Tanz der Tiere
„Das Dschungelbuch“ auf der Detmolder Ballett-Bühne
Ein Glücksfall für Detmold: Torwesten & Co.
(g. wasa - Detmold.) - Einen echten Glücksgriff hat das Landestheater Detmold getan, als es 2020 die Ballett-Direktorin Katharina Torwesten und ihre Tanztruppe engagierte. In ihrer ersten Spielzeit wurde sie noch von Corona ausgebremst, aber in dieser Saison stehen drei Produktionen auf dem Spielplan, die bei Publikum und Kritik gleichermaßen Begeisterung auslösten: In „We Will Dance: Sacre!“ zeigt sie ihre sehr persönliche – und sehr überzeugende – Sicht auf Strawinskys Klassiker. - „Der Glöckner von Notre Dame“ ist eine gelungene Tanz-Adaption von Victor Hugos berühmtem Roman. – Und ihre neueste Arbeit, „Das Dschungelbuch“, steht den beiden Vorgängern in nichts nach und erntet bei der Premiere im Sommertheater den verdienten begeisterten Beifall.
Das Dschungelbuch
„Das Dschungelbuch“ wird als „Familienballett“ für „Jung und Alt“ angekündigt und ist inspiriert von dem gleichnamigen (Kinder?-) Buch von Rudyard Kipling, entstanden 1893-95, aber auch von dem – inhaltlich deutlich abweichenden - Disney-Film (1967), welcher die heutige Vorstellung vom „Dschungelbuch“ vermutlich stärker prägt als der alte Roman.
Die Grundzüge der Geschichte sind in Buch und Film gleich und finden sich im Kern auch auf der Detmolder Ballett-Bühne wieder:
Im indischen Dschungel hat der Tiger Shir Khan einen kleinen Jungen geraubt; doch dem gelingt es, zu entkommen und in eine Wolfshöhle zu fliehen. Die Wölfe nehmen den Kleinen in ihre Familie auf und nennen ihn wegen seiner nackten Haut „Mogli“, was „kleiner Frosch“ bedeuten soll. In einzelnen Erzählungen werden die Erlebnisse Moglis und seiner tierischen Freunde (neben den Wölfen vor allem: Balu, der Bär, und Baghira, der schwarze Panther) wiedergegeben. (Mehr zu Kiplings „Dschungelbüchern“ hier).
Ein bunter Bilderbogen: Begegnungen im Dschungel
„Kunst muss verständlich sein“, hat Choreografin Torwesten einmal gesagt, deshalb sei ihr ein „lesbarer Tanzstil“ wichtig. Dementsprechend verzichtet sie in ihrem „Dschungelbuch“ auf komplizierte Abläufe oder gar auf abstrakte Ideen (wie die „Gesetze“, die bei Kipling eine große Rolle spielen). Stattdessen sehen wir einen bunten Bilderbogen, eine Abfolge der Begegnungen Moglis mit den verschiedenen Tieren des indischen Dschungels.
Fressen oder gefressen werden?
Anstelle der komplexen „Dschungelgesetze“ des Romans (wie sie der Bär Balu den Tierjungen vermittelt) findet sich im Tanzstück „das Gesetz des Dschungels“ wie wir es in unserem Sprachgebrauch verstehen: „fressen und / oder gefressen werden“. Es ergeben sich einfach zu schöne und zu lustige Bilder, als dass Torwesten darauf hätte verzichten wollen: die – eher animalische – Nahrungsbeschaffung Moglis; die Schlange Kaa, wie sie an Mogli Maß nimmt, um dessen Eignung als Frühstück zu prüfen; dann ihr Versuch, ihn zu hypnotisieren; oder wenn die Geier ihre Bestecke zücken.
Überhaupt die Geier: verdientermaßen werden sie mit amüsiertem Spontanapplaus empfangen, wenn sie hereinstolzieren: In ihrem wuscheligen Federkleid und mit erotisch-roten Lackstiefeln sind sie aufgeputzt, dass man sie für Schwalben halten könnte (denen im Dschungel allerdings der Bordstein fehlt). Geier wie Schlange haben ihre Vorbilder also im Disney-Film: In Kiplings Original ist Kaa nicht Fressfeind sondern gute Freundin von Mogli; und Geier – als Gebirgs- und Steppenvögel – kommen im Dschungel (und damit auch in Kiplings Dschungelbuch) überhaupt nicht vor.
Die Ausstattung
Zu den „schönen Bildern“ tragen die Ausstatter ein gut Teil bei: Martin Fischer sorgt mit einfachen Mitteln – hauptsächlich ein paar (überdimensionalen) Bambusstangen und ein bisschen Grünzeug in Verbindung mit geschicktem Lichteinsatz (Udo Groll) – für Dschungelstimmung auf der Bühne. Und Torsten Rauer hat wunderschöne Kostüme entworfen, welche mit (fast) naturgetreuen Fell-, Gefieder- oder Schlangenhaut-Imitaten die Tänzer*innen in bezaubernde animalische Geschöpfe verwandeln.
Tolle Tänzer und Tänzerinnen
Aber natürlich kommen selbst die schönsten Kostüme nur dann zur vollen Wirkung, wenn die richtigen Darsteller in ihnen stecken. Und daran fehlt’s hier wahrlich nicht! Nicht umsonst haben wir gleich im ersten Satz nicht nur von der Ballett-Chefin, sondern auch von ihrer Truppe als „Glücksgriff“ gesprochen.
Sie alle überzeugen mit der genauen Darstellung von Menschen und Tieren. Diese atemberaubende Akrobatik und gleichzeitig diese bezaubernde Anmut, mit denen die Tänzerinnen und Tänzer die Figuren des Stücks, gerade auch die Tierfiguren, zum Leben erwecken – die kann man hier loben, kann sie aber kaum hinreichend beschreiben. Das müssen Sie sich schon selber ansehen!
Um nur ein paar Hauptfiguren beispielhaft herauszugreifen: Denison Pereira zeigt Shir Khan als machtbewussten König des Dschungels; Khanya Mandongana ist als Panther Baghira der tapfere Beschützer Moglis; Alexander Diedler verkörpert nicht so sehr den strengen Lehrer Balu aus Kiplings Roman; stattdessen vermittelt er – ohne Worte, allein mit seiner Körpersprache – das Prinzip „Versuchs mal mit Gemütlichkeit“; Veronika Jungblut schlängelt sich mit faszinierenden Bewegungen durch den Dschungel. Und Marilena Dolgetta wird als Mogli ohnehin schnell zum Publikumsliebling.
Das Happy End
Das sprachlich und inhaltlich schönste Kapitel am Ende von Kiplings „Neuem Dschungelbuch“ schildert den Frühling im Dschungel: „kein Frühling der Welt kommt dem Dschungelfrühling gleich in Reiz und Frische“ (II, 15): In den Tieren regen sich „Frühlingsgefühle“; plötzlich interessieren sie sich mehr für eigenartige Paarungs-Rituale als für Freundschaft und Abenteuer (mehr).
Diese Stimmung wird am Ende von Torwestens Tanzstück auf zauberhafte Weise aufgenommen: Plötzlich haben die Tiere Partner: die Schlange findet einen Schlangenmann, der Panther eine Panterfrau und der Bär eine Bärin. – Da darf auch Mogli nicht allein bleiben. Auch er bekommt ein wunderhübsches Mädchen als Partnerin. Und ganz zum Schluss behält Baghira Recht, den schon Kipling prophezeien ließ: „Mensch geht zu Mensch“. Während die Tiere, die Tierpaare die Bühne (wie es sich gehört) nach hinten verlassen führt Mogli seine neue Freunden nach unten, in den Zuschauerraum. Zurück zu den Menschen.
Landestheater Detmold:
Das Dschungelbuch
Ballett von Katharina Torwesten
Besetzung:
Choreografie: Katharina Torwesten
Bühne: Martin Fischer
Kostüme: Torsten Rauer
Dramaturgie: Anna Neudert
Maske: Kerstin Steinke
Licht: Udo Groll
Mogli: Marilena Dolgetta / Giulia Spinelli
Balu: Alexander Diedler
Baghira: Khanya Mandongana
Kaa: Veronika Jungblut / Madoka Sato
Shir Khan: Denison Pereira
Mutter: Mirea Mauriello
Mädchen: Iaçanã Castro
King Louie: Enkhzorig Narmandakh
Affenhorde: Caio Amaral / Iaçanã Castro / Marcelo Kanopka / Mirea Mauriello /
Veronika Jungblut / Giulia Spinelli
Elefantenvater: Alexander Diedler
Elefantenmutter: Madoka Sato
Elefantenbaby: Caio Amaral / Mario Martello Panno
Wassergeist: Veronika Jungblut / Madoka Sato
3 Geier: Mario Martello Panno / Giulia Spinelli / Denison Pereira
Zweite Schlange: Marcelo Kanopka
Bärin: Madoka Sato
Pantherfrau: Mirea Mauriello
Leitwolf: Marcelo Kanopka
Wölfin: Erica Pinangé
Wolfsrudel: Enkhzorig Narmandakh / Mario Martello Panno / Denison Pereira /
Veronika Jungblut / Iaçanã Castro
Wolfskinder: Caio Amaral / Giulia Spinelli
Premiere: 02.03.2022, 19:30 Uhr, Sommertheater
Weitere Termine im Sommertheater Detmold:
So, 10.04.22, 18:30 Uhr
So, 17.04.22, 18:30 (entfällt wegen Krankheit)
Di, 03.05.22, 19:30
Sa, 28.05.22, 18:00
Fr, 24.06.22, 19:30
Sa, 25.06.22, 19:30