisten Charles Gounod (1818-1893). Nachdem wir uns an Spielzeiteröffnungen mit Wagners Musikdramen quasi schon gewöhnt hatten, gibt es jetzt also eine französische Oper aus dem Jahr 1859, musikalisch-stilistisch recht komplex zwischen Opéra-comique, Opéra–lyrique und Grand Opéra angesiedelt.   Musikdramaturgin Elisabeth Wirtz: „Unter der neuen Intendanz wird das Landestheater auch ein neues Repertoire ausloten“. Zuletzt wurde Gounods Werk vor genau 20 Jahren unter dem Titel „Margarete“ am Landestheater gespielt.  

                                               

Gounod hatte seine Oper in Anlehnung an Goethes Monumentalwerk zwar „Faust“ genannt, doch wurde sie in Deutschland zumeist als „Margarete“ gespielt, um sie nur ja von „unserem Nationaldrama“ zu unterscheiden!  

 

„Faust“ – eine alte europäischer Geschichte

Doch weist Dramaturgin Wirtz zurecht darauf hin, dass es sich bei der Faust-Geschichte um „einen europäischen Stoff“ handelt. Denn dieses Satanspakt-Thema gab’s schon lange vor Goethe, z. B. als alte griechische Legende vom Teufelsbündner Theophilus oder in Calderóns Drama vom „wundertätigen Magus“ Cyprianus. Die Volksbücher vom (historisch-realen?) „weitbeschreyten Zauberer und Schwarzkünstler Doctor Johann Fausten“ führten dann über Marlowe und Puppenspiele zu einer Reihe von Saft-und-Kraft-Gestalten im Sturm und Drang, über die allerdings Goethes Universalgelehrter turmhoch hinausragt. Auch die Faust-Variationen nach Goethe sind zahllos; aber auch von denen spielt kaum eine in der Liga von Goethes Version (neben Thomas Manns „Doktor Faustus“ fällt mir allenfalls noch Bulgakows „Meister und Margarita“ ein). Immerhin gibt’s – wenn wir uns denn der Fußballterminologie bedienen wollen – unterhalb der Champions League noch ein paar Erstklassige: Lessing, Heine, Eisler, Valéry und – ja! – auch „unser“ Grabbe mit seiner genialen Konfrontation von Faust mit Don Juan.

 

Ob nun wohl auch Gounods Werk in diese erste Klasse gehört?

 

Von den namhaften Faust-Bearbeitern hält sich Gounod am engsten an Goethes Text, genauer gesagt: an die Gretchen-Tragödie. Was bei Goethe vorher kommt, wird stark gekürzt (vom Eingangsmonolog bis zum Osterspaziergang und Teufelspakt) oder ganz weggelassen (Auerbachs Keller, Hexenküche). Das Libretto stammt von (den gelegentlich als „Vielschreiber“ bezeichneten) Jules Barbier und Michel Carré (der 1850 bereits das Stück „Faust und Margarete“ veröffentlicht hatte).  

 

Der Faust-Freund wendet sich mit Grausen ...

Wer einen ersten Blick in die deutsche Reclam-Ausgabe wirft, der mag sich mit Grausen abwenden. Wer Goethes Faust auch als Sprachkunstwerk liebt, wird von den holprig-lahmen Versen enttäuscht sein. Natürlich darf man nicht von der deutschen Übersetzung aufs französische Original schließen (deshalb wird über diese Übersetzung noch zu sprechen sein), aber auch der französische Text wirkt unpoetischer, ja: grober als das Goethesche Vorbild (leicht nachzuprüfen ist das etwa hier, wo französischer Text und deutsche Übersetzung (allerdings auch nicht besser als bei Reclam) nebeneinander stehen )

 

Als Beispiel will ich eine Szene herausgreifen, die – unter den zahlreichen Lieblingsszenen im „Faust“ – eine meiner allerliebsten ist: Das (nun wirklich hochaktuelle!) Räsonieren der Spießbürger während des Osterspaziergangs über die Kriege im Nahen Osten:

 

Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen
Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,
Wenn hinten, weit, in der Türkei,
Die Völker aufeinander schlagen.
Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus
Und sieht den Fluß hinab die bunten Schiffe gleiten;
Dann kehrt man abends froh nach Haus,
Und segnet Fried und Friedenszeiten.

 

Die Gounodsche Version bei Reclam:

 

Sonntags und an Feiertagen

Plaudre ich gern von Krieg und Streit,

und seh von weitem zu,

wie sich andre schlagen.

Mögen kämpfen Türk und Russ!

Ich sitz lieber hier im Grase

Auf den Hügeln dort am Fluß,

trink aus vollem Glase!

 

Der eigentliche Clou dieser Szene ist allerdings die Antwort eines anderen Bürgers: damit entlarvt Goethe mit brutaler Ironie die (aus unserer heutigen Sicht, aber wohl auch aus Sicht des Weltbürgers Goethe) geradezu fahrlässige euro- (oder: heimat-)zentristische Naivität des Spießbürgers, der glaubt, das alles ginge ihn nichts an:
 

Herr Nachbar, ja! so laß ich's auch geschehn:
Sie mögen sich die Köpfe spalten,
Mag alles durcheinander gehn;
Doch nur zu Hause bleib's beim alten.

 

Hier gibt’s keine französische und demnach auch keine Reclam-Fassung: diesen Passus haben Gounods Librettisten weggelassen.

 

Gravierender allerdings, als diese – man könnte sagen: lediglich atmosphärischen – Ärgerlichkeiten, ist etwas anderes: die totale Umstülpung des faustschen (ich sage bewusst nicht: des faustischen) Charakters:

 

 

Faust: Schürzenjäger anstatt Sinnsucher

Holzschnitt von Fritz Richter ("Faust - 23 Holzschnitte", Berchtesgaden 1953

Was haben diese Franzosen nur aus unserem deutschen Geistes-Heroen gemacht?! Aus diesem allzeit nach Wahrheit und Erkenntnis Strebenden? Der nur eines will: „Dass ich erkenne, was die Welt im Innersten zusammenhält“! – Dagegen die Forderung des französischen Faust: „Ich will Spaß!“ Ja! Nicht Reichtum, nicht Ansehen, nicht Macht. Von Erkenntnis ist erst gar nicht die Rede. Sondern einfach: „Ich will Spaß!“ Und dafür muss ihm der Teufel die Kraft der Jugend verschaffen.

 

Aber wollen wir ihm das wirklich vorwerfen? Dieser alte Mann, der sein Leben lang in vergilbten Folianten nach dem Wesen der Natur geforscht hat – „ganz vergeblich. Ich weiß nichts! Nichts! Nichts!“ – Ist dem nicht noch ein bisschen Lebensfreude zu gönnen? Die „Wonne und das Glück“, mit dem ihn und Margarethe die „holde Nacht selig erfüllt“, ist doch wohl allemal besser als der anfangs aus Frust geplante Selbstmord!

 

Akzeptieren wir also einfach die Sinnenfreude in der französischen Oper genauso wie die Sinnsuche im deutschen Gedankendrama (auch wenn hinter der „Sinnenfreude“ Wilhelm Buschs Warnung dräut: „Wehe – wenn ich auf das Ende sehe“).

 

 

Verharmlosende deutsche Übersetzung

Allerdings – beim Stichwort „Sinnenfreude“ muss ich einfach noch mal auf die zimperliche  deutsche Übersetzung zu sprechen kommen – hier speziell der Forderungen Fausts an den Teufel. - Zunächst der Reclam-Text:

 

Der einzige Wunsch, der mich noch beseelt:

Die Jugend gib mir wieder!

O schenk mir die Jugend,

gib Freude und Wonne,

und mach, dass Verlangen

mich wieder durchglüht!

O schenke mir Liebe, gib sie mir zurück,

selige Jugend, der Liebenden Glück,

die selige Jugend mit ihrem Verlangen,

die selige Jugend, der Liebenden Glück!

Die selige Jugend, o gib sie mir zurück!

 

Ich spar mir meinen Kommentar und hab stattdessen versucht, den französischen Text wörtlich zu übersetzen – vergleichen Sie selbst:

Vielversprechend: Die Musik

Aber lassen Sie sich, bitte, von meinem Gemäkel bloß nicht die Laune verderben. Schon gar nicht wegen einer unzulänglichen Übersetzung. Denn selbstverständlich wird Gounods Oper in der Originalsprache gesungen (mit deutschen Übertiteln, natürlich). Die typische  Sprachrhythmik des Französischen erlaubt es nun mal kaum, die Musik mit dem deutschen Text zu vereinen, ohne einem von beiden Gewalt anzutun. Dass Lutz Rademacher als musikalischer Leiter davor zurückschreckt ist nur zu verständlich.

 

Umso verständlicher, als die Stärken dieser Oper in der Musik liegen. Elisabeth Wirtz bezeichnet das Werk des „begnadeten Molodikers“ Gounod als „franzöische Oper pur – eine der vollkommensten Schöpfungen französischer Oper des 19. Jahrhunderts“ – ein Urteil, mit dem sie keineswegs allein steht. Deshalb (und zumal wenn Sie zu denen gehören, die Opern nicht „sehen“ sondern „hören“) – nehmen Sie den Inhalt so wie er ist und genießen Sie „die Fülle melodischen Wohlklangs“ (Reclams Opernführer). Und wenn Sie vorab eine Kostprobe möchten: aus der Fülle von youtube-Beispielen empfehle ich Anna Netrebkos Juwelenarie und den Faustwalzer der Semperoper.

 

Die Oper: ein „Steinbruch“

Gounod hat jahrelang an seiner Oper gearbeitet. Die Ansprüche, die Theaterdirektoren stellten, um dem zeitgemäßen Publikumsgeschmack zu genügen (so die bekannte Forderung, eine große Oper müsse eine große Ballettszene enthalten) machten immer wieder Umarbeitungen und Ergänzungen notwendig. Angeblich wurde die berühmte „Juwelenarie“ erst auf Wunsch der Hauptdarstellerin Marguérite Miolhan (praktischerweise gleichzeitig Gattin des Direktors des Pariser Théâtre lyrique) eingefügt. Deshalb ist diese Oper „ein Steinbruch“ (Wirtz): aus den zahlreichen Versionen muss / kann sich jeder „seine“ Fassung heraussuchen – was gleichzeitig auch schon eine Interpretation bedeutet. Schon allein deswegen darf man der Detmolder Premiere mit Spannung entgegensehen.

 

„Zwei Seelen in meiner Brust“: Die Detmolder Inszenierung

Gounod hatte mal Priester werden wollen, und sein Oeuvre umfasst mehr Messen und Oratorien als Opern (auch die „Nationalhymne“ des Vatikan hat er komponiert). Wenn man liest, wie dieser religiöse junge Mann jahrelang von dem Goetheschen Gretchen geschwärmt hat, ist man versucht, an die geradezu erotisch-hymnische Madonnenverehrung mancher zölibatärer Theologen zu denken. Kein Wunder also, dass Margarete in dieser Oper eine entscheidende Rolle spielt. Die französische Marguerite ist ein selbständigerer Charakter als das deutsche Gretchen; zudem ist sie es, die im Lauf der Handlung die deutlichste Entwicklung zeigt. Der (Neben-) Titel „Margarete“ hat also schon seine Berechtigung.

 

Das sieht auch Regisseur Jan Eßinger so. Aber dennoch ist für ihn „Méphisto ganz klar das Zentrum der Oper“. Zwar will er den Teufel nicht als eine Art Puppenspieler sehen, der seine Mitspieler an den Fäden zieht, aber er ist schon derjenige, der Entwicklungen anstößt und vorantreibt. – Es ist eine geradezu philosophische Frage, ob ein externes „Böses“ einen Menschen wirklich zu „Bösem“ veranlassen kann – oder ob es nur das zum Vorschein bringen kann, was ohnehin in Innersten dieses Menschen angelegt ist. Vor diesem Hintergrund entwickelt das Detmolder Leitungsteam ein vielversprechendes Regiekonzept: „Es ist für uns eine zentrale Erkenntnis, Méphisto als die dunkle Seite in uns und in jedem Charakter zu erkennen. Méphisto ist das, was Faust verdrängt; das, was Faust (und jeder andere) auch gerne wäre“. – Auch für Goethes Faust gibt es ja diese Interpretation, die selten gebraucht wird, für mich aber immer die überzeugendste war: Faust und Mephisto sind nur eine Person: die berühmten „zwei Seelen, ach, in einer Brust“.

 

Die Detmolder haben eine interessante Möglichkeit gefunden, diesem Konzept einen äußeren Rahmen durch das Bühnenbild (Sonja Füsti) zu verleihen: Die Geschichte spielt in einer Spiegelwelt, in der das Reich Mephistos nur das Spiegelbild der Menschenwelt ist (oder umgekehrt?).

 

Also nochmal: Man darf gespannt sein!

 

 

 

Landestheater Detmold:

Faust (Margarethe)

Opéra in fünf Akten von Charles Gounod

Libretto von Jules Barbier und Michel Carré

in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

 

Premiere: Fr. 07 September 2018, 19:30 Uhr (19:00 Uhr: Einführung)

 

                       

Musikalische Leitung:             Lutz Rademacher

Regie:                                     Jan Eßinger

Bühne:                                    Sonja Füsti

Kostüme:                                Nora Johanna Gromer

Chor:                                       Francesco Damiani

Dramaturgie:                           Elisabeth Wirtz

 

 

Faust:                                      Stephen Chambers / Ji-Woon Kim

Mephistopheles:                     Seungweon Lee

Valentin:                                  Benjamin Lewis

Wagner:                                  Andreas Jören

Margarethe:                            Megan Marie Hart / Emily Dorn

Siebel:                                    Lotte Kortenhaus

Marthe Schwerdtlein:             Brigitte Bauma

 

Symphonisches Orchester

Opernchor

Extra-Chor

Statisterie

 

Änderungen vorbehalten - Doppelbesetzung in alphabetischer Reihenfolge