Zeitloser Opportunist

Gelungene Neufassung von Klaus Manns „Mephisto“ am Landestheater

„Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch“

(Th. W. Adorno, 1949)

 

 

Die Vorlage: Roman einer Karriere

WaSa.     -     Detmold.     Klaus Manns „Mephisto“ ist einer der wichtigsten deutschen Nachkriegs-Romane. Darin wird brillant analysiert, wie sich auch und gerade kritische Intellektuelle für ein faschistisches System gewinnen lassen, obwohl sie sich selbst eigentlich am anderen Ende des ideologischen Spektrums sehen: durch plumpe Schmeicheleien, durch subtile Bestechung, schließlich und endlich: durch (vorgespiegelte) Teilhabe an der Macht. 

 

Klaus Mann schildert das bereits 1936 am Beispiel Hendrik Höfgens, der als Hamburger Provinzschauspieler vom links-revolutionären Theater schwärmt, in der Hauptstadt zum Publikumsliebling der Weimarer Republik avanciert – und später zum Liebling der Nazibonzen wird, die ihn zum gefeierten Generalintendanten machen. Das Vorbild für diese Romanfigur war Gustaf Gründgens. Dass der ein guter Bekannter der Familie Mann (einige Jahre sogar mit Erika Mann verheirat) war, verlieh dem Roman natürlich besondere Authentizität. Dass der Generalintendant des Nazitheaters schon kurz nach dem Krieg wieder Starschauspieler, Starregisseur und Bundesverdienstkreuzträger war, machte die Geschichte brisant – mit der Folge, dass der Roman im Interesse der Gründgenschen Persönlichkeitsrechte lange verboten war (es eigentlich heute noch ist). – Eine ausführliche Darstellung des Romans folgt in Kürze auf unserer Literaturseite.

 

Wegen dieses Verbots wurde der Roman in Deutschland zunächst auf dem Umweg übers Theater bekannt: 1979 brachte Ariane Mnouchkine eine dramatisierte Fassung auf die Bühne ihres „Theatre du Soleil“ in Vincennes bei Paris. Von dort aus trat der Stoff seinen Siegeszug auch über deutsche Bühnen an (1992 am Landestheater Detmold). Es folgten das (im Grunde illegale) Erscheinen des Romans bei Rowohlt (1981), die kongeniale Verfilmung von István Szabó (1981, mit Brandauer als Höfgen; Oscar als „bester fremdsprachiger Film“) – und weitere Bearbeitungen des Stoffes für die Bühne.   

Das Stück: Mefisto forever

Das Landestheater Detmold hat sich jetzt für die Version des belgischen Schriftstellers Tom Lanoye entschieden, die 2006 unter dem Titel „Mefisto forever“ entstand. Das Wort „forever“ mag auf Lanoyes Bestreben hinweisen, das Allgemeingültige dieses Stoffs stärker zu betonen, die Geschichte aus den engen zeitlichen und persönlichen Bindungen zu lösen: schließlich hat nicht nur das Dritte Reich sich auf raffinierte Weise Mitläufer gekauft, schließlich ließ sich nicht nur ein Gründgens verführen. (Und wer aus der jüngeren Generation kennt noch Gründgens?!)

 

So verwischt Lanoye die deutlichen biographischen Parallelen, die in Manns Roman zwischen Hendrik Höfgen und Gustaf Gründgens unübersehbar sind. Die Theaterkollegen des Helden werden zu allgemeinen Typen, während sie im Roman erkennbare reale Vorbilder hatten. Da gibt es nicht mehr die „Barbara“ genannte Erika Mann, nicht mehr den als „Sebastian“ kaschierten Klaus Mann selbst. (Ein paar prägnante Details, die Lanoye fast wörtlich aus dem Roman übernommen hat, sind in der Detmolder Inszenierung auch noch gestrichen.)

 

Weniger gut gelingt es, von der Zeit des Dritten Reiches zu abstrahieren. Zwar deuten zu Beginn ein paar fremdenfeindliche Parolen („das ausländische Pack ... mit ihren rituellen Schlachtungen“) eher auf Hoyerswerda 1991 hin als auf Berlin 1933, eher auf NSU als auf SA; und es heißt bewusst neutral  „sie haben die Wahlen gewonnen“. Aber bald schon ist von „Gestapo“ die Rede, von „Nationalsozialismus“. Und natürlich ist der „Dicke“ („Hermann, Pilot und General“) als Hermann Göring unverkennbar; ebenso wie „der Hinkende“ als Goebbels. 

 

Lanoye versucht in seinem Stück, dem Theater noch mehr Raum zu geben, als es im Roman ohnehin schon hat. Das fängt noch recht zurückhaltend an: mit einer „Hamlet“-Probe zu Beginn des Stückes. Doch dann nimmt es überhand. Vor Jahren hat Lanoye Shakespeares sämtliche Königsdramen unter dem Titel „Schlachten“ zu einem ganztätigen Theaterspektakel zusammengefasst – ein beeindruckendes Erlebnis (für das damals sogar die heilige Halle des Hamburger Schauspielhauses umgestaltet wurde). Fast möchte man meinen, er wolle an seinen damaligen Erfolg anknüpfen, indem er jetzt die ganze Theater-Welt-Literatur in dieses eine Schauspieler-Stück hineinpackt: Romeo und Julia, Richard III., Dantons Tod, Don Carlos, dies und das von Tschechow und (natürlich! – Mephisto forever!) den Faust. Der Detmolder Dramaturg, Christian Katzschmann, behauptet zwar tapfer, bei diesen Szenen handele es sich um Verdeutlichungen der politische Situation, in der das Stück spielt, und vor allem um Spiegelungen der seelischen Befindlichkeiten der Protagonisten. Doch meist scheinen diese Bezüge arg bemüht, weit hergeholt. Vor allem erdrücken diese Einschübe die eigentliche Geschichte. Und spätestens wenn man die Szene liest, in der „Hamlet“, „Faust“ und „Kirschgarten“ gleichzeitig als Spiel im Spiel gespielt werden, fragt man sich, welcher normale Zuschauer das noch verstehen soll. Dass der Regisseur auf genau diese Frage antwortet „Der Zuschauer muss nicht alles verstehen“, stimmt auch nicht gerade optimistisch! 

Der Theaterabend: gelungene Inszenierung!

Um so angenehmer ist dann die Überraschung bei der Premiere: Die Skepsis war verfrüht. Wir sehen eine klare, in sich stimmige Handlung (die am Ende vom Publikum auch den verdienten begeisterten Applaus erhält). Das Theater-im-Theater ist auf ein durchaus vertretbares Maß zusammengekürzt; die verbleibenden Einschübe sind hinreichend deutlich von der Haupthandlung abgesetzt – teilweise durch eine besondere Lichtstimmung mittels herabschwebender Scheinwerfer (fast schon im Stile der Brechtschen „Songbeleuchtung“). Regisseur Andreas Nathusius hat vorab erklärt: „Es interessiert mich nicht, die Biographie Gründgens‘ zu zeigen; ich will kein Theater als Geschichtsunterricht machen“. Und ja: er schafft es, das Problem der Verführbarkeit eines Intellektuellen, die Tragödie der Anpassung eines Künstlers auf die Bühne zu bringen, ohne dass man dabei eine bestimmte historische Gestalt vor Augen haben müsste.

 

Diese Bühne ist ein leerer Guckkasten, dessen Ausstattung sich auf ein kleines Podest im Vordergrund beschränkt. Vor der verspiegelten Rückwand verläuft eine Bank, die all den Schauspielern, die gerade nicht aktiv sind, als Backstage dient.

Die Darsteller: bravouröse Leistungen

Und diese Schauspieler sind das wahre Kapital dieser Inszenierung, die Personenführung vielleicht das größte Verdienst des Leitungsteams. Da sind die beiden gegensätzlichen Schauspielerinnen: Karoline Stegemann zeigt „Angela“ als zunächst unbeholfen-schüchtern-angepasste Nachwuchsdarstellerin, die aber Charakter zeigt, als das Verbrecherische des neuen Systems unübersehbar wird. Anna Katharina Schwabroh verkörpert umgekehrt mit „Nicole“ eine kultivierte und eifrige, fast schon übernervöse Zeitgenossin, die zuerst das üble Neue engagiert ablehnt, um sich später mit ebensoviel Engagement anzupassen. Ewa Rataj muss gleich zwei gegensätzliche Charaktere verkörpern: Einerseits die Starschauspielerin Rebecca, die Diva, die als Jüdin keine andere Wahl hat als das Exil. Und Lina Lindenhoff, die deutsche Gemüts-Schauspielerin, die zwar kein Talent hat, aber die Protektion des Nazibonzen „Hermann“ genießt. Um jüdische Diva und deutsches Blondchen zu unterscheiden, hat die Darstellerin als einziges Kostümdetail eine Feder als Kopfschmuck zur Verfügung. Aber sie hätte das wohl auch ohne das hingekriegt! 

Auch bei den Männern gibt es – wie vom Autor gewünscht – Doppelrollen: Stephan Clemens ist der bieder-linke, proletarisch-berlinernde Theater-Direktor Victor Müller, der in seinem Anstand und seiner konsequent-aufrechten Haltung am neuen System scheitern muss; später ist er (geschliffenes Hochdeutsch mit russischem Akzent parlierend) der „neue Führer“, unter dem wohl die alte Misere unter gegensätzlichem Vorzeichen weitergehen wird. Christoph Gummert spielt den Niklas Weber: einen jungen Schauspieler, den einzigen überzeugten Nationalsozialisten im linken Ensemble, der aber nach dem Machtwechsel schnell die Verlogenheit des neuen Systems erkennt und an seinem Protest dagegen zugrunde geht – wenn man sich’s so recht überlegt: eigentlich die sympathischste Figur unter all den Sich-Anpassern! Und dann ist Gummert auch noch „der Hinkende“: ein erschreckender Goebbels, vor allem in seiner Zurückhaltung, in seinen leisen Tönen: wenn der Hinkende ganz subtil, mit äußerst beherrschter Mimik auf eine Richard-III.-Parodie reagiert; und wie er dann seine „Sportpalast“-Rede angeht: ganz leise zunächst, vorsichtig tastend, als würde er nur üben; man muss schon gut hinhören, um die berüchtigte Frage nach dem „totalen Krieg“ mitzukriegen. Doch langsam – während um ihn herum Tschechows „Möwe“ geprobt wird – steigert er sich; wird allmählich lauter – wobei gleichzeitig Nicole von einem kollektiven Kotz-Erlebnis berichtet - ; erreicht endlich den bekannten Sportpalast-Tonfall (und Nicole zieht sich eine Uniform an). 

Der andere Nazibonze, „der Dicke“, wird von Jürgen Roth gegeben. Eine faszinierend-beklemmende Studie eines Göring mit seiner wurstigen Hingabe an Führer und System, mit all seinem jovial-aasigen Charme, seiner biedermännisch-leutseligen Heimtücke ... Kompliment!

 

 

Und schließlich der Held des Stückes, der hier Kurt Köpler heißt, der vom links-revolutionären Schauspieler zum Theaterbonzen der Nazis wird! Schon wieder mal eine Paraderolle für Markus Hottgenroth, dem „Helden“ der Inszenierung! Durchgestylt rotes Outfit, von der Krawatte bis zur Hose. Nach der Machtergreifung der „anderen“ zieht er erst mal seinen roten Anzug aus. Um ihn nach kurzer Bedenkzeit wieder anzulegen. Von Anfang an verleiht der phänomenale Hottgenroth diesem phänomenalen Köpler seinen zwiespältigen Charakter. Oder? Womöglich gar nicht zweispältig? Sondern einfach nur fies? Gleich zu Beginn, wenn er als „Hamlet“ von den Kollegen gefeiert wird: er sucht sie zwar zu verbergen, aber sie ist da, diese arrogante Eitelkeit. Der ganz schnelle Rückgriff auf das „Wörterbuch des Unmenschen“, kaum dass die Barbaren im Sattel sitzen: „Wir müssen minderwertiges Schauspielermaterial bekämpfen. Das ist für das Theater eine Frage der Lebenskraft, der Reinheit“. Und dann die ganz kurze, ganz verstohlene Geste des Triumphs, als er Generalintendant (und damit seinem Freund Victor vor die Nase gesetzt) wird. Und immer wieder die Entschuldigungen, der Selbstbetrug, der in Wirklichkeit keiner ist, da er nur der Rechtfertigung vor den anderen dient: Ich will doch nur das Schlimmste verhindern. Ich gebe doch nur für euch mein Bestes ...


„Ich bin doch nur ein Schauspieler“, barmt er am Ende des ersten Teils (eine herrliche Persiflage auf den Gründgens-Höfgen-Brandauer am Ende des „Mephisto“-Films). Goebels Sportpalast-Rede verfolgt er dann seltsam unbeteiligt, distanziert – ihm muss schließlich klar sein, dass es zu Ende geht. Als dann das Ende wirklich kommt, zieht er sich völlig aus der Wirklichkeit zurück, versteckt sich hinter seinen großen Rollen, wieder und wieder und wieder rezitiert er bedeutsame Reden: spielt Richard III. als den Prototypen des Bösen, redet als gemäßigter Danton dem radikalen Robespierre ins Gewissen, klagt als Mephisto (und spätestens hier scheint der alte Gründgens doch ganz stark durch) „die Kunst ist lang“ und fordert immer wieder „Sire, geben Sie Gedankenfreiheit“.

 

Und ganz schnell ist er wieder der ganz alte, wenn er vom neuen Regime erneut als Volksbelustiger ... äh, als Kulturträger benötigt wird. Da stören dann bloß noch die alten Kollegen, die aufrechter, konsequenter waren als er. Die fragen, wie man nach der Katastrophe „je wieder Theater spielen“ könne. „Und ausgerechnet hier.“ Da sieht der Opportunist kein Problem. Schließlich sei das Gebäude intakt. Und die Besucher würden schon kommen.  Dass dieser Gründgens-Köpler damit am Ende auch noch Recht behalten wird - man mag es nicht glauben, wenn ihm, dem eloquenten Theaterstar nur noch Gestammel als Rechtfertigung bleibt: „... ich ... ich ...“

Vom Roman zum Stück: Ein Detail zum Schluss

Ein interessantes Detail soll dem Interessenten nicht vorenthalten werden: In „Mefisto forever“ nennt Niklas Weber (der früher überzeugte Nazi, jetzt Gegner des Bonzenregimes) die talentlose aber von Göring geförderte Schauspielerin Lina eine „blöde Kuh“ – eines seiner Vergehen, die schließlich zu Verhaftung und Erschießung führen. Die Ironie daran: In Klaus Manns Roman ist es Höfgen/Gründgens, der – noch vor 1933 – dieses Schimpfwort für die Bonzenfreundin verwendet; und dort war es Niklas (da Miklas geheißen), der die Ehre der „Freundin eines deutschen Helden“ energisch verteidigt – und nicht zuletzt deshalb vom Theater fliegt. 

Mefisto forever

Bühnenfassung von Tom Lanoye nach dem Roman „Mephisto“ von Klaus Mann

Besetzung

 

Regie:   Andreas Nathusius

Ausstattung:   Günter Hellweg

Dramaturgie:   Christian Katzschmann

 

Kurt Köpler:   Markus Hottgenroth

Rebecca Füchs/ Lina Lindenhoff:   Ewa Rataj

Victor Müller/ Der neue Führer:   Stephan Clemens

Niklas Weber/ Der Hinkende:   Christoph Gummert

Nicole Naumann:   Anna Katharina Schwabroh

Angela:   Karoline Stegemann

Der Dicke:   Jürgen Roth

 

 

04.10.2014; 19:30 Uhr, Landestheater Detmold 
10.10.2014; 19:30 Uhr, Landestheater Detmold 
18.10.2014; 19:30 Uhr, Landestheater Detmold 
02.11.2014; 18:00 Uhr, Landestheater Detmold   
07.11.2014; 19:30 Uhr, Theater Itzehoe

20.11.2014; 19:30 Uhr, Landestheater Detmold   
22.11.2014; 19:30 Uhr, Theater Hagen

27.11.2014; 19:30 Uhr, Theater im Park Bad Oeynhausen

28.11.2014; 20:00 Uhr, Stadttheater Bocholt

15.12.2014; 15:00 Uhr, Landestheater Detmold   
29.12.2014; 19:30 Uhr, Landestheater Detmold   
01.03.2015; 14:15 Uhr, Landestheater Detmold   
15.04.2015; 20:00 Uhr, Stadttheater Ratingen

29.05.2015; 20:00 Uhr, Heinz-Hilpert-Theater Lünen