„Spiel über die Leere des Lebens hinweg“ – demnächst „Onkel Wanja“ am Landestheater Detmold

Matinee im Gräftenhof bietet Vorgeschmack

(Foto: Landestheateer)

Zelebrierte Langeweile: Tschechows Landgut-Stücke

Über alles darf man streiten – warum also nicht über den russischen Dramatiker Anton Tschechow (1860 – 1904) und seine Dramen, zumal über seine von ihm beharrlich so genannten „Komödien“, die auf provinziellen Landgütern spielen und eine dekadente Gesellschaft vorführen, welche ihre Langeweile zelebriert. In der „Möwe“ gibt es – neben zahlreichen unglücklichen Lieben – wenigstens den Ehrgeiz eines avantgardistischen Dichters und einer jungen Möchtegern-Schauspielerin; in den „Drei Schwestern“ eine fast schon leitmotivische Sehnsucht nach der Hauptstadt; und im „Kirschgarten“ findet gar ein – vorrevolutionärer – Epochenwandel statt: von der dekadenten Feudalgesellschaft zum Emporkömmling, zum tatkräftigen Kapitalisten, der die Kirschbäume tatsächlich abholzt, um Bauland zu schaffen.

 

Dagegen bleibt es im „Onkel Wanja“ bei der Absicht, das Landgut in Finanzkapital zu verwandeln. Hier sind wir am Schluss wieder am Anfang: „Arbeiten. Arbeiten“. Der Guts-Verwalter und seine fleißige Nichte machen sich wieder an die Arbeit, um den schmarotzenden Verwandten, den Professor in der Stadt weiter alimentieren zu können: „Du wirst akkurat dasselbe gezahlt bekommen, was du bisher bekommen hast. Alles wird wie früher sein.“ 

 

Zuvor haben die Guts-Bewohner ihre Depressionen angesichts ihres ereignislosen Lebens wiedergekäut, ihren Frust über mangelnde Zukunftsaussichten zelebriert und – nicht ganz so exzessiv wie in der „Möwe“ - ihren Verliebtheiten nachgehangen, welche letzten Endes alle unerwidert blieben – mit Ausnahme der Eigenliebe des Professors.

 

Fazit von Georg Hensel: Tschechows „Menschen reden und fühlen aneinander vorbei, sie schweigen sogar aneinander vorbei.  … sie spielen über die Leere ihres Lebens hinweg.“

 

Da darf man als Hobby-Kritiker schon mal fragen:

 

Wie soll man so was dramatisch auf die Bühne bringen? Oder womöglich gar spannend?

 

Versucht haben das schon viele. Und so manchen ist es tatsächlich gelungen!

 

 

„Onkel Wanja“ am Landestheater Detmold

Auch das Landestheater Detmold ist fest entschlossen, seinem Publikum einen interessanten „Onkel Wanja“ zu bieten, und hat dazu sein Spitzenpersonal aufgeboten: Schauspieldirektor Jan Steinbach und Leitende Dramaturgin Sophia Lungwitz. Beide outen sich als Fans dieser „Komödie“, die sie – zu Recht, natürlich! – als „ein Stück Weltliteratur“ preisen. Regisseur Steinbach erklärt das u. a. mit seinem „Faible für die Abgründe menschlicher Kommunikation“ und ist sich mit seiner Dramaturgin einig, dass der Narzissmus des tschechowschen Personals und das Gefangensein in (ungeliebten) Lebensumständen „absolut modern“ sei.

 

Und das gerade heute, unter den corona-bedingten Beschränkungen, wo das „Kreisen um sich selbst“, das Zurückgeworfensein auf einen engsten Umkreis von außen vorgegeben wird.

 

De Corona-Beschränkungen spiegeln sich natürlich auch im Bühnenbild wieder, wie Franz Dittrich betont, der sein erstes Raumkonzept noch vor Corona entwickelt hat und dann „vom Schock des Lockdowns getroffen“ wurde. Natürlich muss das Theater mit den – fast möchte man schon sagen: üblichen; zumindest: inzwischen gewohnten – Beschränkungen wie insbesondere den Abstandsregeln zurechtkommen.

 

WIE Steinbach & Co. es schaffen werden, aus einer Aneinanderreihung „verkappter Monologe“ (Steinbach) eine dramatische Auseinandersetzung zu entwickeln, und das stets auf Corona-Abstand – darauf darf man gespannt sein. Dramaturgin Lungwitz behauptet, man könne „dieses Stück immer wieder neu lesen“ (und man wird ihr spätestens dann recht geben, wenn man im Nachwort der Reclam-Ausgabe die lange Liste prominenter Inszenierungen überfliegt mit ihrer „Vielfalt von Interpretationsmöglichkeiten zwischen (Beckettschen) Endspielen und tiefenpsychologischen Fall…studien“). –

Tatsächlich: Man darf gespannt sein!

Premiere ist am Freitag, dem 25. September 2020, um 19:30 Uhr im Großen Haus.

 

Matinee:  Vorgeschmack im Gräftenhof

Wer vorher schon mal in „das Stück Weltliteratur“ hineinschnuppern und einiges über das Detmolder Regie-Konzept erfahren möchte, hat dazu schon am Sonntag Gelegenheit:

Die beliebte Matinee findet am 20. September im Gräftenhof im Freilichtmuseum statt – der sich zwar nicht ganz mit der komfortablen Residenz des Landadels im zaristischen Russland vergleichen lässt, aber wenigstens das Ambiente eines stattlichen westfälischen Hofgutes bietet. 

 

Die Matinee beginnt um 10:00 Uhr. Um trotz Corona möglichst vielen die Teilnahme zu ermöglichen, wird sie um 12:00 Uhr wiederholt. Der Eintritt ist frei.

 

 

 

Landestheater Detmold:

 

Onkel Wanja

Schauspiel von Anton Tschechow (Coronagerechte Inszenierung)

 

 

Besetzung

 

Inszenierung: Jan Steinbach

Bühne: Franz Dittrich

Kostüme: Jule Dohrn-van Rossum

Dramaturgie: Sophia Lungwitz

 

Alexander Wladimirowitsch Serebrjakow: Jürgen Roth

Elena Andrejewna: Alexandra Riemann

Sofja Alexandrowna (Sonja): Ewa Noack

Iwan Petrowitsch Wojnizkij: Heiner Junghans

Michail Lwowitsch Astrow: André Lassen

Ilja Iljitsch Telegin: Patrick Hellenbrand

Marina: Kerstin Klinder