Nachts im Museum 

Am Landestheater Detmold träumt eine Putzfrau Aida

(alle Fotos: Landestheater Detmold - A.T. Schaefer)

g.wasa     -     Detmold.     -     1970, also vor nahezu 50 Jahren, wurde die „Aida“ zuletzt in Detmold gespielt, teilt Musikdramaturgin Elisabeth Wirtz in ihrer Einführung mit. Sie begründet die lange Abstinenz einmal mit den Anforderungen dieser Oper – großer Chor, anspruchsvolle Gesangsrollen -, die ein kleines Haus wie das Landestheater Detmold nur schwer erfüllen könne. So ganz mag man ihr dies nicht abnehmen – hat dieses „kleine Haus“ doch in den letzten Jahren unter anderem den  gesamten sog. „Bayreuther Kanon“ inklusive „Ring“ gestemmt – mit beachtlichem Erfolg!

 

Musikalisch: gelungen!

Und hinsichtlich der Musik – das sei schon mal vorweggenommen –, scheinen  Generalmusikdirektor Lutz Rademacher und Chor-Chef Francesco Damiani durchaus keine Probleme zu haben, die „Aida“ mit Bravour auf die Bühne zu bringen, sowohl was das Orchester betrifft, als auch den Chor und die Solisten – letztere zwar mit Unterstützung von außen, mit Gästen, die wiederum mithilfe von Sponsoren finanziert wurden – aber auch das ist schließlich normal.

Aida - zwischen spektakulär und Spektakel

Aber da ist dann noch dieser „haut goût“, den die Musikdramaturgin der „Aida“ mit leicht gerümpfter Nase vorwirft, so eine Art Jahrmarktcharakter, den Verdis bekanntestes Werk durch allzu häufiges Herunterspielen gewonnen habe. Tatsächlich – kaum eine Oper fand man in den letzten Jahren so häufig auf den Spielplänen, wobei die einen auf Spektakuläres setzten (in Salzburg mit Anna Netrebko als Aida), andere eher auf Spektakel (Triumphmarsch mit echten Elefanten und Kamelen in der Arena Xanten) oder auch mal auf Nationalstolz (mit einer geübten Claqueur-Truppe und begeistertem „Viva Verdi!“ in der Arena zu Verona).

 

Löblich: Bekenntnis zum Regietheater

Ob all das die Berührungsängste rechtfertigt, die Wirtz den „echten Theaterleuten“ unterstellt? – Wie auch immer – wichtiger ist das Bekenntnis der Dramaturgin zum Regietheater: „Darin sehen wir Theatermacher unsere Berechtigung“, erklärt sie, „dass wir die alten, bekannten Stoffe in Bezug setzen zur Gegenwart und ihnen damit einen neuen Sinn verleihen.“ – Ja! Wenn das gelingt, darf man gern auf Triumphmarsch-Bombast und Altägypten-Kitsch verzichten.

 

Aida – ein Kammerspiel

Das findet auch Regisseur Anton Rechi, der in der „Aida“ eigentlich ein „Kammerspiel“ sieht: die intime Liebes-/Dreiecksgeschichte zwischen nur drei Personen: „Die pompösen Massenszenen tragen nicht maßgeblich zur Handlung bei, deswegen könnte ich auch darauf verzichten“ – was er natürlich nicht tut, denn eine Aida ohne Triumphmarsch wagt er den Abonnenten dann doch nicht vorzusetzen, und schließlich sei das ja auch „grandiose Musik“.

 

Also suchen die Detmolder einen Kompromiss, der es „ermöglicht, das Stück im Heute spielen zu lassen und trotzdem mit ägyptischen Motiven kreativ sein zu können“.

 

Die bestechende Idee vom Ägyptischen Museum

Und so spielt die Detmolder Aida in einem Ägyptischen Museum: Mit dem Pharao als Direktor, dem Wachmann Radames und der Reinigungskraft Aida, die sich aus der Putzfrauenödnis der Gegenwart in eine altägyptische Pracht zurückträumt.

 

Auf den ersten Blick: eine bestechende Idee - wenn auch nicht gerade neu: Von 1995 bis zur Neuinszenierung 2015 zeigte die Berliner Staatsoper eine Aida im Ägyptischen Museum, und im Vergleich damit fällt die Detmolder Fassung doch etwas ab.

 

Zunächst stellt sich, bei genauerem Nachdenken, doch die Frage: Warum sollte sich eine Angestellte im öffentlichen Dienst (was eine Museumsputzfrau doch: hoffentlich ist) mit Tarifvertrag, Mindestlohn und Rentenanspruch in das Dasein einer feudalgesellschaftlichen Sklavin zurückträumen, die zum Empfang des Geliebten im Staub kriechen muss, während ihre Herrin und Rivalin am Königsthron steht?

 

Dennoch – das Museum bleibt eine gute Idee, doch leider ist die Umsetzung dieser Idee nicht immer gut gelungen. Die Aufteilung der Handlung auf Gegenwarts-Alltag und Traum-Vergangenheit erscheint willkürlich; die Übergänge sind nicht immer logisch nachvollziehbar.

 

Kostüme: oh weh …!

Sehr wohl nachvollziehbar sind die Übergänge dagegen optisch: durch Kostümwechsel: Die Protagonisten ziehen dann über ihr Alltags- (sei es Business-, sei es Putzfrauen-) Outfit einfach die ägyptisch-sein-sollenden Kostüme. Deren Design allerdings hätte nun wirklich mehr Liebe verdient! Auf dem Weg in die Pause hörte ich folgenden Dialog: „Die Musik ist ja sehr gut. – Aber die Inszenierung …! – Vor allem diese schrecklichen Zirkus-Kostüme!“ – Ich selbst hatte die Assoziation: Karnevalskostüme eines Provinzvereins, mit viel Flitter und Glitter von der Dorfschneiderin zusammengenäht!

 

Gegenwartsprobleme: eher banal

Und Elisabeth Wirtz‘ Anliegen, Probleme der Gegenwart aufzugreifen? Nun ja, das hat man schon gemacht. Anhand einer Sonder-Ausstellung im Museum zeigt man die Gier des Publikums nach „der einen Sensation“, eine Sensationsgier, die an die Stelle der klassischen, kontemplativen Kunstbetrachtung getreten ist (Wirtz: „Wer leistet sich schon noch die Muße, ein Kunstwerk 15, 25 Minuten lang zu betrachten?“). Man konsumiert das Objekt mittels Handy, am liebsten in Form eines Selfies. Ein wirklich gelungener Witz: Zu den Klängen eines – deutlich zurückgenommenen, geradezu unspektakulären – Triumphmarsches werden nicht etwa beute-beladene Kamele über die Bühne geführt; vielmehr kreist eine Horde von Digitalkamera-bewaffneten Touristen um eine Nofretete-Büste!

 

 

        

Aber sonst? Dass der Vorgesetzte in Straßenschuhen über den frisch geputzten Boden latscht? Dass Aida mit ihrem Putzwagen zur Stelle sein muss, wenn ein Tourist seinen Coffee-to-go-Becher fallen lässt? Das ist als „Problem, wie es heute täglich vorkommt“ (Wirtz) doch reichlich banal! 

 

Da hat man sich beispielsweise auf der Seebühne Bregenz (die ansonsten eher für spektakuläre Bühnenbilder als für kritische Gegenwartsbezüge bekannt ist) deutlich mehr getraut, als man 2009 mit einer zertrümmerten Freiheitsstatue und Anklängen an Guantanamo und Abu Ghuraib den Präsidenten Bush verabschiedet hat.

 

Immerhin, in Detmold gab’s noch einen kleinen (fast schon running) Gag: Wenn Radames der Aida den Putzlappen hinterher trägt, so ist das eine hübsche Persiflage auf das (in Schillers Ballade verklärte) Motiv des Ritters, der seiner Edeldame den verlorenen Handschuh aufhebt.

 

Und sonst? – Die Musik!  

Das bereits eingangs geäußerte Lob für das Orchester unter Lutz Rademacher

ebenso wie für den von Francesco Damiani geleiteten Chor kann hier nur wiederholt werden. Und was der Regie gelungen ist, das sind vor allem – wie von Rechi / Wirtz intendiert – die intimen, die kammerspielartigen Szenen, die den Solisten Gelegenheit geben zu glänzen: Zunächst ist da die Amerikanerin Elena O’Connor (als Gast): eine Titelheldin, die nicht nur mit ihrer Stimme beeindruckt, sondern auch schauspielerisch in dem steten Wechsel zwischen Putzkraft und Ägypterin, welche wiederum als geborene Prinzessin niedere Sklavinnendienste leisten muss. Ihr mindestens ebenbürtig: Khatuna Mikaberidze als ausdrucksstarke Amneris. Und auch die Sänger können da mithalten: Ji-Woon King als Radames, Irakli Atanelishvili als Pharao und  Seungweon Lee als Oberpriester.

 

        

Andreas Jörens Bariton überzeugt auch dann, wenn der Darsteller des Amonasro gegen seine äußere Erscheinung ansingen muss: am Anführer einer Invasionsarmee und Kriegsgefangenen wirkt das Business-Dress-Kostüm besonders absurd!

 

 

 

 

 

Das Premierenpublikum hat allen Beteiligten ausdauernd und kräftig applaudiert.

 

 

 

 

 

Landestheater Detmold:

 

Aida

Oper von Giuseppe Verdi

 

Musikalische Leitung:           Lutz Rademacher
Inszenierung:                         Joan Anton Rechi
Bühne:                                    Gabriel Insignares
Kostüme:                                Mercé Paloma
Chor:                                      Francesco Damiani
Dramaturgie:                          Elisabeth Wirtz

Der König:                             Irakli Atanelishvili
Amneris:                                Khatuna Mikaberidze / Maria Riccarda Wesseling
Aida:                                      Megan Marie Hart / Elena O'Connor
Radames:                               Ji-Woon Kim
Ramphis:                                Seungweon Lee
Amonasro:                              Andreas Jören / Benjamin Lewis
Ein Bote:                                Nando Zickgraf / Eungdae Han
Eine Priesterin:                      Jisun Oh

Symphonisches Orchester
Damen und Herren des Opernchores 

Premiere: Freitag, 13. September 2019, 19.30 Uhr, Landestheater Detmold

Fotos: Landestheater / A.T. Schaefer