Detmold: Ein weiteres Exemplar vom Wittenbrink-Fließband:

Platte Revue aus dem Heimwerker- und Baumarkt-Milieu

(alle Fotos: Landestheater Detmold; Jochen Quast)

Eine Musiker-Karriere

(g.wasa    -    Detmold.)    Sechstes von dreizehn Kindern eines streng katholischen Bauunternehmers und CDU-Stadtrates - Internats-Zögling der Regensburger Domspatzen mit Missbrauchserfahrung - sozialistisch/kommunistischer Polit-Funktionär - Klavierbauer, Maschinenschlosser, Müllfahrer - Keyborder einer Band - mancherlei musikalische Jobs an namhaften Theatern … - Endlich, mit Ende 40, der große Durchbruch mit dem Sensationserfolg „Sekretärinnen“ (1995, Deutsches Schauspielhaus Hamburg). 

 

Das sind nur einige von vielen Stationen (mehr: Wikipedia & Co) einer Biographie, die reichlich Stoff für einen Roman böte. Oder für eine der musikalischen Revuen, wie sie von Franz Wittenbrink (* 1948) fast wie am Fließband produziert werden (ja, klar, am Fließband hat er auch mal gearbeitet). 

 

Das Erfolgsrezept:

Man nehme eine Bevölkerungsgruppe („Männer“, „Mütter“, Väter, Putzfrauen, Flugreisende …) und/oder eine Lebenssituation (die auch mal im Jenseits spielen kann: „Komm, süßer Tod“; oder: Hotel-Lobby, Midlifecrisis, Liebe, Abschied, Klinik, Begräbnis, Nachbarschaft, Wurstbude …)  und lasse entlang dieses „roten Fadens“ zwei Dutzend Lieder singen, mehr oder weniger passende, mehr oder weniger bekannte. Im Idealfall ergibt sich daraus eine mehr oder weniger rudimentäre Handlung.

 

Jetzt hat sich das Landestheater Detmold aus dieser schier unendlichen Reihe eines der neueren Elaborate herausgesucht: „Hammer“. Da sollten Sie – wenn schon, denn schon! - unbedingt so frühzeitig hingehen, dass Sie sich vor Beginn noch

die fast schon philosophische Abhandlung der Dramaturgin im Programmheft zu Gemüte führen können: „Vom Suchen und Finden. Der Baumarkt als Lebensmetapher“. Dann sind Sie angemessen vorbereitet auf das folgende Erlebnis:  

 

Das Baumarkt-Fegefeuer

Sabine und Ringo brauchen eine neue Spüle und holen sie sich im Baumarkt. Sollte ja nicht so schwer sein, aber …

 

Auf das Eingangs-Statement der suchenden Kunden – „Nee, hier ist auch keiner!“ – folgt das erste beifällige Gelächter des Publikums: Man scheint die Situation aus dem wahren Leben zu kennen. Ebenso wie später die Probleme beim Zusammenbau der Neuerwerbung, wobei dem Hobby-Heimwerker weder Gebrauchsanleitung noch Hotline wirklich helfen …

 

Aber so weit sind wir noch lange nicht, denn allein für den Einkauf geht schon mal die erste Hälfte des gut zweistündigen Theaterabends drauf. Denn schließlich braucht’s jede Menge retardierender Momente, um all die Songs unterzubringen:  

 

You Can‘t Always Get What You Want“ mag ja durchaus als baumarkt-typisch durchgehen; zu „Love is like a sun“ lässt sich eine Lichterkette (Restposten vom Dezember?) schwenken; dass ein Teddybär als Kunde im Baumarkt auftaucht, wird damit gerechtfertigt, dass der irgendwann mal „Ich möchte ein Eisbär sein“ singen (und dafür einen Eimer Polar-Weiß kaufen) muss.

 

Die Kundin vom Typ „strenge Lehrerin“ wirkt zunächst etwas hektisch, wie sie so von Abteilung zu Abteilung irrt; einen genaueren Eindruck gewinnt man allmählich angesichts ihrer Einkäufe: Bambusstock in handlicher Größe, Kabelbinder („anschmiegsam“), Klebeband („rot!“) und Deckenhaken, an denen man schon mal ein 100-kg-„Schwein“ aufhängen kann; spätestens wenn sie „50 Ways to Leave Your Lover“ abwandelt in „50 Tricks, ‘nen Mann zu quälen“ erschließt sich ihre wahre Profession: streng: ja; Lehrerin: nein.

 

 

 

Wenn das Publikum sich anfangs noch vornehm zurückhält – im Lauf des Abends erkennt man am zunehmenden Lachen: Man will sich amüsieren! Den ersten Zwischen-Beifall gibt’s dann, wenn der unbedarfte Lehrling seine attraktive Kollegin (vergeblich) mit „You are so beautifull“ ansülzt.

 

 

 

 

 

Ein kleines Highlight ist dann der Werbeblock mit Gabi: Die Verkäuferin hat ein Spezialangebot für die emanzipierte Baumarktkundin: „Femita (mit dem Genderstern)“, das Multi-Tool für die Frau: bohren – Kuchen rühren – Puder applizieren … und was der weiblichen Bedürfnisse mehr sein mögen ...

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Heimwerker-Hölle

Nach der Pause sind Sabine und Ringo, die ?glücklichen? Spülen-Erwerber, wieder daheim in ihrer kleinbürgerlichen Wohnung. Das aufzubauende Möbel fällt immer wieder auseinander bzw. in sich zusammen; die unverständliche Aufbauanleitung bietet ebenso wenig Hilfe wie die unverschämte Hotline; der Sohn hat keine Lust zu helfen; die Tochter („Studentin“ – „Studierende! bitte!“ Aber klar doch!) ist ohnehin nur gekommen, um Geld zu schnorren; und die Oma duselt sowieso bloß vor sich hin …

 

Da kann nur noch Hauke helfen, so ’ne Art Schmalspur-Universal-Genie: Physio-Therapeut von Sabine, begnadeter Womanizer, schicki-micki-gedresst, der als Grandseigneur elegant rumsteht und sich souverän Schrauben und Stichsäge anreichen lässt. Da baut sich die Spüle fast von alleine auf … und wir wären allzu früh am Ende des Theaterabends angekommen. Deshalb wird – bewährtes Element jeder Soap – noch ein Techtelmechtel zwischen Sabine und Hauke eingebaut, was weder Sabines Ehemann gefällt noch Haukes – plötzlich aus dem Nichts auftauchender – Ehefrau.

 

Ach so ja: das alles ist natürlich immer wieder Anlass für den einen oder anderen Song („you can leave your hat on oder ein – an den Null-Bock-Sohn angepasstes – „Du lässt dich gehen“).

 

Kunterbuntes Allerlei

Mein Gott, die zwei Stunden sind immer noch nicht rum. Aber zum Glück hatte der Autor offenbar eine BILD-Zeitung zur Verfügung und konnte abchecken, zu welcher Schlagzeile er einen ?passenden? Song fand.

Und so will also der Drogen-Dealer sein „Cocaine“ nur gegen Cash abgeben; auch der Pizzabote verlangt schnöde „9 Euro 80“, nachdem er doch dem verboten-schönen („criminalmente bello“) Sohn so heftige schwule Avancen gemacht hatte. Im Gegenzug (nur keine Variante vernachlässigen!) beginnt Tochter Elisabeth mit der Frau des Therapeuten ihrer Mutter ein lesbisches Techtelmechtel. Diese hatte sich als Helikopter-Mutter eines Wunderkindes eingeführt („Elias ist ein ganz besonderes Kind“), wogegen die andere Mutter einen Vortrag über gesunde Ernährung hält … OK – Heintjes „Maamaa“ bleibt uns erspart, aber Rudolf Schock („Deine Mutter bleibt immer bei dir“) reicht ja auch schon!

 

Und immer noch kein Ende …  

 

Detmold-Bashing

Während das spießige Teutoburger-Wald-Hirschrevier-Motiv der Fototapete durch eine (also ehrlich! nicht gerade einladend wirkende!) tropische Felsenküste ersetzt wird, ist Zeit für caipirinha-(sehn)süchtig-anti-lippisches Fernweh: „Detmold, du bist so öd – ich will weg aus Detmold“.

 

Kiel, der Ort der „Hammer“-Uraufführung, hat sich immerhin auf „Brazil – buntes Zuckerhut-Asyl“ gereimt. Dagegen macht man sich in Detmold so seine Gedanken über das fortgesetzte Detmold-Bashing der hiesigen Theaterleute, nachdem diese erst kürzlich, bei „Frau Luna“, ihre Einstellung gegenüber ?ihrer? Stadt zum Ausdruck gebracht hatten: „Die Mondfahrer sind gelandet“ – „Hurrah!“ – „… in Detmold“ – „Ooooh!

 

Nach Moskau, wie die drei Schwestern, werden die provinzüberdrüssigen Detmolder Künstler sicherlich nicht wollen. Aber: „Nach München drängt wohl alles? Ach ihr Armen!“, möchte man ihnen mit Gretchen zurufen! Seid ihr wirklich so gefrustet, dass ihr nur hier (her)untergekommen seid? Und es nicht an die Kammerspiele geschafft habt? Oder wenigstens ans BE?

 

Dann müsst ihr eben hier euer Bestes geben; vielleicht kommt ja dann irgendwann mal der Ruf nach Berlin oder Köln oder sogar nach Bochum (Theater des Jahres 2022).

 

Apropos: euer Bestes geben …:

 

Die Darsteller …

… haben mal wieder ihr Bestes gegeben! – Patrick Hellenbrand scheint als Udo Fugendübel in seinem Baumarkt, also: in seinem Element zu sein: als wurstiger und gleichzeitig übergriffig-geschäftstüchtiger Marktleiter; in der zweiten Hälfte mutiert er problemlos zu Super-Hauke. – Die wandlungsfähige Alexandra Riemann überzeugt als profitorientierte Chefin („Wir steigern das Bruttosozialprodukt“) ebenso wie als fast schon dämonisch wirkende Hotline-Stimme. -  Ebenso Justus Henke als geplagter Lehrling und als No-Bock-Sohn. – Anja Syrbe ist eine derart coole Domina, dass man am liebsten masochistisch wäre und sich einen Termin besorgen würde. - Ewa Noack gefällt unter anderem als „femita (mit dem Genderstern)“-Werbetussi. – Manuela Stüßer und Adrian Thomser als zentrales Paar, als die sexy Sabine und der überforderte Ringo, gewinnen die Sympathie des Publikums allein schon angesichts des Wiedererkenn-Faktors in ihren Rollen. – Wiedererkennen mag sich mancher auch in Emanuel Webers Baumarktkunden: „Sind Sie handwerklich nicht so begabt? - … Äh … doch …“. Außerdem springt Weber immer dann ein, wenn weiteres Personal gebraucht wird, ob als Braunbär oder als überdreht-schwuler italienischer Pizzabote – Chapeau!

 

Fazit: Die alle würde man eigentlich lieber in einem anspruchsvolleren Stück sehen! Mit denen könnte ich mir eine überzeugende „Maria Stuart“ vorstellen oder faszinierende „Geschichten aus dem Wienerwald“. Gerne auch – schließlich soll auch ihr stimmliches Talent zur Geltung kommen – die „Dreigroschenoper“.

 

Und die Spüle?

Über all dem haben wir den Auslöser des ganzen Hin und Her fast aus dem Blick verloren, obwohl die maledeite – und immer noch nicht ganz fertig montierte – Spüle dauernd am Rand des Geschehens rumsteht. Bis kurz vor Schluss der multi-gefrustete Ringo beschließt: Und nun hau ich mit dem Hämmerchen die Spüle kaputt! – JAWOLL! – MACHT KAPUTT, WAS EUCH KAPUTT MACHT!

 

FINIS.

 

Finale und Happy End

Finis? Noch sind wir nicht ganz am Ende. Es muss ja noch ein Happy End her. Die Paare in allen Konstellationen – hetero, lesbisch, schwul, Ehemann mit eigener Frau, Ehefrau mit anderem Mann – vereinen sich zum Schluss-Choral: „Bleib bei mir“.

 

Der Beifall war dann herzlich. Einige wenige erhoben sich sogar zu stehenden Ovationen. Das wollte die übergroße Mehrheit dann doch nicht mitmachen. Verständlich.

 

PS: Bleibt die Frage, ob die real existierende Baumarkt-Kette „Hammer“ das Werk als Werbung goutiert oder es doch als geschäftsschädigend einstuft.

 

 

 

 

Landestheater Detmold:

 

Hammer

 

Musikalische Komödie von Franz Wittenbrink

Musikalische Bearbeitung: Benjamin Huth, Johannes Bettac

 

Musikalische Leitung:         Johannes Bettac, Peter Freisinger

Inszenierung:                       Stefan Behrendt

Bühne und Kostüm:            Mareile Krettek

Dramaturgie:                        Sophia Lungwitz

Licht:                                      Carsten-Alexander Lenauer

 

Benny/Lysander:                 Justus Henke

Kunde, Braunbär,

Pizza-Bote, Drogenkurier: Emanuel Weber

Ringo:                                    Adrian Thomser

Udo Fugendübel/Hauke:    Patrick Hellenbrand

Sabine:                                  Manuela Stüßer

Chefin/Elisabeth:                 Alexandra Riemann

Gabi Stender/Judith:           Ewa Noack

Kundin/Oma:                        Anja Syrbe

 

Band:

Keyboard: Johannes Bettac/Peter Freisinger

Schlagzeug: Jürgen Steinberg

Gitarre: Jakob Lübke / Martin Rudkowski

 

Premiere: Freitag, 20. Januar 2023, 19.30 Uhr

Weitere Termine: 25.1., 9.2., 1.3., 25.3., 26.3., 14.4., 20.4.2023